Petra Hammesfahr : Das Geheimnis der Puppe

Das Geheimnis der Puppe
Das Geheimnis der Puppe Erstausgabe: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung München 1991 283 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als die Werbegrafikerin Laura und ihr Ehemann, der Schriftsteller Tom, das zweite Kind erwarten, ziehen sie aufs Land. Zufällig handelt es sich um das Haus, in dem ihre Mutter Marianne vor 30 Jahren aus Hausmädchen gearbeitet hatte. Laura sucht nach Mariannes Spuren im Haus und hofft hier die Erklärung für deren psychische Krankheit zu finden ...
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Kritik

Petra Hammesfahr versteht es in "Das Geheimnis der Puppe", Atmosphäre und Spannung aufzubauen, in vermeintlich harmlosen Szenen unheilvolle Spuren zu legen und grausige Ahnungen aufkommen zu lassen. Sehr gekonnt entwickelt sie die Geschichte auf vier verschachtelten Ebenen.
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Wenn mir vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte, dass ich eines Tages glaube, was ich schreibe, ich hätte schallend aufgelacht […]

Mit diesem Satz beginnt Petra Hammesfahrs Roman „Das Geheimnis der Puppe“. Der Erzähler heißt Thomas („Tom“) Westhausen. Weil er der Sohn eines Arztes ist und die Praxis seines Vaters übernehmen sollte, studierte er ein paar Semester Medizin. Dann wechselte er jedoch zu Biologie, probierte es mit Jura, und schließlich brach er das Studium ganz ab. Vor neun Jahren befreundete er sich mit Laura, der Tochter des Staatsanwalts Bertram („Bert“) Robin. Die Abiturientin – ein Einzelkind wie Tom – war drei Tage nach ihrem zwanzigsten Geburtstag von zu Hause fortgelaufen, hatte sich ein möbliertes Zimmer genommen und sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, bis sie vor neuneinhalb Jahren in der Werbeagentur Weber und Wirtz anfing und sich dort zur Werbegrafikerin hocharbeitete. Als sie merkte, wie lebendig Tom erzählen kann, überredete sie ihn, einen Roman zu schreiben und suchte für sein Buch auch erfolgreich nach einem Verlag. „Tom Westhouse“ lautet sein Schriftstellername. Vor sechs Jahren, 1983, heirateten Tom und Laura. Tom erinnert sich, dass Laura auf dem Standesamt irrtümlich den 5. Oktober 1956 als Geburtsdatum angab und den Standesbeamten verwirrte, der in seinen Unterlagen den 7. November 1960 stehen hatte. Ein Jahr nach der Hochzeit wurde Laura schwanger, und im März 1985 brachte sie Danny zur Welt. Laura redet nicht viel über ihre Familie, aber ihr Verhältnis zu ihrer depressiven Mutter Marianne ist offenbar seit langer Zeit schwer gestört. Einmal erzählt Laura von einem Vorfall, der sich ereignete, als sie sechzehn war. Damals diskutierten sie in ihrer Klasse über eine schwangere Mitschülerin, die ihr Kind zur Adoption freigeben wollte. Mit dem Problem sollten die Gymnasiastinnen sich auch in einem Aufsatz beschäftigen. Als Laura die Hausaufgaben machte, schaute Marianne ihr über die Schulter. Sie las ein paar Zeilen des angefangenen Aufsatzes und regte sich über das Thema so auf, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Der Literaturagent Wolfgang Groner, mit dem Tom inzwischen zusammenarbeitet, vermittelt ihm einen Vertrag über die Verfilmung seines Horrorromans „Das Haus auf dem Hügel“ und ermutigt ihn, das Drehbuch selbst zu schreiben. Während Tom und Groner nach einem abgelegenen düsteren Gebäue als Vorlage suchen, kommt Laura auf die Idee, vor der in einigen Monaten erwarteten Geburt ihres zweiten Kindes in ein Anwesen auf dem Land zu ziehen. Von dem Vorschuss für die Verfilmung von „Das Haus auf dem Hügel“ können sie sich eine bescheidene Immobilie leisten. Ein Makler bietet ihnen ein 1936 gebautes Haus mit einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück in der Nähe des Dorfes Grottenherten an. In der Nachbarschaft steht nur ein Bauernhof, und der ist 500 Meter entfernt. Zwei Brüder, die das Haus von ihrem verstorbenen Vater erbten, wollen es verkaufen, denn der eine lebt in Berlin, der andere in Hamburg, und sie haben deshalb keine Verwendung dafür. Rechtsanwalt Steiner, ihr Vater, hatte bestimmt, dass sie nach seinem Tod in dem Haus wohnen müssten, aber sie fochten das Testament erfolgreich mit dem Argument an, er sei nicht mehr bei klarem Verstand gewesen. Steiner war von seiner Frau – der erfolgreichen Konzertpianistin Elisabeth Steiner – verlassen worden und hatte zuletzt allein in dem Haus gelebt. Dann hatte er sich bei einem Sturz auf der Kellertreppe das Rückgrat gebrochen und war tagelang hilflos dagelegen, bis ihn seine frühere Köchin fand. Er überlebte – allerdings gelähmt und offenbar auch geistig verwirrt, denn er sprach von einer kleinen Tochter, die ihn mit Wasser und Keksen am Leben gehalten habe. Weil die Gebrüder Steiner nicht mehr als die Hälfte des Marktwertes für das Haus verlangen, könnten Tom und Laura es sich leisten, aber der niedrige Preis irritiert Tom, und er handelt deshalb aus, dass sie erst einmal ein Jahr lang zur Miete in dem Haus wohnen und anschließend ein Vorverkaufsrecht ausüben können.

Während Tom das Haus mietet und mit Laura und Danny einzieht, machen Bert und Marianne Robin acht Wochen Urlaub in Spanien. Erst nach ihrer Rückkehr erfährt Bert die Neuigkeit bei einem Telefongespräch. Da stellt sich heraus, dass er sowohl Steiner als auch das Haus kannte: Marianne war als Hausmädchen bei den Steiners gewesen, bevor Bert sie geheiratet hatte. Sie hatte ihre Eltern früh verloren – den Vater durch einen Unfall und die Mutter kurz danach durch einen Selbstmord – und war Ende 1955 im Alter von sechzehn Jahren von den Steiners eingestellt worden. Steiner war damals Anfang dreißig und viel allein, weil seine Frau lange Konzertreisen machte. Von 1958 bis 1964 war Bert dann Steiners Sozius in dessen Kanzlei in Bedburg.

Zwei Brüder, Heinz und Rudolf Meisen, helfen Tom und Laura beim Tapezieren. Seltsamerweise besteht Laura darauf, sich ausgerechnet im früheren Dienstbotenzimmer einen Arbeitsraum mit einem Bett einzurichten. Das Vorhängeschloss an einer Klappe in diesem Zimmer lässt sie mit einem Seitenschneider entfernen. In der Abstellkammer hinter der Klappe sehen sie Gerümpel und große blaue, vermutlich mit alter Kleidung gefüllte Plastiksäcke. Laura lässt einen Sekretär Steiners in ihr Zimmer tragen. Nach und nach bricht sie die kleinen Fächer auf. Alte Rechnungen, ein Fotoalbum und Steiners Tagebuch kommen zum Vorschein. Im Januar 1956 schrieb Steiner, wie sehr er Elisabeth vermisste, die wieder einmal auf einer Tournee war. Im August 1956 stößt Laura auf folgende Notiz:

„Seit Tagen trage ich diesen schlimmen Verdacht mit mir herum. Ich glaube, sie ist schwanger. Es darf einfach nicht sein. Alles wäre zu Ende, wenn es so wäre. Sie spricht nicht mit mir darüber. Sie weicht mir aus. Und ich kann sie nicht fragen. Ich kann mich nicht aufraffen.“

Und im Juli 1957 heißt es:

„Sie haben es nicht weggeschafft, das weiß ich jetzt. Die Frauen stecken unter einer Decke. Tun so, als wäre nichts. Aber heute Morgen habe ich es wieder gehört.“

Was hat das zu bedeuten? War Elisabeth nach der Geburt ihrer beiden Söhne noch einmal schwanger? Vielleicht aufgrund eines Seitensprungs? Oder ungewollt von ihrem eigenen Mann?

Mehrmals stößt Tom auf eine billige Stoffpuppe. Obwohl er sie in die Abstellkammer hinter der Klappe im ehemaligen Dienstbotenzimmer wirft, liegt sie einige Tage später wieder irgendwo im Haus herum. Noch etwas ist seltsam: Auch wenn Laura nicht darin geschlafen hat, sieht das Bett in ihrem Zimmer morgens benutzt aus. Da sie immer wieder vergessen haben, nachts alle Türen und Fenster zu schließen, könnte sich jemand ins Haus geschlichen haben. Vielleicht das kleine, debil wirkende Mädchen, das Tom bereits bei der Hausbesichtigung im Garten sah? Es scheint sich hier herumzutreiben. Ist es die Tochter der Nachbarn? Tom findet es unerhört, dass jemand das Kind nicht strenger beaufsichtigt, überlegt, ob er das Jugendamt einschalten soll und sucht dann erst einmal den Dorfpfarrer auf. Der ist erst einige Jahre in der Gemeinde, aber er kennt die Familie Greewald auf dem Bauernhof und versichert Tom, dass da kein kleines Mädchen lebe.

Bei der ersten Begegnung mit Laura starrt Brigitte Greewald sie an. Offenbar kannte sie deren Mutter. Sie bestätigt es und erzählt, sie habe für die Steiners gekocht und den Haushalt geführt, während Marianne putzte und sich um die beiden Söhne kümmerte. Abends kehrte Brigitte stets auf den Bauernhof zurück, während Marianne ihr Zimmer im Souterrain des Hauses ihrer Arbeitgeber hatte.

Laura will wissen, was in dem Haus geschah. Sie ist überzeugt, dass es mit der psychischen Störung ihrer Mutter zu tun hat. Vergeblich drängt Tom sie, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Schließlich entdeckt sie ein etwa dreißig Jahre altes Foto ihrer Mutter, das im Dienstbotenzimmer aufgenommen wurde. Marianne liegt im Bett, hält sich die Decke mit beiden Händen vor den nackten Oberkörper und blickt ein wenig erschrocken und verlegen in die Kamera. Wer hat sie so fotografiert? Steiner?

Als Lauras Eltern erstmals zu Besuch kommen, wirkt Marianne zwar sehr steif, aber sie nimmt sich zusammen. Kurz danach erhängt sie sich.

Tom und Laura nehmen Brigitte Greewald mit zur Beerdigung. Anschließend trinken sie zu Hause noch eine Tasse Kaffee mit der Nachbarin. Als Tom sie rundheraus fragt, ob Steiner ein Verhältnis mit Marianne gehabt habe, beteuert Brigitte statt einer Antwort, Steiner habe seine Frau sehr geliebt.

Das seltsame Kind, das kein Wort spricht und auch nichts isst, bleibt inzwischen fast ständig im Haus. Laura badet das Mädchen und kleidet es neu ein. Sie will auf keinen Fall, dass Tom die Polizei verständigt, denn dann müsste das Kind in ein Heim. Laura denkt bereits darüber nach, es zu adoptieren und gibt ihm einen Namen: Anna.

Bei einem Besuch seines Schwiegervaters äußert Tom die Vermutung, dass Steiner die damals sechzehnjährige Marianne geschwängert habe. Er nimmt an, dass Brigitte ihr half, das Neugeborene vor den Steiners zu verbergen. Steiner wusste wohl von dem Kind, wollte aber nichts damit zu tun haben. Seine Frau ahnte vermutlich etwas und trennte sich deshalb von ihm. Marianne kam nie über das Trauma hinweg: Sie hatte ihr eigenes Kind tagsüber wegsperren müssen. Es war deshalb geistig zurückgeblieben. Tom fragt seinen Schwiegervater, der ihm ungläubig zuhört, nach der Tochter, die Steiner nach seinem Unfall erwähnte, aber Bert hält das für eine Fantasiegestalt des geistig verwirrten Mannes, der sie sogar in seinem Testament erwähnte: Er wollte seine Söhne verpflichten, nach seinem Tod für das Kind in dem Haus zu sorgen, denn es habe ihm das Leben gerettet.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Am 5. Oktober 1989, sieben Wochen vor dem errechneten Termin, kommt Laura im Badezimmer plötzlich mit einer Tochter nieder. Die beiden werden ins Krankenhaus gebracht, aber das kleine Mädchen ist trotz der Frühgeburt schon so kräftig, dass es nicht in einen Inkubator muss. Es erhält den Namen Tessa.

Tom arbeitet an seinem Drehbuch, als er jemand vor dem Haus rufen hört: „Wo bist du denn?“ Es ist der 6. November. Er blickt aus dem Fenster und sieht eine Frau, die wie Laura aussieht, aber frisiert und gekleidet ist wie es vor dreißig Jahren üblich war: Marianne! Sie ist untot wie das Kind, das zu ihr läuft und mit ihr zur Straße geht.

Laura kann es nicht glauben, dass ihre tote Mutter das Kind abgeholt hat. Sie glaubt, Anna verstecke sich in der Abstellkammer und drängt Tom, die Müllsäcke und das Gerümpel herauszuholen. In einer Ecke stößt er auf die mumifizierte Leiche des kleinen Mädchens. Marianne muss das Kind – Lauras Halbschwester – vor dreißig Jahren hier zurückgelassen haben.

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Eigentlich mag ich weder Horror- noch übersinnliche Geschichten, aber den Roman „Das Geheimnis der Puppe“ habe ich gern gelesen, denn Petra Hammesfahr versteht es, Atmosphäre und Spannung aufzubauen, in vermeintlich harmlosen Szenen unheilvolle Spuren zu legen und grausige Ahnungen aufkommen zu lassen. Sehr gekonnt entwickelt Petra Hammesfahr die Geschichte auf vier verschachtelten Ebenen: Da berichtet erst einmal die Nebenfigur Tom in der ersten Person Singular über die aktuellen Ereignisse. Zwischendurch denkt er bei der Arbeit an seinem Drehbuch auch über Szenen für den Film „Das Haus auf dem Hügel“ nach, die wie eine Persiflage auf die Romanhandlung wirken. Parallel dazu wird ein wesentlicher Teil des Geschehens in kursiv gedruckten Abschnitten in der dritten Person Singular aus der Sicht eines kleinen Mädchens geschildert. Außerdem liest Laura dreißig Jahre alte Passagen in Steiners Tagebuch.

Auch gute Autoren wie Petra Hammesfahr sind nicht vor Sprachschnitzern gefeit. Beispiel: „Das dunkelblonde Haar war schon von grauen Schläfen durchzogen und lichtete sich bereits.“

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung

Petra Hammesfahr: Bibliografie

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