City of God

City of God

City of God

City of God - Originaltitel: Cidade de Deus - Regie: Fernando Meirelles und Kátia Lund - Drehbuch: Bráulio Mantovani, nach dem Roman "Die Stadt Gottes" von Paulo Lins - Kamera: César Charlone - Schnitt: Daniel Rezende - Musik: Antônio Pinto und Ed Côrtes - Darsteller: Alexandre Rodrigues, Leandro Firmino da Hora, Phelipe Haagensen, Matheus Nachtergaele, Seu Jorge u.a. - 2002; 130 Minuten

Inhaltsangabe

"City of God" zeigt, wie in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren Drogenkönige in den Favelas von Rio de Janeiro die Herrschaft übernehmen und von Kinderbanden herausgefordert werden. Der Film wertet nicht, zeigt auch keine Lösungsmöglichkeiten auf, sondern es geht ausschließlich darum, die grausame Realität in den Favelas so authentisch wie möglich wiederzugeben.

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Kritik

Der mit Laiendarstellern gedrehte Film "City of God" droht in tausende hektisch geschnittener Episoden zu zerfleddern, die von einer immer wilder zoomenden und herumgerissenen Handkamera aufgenommenen wurden, aber ein Erzähler aus dem Off hält die Fäden zusammen.
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Die „Stadt Gottes“ (Cidade de Deus, City of God) ist eine am Reißbrett konzipierte trostlose Siedlung am Rand von Rio de Janeiro, eine der Favelas. Hier geben die Jugendlichen Aicate (Jefechander Suplino), Marreco (Renato de Souza) und Cabeleira (Jonathan Haagensen) – die „Wild Angels“ – den Ton an. Die Bande zwingt schon mal einen Lastwagenfahrer mit vorgehaltener Waffe zum Anhalten, damit die Bewohner der „Stadt Gottes“ sich Propangasflaschen von der Ladefläche holen können.

Hier wachsen in den Sechzigerjahren auch „Löckchen“ Dadinho (Douglas Silva), Bené und Marrecos kleiner, schüchterner Bruder Buscapé (Luis Otávio) auf. Dadinho träumt schon als Kind davon, ein gefürchteter Bandenführer zu werden. Er stiftet die „Wild Angels“ zu einem Raubüberfall auf die Freier in einem Stundenhotel an. Obwohl die Idee von ihm stammt, darf er nur Schmiere stehen. Falls die Polizei kommt, soll er in eines der Fenster schießen. Als es Dadinho zu langweilig wird, gibt er das vereinbarte Zeichen. Die „Wild Angels“ fliehen in einem gestohlenen Auto. Der Achtjährige geht durch die Räume, erschießt aus Mordlust und schrill lachend alle Angestellten, Huren und Freier. Nach diesem Blutbad verschärft die Polizei die Kontrollen in der „Stadt Gottes“, aber niemand verrät die Täter.

Zehn Jahre später: „Locke“ Dadinho (ab jetzt: Leandro Firmino da Hora), der sich von einem Schamanen den Namen „Zé Pequeño“ geben ließ, und sein Freund Bené (Phelipe Haagensen) beherrschen die „Stadt Gottes“. Locke, der seit damals jeden umbringt, der ihn ärgert, hat längst begriffen, dass der Drogenhandel das meiste Geld einbringt und erschoss deshalb mit seinen Anhängern fast alle Drogenhändler, um deren Geschäfte zu übernehmen. Nur Sandro Cenoura (Matheus Nachtergaele), den alle „Karotte“ nennen, wird noch geduldet, weil er mit Bené befreundet ist.

Eine Kinderbande stört mit ihren Raubüberfällen die neue Ordnung und gefährdet durch die so hervorgerufenen Razzien der Polizei Lockes Geschäfte. Deshalb überfällt er die Kids, kriegt zwei von ihnen zu fassen und lässt ihnen die Wahl, ob er ihnen zur Strafe durch eine Hand oder einen Fuß schießen soll. Nachdem er beiden die Zehen zerschossen hat, zwingt er einen dritten Jungen, eines der beiden weinenden Kinder zu erschießen.

Während es Locke darum geht, Macht auszuüben und nach eigenem Gutdünken töten zu können, benutzt Bené das viele Geld, das sie durch den Drogenhandel verdienen, um sich neu einzukleiden und sich zu vergnügen. Auch Angelica (Alice Braga) gewinnt er für sich. Buscapé ist zwar in Angelica verliebt, hat ihr aber nichts zu bieten, weil seine Bemühungen, mit der Arbeit in einem Supermarkt etwas Geld zu verdienen, ebenso scheitern wie einige geplante Raubüberfälle.

Bené interessiert sich nur noch für Angelica und erklärt seinem Freund Locke, er wolle aus den kriminellen Geschäften aussteigen und fortziehen. Aber auf seinem Abschiedsfest wird er aus Versehen von einer Kugel getroffen, die für Locke bestimmt war.

Nach Benés Tod sieht Locke keinen Grund mehr, Karotte zu dulden, und er beginnt mit dem Krieg gegen den Konkurrenten.

Zur gleichen Zeit rächt Locke sich dafür, dass eine Frau ihn abweist. Während seine Spießgesellen das Mädchen vergewaltigen, drückt er ihrem Freund, dem Busschaffner Mane Galinha (Seu Jorge), mit dem Stiefel den Kopf auf den Boden und zwingt ihn, dabei zuzusehen. Kurze Zeit später fällt ihm ein, dass er Mane umbringen hätte sollen, und er zieht mit seiner Bande zu dessen Elternhaus. Als Manes kleiner Bruder den Bandenführer mit einem Messer verletzt, erschießen die Gangster den Jungen und nehmen das Haus unter Dauerfeuer aus ihren automatischen Waffen. Dabei kommt auch Manes Onkel ums Leben.

Um sich an Locke zu rächen, schließt Mane sich Karotte an.

Der Bandenkrieg eskaliert. Durch Überfälle auf Banken besorgen sich die verfeindeten Gangs das Geld für immer neue Waffenkäufe. Mane, der zunächst darauf bestanden hatte, dass Unschuldige geschont werden, tötet schließlich bei den Überfällen selbst Wachleute und rettet auf diese Weise Karotte einmal das Leben.

Wütend stellt Locke fest, dass die Zeitung zwar Fotos seiner Feinde veröffentlicht, seinen Namen jedoch nicht einmal erwähnt. Deshalb will er sich fotografieren lassen. Aber seine Spießgesellen kommen mit der verfügbaren Kamera nicht zurecht und einer von ihnen holt deshalb Buscapé, der davon träumt, Fotoreporter zu werden. Der Film wird bei der Zeitung entwickelt, für die Buscapé als Ausfahrer arbeitet. Eine Reporterin entdeckt die Abzüge und veröffentlicht eines der Fotos auf der Titelseite.

Da sich noch nie ein Fotoreporter in die „Stadt Gottes“ wagte, sind die Fotos eine Sensation, und Buscapé wird überredet, weitere Bilder zu liefern.

Locke feiert mit seinen Anhängern ein Fest. Ein Huhn, das geschlachtet werden soll, rennt gackernd und flügelschlagend davon, und die Gangster laufen ihm lachend durch die Straßen nach. Zufällig kommt Buscapé dazu. Die Bande bleibt stehen und fordert ihn auf, das entlaufene Huhn zu packen. In diesem Augenblick taucht hinter Buscapé eine Polizeistreife auf. Buscapé steht zwischen den Fronten. Doch angesichts der schwer bewaffneten Gang ziehen die Polizisten sich zurück, um Verstärkung zu holen – und die übermütigen Gangster posieren für Buscapé.

Da eröffnen Karotte und Mane das Feuer auf die Feinde. Als ein angeschossener Junge hört, dass sein Retter „Mane“ gerufen wird, weiß er, dass er den Mörder seines Vaters vor sich hat und erschießt ihn hinterrücks, bevor er selbst stirbt. Locke und Karotte werden verhaftet. Buscapé beobachtet, wie Polizeibeamte die beiden trennen, von Locke einen Koffer voll Geld kassieren und ihn laufen lassen. Aus seinem Versteck heraus fotografiert Buscapé auch, wie Locke anschließend von einer Kinderbande erschossen wird.

Er überlegt: Wenn er in der Redaktion das Foto von Lockes blutüberströmter Leiche abgibt, erhält er bestimmt einen festen Job als Fotoreporter. Wenn er der Zeitung auch die Fotos von der Geldübergabe überlässt, wird er ein Held, muss aber mit der Rache der Polizisten rechnen. – Er riskiert lieber nicht sein Leben und behält sein Wissen für sich.

Eine Kinderbande zieht durch die Gassen der „Stadt Gottes“. Die Kids überlegen, wen sie töten sollen. Einige von ihnen haben gehört, dass man die Namen von Männern, die erschossen werden sollen, auf eine „schwarze Liste“ schreibt. Aber sie können noch gar nicht schreiben.

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Paulo Lins wurde 1958 geboren und wuchs ab Mitte der Sechzigerjahre in Cidade de Deus auf. Unter Menschen, die kaum lesen und schreiben konnten, fiel er als Leser von Büchern auf. Dann schrieb er Gedichte und Samba-Texte für eine örtliche Band. Als einer der wenigen Schwarzen aus den Favelas erhielt er ein Stipendium für ein Universitätsstudium. In den Achtzigerjahren kehrte er mit einem Soziologen für eine Studie über Armut und Kriminalität nach Cidade de Deus zurück und interviewte 400 Bewohner. Ein Verleger ermunterte ihn schließlich, daraus einen Roman zu machen: „Cidade de Deus“ („Die Stadt Gottes“, Übersetzung: Nicolai von Schweder-Schreiner, Blumenbar Verlag, München 2004, 494 Seiten).

Für das Drehbuch von „City of God“ wählte Bráulio Mantovani einige der 300 Romanfiguren aus. Er versuchte nicht, aus den unzähligen Episoden des Buches einen Handlungsstrang herauszuschälen, sondern knüpfte in vielen Rückblenden ein Geflecht von Einzelschicksalen. Im Unterschied zum Roman, der ohne Hauptfigur auskommt, führte Bráulio Mantovani einen Erzähler und Beobachter ein (Buscapé), der das Geschehen aus dem Off erläutert und selbst eine Nebenrolle spielt.

„Immer wieder scheint ‚Cidade de Deus‘ seine Form zu sprengen, sich in tausend Anekdoten und Erzählungen zu verlieren, von einer Figur zur nächsten zu jagen im endlosen Reigen lokaler Legenden. Aber immer wieder findet er magisch auf seinen Weg zurück, verknüpft die roten Fäden, die das Leben in der Stadt Gottes zusammenhalten.“ (Tobias Kniebe in „Süddeutsche Zeitung“, 7. Mai 2003).

Fernando Meirelles wertet nicht, zeigt auch keine Lösungsmöglichkeiten auf, sondern es geht ihm in „City of God“ ausschließlich darum, die grausame Realität in den Favelas so authentisch wie möglich wiederzugeben.

In ockerfarbigen Bildern, die an Western erinnern, zeigt Fernando Meirelles die Anfänge des Drogenhandels in der Cidade de Deus (City of God) in den Sechzigerjahren. Zehn Jahre später hat ein machtgeiler und mordlüsterner Drogenbaron die romantischen „Wild Angels“ beerbt. In dieser Phase sind die Farben bunter und die mit einer Handkamera aufgenommenen Einstellungen turbulenter. Zu Beginn der Achtzigerjahre, als sich die Gangster gegenseitig abknallen und die nächsten Kinder dabei sind, die Macht zu übernehmen, herrschen Grau- und Blautöne vor; die Handkamera rast völlig entfesselt mitten im Geschehen herum, und der hektische Schnitt wird immer wilder. „Wichtig war dabei dieses Gefühl, die Kontrolle zu verlieren“, erläutert Fernando Meirelles in einem Interview mit Frank Arnold. „Der Staat verliert die Kontrolle über die Slums, die Jungs übernehmen sie, verlieren dabei aber die Kontrolle über sich selber.“ („Süddeutsche Zeitung“, 8. Mai 2003)

Zwischendurch werden in „City of God“ Bilder eingefroren oder (wie bei „Lola rennt“) sekundenlang auf Zeitraffertempo beschleunigt. Einige Szenen werden aus verschiedenen Perspektiven mehrmals gezeigt.

Für einen aus Sao Paulo stammenden Werbefilmer wie Fernando Meirelles wäre es ohne Hilfe kaum möglich gewesen, in den Favelas von Rio de Janeiro zu drehen. Deshalb tat sich der Regisseur mit Kátia Lund zusammen, die zwar ebenfalls aus Sao Paulo kommt, von Amerikanern abstammt und mit ihren roten Haaren überall in Brasilien auffällt, aber bereits einige Filme in den Favelas von Rio de Janeiro gedreht und dort Freundschaften geschlossen hatte.

Damit „City of God“ authentisch wirkt, drehten Fernando Meirelles und Kátia Lund ausschließlich mit Laien. Innerhalb von 40 Tagen wurden von 2000 aus verschiedenen Vororten Rio de Janeiros stammenden Jungen im Alter von zwölf bis neunzehn Jahren Probeaufnahmen gemacht. Davon kamen 400 in die Vorauswahl. Schließlich durften 200 zweimal pro Woche an einem von acht Workshops teilnehmen, die Guti Fraga leitete, der Gründer einer Theatergruppe in der Favela Vidigal. Die Kinder und Jugendlichen erhielten dafür die Fahrtkosten erstattet und ein Mittagessen. Am Ende stand etwa die Hälfte von ihnen vor der Kamera.

Gedreht wurde allerdings nicht in der „City of God“. Das erschien Fernando Meirelles zu gefährlich. Der erste Teil des Films entstand in der Nova Sepetiba, einem Siedlungsprojekt am Rand von Rio de Janeiro, in dem die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen waren. Für den Rest wählte Fernando Meirelles eine Favela, die von einem vierzigjährigen Drogenbaron beherrscht wurde, der zu dieser Zeit im Gefängnis von Bangu einsaß. Er prüfte zuerst das Drehbuch, verlangte die Beschäftigung möglichst vieler Einwohner und legte die Preise fest.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

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