Rudolf Diesel


Rudolf Diesel wurde am 18. März 1858 als zweites Kind von Theodor Diesel (1830 – 1911) und dessen vier Jahre älterer Ehefrau Elise (1826 – 1897) in Paris geboren. Der gelernte Buchbinder Theodor Diesel war etwa zehn Jahre zuvor aus Augsburg fortgezogen, ausgewandert und 1855 Elise Strobel begegnet, der Tochter eines Nürnberger Gürtlermeisters und Galanteriewarenhändlers, die sich nach der Auflösung des väterlichen Geschäftes als Hausdame und Gesellschafterin durchgeschlagen hatte. In Paris arbeitete Theodor Diesel zunächst in einer Lederwarenfabrik und richtete dann selbst einen kleinen Betrieb zur Herstellung von Lederwaren ein, der jedoch ständig vom Bankrott bedroht war. Als Frankreich wegen des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) alle Ausländer auswies, mussten Anfang September 1870 auch Theodor und Elise Diesel mit ihren 14, 12 bzw. 11 Jahre alten Kindern Louise, Rudolf und Emma das Land verlassen.

Für die Dauer des Krieges zogen sie nach London, wo Elise Diesel vor der Eheschließung als Hausdame tätig gewesen war. Aus finanziellen Gründen schickten die Diesels den zwölfjährigen Rudolf einige Wochen später allein nach Augsburg, zu seinem Onkel Christoph Barnickel und seiner Tante Barbara (»Betty«).

Rudolf Diesel, der zunächst noch besser französisch als deutsch sprach, besuchte in Augsburg die »Königliche Kreis-Gewerbsschule«, an der Christoph Barnickel Mathematik unterrichtete. Mit vierzehn Jahren teilte er seinen Eltern in einem Brief mit, er wolle Ingenieur werden. Nachdem er 1873 die Gewerbeschule als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, wechselte er zur neu gegründeten Industrieschule in Augsburg, und 1875 immatrikulierte er sich als Stipendiat an der Königlich Bayerischen Technischen Hochschule in München – gegen den Willen seiner Eltern, denen es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage lieber gewesen wäre, wenn er Geld verdient hätte.

Wegen einer Typhuserkrankung konnte Rudolf Diesel im Juli 1879 nicht am Examen teilnehmen. Während er auf den nächsten Prüfungstermin wartete, sammelte er bei der Maschinenfabrik der Gebrüder Sulzer in Winterthur praktische Erfahrungen. Im Januar 1880 holte er seinen Abschluss nach, und zwar mit der besten Leistung seit Bestehen der Hochschule. Danach reiste er nach Paris, half beim Aufbau einer Eisfabrik – der im Jahr zuvor von seinem Münchner Maschinenbau-Professor Carl von Linde gegründeten Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen – und brachte es dort innerhalb eines Jahres zum Direktor.

Im Februar 1881 traf sich Rudolf Diesel mit Heinrich Buz, dem Direktor der Maschinenfabrik Augsburg (ab 1908: Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG, MAN) und vereinbarte mit ihm eine Zusammenarbeit beim Bau einer Versuchsanlage für die Herstellung von Klareis in Flaschen. Für das Verfahren erhielt Rudolf Diesel am 24. September ein kaiserliches und am 24. Oktober ein französisches Patent. Zwei Jahre später wurde die Anlage in Paris fertiggestellt.

Im November 1883 – als der Betrieb lief – vermählte sich Rudolf Diesel in München mit Martha Flasche, der Tochter eines Notars in Remscheid, die er im Jahr zuvor in Gent kennen gelernt hatte.

Am 21. Februar 1890 zog Rudolf Diesel mit seiner Frau und den Kindern Rudolf (*1883), Heddy (*1885) und Eugen (*1889) nach Berlin, übernahm die Leitung des technischen Büros der Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen und ließ sich in den Vorstand der neu gegründeten Aktiengesellschaft für Markt- und Kühlhallen wählen.

Weil er die im Rahmen seiner Firmentätigkeit gemachten Erfindungen nicht für eigene Zwecke nutzen durfte, suchte Rudolf Diesel nach einem anderen Gebiet, auf dem er seine Ideen selbst verwerten konnte. Seit er in den Vorlesungen Carl von Lindes gehört hatte, dass die Dampfmaschine gerade einmal 6 bis 10 Prozent der Energie des Brennstoffes in Leistung umsetzt, dachte er über Wärmekraftmaschinen mit besseren Wirkungsgraden nach.

1885 hatten Gottlieb Daimler und Ernst Wilhelm Maybach in Cannstatt bei Stuttgart einen am 29. August 1885 patentierten Verbrennungsmotor als Antrieb eines zweirädrigen, hölzernen Versuchsfahrzeuges ausprobiert. Kurze Zeit später, am 29. Januar 1886, hatte Karl Friedrich Benz in Mannheim ein Fahrzeug mit einem ähnlichen Motor zum Patent angemeldet (»Patentmotorwagen«). Den drei Konstrukteuren war es gelungen, den von Nikolaus August Otto und Eugen Langen konstruierten und von der Gas-Motoren-Fabrik Deutz AG am 5. Juni 1876 zum Patent angemeldeten atmosphärischen Gasverbrennungsmotor (»Ottomotor«) zum schnell laufenden Benzinmotor weiterzuentwickeln. Während es Gottlieb Daimler und Ernst Wilhelm Maybach vor allem auf den Motor angekommen war, hatte Karl Friedrich Benz das Ziel verfolgt, ein motorisiertes Straßenfahrzeug – ein Automobil – zu bauen.

In einer 1893 veröffentlichten Schrift mit dem Titel »Theorie und Construktion eines rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschine und der heute bekannten Verbrennungsmotoren« legte Rudolf Diesel seine Idee einer »neuen rationellen Wärmekraftmaschine« dar, für die er am 27. Februar 1892 Patentschutz angemeldet hatte und ein Jahr später rückwirkend erhielt.

Weil die Gas-Motoren-Fabrik Deutz AG nicht daran interessiert war, entwickelte Rudolf Diesel sein Konzept unter finanzieller Beteiligung der Firma Friedrich Krupp bei der Maschinenfabrik Augsburg und schloss außer mit diesen Unternehmen auch mit der Maschinenfabrik der Gebrüder Sulzer in Winterthur einen Kooperationsvertrag. Ende November 1893 reichte Rudolf Diesel ein weiteres Patent für seinen Motor ein, in dem er Irrtümer in seiner Patentschrift vom Vorjahr nach seinem aktuellen Wissensstand korrigierte.

Wie beim Ottomotor liefert auch beim Dieselmotor die chemische Energie des Treibstoffs Wärmeenergie (Verbrennung), die einen Kolben in einem Zylinder bewegt und auf diese Weise in mechanische Energie weiterverwandelt wird. Die beiden Motorarten unterscheiden sich vor allem in der Art der Gemischbildung und Zündung. Der Dieselmotor saugt im ersten Takt statt eines brennbaren Luft-Benzin-Gemisches nur Luft an, die bei der Abwärtsbewegung des Kolbens im zweiten Takt verdichtet und dadurch stark erhitzt wird. Erst jetzt erfolgt die Einspritzung des öligen Kraftstoffes, der sich aufgrund der hohen Temperatur von selbst entzündet. Die Explosion treibt den Kolben wieder zurück (Arbeitstakt), und mit der gegenläufigen vierten Bewegung stößt der Kolben das verbrannte Luft-Treibstoff-Gemisch aus. Dann beginnt der Zyklus von vorn. Beim Dieselmotor sind also weder Zündanlage noch Vergaser erforderlich. Umso komplizierter ist allerdings die Einspritzanlage. Dieselmotoren laufen nicht mit Benzin, sondern mit einem billigeren Zwischenprodukt der Erdöl-Raffinerien, einem Leichtöl, das nach dem Erfinder des Motors »Diesel« genannt wird.

Der Weg von der patentierten Erfindung bis zum funktionstüchtigen Motor war jedoch noch weit. Mehrere Versuchsreihen mit dem neuartigen Motor verliefen ohne befriedigendes Ergebnis; erst nach zwei Jahren Forschung und Entwicklung zeichneten sich erste Erfolge ab, und im November 1895 lief der erste Versuchsmotor im Dauertest. Auch der von April bis Dezember 1896 gebaute zweite Prototyp funktionierte und wurde am 17. Februar 1897 offiziell abgenommen: Er leistete 14 kW und war in seinem Wirkungsgrad sowohl der Dampfmaschine als dem Ottomotor überlegen. Nach diesem Erfolg focht die Gas-Motoren-Fabrik Deutz Rudolf Diesels Patente an, und um den Rechtsstreit abzuwenden, schlossen die Firma Friedrich Krupp und die Maschinenfabrik Augsburg einen Lizenzvertrag mit dem Unternehmen in Deutz. Am 31. Juli klagte der französische Ingenieur Emil Capitaine gegen einen Patentschutz des neuen Motors, mit der Begründung, dass die Bauweise nicht der Beschreibung in Rudolf Diesels Patentschriften entsprach. (Auch hier kam es am Ende zu einem Vergleich.)

1898 wurden die Dieselmotorenfabrik Augsburg und – zur Verwaltung der Patente – die Allgemeine Gesellschaft für Dieselmotoren gegründet, aber der Betrieb in Augsburg musste bereits im Jahr darauf wieder schließen. Rudolf Diesel war zwar ein genialer Ingenieur, aber kein erfolgreicher Unternehmer; obwohl er bei seinen Geschäfts- und Vortragsreisen viele Menschen traf, fehlte ihm der Bezug zur Realität des Wirtschaftslebens. Aufgrund der vertraglichen Verhältnisse hätte die Dieselmotorenfabrik Augsburg pro Jahr 100 000 Mark Lizenzgebühren zahlen müssen. »Es ist wie wenn man Apfelwein von seinem eigenen Apfelbaum kauft«, klagte Rudolf Diesel.

Überlastung, Fehlspekulationen, finanzielle Sorgen, jahrelange Patentstreitigkeiten und Angriffe von Wissenschaftlern zerrütteten Rudolf Diesels Gesundheit. Nach einem Nervenzusammenbruch im Herbst 1898 verbrachte er einige Zeit in der Heilanstalt Neuwittelsbach bei München. Ein Jahr später, als er auf der Suche nach billigem Treibstoff zu den galizischen Ölfeldern reiste, litt er erneut unter heftigen Kopfschmerzen und Erschöpfungszuständen.

Auf der Weltausstellung 1900 in Paris wurde der Dieselmotor mit dem »Grand Prix« ausgezeichnet. Österreichische, französische, englische, schottische und amerikanische Unternehmen schlossen Lizenzverträge für den Bau von Dieselmotoren ab. Das brachte Rudolf Diesel mehrere Millionen ein. Er pflegte einen großbürgerlichen Lebensstil und bezog mit seiner Familie im Frühjahr 1901 eine repräsentative Villa in München-Bogenhausen.

Dort schrieb er das Buch »Solidarismus, natürliche wirtschaftliche Erlösung der Menschen«, das 1903 veröffentlicht wurde. »Eine ungeheure Sehnsucht nach Besserem und Höherem erfüllt die Menschheit«, heißt es darin, »alles sehnt sich nach Gerechtigkeit und Liebe.« Mit seinen Vorstellungen von einer genossenschaftlichen Gesellschaftsordnung stieß Rudolf Diesel jedoch auf Desinteresse, Ablehnung und Spott. Darunter litt er sehr, denn die Sozialreform hielt er für wichtiger als seinen Motor.

Dieselmotoren müssen wegen der hohen Kompression besonders massiv gebaut werden. Aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts waren Dieselmotoren erst einmal für den stationären Einsatz konzipiert. Beispielsweise errichtete die Maschinenfabrik Augsburg 1905 zur Stromerzeugung für die städtischen Straßenbahnen in Kiew das erste Dieselkraftwerk der Welt. 1903 erlebte Rudolf Diesel die Jungfernfahrt des französischen Kanalboots »Petit Pierre«, des ersten Fahrzeugs der Welt, das mit einem Dieselmotor angetrieben wurde. Fünf Jahre später kamen Diesel-Lokomotiven auf. 1912 lief die dänische »Selandia«, der erste Ozeandampfer mit Dieselantrieb, vom Stapel. Inzwischen wurden die Motoren kleiner. Die serienmäßige Ausstattung von MAN-Lastwagen mit Dieselmotoren ab 1923 und das erste serienmäßige Auto mit Dieselantrieb (Mercedes-Benz 260 D) im Jahr 1936 sollte Rudolf Diesel nicht mehr erleben.

Am 29. September 1913 brach der Fünfundfünfzigjährige zu einem Treffen der Consolidated Diesel Manufacturing Ltd in London und zur Einweihung einer Fabrik für Dieselmotoren in Ipswich auf. Als ihn seine Begleiter am 30. September morgens während der Überfahrt von Antwerpen nach Harwich auf dem deutschen Postdampfer »Dresden« wecken wollten, fanden sie seine Kabine leer und sein Bett unbenützt vor. Am 10. Oktober entdeckte die Besatzung des niederländischen Lotsenbootes »Coertsen« eine stark verweste männliche Leiche im Meer, die sie wegen des starken Seegangs nicht bergen konnte. Einige aus dem Wasser gefischte Kleidungsstücke und Gegenstände in den Taschen wurden drei Tage später von Eugen Diesel identifiziert: Sie hatten seinem Vater gehört.

War Rudolf Diesel in suizidaler Absicht über Bord gesprungen oder hatte man ihn ermordet? Wollten deutsche Nationalisten verhindern, dass Frankreich und das Vereinigte Königreich Zugriff auf die vielversprechende neue Technologie bekamen? Oder ließ jemand aus der Ölindustrie den Erfinder umbringen, weil er über Bio-Diesel nachdachte? Dazu gibt es bis heute nur Spekulationen, keine gesicherten Erkenntnisse.

© Dieter Wunderlich 2006 / 2013

Franz Werfel - Der Abituriententag
Franz Werfel hat die eigentliche, in der Ich-Form erzählte Handlung geschickt in einen Rahmen eingefügt. Obwohl "Der Abituriententag" von der Rivalität unter Gymnasiasten handelt, wollte Franz Werfel keinen Schulroman schreiben, sondern ihm ging es um das Thema Schuld.
Der Abituriententag