Liesl Karlstadt
Elisabeth Wellano – so der bürgerliche Name von Liesl Karlstadt – wurde am 12. Dezember 1892 als fünftes von neun Kindern des aus Italien stammenden Bäckers Ignaz Wellano und dessen Ehefrau Agathe in München-Schwabing geboren. Während sie nach der Volksschule und einer Lehre im Textilgeschäft Eder am Alten Peter als Verkäuferin im Kaufhaus von Hermann Tietz arbeitete, begann sie mit siebzehn nebenbei auf der Bühne zu singen.
Bei einem Auftritt im „Frankfurter Hof“ wurde die Soubrette 1911 von Karl Valentin (eigentlich: Valentin Ludwig Fey) entdeckt, aber nicht als Sängerin, sondern als Bühnenpartnerin seiner komischen Kabarettprogramme: „Sie, Fräulein, Sie sind als Soubrette aufgetreten. Des is nix. A Soubrette muss kess sein, die muss an Busen haben. Des is nix für Sie. Sie müssen sich aufs Komische verlegen.“ Er schlug ihr den Künstlernamen „Liesl Karlstadt“ bzw. „Lisl Karlstadt“ vor. 1913 stand das neue Komikerduo Karl Valentin und Liesl Karlstadt zum ersten Mal auf der Bühne („Alpensängerterzett“). Noch im selben Jahr traten sie in der legendären Künstlerkneipe „Simplizissimus“ von Kathi Kobus auf.
Obwohl Karl Valentin am 31. Juli 1911 in der St. Anna Kirche seine langjährige Lebensgefährtin Gisela Royes heiratete, mit der er bereits zwei Töchter hatte, verliebte Liesl Karlstadt sich in ihn und wurde seine Geliebte.
Die beiden Kleinkünstler ergänzten sich bei ihren Sketchen ideal: Karl Valentin übernahm meistens die Rolle des skurrilen Mannes, der wie Charlie Chaplin mit den Tücken des Alltags kämpft, und Liesl Karlstadt gab dazu einen Widerpart mit gesundem Menschenverstand. Viele sahen in Liesl Karlstadt nicht mehr als eine Stichwortgeberin für Karl Valentin; tatsächlich stammten jedoch viele Ideen von der kongenialen Komikerin. Außerdem organisierte sie die gemeinsame Bühnenkarriere und ermutigte ihren schwierigen Partner, wenn er sich aufgrund seines Asthmas oder seiner Hypochondrie nicht in der Lage fühlte, aufzutreten.
1923 drehten Erich Engels (1889 – 1971) und Bertolt Brecht in Berlin mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt den fünfundzwanzig Minuten langen Stummfilm „Mysterien eines Frisiersalons“.
Originaltitel: Mysterien eines Frisiersalons – Regie: Erich Engels, Bertolt Brecht – Drehbuch: Erich Engels, Bertolt Brecht, Karl Valentin – Darsteller: Blandine Ebinger, Karl Valentin, Erwin Faber, Annemarie Hase, Kurt Horwitz, Hans Leibelt, Carola Neher, Dr. Koch, Max Schreck, Josef Eichheim, Liesl Karlstadt u.a. – 1923; 25 Minuten
Weil Karl Valentin sich nicht zwischen seiner Ehefrau und ihr entscheiden mochte und frustriert darüber, dass sie bei den gemeinsamen Auftritten in seinem Schatten stand, suchte Liesl Karlstadt nach einer Möglichkeit, sich von ihm zu emanzipieren. 1930 nahm sie Schauspielunterricht in München. Und sie begann mit dem Chauffeur Josef Kolb ein Verhältnis.
Als die Engagements seltener wurden, investierte Karl Valentin im Oktober 1934 nicht nur seine eigenen Ersparnisse, sondern auch die seiner Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt in ein so genanntes Panoptikum, mit dem er jedoch nach kurzer Zeit bankrott ging. Liesl Karlstadt verlor ihr ganzes Geld und beobachtete zudem, wie Karl Valentin sich um die junge Schauspielerin Annemarie Fischer bemühte. In ihrer Verzweiflung stürzte sich Liesl Karlstadt im April 1935 in die Isar, aber der Suizidversuch misslang: Sie wurde gerettet und in die psychiatrische Klinik in der Nußbaumstraße gebracht.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus trat Liesl Karlstadt doch wieder mit Karl Valentin auf, aber als sie 1939 nicht dazu in der Lage war und er sie kurzerhand durch Annemarie Fischer ersetzt, trennte sie sich endgültig von ihm.
Liesl Karlstadt reiste nach Tirol und verbrachte zwei Jahre als Muli-Führerin bei einer Gebirgsjägereinheit, wobei man den Kompaniechef glauben ließ, sie sei ein Mann („Gustl“).
Im Winter 1947/48 trat sie noch einmal mit Karl Valentin in München auf. Nach seinem Tod am 9. Februar 1948 spielte sie in Unterhaltungsfilmen mit (z. B.: „Das doppelte Lottchen“, „Die Trappfamilie“, „Wir Wunderkinder“) und stand sowohl im Residenztheater als auch in den Kammerspielen auf der Bühne. In der Hörfunkserie „Familie Brandl“ des Bayerischen Rundfunks gab Liesl Karlstadt als Mutter Brandl den Ton an.
Liesl Karlstadt starb am 27. Juli 1960 im Alter von siebenundsechzig Jahren während eines Ausflugs nach Garmisch-Partenkirchen an einer Gehirnblutung. Beerdigt wurde sie auf dem Friedhofen in München-Bogenhausen.
Literatur über Liesl Karlstadt:
- Barbara Bronnen: Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Blödsinnskönig – Blödsinnskönigin (Berlin 1998)
- Monika Dimpfl: Immer veränderlich. Liesl Karlstadt 1892 bis 1960 (München 1996)
- Liesl Karlstadt: Nebenbeschäftigung: Komikerin. Texte und Briefe (München 2002)
- Thomas Klein: Komödiantinnen im frühen 20. Jahrhundert. Liesl Karlstadt und Adele Sandrock (Alfeld/Leine 1999)
- Ernestine Koch: Liesl Karlstadt. Frau Brandl, die Rolle ihres Lebens (Dachau 1986)
- Gunna Wendt: Liesl Karlstadt. Ein Leben (München / Zürich 2000)
- Gunna Wendt: Liesl Karlstadt. Münchner Kindl und Travestie-Star (Berlin 2007)
© Dieter Wunderlich 2008
Karl Valentin (Kurzbiografie)
Jo Baier: Liesl Karlstadt und Karl Valentin