Helmut Thoma


Helmut Thoma wurde am 3. Mai 1939 in Wien geboren und wuchs dort ohne Vater in einfachen Verhältnissen auf. Nach der mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung zum Milchfachmann. An einem Abendgymnasium bereitete er sich darauf vor, die Reifeprüfung nachzuholen, und als er diese bestanden hatte, immatrikulierte er sich 1958 an der juristischen Fakultät der Universität Wien. Vier Jahre später promovierte er bereits. Nachdem er in verschiedenen Anwaltskanzleien Erfahrungen gesammelt hatte, fing er 1966 beim österreichischen Fernsehen (ORF) an, spezialisierte sich auf Medienrecht und wurde 1968 Leiter der Rechtsabteilung.

1973 wechselte Helmut Thoma vom ORF in Wien zur deutschen Generalvertretung von RTL (Radio Télé Luxembourg) in Frankfurt am Main, wo man ihm nach zwei Jahren die alleinige Geschäftsführung anvertraute. 1982 zog er nach Luxemburg und wurde als Nachfolger von Frank Elstner Direktor des deutschsprachigen Hörfunkprogramms von RTL.

Nachdem es Helmut Thoma gelungen war, mit dem Medienkonzern Bertelsmann einen finanzstarken weiteren Gesellschafter für RTL zu finden, organisierte er den Start eines RTL-Fernsehprogramms am 2. Januar 1984 und wurde Sprecher der Geschäftsleitung von »RTLplus«, die er sich mit dem früheren Bertelsmann-Manager Erich Staake bis März 1991 teilte. Von da an war er allein für den 1988 nach Köln umgezogenen Sender verantwortlich.

Das Fernsehen war in Deutschland rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin eingeführt worden. Doch während Joseph Goebbels, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, den bereits 1923 eingerichteten Hörfunk mit dem preisgünstigen »Volksempfänger« ab 1933 zum Massenmedium gemacht hatte, standen Fernsehgeräte zunächst nur in öffentlichen Fernsehstuben und einigen wenigen Privathäusern. 1955 gab es in der Bundesrepublik Deutschland zwar 13,5 Millionen Radio-, aber bloß 100 000 Fernsehapparate. In der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre kamen allerdings fast 5 Millionen Fernsehgeräte dazu. Die Besitzer eines »Pantoffelkinos« luden Nachbarn, die sich noch keines leisten konnten, zu gemeinsamen Fernsehabenden ein. Zu Meinungsverschiedenheiten über die Wahl des Senders kam es dabei nicht, denn außerhalb von Hamburg – wo der NWDR an Weihnachten 1952 vorgeprescht war – gab es nur ein seit 1. November 1954 von der »Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands« (ARD) zusammengestelltes Gemeinschaftsprogramm (heute: »Das Erste«).

Bundeskanzler Konrad Adenauer scheiterte mit seinem Vorhaben, über eine private, von der Bundesregierung kontrollierte Fernsehgesellschaft ein zweites Fernsehprogramm zu etablieren, denn das Bundesverfassungsgericht entschied am 28. Februar 1961, der Rundfunk falle als »kulturelles Phänomen« unter die Kulturhoheit der Länder. Die Ministerpräsidenten gründeten daraufhin das »Zweite Deutsche Fernsehen« (ZDF) in Mainz, das seinen Betrieb am 1. April 1963 aufnahm, und die in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten richteten ab 1964 so genannte »Dritte Programme« mit einem »geradezu anachronistisch kulturbewussten Programmverständnis« (Hans Janke) ein.

Am 25. August 1967 drückte Vizekanzler Willy Brandt während der Internationalen Funkausstellung in Berlin auf einen Knopf – und startete damit symbolisch das Farbfernsehen. Die Bundesrepublik war das erste Land in Europa mit einem regelmäßigen Fernsehprogramm in Farbe.

Mitte der Siebzigerjahre gab es in der Bundesrepublik kaum noch einen Haushalt ohne Fernsehgerät. Immer mehr Menschen verbrachten immer mehr Zeit vor der »Glotze«. Diese Entwicklung verstärkte sich durch die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland. Helmut Thoma war allerdings mit RTLplus nicht der Erste, sondern die – 1985 in »Sat.1« umbenannte – »Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk« (PKS) in Ludwigshafen kam ihm um einen Tag zuvor, als sie am 1. Januar 1984 im Rahmen eines Pilotprojekts für 1200 verkabelte Haushalte auf Sendung ging. Während die PKS zugleich das Kabelfernsehen begründete, konnten die deutschsprachigen Übertragungen von RTLplus aus Dudelange in Luxemburg zunächst nur im Saarland, in Rheinland-Pfalz und im Südwesten von Nordrhein-Westfalen mit einer Zusatzantenne empfangen werden. »Es war weniger als ein Garagensender«, erzählt Helmut Thoma später und erinnert sich an »Situationen, da wussten wir nicht, was wir übermorgen senden«.

Weil die kommerziellen Sender keine Gebühren kassieren wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sind sie auf Werbeeinnahmen angewiesen – und die Zuschauer mussten sich an die Unterbrechung von Spielfilmen durch Werbeblöcke gewöhnen.

Mit einem außergewöhnlichen Gespür für die Medienlandschaft machte Helmut Thoma aus RTL den erfolgreichsten und profitabelsten Fernsehsender Europas. Mit dem anfangs von ARD und ZDF angestrebten »Bildungsfernsehen« wäre das nicht zu erreichen gewesen. Da die Preise für die Ausstrahlung der Werbespots von den Einschaltquoten abhängen, hielt Helmut Thoma die Quote für das Maß aller Dinge, verzichtete auf ein gebührliches Niveau und nahm in Kauf, dass blasierte Feuilletonredakteure die Nase über ihn rümpften. Roger Willemsen behauptete von ihm, er sei »der Mann, der im Fernsehen Charakter durch Kaufkraft ersetzt«. Mit der Devise »erfolgreich ist, was gefällt« hielt Helmut Thoma dagegen. »Ich will nicht die Herrschaft einer Elite, die immer besser weiß, was die Leute sehen sollen«, erklärte er 1996 in einem Interview mit der »Zeit«. Die Verachtung der Massenkultur hielt Helmut Thoma für undemokratisch. »Der Zuschauer darf sich seine Regierung wählen, also auch sein Fernsehprogramm«, räsonierte er 1990 im »Spiegel«. »Ich wundere mich auch hin und wieder über die Wahl, aber der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.«

Helmut Thoma setzte besonders auf Live-Sendungen von Formel-1-Rennen und sorgte dafür, dass sein Unternehmen für 135 Millionen D-Mark die Übertragungsrechte für die Bundesliga-Fußballspiele von 1988 bis 1991 bekam. (Den Abschluss eines schätzungsweise 610 Millionen D-Mark teuren Vertrages mit dem DFB für die folgenden fünf Jahre überließ er jedoch der Konkurrenz. Inzwischen werden 200 Millionen Euro pro Jahr für die Übertragunsrechte verlangt.) Sport, Erotik und Unterhaltung (»Comedy«) ergänzte Helmut Thoma schon 1988 durch Informationsprogramme wie »RTL aktuell« und »Spiegel-TV«.

Ende der Achtzigerjahre gewann er für eine Millionen-Gage Thomas Gottschalk, der sich zwar vergeblich bemühte, eine »Late Night Show« in Deutschland einzuführen (das gelang erst Harald Schmidt in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre), aber durch die Personality Show »Gottschalk« (1990 – 1995) zu einem der wichtigsten Moderatoren im deutschen Fernsehen aufstieg. Günther Jauch leitet seit April 1990 »stern tv«. Mit der Seifenoper »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« (GZSZ) – die erste Folge lief am 11. Mai 1992 – übernahm Helmut Thoma ein erfolgreiches Format aus den USA (»Soap Opera«). Zugleich stieß er immer wieder in Neuland vor und provozierte mit Tabubrüchen: »Explosiv. Der heiße Stuhl« hieß eine umstrittene Skandal-Talkshow, die von Januar 1989 bis Juli 1994 bei RTL lief. Hugo Egon Balder (*1950) moderierte von Januar 1990 bis Februar 1993 »Tutti Frutti«, eine Art Quiz-Sendung, bei der es eigentlich nur auf das »Cin-Cin-Ballett« und den Striptease junger Damen aus verschiedenen europäischen Ländern ankam. Das verursachte damals noch Proteststürme!

Man warf Helmut Thoma vor, er habe die Medienkultur in Deutschland ruiniert, weil nicht nur die privaten Konkurrenten (Sat.1, ProSieben), sondern auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten das Niveau ihrer Programme senken mussten, um Zuschauer zu behalten. Ungeachtet dieser Kritik wurde Helmut Thoma zum »Medien-Mann des Jahres 1989« gewählt, vom österreichischen Bundespräsidenten zum Ehrenprofessor ernannt (1995) und vielfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit der »Goldenen Kamera« (1990) und dem »Bambi« (1990), dem »Goldenen Ehrenzeichen« der Stadt Wien (1991) und dem »Deutschen Medienpreis« (1994), dem »International Emmy Award« (1994) und dem »Verdienstorden« des Landes Nordrhein-Westfalen (1995).

Nachdem RTLplus – seit 1992: RTL Television oder kurz RTL – 1991 als erster deutscher Sender angefangen hatte, rund um die Uhr zu senden, konnte weder das Programm verlängert noch die Anzahl der Werbeblöcke erhöht werden. Um diese Restriktion zu beseitigen, initiierte Helmut Thoma zwei weitere Kanäle: 1993 »RTL2« und 1995 »SuperRTL«. Unter dem »Quotenkönig« blieb RTL nicht nur Marktführer im deutschen Fernsehen und Europas Werbeträger Nummer Eins, sondern erzielte auch als einziger Privatsender außer »ProSieben« in den Neunzigerjahren Gewinne.

Das Fernsehen wurde allgegenwärtig. Bei einem Kabelanschluss stehen inzwischen dreißig und mehr Programme zur Auswahl, über Satellitenempfang noch weit mehr. Mit der Fernbedienung lässt sich von Sender zu Sender »zappen«, und mit einem Videogerät (ab 1975) bzw. DVD-Player (seit 1996) kann jeder sein eigener Programmdirektor werden. Bedenklich ist, dass viele Personen den größten Teil ihrer Freizeit untätig vor dem Fernsehgerät verbringen. Zu Lasten der Kreativität und Vitalität geht das Fernsehen vor allem bei Kindern.

In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Helmut Thoma und dem RTL-Gesellschafter Bertelsmann. Deshalb trat der »König des deutschen Privatfernsehens« (Fred Kogel) im 59. Lebensjahr zurück, übernahm am 1. November 1998 den Vorsitz im Beirat »RTL Television GmbH« und schied einige Monate später ganz aus.

Zur gleichen Zeit verließ Helmut Thoma seine dritte Ehefrau. Die Luxemburgerin Danièle Milbert (*1953) hatte 1984 bei RTL als Assistentin angefangen, war im Lauf der Jahre zur Bereichsleiterin aufgestiegen und hatte 1994 »Mr RTL« geheiratet. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre fing sie an, sich einen Namen als »Charity Lady« zu machen: Sie leitete wohltätige Stiftungen, betreute das jährliche Benefiz-Dinner in Monaco und trat als Schirmherrin von Spendensammlungen auf. Nach der Trennung lebte Helmut Thoma mit der in Paris praktizierenden Schönheitschirurgin Uta Kunz zusammen, aber nach sechs Jahren kehrte er zu Danièle Thoma zurück.

Für eine D-Mark als symbolisches Honorar wurde Helmut Thoma im Mai 1999 persönlicher Medienberater des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement. Erfolglos versuchte er sich 2000 – gerade als die Seifenblase der New Economy platzte – im World Wide Web: Das Internetportal »Sportgate« musste nach wenigen Monaten am 11. Juni 2001 Konkurs anmelden, wofür sich der Vorstandsvorsitzende Helmut Thoma und der Hauptaktionär Boris Becker gegenseitig die Schuld gaben. »Ich brauche noch die ganz große Herausforderung, bevor der Altersschwachsinn eintritt«, hatte Helmut Thoma nach seinem Abgang bei RTL gesagt. 2002 gründete er mit einem 29 Jahre jüngeren Geschäftspartner in Wien »World Connection«, eine auf Public Relations, Lobbying, Event Marketing und internationale Großprojekte im Medienbereich spezialisierte »Kommunikationsagentur des 21. Jahrhunderts« (Helmut Thoma).

Hin und wieder kommentiert Helmut Thoma die weitere Entwicklung des Fernsehens in Deutschland: »Man kann doch wieder zurückkehren zu TV-Movies, zu guten Serien, lustigen Sitcoms. Ich glaube, dass die Leute wieder Geschichten sehen wollen. Die wollen nicht ununterbrochen irgendwelche vermeintliche Action und Events und so«, meinte er 2004 in einem Interview mit dem »Tagesspiegel«. »Reality TV ist an einem Endpunkt angelangt, eine größere Sensation nicht mehr herstellbar. Das ist so ähnlich wie mit den Sex-Sendungen. Wenn alle ausgezogen sind, sind sie nackt. Weiter geht es nicht. Da muss man sie wieder anziehen.« Auf neue Tabubrüche wie die Übertragung von Schönheitsoperationen angesprochen, sagte er sarkastisch: »Inzwischen weiß man, dass man auch große Zehen verschönern kann. Busen-OPs haben wir von allen Seiten gesehen. Ja, na und? Köpfe austauschen – das könnte jetzt vielleicht auf gewisses Zuschauerinteresse stoßen.«

© Dieter Wunderlich 2006

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