Michel Houellebecq : Plattform

Plattform
Originalausgabe: Plateforme Flammarion, Paris 2001 Übersetzung: Uli Wittmann DuMont Verlag, Köln 2002 ISBN 3-8321-5630-5, 340 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach der Ermordung seines Vaters durch einen Moslem bucht der 40-jährige Pariser Kulturbeamte Michel, der weder Freunde noch Interessen hat, eine Pauschalreise nach Thailand und freut sich über die hingebungsvollen Thailänderinnen. Er verliebt er sich in die Touristikmanagerin Valérie, mit der zusammen er ein Touristikangebot für Sex-Clubreisen entwickelt. Aber das Liebesglück der beiden wird durch Islamisten zerstört ...
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Kritik

Am Anfang und am Ende des Romans baut Michel Houellebecq eine dichte Atmosphäre auf. Sex und Provokation gehören zu seinen Markenzeichen. Dabei weiß man nie, was er ernst meint. Ist "Plattform" ein Plädoyer für Prostitution und Sextourismus, oder will der Autor mit dem Buch der verkommenen Gesellschaft den Spiegel vorhalten?
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Michel lebt in Paris. Der Vierzigjährige, der sein Literaturstudium abgebrochen hatte, ist als Beamter im Kulturministerium dafür zuständig, Dossiers zur Finanzierung von Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen für seine fünf Jahre jüngere Vorgesetzte, Marie-Jeanne Durry, zu verfassen. Er arbeitet so wenig wie möglich. Seine persönlichen Interessen beschränken sich auf Sex und Quizsendungen.

Wenn ich aus dem Büro kam, sah ich mir im allgemeinen erst mal eine Peepshow an. (Seite 23)

Ende 2000 wird seinem Vater, der mit seinen über siebzig Jahren in einer viel besseren körperlichen Verfassung ist als er, vom Bruder seiner muslimischen Putzhilfe Aïcha der Schädel eingeschlagen, weil er mit der Zwanzigjährigen ein intimes Verhältnis hatte. Michel erbt einiges an Geld, verkauft das Auto und das Haus des Vaters und leistet sich erst einmal eine von Nouvelles Frontières angebotene Pauschalreise nach Thailand, eine organisierte Rundreise von Bangkok über den River Kwai, zur Insel Koh Samui, über den Isthmus von Kra nach Phuket und zur Insel Koh Phi Phi. Auf dem Hinflug schluckt er Schlaftabletten. Gegen die Müdigkeit und die Kopfschmerzen am anderen Morgen nimmt er Paracetamol, Meditonsin und eine Togal.

Die thailändische Reiseleiterin Sôn erschrickt, als sie abzählt und feststellt, dass die Reisegruppe aus dreizehn Personen besteht.

Während Sôn die Touristen zu einer kulturellen Veranstaltung führt, sucht Michel den health club im Hotel auf, sucht sich eine junge Thailänderin aus und lässt sich von ihr eine body massage verabreichen, bei der sie ihm nicht nur hingebungsvoll mit ihren nackten Brüsten den Po streichelt.

Im Bus setzt sich eine Siebenundzwanzigjährige neben Michel. Sie heißt Valérie und stammt aus der Bretagne, wo sie auf auf einem Bauernhof bei Tréméven nördlich von Guingamp aufwuchs. Als sie vierzehn war, verkaufte ihr Vater den Bauernhof. Von dem Geld erwarb er eine große Wohnung in Saint-Quay-Portrieux, drei Apartments in Torremolinos, und den Rest legte er in Wertpapieren an.

Bereits im ersten Jahr überstieg das Einkommen aus der Vermietung der Appartements die Einkünfte, die er erwirtschaftet hatte, als er noch arbeitete. (Seite 56)

Als sich die fünfzigjährige Literaturprofessorin Josiane beim Abendessen über den Sextourismus entrüstet, gibt Michel ungeniert zu, dass er die thailändischen Prostituierten sehr schätzt.

Am Strand der Insel Koh Phi Phi legt auch Valérie ihr Bikini-Oberteil ab, und Michel kann endlich ihre herrlich geformten Brüste betrachten. Aber auf die Idee, auszuprobieren, ob sie mit ihm ins Bett geht, kommt er nicht.

Am 3. Januar 2001 fliegen die Teilnehmer der Reise von Phuket nach Paris zurück. Valérie schreibt Michel zum Abschied ihre Handynummer auf. Ein paar Stunden später ruft er sie an, und sie verabreden sich zum Abendessen. Als er sie abholen will, küssen sie sich in der Tür, und sie zerrt ihn in ihr Schlafzimmer, wo sie sich die Kleider vom Leib reißen und übereinander herfallen.

Bald schläft Michel fast jede Nacht bei Valérie, und schließlich gibt er seine Wohnung ganz auf. Die beiden sind ein glückliches Paar.

Jetzt erst erfährt Michel, dass Valérie einen Abschluss in Touristikmanagement hat und bei Nouvelles Frontières als Assistentin von Jean-Yves Frochot arbeitet. Sie sind für die Gestaltung sämtlicher Rundreisen verantwortlich.

Jean-Yves Frochot ist fünfunddreißig. Vor zwölf Jahren lernte er Audrey kennen, die er zwei Jahre später heiratete, als sie zum ersten Mal schwanger war. Inzwischen haben sie außer dem Sohn Nicolas eine dreijährige Tochter: Angélique. Audrey ist eine erfolgreiche Rechtsanwältin. Zusammen verdienen sie eine Unmenge Geld, aber glücklich ist ihre Ehe nicht. Sie wollen sich scheiden lassen.

Ein Headhunter wirbt Jean-Yves für die Abteilung Urlaubshotellerie der Gruppe Aurore an.

Das Unternehmen wurde Ende 1966 von Gérard Pélisson und Paul Dubrule unter dem Namen Novotel-SIEH gegründet. Im August 1967 eröffneten sie in Lille das erste Novotel. 1972 gab es bereits fünfunddreißig standardisierte Hotels. Im Jahr darauf gründete das Unternehmen die Kette der Ibis-Hotels. 1975 übernahm es die Mercure- und 1981 die Sofitel-Kette. Parallel dazu engagierte sich der Konzern im Gaststättenbereich. 1983 wurde der Name in „Gruppe Aurore“ geändert. 1985 kam Formule 1 dazu, fünf Jahre später erfolgte die Übernahme der Kette Motel 6 mit sechshundertfünfzig Hotels in den USA. Gérard Pélisson und Paul Dubrule zogen sich 1991 aus dem Vorstand zurück und übergaben die Leitung der größten Hotelgruppe der Welt Jean-Luc Espitalier.

Jean-Yves wird in Évry, am Sitz der Gruppe Aurore, von Vizepräsident Éric Leguen und Jean-Luc Espitalier empfangen. Sie bieten ihm an, die Leitung der vor zwei Monaten von Jet Tours erworbenen Kette Eldorador mit knapp einem Dutzend Club-Hotels zu übernehmen und aus der Verlustzone herauszuführen. Jean-Yves nimmt die Herausforderung an und überredet Valérie, ebenfalls das Unternehmen zu wechseln und seine Assistentin zu bleiben.

Kurze Zeit später wird die PR-Managerin von Eldorador, Marylise Le François, während einer Bahnfahrt von vier Jugendlichen überfallen, geschlagen, vergewaltigt, beschimpft und am Ende bepisst. Die anderen Fahrgäste wechseln vorsichtshalber in andere Waggons. Die Managerin erscheint zwar bald wieder im Büro, aber seit dem Schock fällt es ihr schwer, Entscheidungen zu treffen. Das Unternehmen sieht sich deshalb gezwungen, sie anstelle einer in den Ruhestand getretenen Angestellten in die Buchhaltung zu versetzen. Eine Kündigung hätte man nicht für fair gehalten.

Eine junge Künstlerin – „Sandra Heksjtovoian oder irgend so was“ – stellt Michel eines Tages ein Werk vor, das aus zwei Rädern besteht, über die ein Gummiband gespannt ist, das mit einer Handkurbel bewegt werden kann. Die über das Band verteilten Höcker, erläutert die Künstlerin, wurden nach einem Abdruck ihrer eigenen Klitoris in Originalgröße hergestellt.

Michel organisiert eine Ausstellung von Bertrand Bredane. Der Dreiundvierzigjährige züchtet beispielsweise in seinen Exkrementen Fliegen, die er dann in den Ausstellungsräumen freilässt. Er gehörte allerdings nicht den richtigen Kreisen an, um Erfolg zu haben. Sein aktuelles Werk ist ein Videofilm über die Verwendung von Leichen, die für die Wissenschaft zur Verfügung gestellt wurden. Bei der Vernissage mischen sich Medizinstudenten mit Leichenteilen unter das Publikum. Als einer von ihnen Valérie „einen abgeschnittenen Pimmel mit behaartem Hodensack“ hinhält, hat sie genug. Bei einem anschließenden Treffen in einem S/M-Club sagt Bertrand Bredane zu ihr:

„Wenn ich sehe, dass jemand zustimmt, dass man […] ihm auf den Körper scheißt und er sich anschließend bereit findet, die Scheiße seines Henkers zu fressen, dann finde ich das widerlich. Aber mich interessiert nun mal gerade die widerliche Seite am Menschen.“ (Seite 179)

In einer Domina, die einem nackten Sklaven Angelhaken in das Skrotum bohrt, bevor sie ihn auspeitscht, erkennt Valérie die Ehefrau ihres Chefs: Audrey.

Anfang September 2001 fliegen Jean-Yves und Valérie nach Kuba, um ihr dortiges Club-Hotel zu inspizieren. Michel begleitet sie.

Während er im Hotelzimmer mit Valérie beim Vorspiel ist, kommt das Zimmermädchen Margarita an der offenen Terrassentür vorbei und kichert. Valérie holt die hübsche Kubanerin herein und knöpft ihr den Kittel auf. Dann vergnügen sie sich zu dritt im Bett.

Valérie und Jean-Yves überlegen, wie sie die Club-Hotels der Kette Eldorador attraktiver machen könnten. Michel rät Valérie:

„Biete einen Club an, in dem die Leute vögeln können. Das ist es, was ihnen vor allem fehlt. Wenn sie während des Urlaubs nicht ihr kleines Abenteuer hatten, fahren sie enttäuscht nach Hause.“ (Seite 228)

„Heutezutage eine Frau anzumachen, die man nicht kennt, und mit ihr zu schlafen, bringt alle möglichen Demütigungen und Probleme mit sich. Wenn du nur an die langen öden Gespräche denkst, auf die du dich einlassen musst, um eine Frau rumzukriegen, mit dir ins Bett zu gehen, und sie sich dann noch in den meisten Fällen als eine Null im Bett herausstellt, die dich mit ihren Problemen nervt […], dann kann man leicht verstehen, dass sich die Männer lieber eine Menge Sorgen ersparen und dafür etwas Geld bezahlen. Sobald sie etwas älter und erfahrener sind, ziehen sie es vor, der Liebe aus dem Weg zu gehen; sie finden es einfacher, mit Nutten zu schlafen. Allerdings nicht mit den Nutten hier bei uns, das lohnt sich nicht, das sind richtige menschliche Wracks; außerdem haben die Männer außerhalb ihres Urlaubs sowieso keine Zeit dazu, sie arbeiten zu viel. Daher verzichten die meisten ganz auf Sex; und manche leisten sich ab und zu ein bisschen Sextourismus […] Es gibt auch eine ganze Menge von Typen, die es einfacher finden, vorm Internet zu wichsen oder sich einen Pornofilm anzusehen. Sobald der Pimmel seinen kleinen Strahl ausgespuckt hat, hat man ja wieder seine Ruhe.“ (Seite 140f)

„Also, auf der einen Seite hast du mehrere hundert Millionen Menschen in der westlichen Welt, die alles haben, was sie sich nur wünschen, außer dass sie keine sexuelle Befriedigung mehr finden […] Und auf der anderen Seite gibt es mehrere Milliarden Menschen, die nichts haben, kläglich verhungern, jung sterben, unter ungesunden Bedingungen leben und nichts anderes mehr zu verkaufen haben als ihren Körper und ihre intakte Sexualität […] Das ist die ideale Tauschsituation […]“ (Seite 230)

Valérie und Jean-Yves sind begeistert: Die Idee „Eldorador Aphrodite“ ist geboren. Sie werden mit der Gepflogenheit aufhören, einheimischen Prostituierten, Callboys und Strichern den Zugang zu den Club-Hotels zu verwehren. Außerdem wollen sie in den Medien streuen, dass ein Fünftel der Gäste schwul bzw. lesbisch sind.

Nach ihrer Rückkehr aus Kuba setzt Jean-Yves sich mit Gottfried Rembke, dem Vorstandsvorsitzenden der TUI, in Verbindung. Der ist begeistert von dem neuen Konzept und schließt mit Eldorador einen Vertrag für die Alleinvertretung in Deutschland.

Am 15. Dezember 2001 werden in Hat Yai im Süden Thailands ein deutscher Tourist und seine thailändische Begleiterin entführt. Aus einem Bekennerschreiben geht hervor, dass es sich bei den Attentätern um fundamentalistische Moslems handelt, die Verstöße gegen islamische Gesetze bestrafen wollen. Am 18. Dezember werden die nackten Leichen der beiden Opfer auf dem größten Platz der Stadt aus einem Lieferwagen geworfen. Die Kehle des Deutschen ist durchgeschnitten, und in seinem Mund stecken seine abgetrennten Genitalien. Das Mädchen wurde gesteinigt.

Wenige Tage später fliegen Jean-Yves, Valérie und Michel nach Thailand, um bei der für Silvester geplanten Einweihung des Eldorador Aphrodite in Krabi dabeizusein.

Valérie beschließt, in Thailand zu bleiben und die Geschäftsführung des Club-Hotels zu übernehmen. Sie ist bereit, ihre Karriere aufzugeben und auf mehr als die Hälfte ihres bisherigen Gehalts zu verzichten.

„Bisher habe ich nur gearbeitet, um Geld zu verdienen; jetzt möchte ich endlich anfangen zu leben.“ (Seite 309)

Michel braucht nicht lang zu überlegen: Er wird bei ihr bleiben und im Kulturministerium kündigen.

Während sie zusammen auf der Terrasse des Hotels in der Sonne sitzen, tauchen plötzlich Islamisten auf und beschießen die Hotelgäste mit Maschinenpistolen. Im Inneren des Gebäudes explodiert eine Bombe. 117 Menschen sterben bei dem Anschlag. Darunter ist auch Valérie. Jean-Yves wird durch einen Schuss in den Oberarm getroffen. Michel bleibt zwar äußerlich unverletzt, erleidet jedoch einen Schock und kommt erst nach drei Tagen im Krankenhaus von Krabi wieder zu sich.

Alle Medien in der westlichen Welt berichten über den blutigen Anschlag. Die Kommentatoren zeigen durchaus Verständnis für die fundamentalistischen Attentäter, die sich durch den Sextourismus provoziert fühlen mussten. Jean-Luc Espitalier distanziert sich sofort von dem Konzept Eldorador Aphrodite und erklärt in einem Zeitungsinterview:

„Die Gruppe Aurore, die die internationale Charta für ethischen Tourismus unterzeichnet hat, kann unmöglich solche Abweichungen dulden; die zuständigen Mitarbeiter werden zur Verantwortung gezogen.“ (Seite 320)

Sobald Michel reisefähig ist, wird er in eine psychiatrische Klinik in Paris gebracht. Dort liegt er drei Monate.

Wenn ich ganz ruhig blieb und es möglichst vermied, zu denken, dann würde allmählich alles wieder in Ordnung kommen, davon war ich überzeugt.
An einem Vormittag im April erfuhr ich, dass die Dinge tatsächlich wieder in Ordnung gekommen waren und dass ich bald entlassen würde. Ich hatte den Eindruck, dass mein Leben dadurch eher komplizierter wurde […] Wenigstens hatte ich genug Geld; das war schon etwas. „Man muss immer die positive Seite der Dinge sehen“, sagte ich zu einer Krankenschwester. Sie schien überrascht zu sein, denn es war das erste Mal, dass ich sie ansprach. (Seite 326)

Nach seiner Entlassung fliegt Michel sofort wieder nach Bangkok, und von dort fährt er zwei Wochen später mit dem Bus nach Pattaya. Er mietet ein Zimmer, teilt seiner Bank die Adresse mit und reicht beim Kulturministerium seine Kündigung ein. Obwohl er regelmäßig den health club aufsucht und ihn die thailändischen Prostituierten zärtlich massieren, empfindet er seit dem Tod Valéries keine Lust mehr. Er hat mit dem Leben abgeschlossen und will nur noch ein Buch über seine Zeit mit Valérie schreiben.

Ich hatte nicht mehr die geringste Lust, die Welt zu begreifen, nicht einmal, sie kennen zu lernen. (Seite 329)

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„Plattform“ ist ein Trivialroman über eine in Thailand, Paris und auf Kuba spielende Lovestory. Eine Liebesgeschichte würde man von Michel Houellebecq gar nicht erwarten. Er hat sich auch nicht die Mühe gemacht, die Liebesbeziehung von Michel und Valérie psychologisch auszuleuchten. Sie dient nicht zuletzt dazu, alle paar Seiten eine Sexszene einzustreuen. Dabei schreckt Houellebecq vor keiner Schweinerei zurück (Analverkehr, double penetration, SM, Partnertausch usw.), aber er beschränkt sich auf holzschnittartige, wenig originelle Schilderungen. Dass sie in keiner Weise erotisch wirken, ist möglicherweise beabsichtigt.

Als sie den Orgasmus erreichte, bäumte sie sich auf und stieß einen markerschütternden Schrei aus; dann rührte sie sich nicht mehr, war wie am Boden zerstört. (Seite 133)

Ein Happyend würde nicht zu „Plattform“ passen. Um die Liebesgeschichte blutig abzubrechen, lässt Michel Houellebecq eine Gruppe muslimischer Fundamentalisten sozusagen als Deus ex Machina auftreten.

Überzeugender sind Beginn und Schluss des Romans „Plattform“. Da gelingt es Houellebecq, eine dichte Atmosphäre aufzubauen: Anfangs, wenn der asoziale Protagonist allein ist, im Büro möglichst wenig arbeitet und sich in seiner Freizeit für nichts anderes als Sex und Quizsendungen interessiert, ohne dabei groß Initiative zu zeigen oder etwas zu unternehmen. Und am Ende, wenn er vereinsamt in einem Zimmer in Thailand sitzt, keine Lust mehr verspürt, keine Beziehungen mehr eingehen mag und keine Zeitung mehr liest.

Gelungen sind auch die Abschnitte, in denen Michel Houellebecq die von der Werbung geprägte Gesellschaft aufs Korn nimmt und seine These veranschaulicht, dass nicht nur der Sozialismus, sondern auch der Humanismus gescheitert ist.

Ich empfinde keinen Hass auf die westliche Welt, höchstens tiefe Verachtung. Ich weiß nur, dass wir alle, die wir hier sind, von Egoismus, Masochismus und Tod durchdrungen sind. Wir haben ein System geschaffen, in dem es ganz einfach unmöglich geworden ist zu leben; und dieses System exportieren wir noch dazu. (Seite 338)

Neben dem Sex gehört die Provokation zu Michel Houellebecqs Markenzeichen: Seine Figuren äußern sich verächtlich über den Islam. Michel hält den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac für einen „großen Einfaltspinsel“, den englischen Schriftsteller Frederic Forsyth für einen „Idioten“ und vergräbt den Roman „Die Firma“ von John Grisham am Strand. Dabei weiß man nie so genau, was Houellebecq ernst meint und was nicht. Ist „Plattform“ ein provokantes Plädoyer für Prostitution und Sextourismus, oder will der Autor mit dem Buch der verkommenen Gesellschaft den Spiegel vorhalten?

Hin und wieder beweist Michel Houellebecq auch Sinn für Ironie.

„Ich lasse mich zur Krankenschwester ausbilden“, fuhr Aïcha fort, „aber da ich von zu Hause weggegangen bin, bin ich gezwungen, als Putzfrau zu arbeiten.“ Ich zermarterte mir das Hirn, um eine passende Antwort zu finden: Hätte ich sie über die Höhe der Mieten in Cherbourg befragen sollen? Ich entschloss mich schließlich für ein „Ja, ja …“, in das ich eine gewisse Lebenserfahrung hineinzulegen versuchte. (Seite 16)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © DuMont Verlag

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