Bernhard Kellermann : Der Tunnel

Der Tunnel
Der Tunnel Erstausgabe: S. Fischer Verlag 1913 Neuausgabe: Der Tunnel Nachwort: Bernd Noack ars vivendi, Cadolzburg 2015 978-3-86913-585-4, 315 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mit einer gewaltigen Anstrengung von Ingenieuren und Großindustriellen, Börsenspekulanten und Kleinaktionären sowie bis zu 180 000 Arbeitern gelingt es, Nordamerika und Europa durch einen 5000 km langen Eisenbahntunnel zu verbinden. Tausende bezahlen den extremen Kraftakt mit ihrem Leben.
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Kritik

In dem expressionistischen Roman stellt Bernhard Kellermann nicht nur die gigantische Materialschlacht des Tunnelbaus anschaulich dar, sondern auch die Verflechtung von Börse, Industrie und Medien sowie den Konflikt zwischen Arbeitern und Unternehmern.
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Mac Allan ist der Sohn eines Bergmanns. Vom fünften Lebensjahr an arbeitete er unter Tage. Als er 13 war, starben 272 Bergleute bei einer Grubenexplosion. Mac arbeitete sich in sieben Tagen an die Oberfläche. Aber sein Vater war unter den Toten. Die Presse berichtete ausführlich über das Unglück, und eine reiche Dame aus Chicago nahm sich des Waisenknaben an. Er wurde Ingenieur und erfand schließlich einen besonders harten Werkzeugstahl: Allanit. Mit seinen Stahlwerken in Buffalo brachte er es zu einem beträchtlichen Vermögen.

Verheiratet ist er mit Maud, einer 23-jährigen Frau, die sich für Musik begeistert. Die beiden haben eine kleine Tochter mit dem Namen Edith.

Durch den erfolgreichen Architekten Frank Hobby, mit dem sie befreundet sind, kommt Mac in Kontakt mit dem einflussreichen Milliardär Charles Horace Lloyd, der ständig von seiner eigenwilligen Tochter Ethel begleitet wird, die vier Jahre jünger als Maud ist. Lloyd engagiert sich für Mac Allans Projekt, den Atlantik zu untertunneln. Der Tunnel soll 100 km südlich von New York beginnen und im Golf von Biscaya enden. Zwischenstationen sind auf den Bermudas und den Azoren vorgesehen.

Der Tunnel in der Behringstraße wird bereits gebaut, und mit dem Bau des Dover-Calais-Tunnels soll noch in diesem Jahr begonnen werden. Mac sieht es so:

Der Dover-Calais-Tunnel hat eine Länge von rund fünfzig Kilometern. Mein Tunnel hat eine Länge von rund fünftausend Kilometern. Meine Aufgabe besteht demnach lediglich darin, die Arbeit der Engländer und Franzosen zu verhundertfachen …

Sobald die Vorbereitungen getroffen sind, lädt Charles Horace Lloyd die dreißig wichtigsten Vertreter des Großkapitals und der Großindustrie zu einer Besprechung auf dem Dachgarten des Atlantic-Hotels am Broadway in New York. Die fünf oder sechs zugelassenen Journalisten müssen sich verpflichten, die Neuigkeit bis zum Ende der Veranstaltung für sich zu behalten, und es wird sorgfältig darauf geachtet, dass sich keine weiteren Presseleute einschleichen.

Mac Allan erläutert den Versammelten sein Projekt und verpflichtet sich, dafür zu sorgen, dass in 15 Jahren Züge zwischen Amerika und Europa verkehren. Vierundzwanzig Stunden soll die Fahrt dauern.

Zehn Minuten nach der finanziellen Zusage der Magnaten kauft Mac Allan telegrafisch die bereits ausgesuchten Ländereien an den fünf Ausgangspunkten der Baustelle in den USA, auf den Bermudas, den Azoren und in Europa.

Die Nachricht schlägt wie eine Bombe ein. Während die Reedereien um ihr Geschäft fürchten, bucht ein Broker namens Hunter als Erster eine Tunnelfahrt von New York nach Europa.

Mit der Leitung des Atlantik-Tunnel-Syndikats wird S. Woolf betraut. Er heißt eigentlich Samual Wolfsohn und stammt aus Ungarn. Sein Vater arbeitete als Leichenwäscher und Totengräber. Mit 13 begann Samual eine Banklehre in Budapest, aber sein Ehrgeiz führte ihn bald über Wien, Berlin, London nach New York. Inzwischen gehört er zu den reichsten Geschäftsleuten der Welt.

Sowohl in den USA als auch in Europa werden die Menschen von einem Börsenfieber erfasst. Jeder, der es sich halbwegs leisten kann, kauft Anteile des Atlantik-Tunnel-Syndikats.

Mac Allan stellt 180 000 Arbeiter ein. Ein Drittel davon ist zu jeder Zeit des Tages, an jedem Tag der Woche im Einsatz. Parallel zum Tunnelvortrieb werden gigantische Gezeitenkraftwerke für die Energieversorgung der Züge und Entlüftungspumpen gebaut. An den Tunnelöffnungen entstehen regelrechte Städte.

In „Mac City“, der amerikanischen Tunnelstadt, leitet Maud Allan ein Rekonvaleszentenheim für Frauen und Kinder; sie gründet eine Handarbeits- und Haushaltungsschule für Mädchen, Kindergärten, einen Frauenklub mit kulturellem Angebot und kümmert sich um die Hygiene der Arbeiterwohnungen.

Für jeden Handgriff ermittelt Mac die Methode, die am meisten Kraft, Geld und Zeit spart, und er sorgt für eine konsequente Arbeitsteilung im Sinne des Taylorismus. Dass jeden Tag Verwundete und häufig auch Tote zu beklagen sind, lässt sich nicht vermeiden. 1713 Tote sind es in den ersten sechs Jahren.

Maud ist zwar stolz auf ihren Mann, der in der ganzen Welt gefeiert wird, aber sie ist unzufrieden, weil er keine Zeit mehr für sie und die Tochter hat. Frank Hobby dagegen ist mit Edith vertraut wie ein Vater — und Maud überlegt, ob sie mit ihm glücklicher als mit Mac geworden wäre.

Im siebten Baujahr, nach knapp einem Drittel der Bauarbeiten, ereignet sich 340 km vom amerikanischen Tunneleingang entfernt eine gewaltige Explosion. Auf einer Länge von drei Meilen wird der Stollen nahezu vollständig zerstört. Da sich wegen des Schichtwechsels doppelt so viele Arbeiter wie sonst in der Nähe der Unglücksstelle aufhalten, kommen 2900 von ihnen ums Leben.

30 000 Menschen drängen ins Freie. Die Frauen in Mac City, die um ihre Männer bangen, ziehen aufgebracht durch die Straßen. Als sie auf Maud und Edith stoßen, werfen sie Steine und töten die beiden.

Die Arbeiter weigern sich, wieder in den Tunnel einzufahren und streiken. 50 000 demonstrieren in New York. Alle 180 000 werden entlassen. Das bedeutet für sie Arbeitslosigkeit und Not. Damit der Stollen nicht verwahrlost, halten 8000 Ingenieure und Volontäre einen Notbetrieb aufrecht.

Ein Jahr später stellt sich heraus, dass S. Woolf 7 Millionen Dollar des Syndikats unterschlug, um nach dem Verlust von sehr viel eigenem Geld an der Börse weiterspekulieren zu können. Aber auch die neuen Geschäfte verlaufen ungünstig. Sein Vertreter Rasmussen erschießt sich, und S. Woolf selbst wirft sich vor eine U-Bahn. Aufgrund der Pressemeldungen stürzt der Kurs der Aktien des Atlantik-Tunnel-Syndikat ab. Die vor sieben Jahren mobilisierten Kleinaktionäre sind ruiniert.

Am 2. Januar werden Dividenden fällig. Schon während der Nacht versammeln sich 30 000 Menschen vor dem Syndikatsgebäude in New York. Als an einigen Schaltern das Wechselgeld ausgeht, wird das Hochhaus gestürmt und in Brand gesteckt. Der Schaden ist zwar weitgehend durch Versicherungen abgedeckt, aber das Atlantik-Tunnel-Syndikat muss endgültig Konkurs anmelden.

Fenster von Hotels, in denen Mac Allan sich aufhält, werden eingeworfen. Er muss New York verlassen, aber auch in Chicago kann er nicht bleiben. Erst in Kanada findet er Ruhe. In den Zeitungen werden Gerüchte über seinen Selbstmord verbreitet. Als in New York Anklage gegen ihn erhoben wird, stellt er sich dem Gericht und gibt während der Verhandlung ehrlich zu, dass die 15 Jahre Bauzeit nur im besten Fall ausgereicht hätten. So fällt es dem Staatsanwalt leicht, die ohnehin wegen der aufgebrachten Öffentlichkeit verängstigten Geschworenen davon zu überzeugen, dass Mac Allan des Betrugs schuldig ist. Der Richter verurteilt ihn zu sechs Jahren und drei Monaten Haft.

In der zweiten Instanz wird das Urteil bestätigt. Erst der Supreme Court spricht Mac Allan frei.

Ethel Lloyd kümmert sich um ihn, aber er antwortet nicht auf Einladungen und verschanzt sich hinter seinen Mitarbeitern. Doch Ethel passt ihn ab und überredet ihn, eine Einladung ihres Vaters anzunehmen. Mac durchschaut, dass ihm Ethel den Weiterbau des Tunnels mit Hilfe ihres Vaters ermöglichen will, um ihn für sich zu gewinnen. Nach vergeblichen Versuchen, andere Geldgeber zu gewinnen, lässt er sich darauf ein, mit Ethel allein in einer Loge im Madison-Square-Palast gesehen zu werden. Am nächsten Tag steigen die Aktien des Syndikats.

Obwohl Ethel sich keine Illusionen darüber macht, dass Mac sie nicht liebt, heiratet sie ihn.

Im dritten Ehejahr wird sie von einem Sohn entbunden: Mac junior. Sie lässt eine Stahlkammer als Schlafzimmer für ihn bauen und achtet darauf, dass er nirgendwo allein bleibt, denn sie lebt in ständiger Sorge um ihn.

Erneut werden 100 000 Arbeiter eingestellt. Im fünfzehnten Baujahr treffen die von den USA und von den Bahamas vorgetriebenen Stollen aufeinander. Daraufhin steigen die Aktien des Syndikats um 20 Prozent. Sechs Jahre später ist auch der Tunnel zwischen Frankreich und den Azoren fertiggestellt.

Die Menschen arbeiteten hier vollkommen nackt. Wie schmutzige, ölige Molche glitten sie da unten im Stollen hin und her, halb bewusstlos, durch Reizmittel aufrecht erhalten.

Nach 24 Jahren Bauzeit reichen sich die amerikanischen und die europäischen Bautrupps 6000 m unter dem Meeresspiegel die Hand. Bis die Gesamtstrecke befahrbar ist, dauert es noch einmal zwei Jahre. Mac Allan und sein Schwiegervater sind an Bord des ersten Zuges, der mit bis zu 295 Stundenkilometern von Nordamerika nach Europa rast und nach 24 Stunden und 12 Minuten dort eintrifft.

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Mit einer gewaltigen Anstrengung von Ingenieuren und Großindustriellen, Börsenspekulanten und Kleinaktionären sowie bis zu 180 000 Arbeitern gelingt es, Nordamerika und Europa durch einen 5000 km langen Eisenbahntunnel zu verbinden. Tausende bezahlen den extremen Kraftakt mit ihrem Leben. Bernhard Kellermann stellt nicht nur die gigantische Materialschlacht anschaulich dar, sondern auch die Verflechtung von Börse, Industrie und Medien sowie den Konflikt zwischen Arbeitern und Unternehmern. Als das ehrgeizige Projekt nach 26 Jahren verwirklicht ist, hat es einige der ursprünglich erwarteten Vorteile eingebüßt, denn während dieser Zeit sind auch die Dampfer schneller geworden, und Luftschiffe fliegen über den Atlantik. Die technischen Anlagen des Tunnels sind längst überholt. Damit zeigt Bernhard Kellermann auch die Ambivalenz zunächst fortschrittlich erscheinender technischer Großprojekte.

Der expressionistische Roman erschien im April 1913. Innerhalb eines Monats wurden 10 000 Exemplare verkauft, und nach einem halben Jahr betrug die Auflage bereits 100 000. Damit gilt „Der Tunnel“ als erster deutscher Bestseller des 20. Jahrhunderts.

Bereits 1914 kam eine Verfilmung durch William Wauer in die Kinos. 19 Jahre später drehte Kurt Bernhardt eine weitere Fassung.

„Der Tunnel“ – Drehbuch und Regie: William Wauer – Kamera: Axel Graatkjaer – Darsteller: Felix Basch, Hans Halden, Friedrich Kayssler, Fritz Massary u.a. / Regie: Kurt Bernhardt – Buch: Kurt Bernhardt und Reinhardt Steinbicker – Kamera: Carl Hoffmann – Darsteller: Paul Hartmann, Olly von Flint, Gustaf Gründgens, Attila Hörbiger u.a.

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Inhaltsangabe und Kommentar: © Dieter Wunderlich 2002

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Diana Gabaldon mischt in ihrer bisher aus sechs Bänden bestehenden Saga Elemente aus verschiedenen Genres: historischer Roman, Fantasy, Science Fiction, Romanze bzw. Schnulze. Es geht um gefährliche Abenteuer und leidenschaftliche Liebe, Schrecken und Rührung.
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