Alles, was wir geben mussten

Alles, was wir geben mussten

Alles, was wir geben mussten

Alles, was wir geben mussten – Originaltitel: Never Let Me Go – Regie: Mark Romanek – Drehbuch: Alex Garland, nach dem Roman "Alles, was wir geben mussten" von Kazuo Ishiguro – Kamera: Adam Kimmel – Schnitt: Barney Pilling – Musik: Rachel Portman – Darsteller: Carey Mulligan, Keira Knightley, Andrew Garfield, Isobel Meikle-Small, Ella Purnell, Charlie Rowe, Charlotte Rampling, Sally Hawkins u.a. – 2010; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Die 28-jährige Kathy H. erinnert sich an Hailsham, wo sie zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen ohne Kontakt zur Außenwelt aufwuchs. Die Aufseherinnen hielten sie dazu an, auf ihre Gesundheit zu achten. Sie trieben viel Sport, und kreative Tätigkeiten wie Zeichnen standen im Lehrplan ganz oben. Kathy war eng mit Tommy und Ruth befreundet und liebte den Jungen auch heimlich, aber er wurde nicht mit ihr, sondern mit Ruth intim ...
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Kritik

"Alles, was wir geben mussten", die Verfilmung einer Dystopie von Kazuo Ishiguro durch Mark Romanek, zeichnet sich durch einen unaufgeregten Erzählstil ohne Effekthascherei aus.
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In einem Krankenhaus, 1994. Kathy H. (Carey Mulligan) stellt sich vor: Sie ist 28 Jahre alt und arbeitet seit neun Jahren als „Betreuerin“. Seit einiger Zeit muss sie immer wieder daran denken, wie sie in Hailsham aufwuchs, einer Art Internat oder Waisenhaus irgendwo in England.

Hailsham, 1978. Kathy (Isobel Meikle-Small) und die anderen Kollegiaten dürfen das Gelände nicht verlassen und haben keinen Kontakt zur Außenwelt, aber danach verlangen sie auch nicht. Die Kinder und Jugendlichen in Hailsham treiben viel Sport und werden dazu angehalten, auf ihre Gesundheit zu achten. Rauchen ist streng verboten. Die Institutsleiterin Miss Emily (Charlotte Rampling) und ihre Mitarbeiterinnen fördern ganz besonders die Kreativität der jungen Leute, indem sie diese zum Zeichnen, Malen und Modellieren anhalten. Ein paar Mal im Jahr besucht eine von den Kollegiaten nur „Madame“ genannte Dame (Nathalie Richard) Hailsham und nimmt die besten Bilder mit – für eine Galerie, wie es heißt.

Tommy (Charlie Rowe) wird von den anderen Kindern wegen seiner missratenen Zeichnungen gehänselt. Als Kathy ihn einmal zu trösten versucht, ohrfeigt er sie und rennt weg. Er beruhigt sich erst, als die neue Aufseherin Miss Lucy (Sally Hawkins) mit ihm spricht und ihm sagt, es sei völlig in Ordnung, wenn er nicht besser malen und zeichnen könne. Damit nimmt sie den Druck von ihm, und als er auf die Provokationen der anderen deshalb nicht mehr mit Wutausbrüchen reagiert, hören diese mit dem Mobbing auf.

Trotz der Ohrfeige setzt Kathy sich beim Essen zu ihm. Er entschuldigt sich bei ihr und schenkt ihr eine Musikkassette mit den „Songs After Dark“ von Judy Bridgewater aus dem Jahr 1956. Kathy, Tommy und Ruth (Ella Purnell) werden enge Freunde. Allerdings macht Ruth sich an Tommy heran. Sie küssen sich und schlafen später auch miteinander. Kathy, die Tommy heimlich liebt, lässt es geschehen, obwohl es ihr wehtut.

Im Unterricht sagt Miss Lucy, sie sei im Gegensatz zu Miss Emily und den anderen Aufseherinnen der Meinung, dass die Kollegiaten über ihre Bestimmung aufgeklärt werden müssten. Und sie sagt den Jungen und Mädchen, der Zweck ihres Daseins sei es, Organe zu spenden. Man werde ihnen bis zu drei- oder viermal ein Organ entnehmen. – Kurz darauf wird Miss Lucy wegen „vorsätzlicher Subversion“ entlassen.

1985 ziehen Kathy (ab jetzt: Carey Mulligan), Tommy (Andrew Garfield) und Ruth (Keira Knightley) mit fünf anderen Hailsham-Abgängern zusammen in die „Cottages“ um, eine Art Landkommune auf einem ehemaligen Bauernhof, wo es keine Aufseherinnen mehr gibt.

Chrissie und Rodney (Andrea Riseborough, Domhnall Gleeson) leben hier schon seit einem Jahr. Als die beiden, die ein Paar sind, von einem Ausflug an die Küste von Norfolk zurückkommen, erzählen sie, dass sie durch die Fenster eines Großraumbüros eine Frau entdeckten, die wie Ruth aussieht. Möglicherweise handelt es sich bei der Büroangestellten um das Modell, nach dem Ruth geschaffen wurde. Weil Ruth die Frau unbedingt sehen möchte, fährt Rodney mit ihr, Chrissie, Tommy und Kathy noch einmal nach Norfolk. Durch ein Fenster blicken sie in das Büro und stellen dabei fest, dass die Angestellte (Rachel Boss) Ruth nicht wirklich ähnlich sieht.

Während einer Rast auf der Rückfahrt sprechen Chrissie und Rodney die drei aus Hailsham auf das Gerücht an, demzufolge Liebespaare einen Aufschub von zwei bis drei Jahren beantragen können. Kathy, Ruth und Tommy wissen jedoch auch nicht, an wen man sich in diesem Fall wenden müsste. Tommy vermutet, dass die von Madame für die Galerie gesammelten künstlerischen Arbeiten dazu dienen, die Ehrlichkeit der Antragsteller zu überprüfen. Zurück in den Cottages, beginnt er eifrig zu zeichnen.

Kathy möchte sich als Betreuerin bewerben, und der alte Keffers (David Sterne), der die jungen Leute mit Nahrungsmitteln versorgt, bringt ihr die entsprechenden Formulare.

1994. Kathy arbeitet seit neun Jahren als Betreuerin. Als sie in einem Krankenhaus den Bericht über Laura abzeichnet, die soeben bei der Spende „abgeschlossen“ hat, sieht sie auf dem Bildschirm des Computers Ruths Passbild. Sie liegt nach ihrer zweiten Spende ebenfalls hier. Kathy besucht sie und übernimmt ihre Betreuung.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Ruth hat herausgefunden, dass Tommy sich nach seiner letzten Spende im Kingsfield-Zentrum erholt. Die beiden Frauen fahren hin und nehmen ihn zu einem gestrandeten Boot mit. In den Dünen bittet Ruth ihre Freunde um Verzeihung, weil sie in Hailsham aus Eifersucht alles tat, um eine Liebesbeziehung zwischen Tommy und Kathy zu verhindern. Zur Wiedergutmachung gibt sie ihnen die Adresse von „Madame“ in Littlehampton, nach der sie eigens forschte, damit Kathy und Tommy den Aufschub für Liebespaare beantragen können.

Nachdem Ruth bei der dritten Spende abgeschlossen hat, löst Kathy Tommys Betreuerin ab. Endlich werden sie ein Paar und schlafen auch miteinander.

Kathy überprüft die Adresse, die Ruth ihnen hinterließ. Sie scheint zu stimmen. Um nach Littlehampton fahren zu können, meldet sie Tommy zu Labortests ab. Madame arbeitet im Garten. Kathy und Tommy stellen sich als Hailsham-Absolventen vor und werden ins Haus gebeten. Dort stoßen sie zu ihrer Überraschung auf Miss Emily. Die frühere Institutsleiterin sitzt im Rollstuhl. Sie klärt das Paar darüber auf, dass es keine Aufschubmöglichkeiten gebe. Wozu dann die Galerie gedient habe, fragt Tommy. Miss Emily gibt die Antwort: Sie und Marie-Claude („Madame“) gründeten Hailsham und förderten die kreativen Fähigkeiten der Kollegiaten, um der Welt zu beweisen, dass die geklonten Spender nicht als seelenlose Ersatzteillager betrachtet werden dürfen.

Nach dem enttäuschenden, schockierenden Besuch in Littlehampton hofft Tommy, dass er bei der nächsten Spende abschließen kann, zumal es vorkommen soll, dass jemand selbst nach der vierten Spende bei Bewusstsein bleibt und miterlebt, wie ihm weitere Organe entnommen werden. So ein Spender liegt dann hilflos da, bis die Ärzte ihn endlich abschalten.

Kathy schaut durch ein Fenster in den Operationssaal, während Tommy für die Organentnahme vorbereitet wird. (In derselben Szene sahen wir sie bereits zu Beginn, als sie sich vorstellte.)

In einem Monat muss Kathy zu ihrer ersten Spende.

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Alex Garland schrieb das Drehbuch für die Verfilmung des 2005 von Kazuo Ishiguro veröffentlichten Romans „Alles, was wir geben mussten“ durch Mark Romanek. Dabei hielt er sich eng an die literarische Vorlage. Wie im Buch, wird die Geschichte auch im Film konsequent aus der Perspektive der Protagonistin Kathy in der Ich-Form erzählt. Im Alter von 28 Jahren erinnert Kathy H. sich 1994 an ihre Kindheit und Jugend in Hailsham. Rückblenden zeigen, was sie 1978 in Hailsham und 1985 in den „Cottages“ erlebte. Am Ende schließt sich der Kreis und wir befinden uns wieder mit ihr in der anfangs gezeigten Szene.

Die Dystopie spielt gewissermaßen in einer Parallelwelt. Wir ahnen bald, um was es sich bei den Kindern und Jugendlichen in Hailsham handelt, obwohl erst Miss Lucy das Geheimnis lüftet und wir die volle Wahrheit nicht vor dem Ende erfahren.

Warum sich die Betroffenen nicht gegen das grausame System auflehnen, sondern es widerstandslos hinnehmen, wird ebenso wenig wie im Roman hinterfragt.

Alex Garlands wunderbar verschlankendes Drehbuch vermeidet, mehr noch als der Roman, Erklärungen und Fragen danach, wie es so weit kommen konnte. Man fügt sich ins System. In diesem System ist die stille Akzeptanz der unabwendbaren Vernichtung eine Selbstverständlichkeit. (Alexander Menden, Süddeutsche Zeitung, 14. April 2011)

Alex Garland und Mark Romanek entwickeln die Handlung in „Alles, was wir geben mussten“ unaufgeregt, beinahe ein wenig behäbig, und ohne Effekthascherei. Leider wird alles mit einer Musiksülze übergossen.

Von den Schauspielern ist neben der grande dame Vanessa Redgrave, die hier allerdings nur drei, vier kleine Auftritte hat, vor allem Carey Mulligan hervorzuheben, deren Darstellung besonders feinfühlig, nuancenreich und eindrucksvoll ist.

Carey Mulligan schließlich beweist, welche Reife sie als Darstellerin bereits besitzt. Sie spielt mit minimalem Aufwand, wirkt über weite Strecken nahezu unbewegt. Es scheint, als habe Kathy ihr Schicksal am stärksten internalisiert. Umso enormer ist daher der Effekt, den sie mit einem Lächeln, einem Zittern der Unterlippe setzt. Da erhascht man einen flüchtigen Einblick in das Chaos unerfüllter Sehnsüchte, das in Kathy tobt. (Alexander Menden, a. a. O.)

Deutsche Synchronisation von „Alles, was wir geben mussten“ (Übersetzung: Markus Jütte, Buch und Regie: Joachim Kunzendorf): Maria Koschny (Kathy), Giulana Jakobeit (Ruth), Leonhard Mahlich (Tommy), Soraya Richter (Kathy als Kind), Shirin Westenfelder (Ruth als Kind), Alexander Landmann (Tommy als Kind), Krista Posch (Miss Emily), Tanja Geke (Miss Lucy), Anne Helm (Chrissie), Konrad Bösherz (Rodney), Katharina Koschny (Madame), Katharina Richter, Paulina Ociepka, Timon Straka, Almut Zydra, Reinhard Scheunemann, Silke Matthias u.a.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten

Mark Romanek: One Hour Photo

Rebecca McClanahan - Schreiben wie gemalt
Ihre Anregungen gliedert Rebecca McClanahan in drei Schritte, die sie mit den Schlagworten "Auge, Wort und Geschichte" bezeichnet.
Schreiben wie gemalt