Paolo Giordano : Die Einsamkeit der Primzahlen

Die Einsamkeit der Primzahlen
Originalausgabe: La solitudine dei numeri primi Mondadori, Mailand 2008 Die Einsamkeit der Primzahlen Übersetzung: Bruno Grenzler Karl Blessing Verlag, München 2009 ISBN: 978-3-89667-397-8, 365 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Alice und Mattia werden als Kinder traumatisiert. Mattia schneidet sich noch als Jugendlicher zwanghaft in die Arme, um sich dafür zu bestrafen, dass er als Achtjähriger nicht auf seine autistische Zwillingsschwester aufpasste. Alice hält sich infolge eines als Kind erlittenen Skiunfalls, für den sie ihren Vater verantwortlich macht, für unattraktiv und leidet unter Magersucht. Während Alice von anderen gemieden wird, kapselt Mattia sich selbst ab ...
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Kritik

"Die Einsamkeit der Primzahlen" ist ein realistischer, stilistisch schnörkelloser Roman. Paolo Giordano erzählt ebenso nüchtern wie einfühlsam und veranschaulicht komplexe Zusammenhänge in eindringlichen Bildern.
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Obwohl die siebenjährige Alice nicht Skilaufen mag, reist ihr Vater, der Rechtsanwalt Della Rocca, 1983 mit ihr zum Mont Fraitève in Piemont und zwingt sie zur Teilnahme an einer Skischule. Weil sie jedes Mal, wenn sie aus dem Sessellift aussteigt, zwanghaft urinieren muss, hockt sich dazu etwas abseits von der Gruppe in den Schnee und tut so, als überprüfe sie die Bindungen. An diesem Morgen verhindert Nebel, dass sie dabei von den anderen und dem Skilehrer Eric gesehen wird, und auf Rufe reagiert sie nicht, nachdem sie gemerkt hat, dass sie ihre Hose nicht nur mit Urin besudelt hat. Sobald die Gruppe weg ist, beginnt Alice, allein abzufahren. Dabei stürzt sie und kann nicht mehr aufstehen.

Alice rief um Hilfe, doch ihre schwache Stimme wurde vom Nebel verschluckt. Noch einmal versuchte sie, sich zu erheben oder zumindest ein wenig zu drehen. Aber es war nichts zu machen. (Seite 21)

Mattia Balossino und seine autistische Zwillingsschwester Michela sind genauso alt wie Alice und wohnen in derselben oberitalienischen Stadt, aber sie kennen sich nicht. Michela wird in der Schule gemieden; ihr Bruder sitzt neben ihr und kümmert sich in einer Mischung aus Wut und Loyalität um sie. Als die beiden 1984 – also mit acht – endlich einmal von einem Mitschüler zur Geburtstagsfeier eingeladen werden, freut sich ihre Mutter Adele, kleidet sie neu ein und kauft ein viel zu teures Geschenk. Mattia würde lieber allein zu Riccardo Pelottis Party gehen, aber Adele Balossino besteht darauf, dass er seine Schwester mitnimmt. Weil er befürchtet, dass Michela wieder etwas tun könnte, wofür er sich dann glaubt schämen zu müssen, lässt er sie auf einer Anlagenbank im Park zurück und erzählt Riccardos Mutter, seine Schwester sei krank geworden. Als er zurückkommt, ist Michela nicht mehr da, und Mattia ruft vergeblich nach ihr. Am Ufer des Flusses, der die eine Seite des Parks begrenzt, hebt er eine Glasscherbe auf, sticht sich damit in die Hand und dreht den Splitter hin und her, damit er tiefer eindringt.

Mattia bringt zwar hervorragende Schulnoten nach Hause, aber seine Eltern machen sich Sorgen, weil er sich zum Einzelgänger entwickelt, seit seine Schwester vermisst wird. Wahrscheinlich ertrank sie, aber ihre Leiche wird nie gefunden. Bald sind Mattias Arme von Narben entstellt, denn so wie mit der Glasscherbe am Flussufer verletzt er sich weiterhin zwanghaft. Als er wegen seiner Verhaltensstörung mit fünfzehn die Schule wechseln muss, verliebt sich einer der neuen Klassenkameraden in ihn und weicht kaum noch von seiner Seite. Im Biologiesaal deutet Denis an, dass er Mattia ein Geheimnis anvertrauen wolle und fragt ihn, ob er nicht auch eines habe. Da schneidet dieser sich vor den Augen des Mitschülers mit einem Seziermesser tief in die Hand.

Alice wurde 1983 zwar nach einiger Zeit gerettet, aber ihr linkes Bein blieb steif, und aufgrund einer Unterleibsverletzungen wird sie keine Kinder bekommen können. Sie hält sich für hässlich, vor allem zu dick, und wirft ihrem Vater vor, ihr das alles angetan zu haben. Dass sie beim Essen das meiste von ihrem Teller heimlich in die Serviette schiebt und diese dann in die Toilette entleert, merken die Eltern nicht. Nur der langjährigen Haushälterin der Familie Della Rocca fällt es auf.

Soledad stammt aus Ecuador und trägt nur schwarze Kleidung, denn seit sie in Italien ist, gibt sie vor, Witwe zu sein. In Wirklichkeit wurde sie von ihrem Ehemann wegen einer anderen Frau verlassen.

In der Schule wird Alice von der „Vier-Zicken-Phalanx“ (Seite 62) gemobbt, beispielsweise gezwungen, im Umkleideraum ein ekelhaft verschmutztes Fruchtgummi zu schlucken. Viola Bai, die Anführerin, wurde zwar vom betrunkenen Freund ihrer acht Jahre älteren Schwester Serena defloriert, aber die erotischen Abenteuer, mit denen sie sich vor ihren Anhängerinnen Giada Savarino, Federica Mazzoldi und Giulia Mirandi brüstet, sind erlogen.

Die Mädchen sind fünfzehn, als Viola beschließt, Alice mit einem Jungen zu verkuppeln. Zu diesem Zweck lädt sie außer Alice und ihrer Clique die Mitschüler Mattia und Denis zu ihrer Geburtstagsparty ein. Alice ist begeistert. Um Viola zu imponieren, will sie sich um den Bauchnabel ein Stiefmütterchen tätowieren lassen. Weil ihr der Vater das nicht erlaubt, fordert sie Soledad auf, sie ins Tattoo-Studio zu begleiten und sich dort als ihre Mutter auszugeben. Die Haushälterin sträubt sich, aber Alice erpresst sie, indem sie damit droht, ihren Eltern zu verraten, was vor vier Jahren geschah: Damals ertappte sie Soledad mit nacktem Oberkörper und einem Mann in der Kammer.

Während der Geburtstagsfeier drängt Viola Alice, sich mit Mattia in ihr Zimmer zurückzuziehen, während die Clique Denis in einer Ecke des Wohnzimmers umringt und Giulia ihn küsst. In Violas Zimmer zieht Alice ihre Hose und den Slip ein Stück herunter, um Mattia ihre Narbe zu zeigen. Auf die Frage, ob er sie küssen wolle, reagiert er nicht. Also gehen sie wieder zu den anderen zurück. Neidisch beobachtet Viola, dass sie sich an der Hand halten. Bevor sie einen weiteren Gedanken fassen kann, kotzt Giada auf den Fußboden.

Am nächsten Tag möchte Alice, die sich jetzt zugehörig fühlt, Viola ihr Tattoo zeigen, aber dazu kommt es nicht mehr, denn die Anführerin der Clique hat inzwischen beschlossen, Alice wieder zu mobben. Als Erstes behauptet sie, das von Alice zur Geburtstagsfeier mitgebrachte Dessert sei vergiftet gewesen. Deshalb hätten sie, Giada, Federica und Giulia sich übergeben müssen. Nach der Unterrichtsstunde passt Alice frustriert Mattia ab und verlangt von ihm, ihr in eine Toilettenkabine zu folgen. Dort fordert sie ihn auf, ihr Tattoo mit einer Spiegelscherbe, die sie mitgebracht hat, zu zerstören.

Sie kam seinem Protest zuvor.
„Ich weiß, dass du das kannst“, sagte sie. „Ich will dieses Scheiß-Tattoo nie mehr sehen. Bitte, tu es für mich.“
[…] Schließlich strich er unsicher über die Tätowierung, über ihre Haut, um sie ein wenig zu straffen. So nah war sein Gesicht einem Mädchenkörper noch nie gewesen, und instinktiv atmete er tief ein, um den Geruch zu schmecken.
Seine Hand war ruhig, als er die Spiegelscherbe Alices Leib näherte und die Haut mit einem kurzen Schnitt, nicht länger als eine Fingerkuppe, öffnete. Alice zitterte, und sie schrie auf.
Erschrocken zog Mattia die Klinge zurück und verbarg sie hinter seinem Rücken […]
„Ich kann das nicht“, murmelte er.
Er blicke auf. Alice weinte leise. Ihre Augen waren geschlossen, vor Schmerz zusammengekniffen.
„Aber ich will sie nicht mehr sehen“, wimmerte sie.
Es war offensichtlich, dass sie der Mut verlassen hatte, und Mattia fühlte sich erleichtert. Er stand auf. (Seite 136f)

Alice und Mattia freunden sich an.

Wie mit angehaltenem Atem hatten sie die Zeit durchlebt, Mattia, indem er die Welt mied, und Alice, indem sie sich von der Welt gemieden fühlte. (Seite 141)

Mattia, der 1994 Mathematik zu studieren beginnt, vergleicht sich und Alice mit Primzahlen:

Primzahlen sind nur durch 1 und durch sich selbst teilbar. Sie haben ihren festen Platz, eingeklemmt zwischen zwei anderen, in der unendlichen Reihe natürlicher Zahlen, stehen dabei jedoch ein Stück weiter draußen. Es sind misstrauische, einsame Zahlen. Deshalb fand Mattia sie auch wunderbar und dachte manchmal, dass sie irrtümlich in dieser Folge, aufgereiht wie Perlen einer Halskette, gelandet waren […]
In einem Seminar im zweiten Semester hatte Mattia gelernt, dass einige Primzahlen noch einmal spezieller als die anderen sind. Primzahlenzwillinge werden sie von Mathematikern genannt: Paare von Primzahlen, die nebeneinander stehen, oder genauer, fast nebeneinander, denn zwischen ihnen befindet sich immer noch eine gerade Zahl, die verhindert, dass sie sich tatsächlich berühren. Zahlen wie 11 und 13, wie 17 und 19 oder 41 und 43 […]
Für Mattia waren sie beide, Alice und er, genau dies, Primzahlenzwillinge, allein und verloren, sich nahe, aber doch nicht nahe genug, um sich wirklich berühren zu können. (Seite 155f)

Seine Diplomarbeit schreibt Mattia 1998 über die Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion.

Denis‘ Liebe verglimmt. Fürs sechste Semester geht er an eine spanische Universität. Dort verliebt er sich in den Italiener Valerio, und sie leben einige Monate zusammen. Zurück in Italien, verlieren sie sich wieder aus den Augen.

Weil Mattia mit zweiundzwanzig noch keinen Führerschein hat, nimmt Alice ihn im Auto mit. 1998 hält sie am Park, um mit ihm spazieren zu gehen, aber er weigert sich, an diesem Ort auszusteigen und erzählt ihr dann in einem ununterbrochenen Wortschwall, wie er hier seine Zwillingsschwester verlor.

Alice weigert sich, den Vorstellungen ihres Vaters entsprechend zu studieren. Stattdessen überredet sie Marcello Crozza, den Inhaber eines Fotostudios, sie auszubilden.

Fernanda Della Rocca liegt in der onkologischen Abteilung des Krankenhauses Maria Ausiliatrice im Koma. Die Ärzte können ihr nur noch Morphium geben. Bei einem Besuch am Krankenbett ihrer Mutter lernt Alice den jungen Arzt Dr. Fabio Rovelli kennen. Sie verabreden sich und treffen sich dann häufiger. Als er sie zum Essen einlädt, muss Alice sich zwingen, etwas von ihrer Portion zu sich zu nehmen, obwohl es sie würgt. Sobald er in den Keller geht, um eine weitere Flasche Wein heraufzuholen, springt sie auf und schüttet den Rest von ihrem Teller ins WC. Aber eine gefüllte Tomate verstopft den Abfluss.

Eine englische Universität bietet Mattia 1998 ein Forschungsstipendium für vier Jahre an. Er ist unentschlossen, ob er es annehmen oder wegen Alice in Italien bleiben soll. Während er noch überlegt, verstört ihn ein unangekündigter Besuch Alices. Sie spürt die Spannung. Dann entdeckt sie den Brief aus England. Ohne lange nachzudenken, erklärt sie Mattia zornig, er brauche sich keine Gedanken um sie zu machen, denn sie habe inzwischen einen anderen Mann gefunden. Daraufhin nimmt er das Angebot an.

2003 erhält das Fotostudio von Marcello Crozza den Auftrag, Hochzeitsfotos von Viola und ihrem Bräutigam Carlo zu machen. Alice geht allein hin und hetzt das Brautpaar nach der kirchlichen Trauung trotz sommerlicher Hitze so lange im Freien herum, bis Viola ebenso verschwitzt wie wütend mit Carlo flüchtet. Da zieht Alice lachend den Film aus der Kamera und hält ihn in die Sonne.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

In England wird Mattia 2007 von seinem Kollegen Alberto Torcia und dessen Ehefrau zusammen mit der drei Jahre älteren Mathematikerin Nadia eingeladen. Nadia nimmt ihn mit in ihr Apartment und schläft mit ihm, aber im Morgengrauen schleicht er sich unbemerkt davon.

Alice und Fabio sind inzwischen verheiratet. Fabio wünscht sich ein Kind, und weil Alice nicht schwanger wird, lässt er sich untersuchen, aber bei ihm ist alles in Ordnung. Er führt die Unfruchtbarkeit seiner Frau auf ihre Magersucht zurück, denn von dem Skiunfall, den sie als Kind hatte, weiß er nichts. Der Konflikt bringt die Ehe zum Scheitern: Fabio verlässt Alice.

Sie sieht so krank aus, dass Marcello Crozza seine Assistentin zum Arzt schickt. Alice geht zum Krankenhaus Maria Ausiliatrice, wo sie Fabio kennenlernte und ihre Mutter starb. Auf der Eingangstreppe klammert sie sich an den Handlauf und bleibt stehen. Eine Frau in ihrem Alter spielt mit der Automatiktüre. Sie befindet sich im Inneren des Gebäudes und tritt vor, um den Sensor auszulösen, geht dann aber nicht durch die Türe, sondern einen Schritt zurück, und wenn die Türe wieder geschlossen ist, beginnt sie von Neuem. Alice fällt auf, dass die Unbekannte Mattia unglaublich ähnlich sieht. Handelt es sich um seine Zwillingsschwester Michela? Ertrank sie 1984 doch nicht? Eine ältere Frau nähert sich aus dem Inneren der Eingangshalle, fasst die jüngere beim Arm und geht mit ihr fort. „Michela“, ruft Alice, aber keine der beiden Frauen dreht sich um. Alice will ihnen folgen, bricht jedoch noch auf der Treppe zusammen und kommt erst wieder zu sich, als eine Krankenschwester ihr den Puls misst.

Wurde Michela damals von einer Erwachsenen im Park entdeckt, mitgenommen und aufgezogen? Alice schreibt Mattia eine Karte, auf der sie ihn auffordert, zu ihr kommen, ohne dafür einen Grund zu nennen. Er nimmt den nächsten Flug.

Auf einem Parkplatz erklärt Alice ihm, wie man Auto fährt und überredet ihn nach ein paar Runden, auf die Straße zu fahren. Weil er das Bremspedal nicht findet, kommt es beinahe zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Lastwagen.

Als Mattia sich nach der Bedeutung der Nachricht erkundigt, die Alice ihm schickte, meint sie, es sei nichts Besonderes gewesen und verschweigt ihm die Begegnung mit einer Frau, die sie für Michela hielt.

„Die Nachricht, die du mir geschickt hast …“, begann er. „Gibt es da etwas, was du mir sagen musst?“
Alice lächelte.
„Nein, nichts Besonderes.“
„Aber als ich kam, hast du gesagt, dass es wichtig sei.“
„Nein, nein.“
„Hatte es mit mir zu tun?“
Sie zögerte einen Moment.
„Nein“, sagte sie dann. „Nur mit mir.“
Mattia nickte. Er dachte an ein Potenzial, das sich nicht entfaltet hatte, an die unsichtbaren Feldlinien, die sie früher auch auf die Entfernung verbunden hatten und jetzt verschwunden waren.
„Ciao dann“, sagte sie.
Alles Licht war drinnen und alle Dunkelheit draußen. Mattia hob nur die Hand. (Seite 355f)

Zurück in England, sucht er Nadias Telefonnummer heraus.

Alice fährt zum Park, geht zum Fluss und klettert die Böschung bis zum Wasser hinunter. Mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegend stellt sie sich vor, wie Michela zunächst unterging, dann auftauchte und mit der Strömung schwamm, „zu einem neuen Ziel. Die ganze Nacht, bis zum Meer“ (Seite 362).

Mattia war weit fort. Fabio war weit fort. Schwach und verschlafen rauschend, strömte der Fluss vorüber.
Sie erinnerte sich, wie sie unter dem Schnee begraben in der Rinne lag. Sie dachte an diese vollkommene Stille. Damals wie heute wusste niemand, wo sie war. Auch diesmal würde niemand kommen. Aber sie wartete auch nicht mehr.
Sie lächelte hinauf zum klaren Himmel. Mit ein wenig Mühe schaffte sie es jetzt auch alleine aufzustehen. (Seite 362f)

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Entscheidungen wurden innerhalb weniger Sekunden getroffen, und in der übrigen Zeit schlug man sich mit den Folgen herum. (Seite 353)

Das erfahren sowohl Mattia als auch Alice. Als Kinder werden beide durch kurze Ereignisse traumatisiert. In beiden Fällen beeinflusst ein einziger Tag das gesamte Leben. Mattia schneidet sich noch als Jugendlicher zwanghaft in die Arme, um sich dafür zu bestrafen, dass er im Alter von acht Jahren einmal nicht auf seine autistische Zwillingsschwester aufpasste. Alice hält sich infolge eines als Kind erlittenen Skiunfalls, für den sie ihren Vater verantwortlich macht, für unattraktiv und leidet unter Magersucht. Während Alice von anderen gemieden wird, kapselt Mattia sich selbst ab. Alice betrachtet die Wirklichkeit durch den Sucher ihrer Kamera, Mattia reduziert die Realität auf mathematische Zusammenhänge, vergleicht zum Beispiel sich und Alice mit Primzahlen. Beide fühlen sich hilflos.

Paolo Giordano hält sich in seinem bewegenden Debütroman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ an die Chronologie der Ereignisse, aber nicht in Form eines Kontinuums, sondern er greift sieben Jahre im Leben der beiden 1976 geborenen Hauptfiguren heraus: 1983, 1984, 1991, 1995, 1998, 2003 und 2007. „Die Einsamkeit der Primzahlen“ ist ein realistischer Roman ohne stilistischen Schnickschnack. Paolo Giordano erzählt ebenso nüchtern wie einfühlsam und veranschaulicht komplexe psychologische Zusammenhänge in eindringlichen Bildern.

Giordano verzichtet auf Deutungen und liefert stattdessen fotoähnliche Bilderfolgen […]
Giordano […] beherrscht die Grundlagen seines Handwerks. Er kann einen Plot bauen, hat ein Gespür für Figuren und die Gestaltung erzählerischer Räume. (Maike Albath, Süddeutsche Zeitung, 16. September 2009)

Den Namen der Stadt, in der die Handlung zumeist spielt, verrät Paolo Giordano nicht. Vermutlich dachte er dabei an seine Geburtsstadt Turin.

Paolo Giordano (* 1982) wurde für „Die Einsamkeit der Primzahlen“ – das meistverkaufte Buch Italiens im Jahr 2008 – mit dem Premio Strega ausgezeichnet, und zwar als bisher jüngster Preisträger.

Den Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano gibt es auch in einer von Joachim Hoell gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Daniel Brühl (Regie: Bernadette Joos, Köln 2009, 6 CDs, ISBN: 978-3-8371-0139-3).

Saverio Costanzo verfilmte den Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano. Der Film kam am 11. August 2011 in die deutschen Kinos.

Die Einsamkeit der Primzahlen – Originaltitel: La solitudine dei numeri primi – Regie: Saverio Costanzo – Drehbuch: Paolo Giordano und Saverio Costanzo, nach dem Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ von Paolo Giordano – Kamera: Fabio Cianchetti – Schnitt: Francesca Calvelli – Musik: Mike Patton – Darsteller: Alba Rohrwacher, Luca Marinelli, Martina Albano, Arianna Nastro, Tommaso Neri, Vittorio Lomartire, Aurora Ruffino, Giorgia Pizzio, Isabella Rossellini, Maurizio Donadoni, Roberto Sbaratto, Giorgia Senesi, Filippo Timi, Giorgia Pizzo u.a. – 2010; 115 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010 / 2012
Textauszüge: © Karl Blessing Verlag

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