Micmacs

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Micmacs. Uns gehört Paris! – Originaltitel: Micmacs à tire-larigot – Regie: Jean-Pierre Jeunet – Drehbuch: Jean-Pierre Jeunet, Guillaume Laurant – Kamera: Tetsuo Nagata – Schnitt: Hervé Schneid – Musik: Raphaël Beau – Darsteller: Dany Boon, Dominique Pinon, André Dussollier, Yolande Moreau, Jean-Pierre Marielle, Julie Ferrier u.a. – 2009; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Bazils Vater kommt ums Leben, als er in Algerien eine Landmine zu entschärfen versucht. Die Witwe wird darüber verrückt, und der Junge muss ins Waisenhaus. 30 Jahre später bleibt in Bazils Gehirn eine verirrte Pistolenkugel stecken. Während des Krankenhausaufenthalts verliert er Job und Wohnung. Schließlich wird der Obdachlose von einer skurrilen Gruppe aufgenommen, die in einer Höhle auf einem Schrottplatz haust. Die neuen Freunde helfen Bazil, sich an der Waffenindustrie zu rächen ...
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Kritik

Die comic-artige Groteske "Micmacs. Uns gehört Paris!" von Jean-Pierre Jeunet strotzt vor originellen, skurrilen und urkomischen Einfällen. Die Handlung ist dagegen zweitrangig.
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Bazils Vater (Régis Romele), ein französischer Sprengmeister, kommt ums Leben, als er in Algerien eine Landmine zu entschärfen versucht und dabei versehentlich eine Explosion auslöst. Die Witwe (Lara Guirao) wird verrückt, als sie die Nachricht erhält, und der Junge (Noé Boon) muss deshalb ins Waisenhaus.

30 Jahre später arbeitet Bazil (ab jetzt: Dany Boon) in einer Videothek in Paris. „Tote schlafen fest“ hat er so oft gesehen, dass er die Dialoge von Humphrey Bogart und Lauren Bacall auswendig kennt und mitsprechen kann. Eines Tages hört er Schüsse auf der Straße vor der Videothek und geht neugierig zur Tür. In diesem Augenblick kommt der Motorradfahrer, der geschossen hat, ins Schleudern und verliert seine Pistole. Sie wirbelt durch die Luft, schlägt auf den Boden auf, und dabei löst sich ein Schuss, der Bazil in die Stirn trifft.

Das Entfernen des Projektils aus dem Gehirn wäre riskant. Der Chirurg (Pascal Parisat) ist unschlüssig, ob er es versuchen soll oder nicht. Schließlich wirft er eine Münze – und bricht aufgrund des Ergebnisses die Operation ab.

Als Bazil aus dem Krankenhaus entlassen wird, erfährt er, dass seine Wohnung an einen anderen Mieter vergeben wurde, und Serge (Arsène Mosca), der Besitzer der Videothek, hat inzwischen anstelle von Bazil eine Frau namens Lola (Manon Le Moal) eingestellt. Die gibt ihm eine Patronenhülse mit, die sie auf der Straße vor der Videothek fand. Sie gehört wohl zu der Kugel in Bazils Schädel.

Bazil schläft im Freien und geht hin und wieder betteln, bis er von einem älteren Mann angesprochen wird. Der heißt Placard (Jean-Pierre Marielle) und behauptet, nur noch am Leben zu sein, weil die Guillotine bei seiner Hinrichtung zweimal klemmte und er deshalb begnadigt wurde. Placard nimmt Bazil mit zu einem Schrottplatz, dessen Besitzer er Max (Alain Raymond) nennt. Unter den Bergen von Schrott gibt es eine Höhle, in der ein halbes Dutzend skurriler Männer und Frauen hausen: die Schlangenfrau Caoutchouc (Julie Ferrier), die Vermessungskünstlerin Calculette (Marie-Julie Baup), Fracasse (Dominique Pinon), der sich aus Kanaonen schießen lässt und im Guinessbuch der Rekorde steht, Petit Pierre (Michel Crémadès), der kunstvolle Maschinen aus Schrott bastelt, Remington (Omar Sy), der sich nur in Redensarten ausdrückt, und die Köchin Tambouille (Yolande Moreau), das Oberhaupt dieser Außenseitertruppe, von der Bazil nun aufgenommen wird.

Bei der Suche nach verwertbarem Sperrmüll entdeckt Bazil zufällig die Konzernzentrale der Waffenschmiede, von der die in seinem Schädel steckende Patrone stammt. Er versucht, zum CEO François Marconi (Nicolas Marié) vorzudringen, wird aber von Sicherheitskräften des Unternehmens hinausgeworfen.

Auf Marconis Schreibtisch steht ein Bild des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Er sammelt Körperteile berühmter Persönlichkeiten, die er in Gläsern aufbewahrt: das Herz Ludwigs XIV., einen Daumen von Henri Matisse, ein Auge Mussolinis, abgeschnittene Fingernägelränder von Winston Churchill, einen Backenzahn Marilyn Monroes.

Bazil denkt sich einen Racheplan aus. Unterstützt wird er bei seinem Vorhaben von seiner neuen Ersatzfamilie. Mit einfallsreichen Täuschungsmanövern spielen Bazil und seine Freunde François Marconi und dessen Konkurrenten Nicolas Thibault de Fenouillet (André Dussollier) gegeneinander aus.

In dem Konkurrenzkampf sorgt Marconi dafür, dass Thibaults Waffenfabrik explodiert. Dann aber erkennen die beiden Unternehmer, dass sie hereingelegt wurden und einen gemeinsamen Gegner haben.

Als Bazil in Marconis Wohnung nach Belastungsmaterial sucht, überraschen ihn die beiden Waffenhändler. Im Kofferraum eines Autos bringen sie ihn weg. Aber Bazils Freunde hieven das Fahrzeug mit einem Kran des Schrotthändlers von der Straße, befreien den Gefangenen und entführen nun ihrerseits die Waffenhändler. Sie stülpen den beiden gefesselten Männern Säcke über den Kopf, fahren sie im Kreis herum und gaukeln ihnen mit Geräuschen vor, dass sie nach Nordafrika gebracht werden. Als Marconi und Thibault wieder etwas sehen, knien sie vor zwei ausgehobenen Gräbern und glauben, sich in einer Wüste zu befinden. Die vermeintlich arabischen Entführer stecken Marconi eine Handgranate in den Mund und zwingen ihn, auf Thibaults Schultern zu steigen, dem sie eine Tretmine unter den linken Fuß legen. Die beiden Männer, die weder ahnen, dass es sich bei den Sprengkörpern um Atrappen handelt, noch dass die Sandlandschaft künstlich angelegt wurde und gleich hinter den vermeintlichen Dünen Häuser stehen, gestehen in ihrer Todesangst, dass sie Sprengstoff für Terroranschläge lieferten und nicht nur der IRA und der ETA Waffen verkauften, sondern auch den Kriegsparteien in Darfur.

Dieses mit einer Videokamera aufgenommene Geständnis laden Bazil und seine Freunde bei YouTube hoch. Es wird millionenfach angeklickt. Die Aktenkurse der beiden Unternehmen brechen ein. Selbst Sarkozy distanziert sich von seinem bisherigen Freund Marconi. Den skrupellosen Waffenhändlern wurde das Handwerk gelegt.

Bazil und die Schlangenfrau Caoutchouc haben sich inzwischen verliebt und werden ein Paar.

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In der satirischen Komödie „Micmacs. Uns gehört Paris!“ erzählt Jean-Pierre Jeunet vom irrwitzigen Rachefeldzug eines Obdachlosen gegen die skrupellose Waffenindustrie. In diesem Kampf David gegen Goliath wird Bazil von einer Gruppe anderer Außenseiter unterstützt, die alle über eine besondere Fähigkeit verfügen. Diese skurrilen Figuren sind keine Charaktere, sondern Karikaturen, aber das passt zu der comic-artigen Handlung.

Der Plot ist allerdings gar nicht das Wesentliche an „Micmacs. Uns gehört Paris!“. Er dient nur als Vehikel für ein atemraubendes Feuerwerk grotesker, urkomischer und selbstironischer Einfälle, wie es für Jean-Pierre Jeunet typisch ist. Umwerfend ist beispielsweise eine in Sepiafarben getauchte Szene in einer U-Bahn-Station: Bazil entdeckt eine Straßensängerin, stellt sich hinter sie auf die andere Seite einer Säule und macht ihr mit einer Karaoke-Nummer Konkurrenz. Ein Riesenspaß ist auch die Episode, in der den beiden Waffenhändlern vorgetäuscht wird, sie würden nach Nordafrika gebracht.

Einmal taucht das Orchester, das den Soundtrack spielt, hinter Bazil auf und verschwindet dann wieder. Bei einer Verfolgungsjagd durchbricht ein Auto eine Bretterwand mit dem Filmplakat von „Micmacs à tire-larigot“. In einer anderen Szene landet Bazils durch den Schornstein abgeseiltes Abhörmikrofon im Kamin einer Wohnung aus dem Film „Delicatessen“: Julie (Marie-Laure Dougnac) spielt Cello und Louison (Dominique Pinon) bringt eine Säge zum Singen.

Fazit: Wer mehr an originellen Einfällen als an einer packenden Handlung interessiert ist, wird von Jean-Pierre Jeunet mit „Micmacs. Uns gehört Paris!“ hervorragend unterhalten. Viele der bis in die Details sorgfältig inszenierten Gags entdeckt man erst, wenn man den Film ein zweites Mal anschaut. Beim ersten Mal kann man gar nicht alle wahrnehmen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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