Derek Walcott : Der Traum auf dem Affenberg

Der Traum auf dem Affenberg
Originalausgabe: Dream on Monkey MountainNew York 1970 Erstaufführung: 12. August 1976im Central Library Theatre, Toronto Der Traum auf dem Affenberg Übersetzung: Klaus Martens Carl Hanser Verlag, München 1993
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein schwarzer Köhler auf einer karibischen Insel, den sein Freund abholen will, um mit ihm auf dem Markt Holzkohle und Krokuszwiebeln zu verkaufen, träumt davon, als König und Wunderheiler nach Afrika zu gehen. Am anderen Morgen erwacht er in einer Gefängniszelle.
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Kritik

"Der Traum auf dem Affenberg" ist ein sehr poetisches Bühnenstück, in dem Derek Walcott elegant zwischen mehr oder weniger surrealen Schauplätzen hin und her wechselt. Nicht am Beispiel eines Intellektuellen, sondern eines schwarzen Köhlers stellt er die Frage nach der rassischen Identität.
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Ein Gefängnis auf einer karibischen Insel. Die Kriminellen Tigre und Souris befinden sich in ihren Zellen. Korporal Lestrade, ein Mulatte, kommt mit dem alten Schwarzen Makak, den er in die dritte Zelle sperrt. Makak beteuert, seinen Namen vergessen zu haben, er sei Katholik und auf dem Morne Macaque, dem Affenberg, zu Hause.

Vor Gericht sagt er:

Ihr Herren, sechzig Jahre bin ich alt. Mein ganzes Leben
Lebt ich versteckt wie ein wildes Tier. Kein Kind, keine Frau.
Man vergisst mich wie den Nebel auf dem Affenberg.
Ist dreißig Jahr jetzt, dass ich in kein Spiegel sah.

Am Morgen kam sein Freund Moustique zu ihm in die Köhlerhütte. Die beiden hatten sich vor vier Jahren kennen gelernt und mit der von Makak hergestellten Holzkohle das Geld für eine Eselin verdient. Nun brachte der gehbehinderte Moustique einen Jutesack voll Krokuszwiebeln mit und wollte mit Makak zum Markt, um die Blumenzwiebeln und drei Säcke Holzkohle zu verkaufen. Aber Makak war am Vorabend eine wunderschöne weiße Frau erschienen, die ihn bei seinem richtigen Namen angesprochen hatte.

Und, Moustique, sie sagte etwas, was ich nie vergessen werde. Sie sagte, ich sollte so nicht länger leben, hier im Wald, und die Leute erschrecken, weil sie mich für hässlich halten. Sie sagte, ich käme aus der Familie der Löwen und der Könige.

Moustique tat Makaks Erlebnis als Traum ab und fand unter einer Bank eine weiße Maske mit langem groben Haar.

Welche weiße Frau? Du bist nichts. Du bist schwarz, hässlich, arm, bist also weniger als nichts. Bist wie ich. Klein, hässlich, mit ’nem Fuß wie’n „S“.

Doch Makak ließ sich nicht beirren. Er wollte nicht zum Markt, sondern nach Afrika reiten. Schließlich fügte Moustique sich und folgte ihm.

Unterwegs müssen sie die Eselin verkaufen, um nicht zu verhungern.

Sie treffen auf einen Zug mit einem Kranken auf einer Bahre. Er heißt Josephus und wurde von einer Schlange gebissen. Kein Arzt hat ihm helfen können. Makak nimmt glühende Kohlen in die eine Hand und legt die andere dem Kranken auf die Stirn. Der beginnt endlich zu schwitzen, und das verstehen die Menschen hier als Zeichen der Genesung. Moustique sorgt dafür, dass sie für den Wunderheiler sammeln und ermahnt seinen Freund, der nichts annehmen will:

Hör mal, ich bin’s müde dir immer wieder sagen zu müssen, dass es nichts umsonst gibt. Dass du eines Tages, Makak, mal oben, mal unten, deinen Traum verkaufen musst, deine Seele, deine Macht, einfach nur für Brot und Unterkunft. Dass die Liebe der Menschen nicht genug ist, nicht genug, um für deine Geburt zu zahlen, für deine Beerdigung.

Schnell verbreitet sich das Gerücht über die Wunderheilung. Auch auf dem Markt, wo der Markt- und Gesundheitsinspektor Kaiphas J. Pamphilion den Verkäufern die Lizenzen ausstellt, wird darüber geredet. Der mit einer Pistole bewaffnete Korporal Lestrade, der ihn begleitet, fühlt sich als Ordnungshüter und demonstriert seine Macht, indem er im Vorbeigehen zu einem Verkäufer sagt: „Das ist eine schöne Papaya, mein Lieber.“ Der Verkäufer antwortet: „Qui, mon corporal.“ Auf den Einwand des Inspektors, es habe sich um eine Melone gehandelt, erwidert der Korporal:

Ich weiß. Aber nach Auffassung der Pistole und wegen der Aufrechterhaltung der Ordnung und um nicht in Diskussionen zu geraten, waren wir beide ganz sicher, dass es eine Papaya war.

Als Makak verkleidet, erscheint Moustique unter dem Jubel der Menge auf dem Marktplatz. Während ihm die Menschen Opfergaben zu Füßen legen, bespritzt er sie mit Wasser aus einer Schale:

Und jetzt … jetzt … wird Makak euch mit Wasser benetzen, denn die Heilung ist in euch selbst, und dann, dann muss er gehen, wohin ihn seine Füße rufen.

Der Tischler Basil entlarvt Moustique. Der schreit:

Wisst ihr, wer ich bin? Wollt ihr wissen, wer ich bin? Makak! Makak! Oder Moustique, ist’s nicht immer derselbe Nigger?

Die Menge reagiert wütend. Ein Arbeiter wirft ihn um. Die Menschen schlagen auf ihn ein, bis der Korporal sie nach geraumer Zeit auseinandertreibt.

„Warum hast du sie nicht aufgehalten?“, fragt der Inspektor. „All diese Leute. Willst du, dass sie mich umbringen? Nun also. Ich spendier dir was zu trinken. Du siehst verängstigt aus.“

Makak findet seinen zusammengeschlagenen Freund in einem Abfallhaufen und will wissen, was geschehen ist. Moustique antwortet ihm:

Ich nahm, was du hattest. Ich nahm deinen Traum, und ich bin gegangen und hab ihn zu verkaufen versucht. Ich versuchte, sie zu täuschen, und sie sind mit Stöcken über mich hergefallen, und sie haben mich getötet.

Bevor er stirbt, rät er Makak, auf den Affenberg zurückzukehren, der aber glaubt an seine Bestimmung.

Im Gefängnis verteilt Korporal Lestrade Essen an die Häftlinge Tigre, Souris und Makak. Makak wirft ihm vor, zugelassen zu haben, dass man seinen Freund auf dem Marktplatz tötete.

Tigre nimmt an, dass Makak auf dem Affenberg Wertsachen vergraben hat. Er gibt vor, an Makaks Traum zu glauben und ihn für einen Löwen zu halten.

Wie anders kannst du beweisen, dass dein Name Löwe ist, es sei denn, du tust eine wirklich blutige, goldene, staunenswerte Tat, hm? Und wer steht dir im Wege als dein lieber Freund, Korporal Lestrade, der Lauwarme, weder dies noch das, weder Milch noch Kohle, weder Tag noch Nacht, weder Löwe noch Affe, sondern ein Mulatte, ein Diener, der dem marmornen Gesetz die Füße leckt.

Plötzlich greift Makak durchs Gitter, sticht mit einem Messer auf Korporal Lestrade ein und schleudert ihn zu Boden. Dann nimmt er ihm die Schlüssel ab, öffnet die Zellen und flieht mit den beiden anderen Häftlingen. Tigre schlägt den Weg zum Affenberg ein, aber er gaukelt Makak vor, sie seien auf dem Weg nach Afrika, und der Köhler predigt:

Welche Macht kann auf dem Grunde des Meeres kriechen oder im Luftozean über uns schwimmen? Der Geist, unser Geist. Kommt jetzt mit mir, der Geist kann die Toten zum Leben erwecken, er kann weit, weit, weit und tief in die Zeit zurückgehen. Er kann einen Mann zum König machen und zum Tier.

Makak bildet sich ein, über eine Armee zu verfügen und ernennt Tigre zum General. Korporal Lestrade, der nicht ernsthaft verletzt ist, verfolgt die Geflohenen. Er ist nicht unglücklich über die Entwicklung, denn jetzt ist er berechtigt, sie niederzuschießen.

Dann aber nähert er sich Makak als ob er einen König vor sich habe, lässt ihm von Souris einen Krummsäbel übergeben und beschwört ihn, die Vision zu töten.

Sie ist das Weib des Teufels, die weiße Hexe. … Sie ist … die Mutter der Zivilisation, und die Zerstörung der Schwärze. Auch ich hab mich nach ihr gesehnt. Sie ist die Farbe des Gesetzes, von Religion, Papier, Kunst, und wenn du Frieden willst, wenn du die wunderbare Tiefe deiner Schwärze entdecken willst, Nigger, hau ihr den Kopf ab! Wenn du das tust, wirst du Venus töten, die Jungfrau, Schneewittchen. Sie ist das weiße Licht, das deinen Geist lähmte, das dich in Verwirrung stürzte. Du bist es, der sie geschaffen hat, also töte sie! Töte sie!

Makak zögert. Dann folgt er dem Rat. „Jetzt bin ich frei.“

Wieder in seiner Gefängniszelle nennt Makak seinen richtigen Namen: „Mein Name ist Felix Hobain.“ Korporal Lestrade eröffnet ihm, man habe ihn am Vorabend wegen Trunkenheit und öffentlichen Ärgernisses verhaftet.

Hast den Laden von Félicien Alcindor in Klump gehauen, gestern, Samstag, am Markttag. Ich hab dich auf dem Markt schimpfen und predigen sehen.

Er öffnet die Zelle und lässt Makak heraus:

Geh, geh nach Haus. Dort, der Affenberg. Geh durch das stille Dorf. Ich werde Alcindor alles erklären. Manchmal, da ist einfach zuviel Druck … Geh nur. Du bist frei. Es war ja dein erster Gesetzesverstoß.

Da kommt Moustique mit Säcken voller Krokuszwiebeln herein und fragt nach Felix Hobain. Gestern habe er den ganzen Tag über nach ihm gesucht.

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„Der Traum auf dem Affenberg“ ist ein sehr poetisches Bühnenstück, in dem Derek Walcott den Wunderglauben der katholischen Religion mit karibischen Elementen verbindet. Elegant wechselt er in dieser Traumgeschichte zwischen verschiedenen mehr oder weniger surrealen Schauplätzen hin und her. Nicht am Beispiel eines Intellektuellen, sondern eines schwarzen Köhlers auf einer westindischen Insel stellt er die Frage nach der rassischen Identität.

Der Literatur-Nobelpreisträger von 1992, Derek Walcott, wurde 1930 auf der karibischen Insel Saint Lucia geboren. Er stammt aus einer bürgerlichen Mulattenfamilie, wurde in katholischen Institutionen erzogen und studierte 1950 bis 1957 in Jamaika.

Nachtrag: Derek Walcott starb am 17. März 2017.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag

Iwan Bunin - Vera
Unter dem Titel "Vera" sind fünf Erzählungen aus dem Jahr 1912 zusammengefasst. Iwan Bunin beobachtet die Protagonisten, versucht aber nicht, ihr Verhalten zu analysieren. Mit den derben Charakteren kontrastieren edle Pferde und die karge Naturschönheit der Landschaft.
Vera