Wild

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Wild

Originaltitel: Wild – Regie: Nicolette Krebitz – Drehbuch: Nicolette Krebitz – Kamera: Reinhold Vorschneider – Schnitt: Bettina Böhler – Darsteller: Lilith Stangenberg, Georg Friedrich, Silke Bodenbender, Saskia Rosendahl u.a. – 2016; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Ania lebt allein; sie wohnt in einer Miets­kaserne und arbeitet als Informatikerin bei einer Werbeagentur. Auf dem Weg zur Bushaltestelle sieht sie am Rand des Stadtparks einen Wolf. Das verändert ihr Leben. Zuerst legt sie Fleisch für den Wolf aus, dann fängt sie ihn ein, betäubt ihn und bringt ihn in ein Zimmer ihrer Woh­nung. Als sich eine Nachbarin über den Gestank und den seltsamen Lärm be­schwert, lügt Ania, sie habe Handwerker gerufen, weil das WC verstopft sei ...
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Kritik

"Wild" handelt von der Selbst­befreiung einer Frau aus den gesell­schaft­lichen Zwängen, vom Gegen­satz zwischen dem Animalischen und der Zivilisation. Nicolette Krebitz hat einen provozierenden Film gewagt, der in keine Schublade passt.
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Ania Böttcher (Lilith Stangenberg) wohnt in einer Mietskaserne in Halle-Neustadt und arbeitet als Informatikerin bei einer Werbeagentur. Wenn der unentwegt telefonierende Chef Boris (Georg Friedrich) einen Ball gegen die Glaswand seines Büros wirft, signalisiert er den weiblichen Angestellten, dass er eine Tasse Kaffee haben möchte. Ania lässt sich von ihren Kolleginnen und Kollegen zu einer Party mitnehmen, erträgt jedoch kaum die billige Ausgelassenheit der anderen. Einen Freund hat sie nicht. In ihrer Freizeit übt sie in einem Schießstand.

Morgens und abends läuft sie auf dem Weg zwischen Wohnung und Bushaltestelle ein Stück am Stadtpark entlang. Eines Morgens entdeckt sie am Waldrand einen Wolf. Gebannt bleibt sie stehen und betrachtet das wilde Tier, das nach ein paar Sekunden ins Unterholz zurückkehrt.

Als Ania am Abend wieder zu Hause ist und den Wind um die Hausecken heulen hört, tritt sie ans offene Fenster und heult wie ein Wolf.

Sie kauft ein teures Stück Fleisch, geht in den Stadtpark und hängt es für den Wolf an einen Zweig. Weil es nach ein paar Tagen immer noch nicht heruntergerissen wurde, besorgt sie zwei Kaninchen und lässt sie im Stadtpark frei. Im Internet informiert sie sich darüber, wie man große Tiere fängt und betäubt.

Weil Boris keinen Führerschein hat, lässt er sich von Ania zu einem Lumpen verarbeitenden Betrieb fahren, der zu den Kunden der Agentur gehört. Am nächsten Morgen soll Ania den Lieferwagen wieder mitbringen. Stattdessen fährt sie erneut zu dem Betrieb und bietet drei der dort arbeitenden Vietnamesinnen (Kotti Yun, Laurie Young, Joy Bai) 100 Euro für die Beteiligung an einer Lappjagd. Sie knüpfen bunte Stofflappen an ein langes Seil, spannen es nachts im Stadtpark zwischen den Bäumen, entzünden Fackeln und engen den Raum für den Wolf wie bei einer Treibjagd immer stärker ein. Als er auftaucht, schießt Ania mit einem Blasrohr Betäubungspfeile auf ihn ab. Sie hievt ihn in den Lieferwagen, schleift ihn in den Aufzug ihres Mietshauses und legt ihn in ein vorbereitetes Zimmer ihrer Wohnung.

In die Wand hat sie ein Guckloch geschlagen. Am nächsten Tag setzt sie einen Motorradhelm auf, umwickelt sich mit einer Steppdecke, öffnet die Tür und setzt dem knurrenden Wolf einen Teller Fleisch vor.

Im Büro trifft sie verspätet ein. Spätabends lauert sie Boris auf und folgt ihm, als er betrunken aus einer Kneipe torkelt. Sie nimmt ihm die Geldscheine aus seiner Brieftasche ab. Damit kauft sie sich etwas in einem Schnellimbiss. Weil sie jedoch wie ein Tier frisst, wird sie hinausgeworfen.

Ania ermutigt eine Kollegin (Silke Bodenbender), sich vom Büstenhalter zu befreien.

Eine Nachbarin (Anne-Kathrin Gummich) beschwert sich über den Gestank und den seltsamen Lärm in Anias Wohnung. Sie habe Handwerker am arbeiten, weil das WC verstopft sei, lügt Ania.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Der Wolf durchbricht die Zimmerwand und kommt zu Ania ins Schlafzimmer. Zunächst flüchtet sie erschrocken, aber dann wagt sie sich zurück und überwindet ihre Furcht vor dem wilden Tier.

Nachts träumt sie, wie sie nackt auf der Kloschüssel sitzt, der Wolf der Spur der Kleckse ihres Menstruationsblutes am Boden folgt und sie dann leckend zum Orgasmus bringt. Nachdem sie sich angezogen hat, rutscht sie wie ein Kind übers Treppengeländer hinunter, um sich zwischen den Beinen zu stimulieren. Danach macht sie Frühstück. Sie lässt ein Hühnerei für den Wolf auf den Boden fallen, bereitet Rührei zu und sagt: „Guck mal, da ist ein Hühnerei. Kennst du doch bestimmt. Also ich esse Eier ohne Schale. Ich esse sie gerührt oder als Spiegelei.“

Ihre Schwester Jenny (Saskia Rosendahl) trennt sich von ihrem Lebensgefährten Oli (Frowin Wolter) und möchte wieder bei Ania einziehen, aber die erklärt ihr am Telefon, das gehe nicht, sie habe inzwischen jemanden bei sich und keinen Platz mehr.

Boris fällt Anias Veränderung auf. Zunächst glaubt er, sie sei verstört, weil ihr seit einiger Zeit im Krankenhaus liegender Großvater (Hermann Beyer) ins Koma gefallen ist und sie entscheiden soll, ob die Maschinen abgeschaltet werden oder nicht. Dann vermutet er, sie habe sich verliebt und fragt, was ihr neuer Freund mache. Ania antwortet: „Nichts, nur gut aussehen.“

Als Boris nach Dienstschluss noch einmal in die Firma kommt, ertappt er Ania, die soeben ihre Kündigung geschrieben hat, auf seinem Schreibtisch sitzt und mit zwei Mitarbeitern einer Reinigungsfirma (Tamer Yigit, Hayder Yilmaz) herummacht. Nachdem die Männer gegangen sind, kopuliert er selbst mit Ania, zieht sich jedoch im letzten Augenblick zurück und ejakuliert auf ihren Bauch. Ania ist enttäuscht darüber und versteht seine Vorsicht nicht. Sie will, dass er es gleich noch einmal mit ihr macht, aber er ist dazu nicht in der Lage. Nachdem er gegangen ist, hockt sie sich verärgert auf den Schreibtisch und entleert ihren Darm. Dann legt sie Feuer.

Ihre Nachbarin im Mietshaus klingelt und hämmert gegen die Tür, aber Ania öffnet nicht. Kurz darauf verlässt sie die Wohnung mit dem Wolf und bringt ihn aufs Flachdach hinauf.

Boris kommt ins Haus. Ihre Wohnungstür steht offen. Er geht hinein, hält sich wegen des Gestanks den Hemdkragen vor die Nase und sieht die Verwüstung. Wie vermutet, findet er sie auf dem Dach. Das Tier an ihrer Seite hält er für einen Hund. Was es für eine Rasse sei, fragt er. Er lädt Ania ein, zu ihm zu ziehen und verspricht ihr, für den Hund einen Stall zu bauen. Vergeblich warnt Ania ihn vor dem Zähne fletschenden Wolf, den sie schließlich nicht mehr halten kann: Das wilde Tier fällt Boris an.

Nachdem Ania die Notrufnummer angerufen hat, verschwindet sie mit dem Wolf. In einer unbewohnten Gegend versucht sie, wie das Tier aus einer Pfütze zu trinken und nagt auch an einer vom Wolf gefangenen Bisamratte.

Als ihr die Sonne ins Gesicht scheint, freut sie sich.

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Der Film „Wild“ von Nicolette Krebitz dreht sich um die Selbstbefreiung einer Frau aus den gesellschaftlichen Zwängen, um den Gegensatz zwischen dem ungezähmten Animalischen und der Zivilisation. Nicolette Krebitz regt zwar dazu an, gegen Konventionen aufzubegehren, propagiert jedoch kein nostalgisches „Zurück zur Natur!“. Frau und Wolf, das evoziert Furcht und Faszination zugleich.

Die Handlung ist unrealistisch, aber weder mystisch, noch märchenhaft. „Wild“ ist kein Fantasy-Film. In seiner Radikalität entzieht er sich einer Schubladisierung.

Mitunter gibt sich „Wild“ komödiantisch, etwa wenn Ania Frühstück macht und dem Wolf erzählt, sie ziehe es vor, Eier ohne Schale zu essen. Schwarzer Humor blitzt auf, wenn Ania die Wohnung verlässt und dem Kaninchen, das mit dem Wolf zurückbleibt, viel Glück wünscht. Nicolette Krebitz provoziert aber auch gezielt, beispielsweise wenn sie zeigt, wie Ania sich auf den Schreibtisch ihres Chefs hockt und defäkiert.

Die Dialoge sind spärlich, die Bilder betont kühl und alles andere als bunt.

Der Wolf wurde nicht am Computer generiert, sondern wir sehen abwechselnd zwei echte Wölfe des ungarischen Tiertrainers Zoltan Horkai.

„Wild“ wurde am 24. Januar 2016 beim Sundance Film Festival uraufgeführt.

2017 gab es für „Wild“ vier Deutsche Filmpreise: eine Bronze-„Lola“ für den Film und weitere Auszeichnungen in den Kategorien Bester Nebendarsteller (Georg Friedrich), Beste Kamera (Reinhold Vorschneider), Beste Tongestaltung (Rainer Heesch, Martin Steyer, Christoph Schilling).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017

Hanya Yanagihara - Ein wenig Leben
Der Roman "Ein wenig Leben" dreht sich um Judes Lebens- und Leidens­geschichte. Hanya Yanagihara fügt immer noch einen Schmerz hinzu – 957 Seiten lang. Außer den Freund­schaf­ten gibt es kaum Lichtblicke. Die Lektüre ist deshalb deprimierend.
Ein wenig Leben