"Pumpgun-Ronnie" Johann Kastenberger
Johann wurde am 1. Oktober 1958 in St. Leonhard am Forst im niederösterreichischen Bezirk Melk geboren. Der Vater, ein Mitarbeiter der Bahn, ließ kurz darauf seine leibliche Vaterschaft überprüfen und verweigerte aufgrund des Ergebnisses dem Kind seinen Familiennamen. Stattdessen erhielt Johann den Mädchennamen der Mutter: Kastenberger. Er wuchs mit sieben Halbgeschwistern auf. Als Johann zwölf Jahre alt war, verließ der Mann seiner Mutter die Familie.
In der Schule versagte Johann Kastenberger, aber er war ein guter Sportler und erhielt sogar das Angebot, in die Jugendmannschaft eines österreichischen Bundesliga-Klubs aufgenommen zu werden. Stattdessen konzentrierte er sich aufs Laufen.
Nach gescheiterten Raubüberfällen auf eine Taxifahrerin und einen Supermarkt nahm sich der 18-jährige Niederösterreicher am 25. Januar 1977 eine Filiale der Volksbank in Pressbaum westlich von Wien vor. Die Beute – 70 000 Schilling – trug er noch bei sich, als ihn die Polizei eine Stunde später am Wiener Westbahnhof festnahm. Ein Gericht verurteilte ihn zu sieben Jahren Haft. Weil er vier Mal auszubrechen versuchte, musste er die gesamte Freiheitsstrafe verbüßen und kam erst 1984 aus dem Gefängnis. Johann Kastenberger wurde von einer sechs Jahre älteren Hotelangestellten im Wiener Gemeindebezirk Simmering aufgenommen. Er führte den Haushalt und nahm das Geld, das ihm vom Arbeitsamt überwiesen wurde.
Am 13. August 1985 klingelte Johann Kastenberger kurz nach Mitternacht an einer Türe in Mautern an der Donau gegenüber von Krems/Stein. Als der 28-jährige arbeitslose Automechaniker Ewald Pollhammer öffnete, erschoss ihn Johann Kastenberger vor den Augen seiner 24-jährigen Ehefrau und des sechsjährigen Sohnes mit einer Pumpgun.
Acht Stunden später stieg Johann Kastenberger vor der Raiffeisenkasse in Hafnerbach im Bezirk Sankt Pölten-Land aus einem gestohlenen Auto. Weil er eine Gesichtsmaske trug, fiel er Passanten auf, die daraufhin die Bankangestellten warnten. Als diese Alarm auslösten, floh Johann Kastenberger.
Am 20. November 1987 überfiel er die Raiffeisenkasse in Groß Sierning, ein paar Kilometer südwestlich von Hafnerbach, und erbeutete 100 000 Schilling. Das Fluchtfahrzeug, das er unmittelbar vor dem Banküberfall gestohlen hatte, wurde kurz darauf im Dunkelsteinerwald gefunden, aber der Bankräuber entkam.
Am Morgen des 19. Februar 1988 raubte Johann Kastenberger die Creditanstalt Simmeringer Hauptstraße in Wien aus. Dabei wurde er erstmals von einer Überwachungskamera gefilmt. Mit den erbeuteten 1,2 Millionen Schilling entkam er in einem vor dem Bankraub in Schwechat gestohlenen Auto. Noch am selben Tag erbeutete er in der Volksbank Kirchstetten im Bezirk Sankt Pölten-Land 330 000 Schilling, und eine halbe Stunde später raubte er noch einmal 300 000 Schilling in der Sparkassen-Filiale in Markersdorf. Die Polizei löste eine Großfahndung aus, konnte den Täter jedoch nicht fassen.
Am 21. März 1988 raubte Johann Kastenberger in der Länderbank Wien in der Krottenbachstraße 2 Millionen Schilling. An den nächsten beiden Tagen überfiel er zunächst die Gärtner-Bank in der Simmeringer Hauptstraße in Wien und dann die Creditanstalt Wien in der Dornbacher Straße. Bei diesen beiden Banküberfällen erbeutete er jeweils 1 Million Schilling.
In den Zeiten zwischen den Banküberfällen trainierte Johann Kastenberger als Läufer. Er gewann mehrere Volksläufe in Österreich und am 11. September 1988 sogar den Kainacher Bergmarathon, den schwierigsten österreichischen Berglauf. Dabei lief er nicht nur als Sieger durchs Ziel, sondern stellte auch einen neuen Rekord auf (3 Stunden, 16 Minuten, 7 Sekunden).
Weil Johann Kastenberger bei seinen Raubzügen eine Ronald-Reagan-Maske trug und mit einer Pumpgun bewaffnet war, nannten ihn die Medien Pumpgun-Ronnie.
Dahinter vermutete die Polizei von Anfang an Johann Kastenberger, und Täterbeschreibungen von Zeugen passten auch auf ihn, aber man konnte ihm nichts nachweisen, zumal ihm seine Freundin einmal ein falsches Alibi verschaffte. Beim Betrachten von Aufnahmen einer Überwachungskamera fiel einem Polizisten an Pumpgun-Ronnie eine blaue Röhrenjeans mit umgestülpten Enden auf. Eine solche Hose pflegte auch Johann Kastenberger zu tragen. Am 11. November 1988 wurde er verhaftet.
Bei der Wohnungsdurchsuchung stieß die Polizei auf Schlüssel für zwei Bankschließfächer. Darin lagen 5,5 Millionen Schilling – fast die gesamte Beute. Johann Kastenberger hatte asketisch gelebt und größere Summen nur für sportmedizinische Untersuchungen, einen Kleinwagen und eine Zahnbehandlung seiner Freundin ausgegeben.
Johann Kastenberger gestand acht Banküberfälle und auch den Mord. Ewald Pollhammer habe er erschossen, sagt er, weil dieser während eines Umschulungskurses im Gefängnis geraucht habe, und das sei für ihn als Sportler nicht akzeptabel gewesen.
Um das Geständnis zu protokollieren, brachte die Polizei Johann Kastenberger am 12. November zur Rennweger Kaserne in Wien. Nachdem ihm dort die Handschellen abgenommen worden waren, sprang er aus dem Fenster im ersten Stock. Er landete auf der Motorhaube eines geparkten Autos und rannte davon.
Am Abend des folgenden Tages meldeten Passanten in Sparbach bei Mödling der Polizei einen Mann, der wie Johann Kastenberger aussah. Daraufhin fuhren zwei Gendarme aus Hinterbrühl zum angegebenen Ort und forderten den Verdächtigen auf, sich auszuweisen. Weil er keine Papiere bei sich trug, sollte er mit zum Gendarmerieposten kommen. Johann Kastenberger, der die ganze Zeit über keinen Widerstand geleistet hatte, tat so, als wolle er in das Polizeifahrzeug einsteigen. Doch plötzlich drehte er sich um, entriss einem der beiden Gendarmen die Dienstpistole und flüchtete.
Am 14. November überfiel Johann Kastenberger in Gaaden bei Mödling eine Autofahrerin. Als diese ihn auf einen zufällig vorbeifahrenden Streifenwagen aufmerksam machte, rannte er davon.
Am nächsten Tag überwältigte er einen Rentner in Maria Enzersdorf nordöstlich von Gaaden, fesselte ihn und raubte ihm das Auto. Das Opfer konnte sich jedoch nach kurzer Zeit befreien und die Polizei alarmieren. Bei der Großfahndung nach Johann Kastenberger wurden nun etwa 450 Polizeibeamte, 34 Polizeihunde und drei Hubschrauber eingesetzt. Die Besatzung eines Polizeihubschraubers entdeckte das gestohlene Fahrzeug auf der Westautobahn. Johann Kastenberger hielt an, rannte durch einen Wald und raubte in Waasen im Bezirk Sankt Pölten-Land ein anderes Auto, mit dem er seine Flucht auf der Westautobahn fortsetzte. Als er in der Nähe von St. Pölten eine Straßensperre der Polizei durchbrach, wurde er von einem Geschoss in den Rücken getroffen. Daraufhin bremste er, hielt an und tötete sich durch einen Kopfschuss.
Die Polizei verdächtigte Johann Kastenberger auch in drei weiteren Mordfällen: Am 26. Mai 1984 hatte ein Ladendieb Helene Bubendorfer in ihrem Tankstellen-Café in Purkersdorf im Wiener Wald erschossen. Am 25. Juli 1986 warf jemand ein Fenster der Polizeistation in Wien-Freudenau ein und lockte dadurch den Polizeibeamten Friedrich Roger aus dem Gebäude. Dort wurde er durch einen Kopfschuss ermordet. Die Prostituierte Brigitte Hranka wäre am 10. Oktober 1986 in Wien-Leopoldstadt beinahe von einem Mann erschossen worden, entkam jedoch verletzt. Zwei Jahre später, am 30. September 1988, wurde Brigitte Hranka am Wiener Prater erneut beschossen. Sie schleppte sich zu einem Passanten, aber der Mörder tötete sie trotz des Zeugen durch einen Kopfschuss. – Weil Johann Kastenberger nicht mehr dazu vernommen werden konnte und die Indizien nicht ausreichten, blieben die Mordfälle ungeklärt.
Martin Prinz ließ sich von der Biografie Johann Kastenbergers zu dem Roman „Der Räuber“ anregen (Jung und Jung, Salzburg / Wien 2002, 134 Seiten, ISBN 3-902144-40-8). Bei der Verfilmung seines Romans durch Benjamin Heisenberg arbeitete er am Drehbuch mit: „Der Räuber“.
© Dieter Wunderlich 2013
Benjamin Heisenberg: Der Räuber