8 Frauen

8 Frauen

8 Frauen

8 Frauen - Originaltitel: 8 femmes - Regie: François Ozon - Drehbuch: François Ozon, nach einem Theaterstück von Robert Thomas - Kamera: Jeanne Lapoirie - Schnitt: Laurence Bawedin - Musik: Krishna Levy - Darstellerinnen: Cathérine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Danielle Darrieux, Virginie Ledoyen, Ludivine Sagnier, Firmine Richard - 2002; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Die adrette Studentin Suzon kommt in das idyllische Landhaus ihres Vaters, um mit ihrer Familie Weihnachten zu feiern. Kurz nach Suzons Ankunft findet das Dienstmädchen die Leiche des Hausherrn mit einem Messer im Rücken. Ist eine der acht in der Halle der Villa versammelten Frauen die Mörderin?

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Kritik

Acht Frauen in einem Raum. Eine von ihnen scheint eine Mörderin zu sein. Das erinnert an Agatha Christie und ist die Ausgangssituation für die unterhaltsame, originelle und einfallsreiche Mischung aus Krimi-Farce und Boulevard-Komödie "8 Frauen".
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Ein malerisches, tief verschneites Landhaus irgendwo in Frankreich in den Fünfzigerjahren. Ein Reh wagt sich vor bis an das Haus, das einem Unternehmer gehört, der im Film nur ein paar Mal kurz von hinten zu sehen ist. Er wohnt dort mit seiner mondänen, nicht mehr ganz jungen Frau Gaby (Cathérine Deneuve), der kessen Tochter Cathérine (Ludivine Sagnier), der gebrechlichen, über 80 Jahre alten Schwiegermutter (Danielle Darrieux) und Augustine (Isabelle Huppert), einer im Schatten ihrer zurechtgemachten Schwester Gaby verdorrten, zänkischen Jungfer. Bedient werden sie von dem lasziven Dienstmädchen Louise (Emmanuelle Béart) und der molligen schwarzen Haushälterin, Mme. Chanel (Firmine Richard), einer ruhigen und zuverlässigen Person, die auch Cathérine und Suzon aufgezogen hat. Suzon (Virginie Ledoyen), die ältere der beiden Töchter, ist Studentin und wohnt in der Stadt, aber heute kommt das adrette Mädchen zu Besuch, um das bevorstehende Weihnachtsfest im Kreis der Familie zu feiern.

Die sieben Frauen versammeln sich in der Halle. Nur der Hausherr fehlt. Er schläft wohl noch in seinem Zimmer in der ersten Etage. Louise bringt ihm Tee. Ein Schrei! Sie taumelt zurück und stammelt: „Er ist tot!“ Cathérine läuft die Treppe hinauf. Einige der Damen folgen ihr und werfen einen Blick durch die offene Tür. Gabys Mann liegt auf seinem Bett, mit dem Gesicht im Kissen und einem Messer im Rücken. Cathérine sperrt das Zimmer ihres Vaters ab: „Es darf nichts mehr verändert werden, bis die Polizei die Spuren sichert!“ Das kennt sie aus den Kriminalromanen, die sie gern liest. Die Telefonschnur ist zerschnitten. Gaby lässt sich ihren Pelzmantel bringen und will mit dem Wagen zur Polizei, aber jemand hat die Zündkabel herausgerissen. Die Frauen sitzen fest.

Da ist jemand im Park. Der Mörder? Nein, es ist Pierrette (Fanny Ardant), die Schwester des Toten, wegen ihres unsoliden Lebenswandels das schwarze Schaf der großbürgerlichen Familie. Sie tritt im schwarzen Mantel und in einem flammend roten Kostüm auf. Eine anonyme Anruferin habe ihr mitgeteilt, dass ihr Bruder ermordet worden sei, behauptet sie und stürmt hinauf zu dem Zimmer. Woher kennt sie es, obwohl sie angeblich noch nie vorher in diesem Haus war? Das Zimmer ist abgeschlossen. Den Schlüssel hat Cathérine auf das Klavier gelegt. Aber der passt nicht: Jemand hat ihn vertauscht.

Die acht Frauen sind sich einig: Nur eine von ihnen kann die Mörderin sein. Wem nützt der Mord? Die Blicke richten sich auf die Witwe Gaby, von der angenommen wird, dass sie ein großes Vermögen erbt. Aber es stellt sich bald heraus, dass ihr Mann von seinem Kompagnon hereingelegt wurde und pleite ist. Die Frauen verdächtigen sich gegenseitig, stellen tückische Fragen, beschuldigen und beleidigen sich. Hass und Missgunst – sonst hinter der Fassade der Höflichkeit verborgen – werden sichtbar. Mitunter kommt es sogar zu Prügeleien. In der Aufregung springt die Großmutter von ihrem Rollstuhl auf und läuft die Treppe zur ersten Etage hinauf. Hat sie nur simuliert? Jetzt erfahren alle, dass sie heimlich trinkt. Das Aktienpaket, das sie von ihrem toten Mann geerbt hatte und sorgfältig unter ihrem Kopfkissen aufbewahrte, soll vor drei Tagen gestohlen worden sein. Später gibt sie zu, ihren Mann ermordet zu haben. Er sei ein herzensguter Mensch gewesen, aber sie habe ihn halt nicht leiden können, und weil damals an eine Scheidung gar nicht zu denken gewesen wäre, kam sie auf die Idee, ihn zu vergiften.

Ein Geheimnis nach dem anderen wird aufgedeckt. Jede der acht Frauen hätte ein Mordmotiv gehabt.

Die giftgrün gekleidete geldgierige Fregatte Gaby war in der Nacht im Schlafzimmer ihres Mannes und kündigte ihm an, sie werde ihn verlassen. Die Koffer sind bereits gepackt. Sie ist die Geliebte des Geschäftspartners, der ihren Mann finanziell ruinierte. Von ihrem Liebhaber erhielt sie ein Geldgeschenk, das dieser – so stellt sich heraus – von Pierrette, seiner anderen Geliebten, bekommen hatte. Letztlich stammte das Geld von dem Toten, denn Pierrette ließ sich nicht zuletzt von ihrem Bruder aushalten. Sie war in ihn verliebt, mehr oder weniger platonisch, denn aufgrund von schlechten Erfahrungen mit Männern ist sie lesbisch. (Am Ende umarmt sie Gaby nach einer Prügelei auf dem Teppich.) Lesbisch ist auch die gute Mme. Chanel, die im Gartenhaus schläft und sich dort heimlich mit Pierrette zu treffen pflegte. Die bisexuelle Louise war schon seit langem die Geliebte des Toten gewesen, als sie im letzten Jahr die frei gewordene Stelle als Dienstmädchen annahm, um ungestörter mit ihm ins Bett gehen zu können. Von ihrer früheren Arbeitgeberin (Romy Schneider) trägt sie ein Foto bei sich. In einem Buch fand Pierrette einen Liebesbrief der verklemmten Jungfer Augustine an Gabys Ehemann. Die liebenswerte Suzon in ihrem rosafarbenen Kleidchen muss zugeben, dass sie bereits gestern ankam, um heimlich ihren Vater zu sprechen, weil sie schwanger ist und seinen Rat einholen wollte. Sie berichtet, der Vater habe sich in der Nacht sehr verständnisvoll gezeigt und ihr geraten, sich am Morgen wie geplant von ihrer Mutter am Bahnhof abholen zu lassen. Gaby ist entsetzt! Wiederholt sich ihr Geschick? Sie war bei ihrer Hochzeit auch schon schwanger, mit Suzon, die erst jetzt erfährt, dass der Tote nicht ihr leiblicher Vater war. Als sie von ihm ihr Kind empfing, wusste sie das noch nicht!

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Cathérine genießt es, dass alle ihr zuhören. Sie hat den Mord im Einverständnis mit ihrem Vater vorgetäuscht und ihm ein Theatermesser auf den Rücken drapiert. Der Vater, verrät Cathérine den umstehenden Damen, habe ihnen die ganze Zeit über von seinem Zimmer aus zugehört, um endlich einmal zu erfahren, was sie wirklich von ihm und voneinander halten. Cathérine nimmt den richtigen Zimmerschlüssel und schließt die Tür auf. Ihr Vater sitzt auf dem Bett, hält sich eine Pistole an die Schläfe und drückt ab.

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Zunächst dachte François Ozon an ein Remake des 1939 von George Cukor mit fünf Frauen gedrehten Klassikers „Die Frauen“ (Buch: Anita Loos und Jane Murfin). Die Rechte dafür hatten sich jedoch bereits Julia Roberts und Meg Ryan gesichert. Deshalb wählte François Ozon schließlich ein Boulevard-Theaterstück von Robert Thomas aus den Siebzigerjahren als Vorlage.

Die Grundidee ist ähnlich wie bei Agatha Christies Kriminalroman „Mord im Orientexpress“ aus dem Jahr 1934 (Verfilmung: Sidney Lumet, 1974). Während der Orientexpress im Schnee feststeckt, wird der amerikanische Millionär Ratchett ermordet. Einer der Passagiere muss der Mörder sein. Der Detektiv Hercule Poirot, der zufällig unter den Fahrgästen ist, beginnt zu ermitteln. In Ozons Film wird die Mörderin unter den acht Frauen in einem eingeschneiten französischen Landhaus gesucht. Und wie „Die Frauen“ kommt auch „8 Frauen“ – abgesehen von einer Statistenrolle – ohne männliche Darsteller aus.

Im Vorspann sind acht verschiedene Blüten zu sehen. Jede steht für eine der Filmfiguren.

Während Filmregisseure üblicherweise versuchen, die Handlung realistisch darzustellen, weist François Ozon die Zuschauerinnen und Zuschauer fortwährend darauf hin, dass es sich um ein Spiel handelt. (Ähnlich wie Peter Greenaway 1993 in „Das Wunder von Mâcon“.) Wenn die Kamera zu Beginn durch den verschneiten Park auf das vom Schnee überzuckerte Landhaus zufährt, wirkt es wie eine Kulisse. Und das Reh am Haus erinnert an den Film „Was der Himmel erlaubt“ (Douglas Sirk, 1956). Das Geschehen findet fast ausschließlich in der Halle des Landhauses statt, wie bei einem Theaterstück mit einer einzigen Kulisse. Indem François Ozon die Spielhandlung mehrmals unterbricht, um jede der acht Schauspielerinnen ein Chanson singen zu lassen (sie singen tatsächlich selbst), betont er die Unwirklichkeit der Handlung ähnlich wie Baz Luhrmann in „Moulin Rouge“ (2000). Und am Ende stehen die acht Schauspielerinnen nebeneinander und nehmen sich bei den Händen, als wenn sie sich im nächsten Augenblick für den Schlussapplaus verbeugen würden.

Unvermittelt löst Augustine den strengen Haarknoten, den sie nach dem Vorbild von Agnes Moorehead („Der Glanz des Hauses Amberson“, Orson Welles, 1942) trägt, und wenn sie dann in einem glamourösen Kleid die Treppe herunter schreitet, sieht sie beinahe wie die legendäre Rita Hayworth („Die Lady von Shanghai“, Orson Welles, 1947) aus. Louise, die wie Jeanne Moreau in „Tagebuch einer Kammerzofe“ (Luis Buñuel, 1964) gekleidet ist, öffnet die an Kim Nowak in „Vertigo“ (Alfred Hitchcock, 1958) erinnernde Haarschnecke und schüttelt im Beisein von Gaby eine blonde Mähne, wie wir sie von Cathérine Deneuve in „Belle de Jour“ (Louis Buñuel, 1967) kennen. „8 Frauen“ steckt voller Anspielungen und Filmzitate: Cathérine Deneuve ähnelt Lana Turner in „Der Tote lebt“ (Mervyn Le Roy, 1942), bei Virginie Ledoyens Frisur denkt man an Audrey Hepburn („Ein Herz und eine Krone“, William Wyler, 1953), und Fanny Ardant trägt in ihrer Gesangsnummer bis über die Ellbogen reichende schwarze Handschuhe wie Rita Hayworth in „Gilda“ (Charles Vidor, 1945).

François Ozon kommt es nicht auf die psychologische Charakterisierung der Protagonistinnen an, und die menschlichen Abgründe, die sich hinter der großbürgerlichen Fassade auftun, lotet er nicht aus, im Gegenteil: Er reduziert die Figuren bewusst auf Klischees und bietet statt eines Psychothrillers eine unterhaltsame, originelle und einfallsreiche Mischung aus Krimi-Farce und Boulevard-Komödie. Dabei bewegt er sich stilsicher an der Grenze zwischen Kunst und Kitsch.

„8 Frauen“ wurde mit einem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet und in der Kategorie „bester ausländischer Film“ für einen „Oscar“ nominiert.

Deutsche Synchronsprecherinnen: Ruth Maria Kubitschek, Senta Berger, Hannelore Elsner, Katja Riemann, Nina Hoss, Jasmin Tabatabai, Nicolette Krebitz, Cosma Shiva Hagen.

François Ozon wurde am 15. November 1967 in Paris als eines von drei Kindern des Biologen René Ozon und dessen Ehefrau Anne-Marie, einer Französisch-Lehrerin, geboren. 1990 bis 1993 studierte er an der École Nationale Supérieure des métiers de l’image et du son (La fémis). Nachdem sich François Ozon bereits mit einigen Kurzfilmen einen Namen gemacht hatte, drehte er 1998 seinen ersten abendfüllenden Kinofilm: „Sitcom“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

François Ozon (kurze Biografie / Filmografie)

François Ozon: Sitcom
François Ozon: Unter dem Sand
François Ozon: Tropfen auf heiße Steine
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François Ozon: 5×2. Fünf mal zwei
François Ozon: Die Zeit die bleibt
François Ozon: Rückkehr ans Meer
François Ozon: Das Schmuckstück
François Ozon: In ihrem Haus
François Ozon: Jung & Schön
François Ozon: Eine neue Freundin
François Ozon: Frantz

Gudrun Lerchbaum - Das giftige Glück
Bei "Das giftige Glück" handelt es sich um einen Gesellschaftsroman mit einer Vielzahl von Themen. Weil Gudrun Lerchbaum einen Mordfall eingebaut hat, kann man "Das giftige Glück" zugleich als Kriminalroman lesen. Spätestens beim Umgang mit der Aufklärung des Verbrechens wird "Das giftige Glück" zur Groteske.
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