Das Zeugenhaus

Das Zeugenhaus

Das Zeugenhaus

Originaltitel: Das Zeugenhaus – Regie: Matti Geschonneck – Drehbuch: Magnus Vattrodt nach dem Buch "Das Zeugenhaus" von Christiane Kohl – Kamera: Judith Kaufmann – Schnitt: Karola Mittelstädt – Musik: Annette Focks – Darsteller: Iris Berben, Matthias Brandt, Gisela Schneeberger, Tobias Moretti, Rosalie Thomass, Udo Samel, Vicky Krieps, Edgar Selge, Britta Hammelstein, Matthias Matschke, Jeff Burrell, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf u.a. – 2014;105 Minuten

Inhaltsangabe

Im Herbst 1945 werden Be- und Entlas­tungs­zeugen der Nürnberger Prozesse von der amerikanischen Besatzungsmacht in einer Villa einquartiert: Täter, Nutznießer und Mitläufer ebenso wie überlebende KZ-Häftlinge, Regimegegner und Widerstands­kämpfer. Der Mikrokosmos dieser Haus­gemeinschaft spiegelt die deutsche Nach­kriegsgesellschaft. Obwohl sich Überlebende aus den KZs im Zeugenhaus befinden, werden die Gräueltaten geleugnet, und Oppor­tu­nisten versuchen schon wieder, das für sie Beste aus der neuen Situation zu machen ...
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Kritik

"Das Zeugenhaus" ist ein sehenswertes Kammerspiel, dessen Handlung fast ausschließlich in einer Villa spielt. Umso wichtiger sind die pointierten Dialoge und das hochkarätige Ensemble der Schauspieler.

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20. September 1945

Elisabeth Gräfin Belavar (Iris Berben) wird vom Leiter des Counter Intelligence Corps (CIC) der amerikanischen Besatzungsmacht in Nürnberg vernommen.

Bernstein (Samuel Finzi), ein aus Deutschland stammender Jude, hat als Einziger seiner Familie den Holocaust überlebt. Seine Frau und seine beiden Kinder kamen im KZ Buchenwald ums Leben. Seinen Dienst versieht er desillusioniert und deprimiert.

Die Gräfin stammt ebenfalls aus Deutschland, war aber in Budapest verheiratet. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn wurden ihr Mann und ihre drei Söhne zu Tode geprügelt und aufgehängt. Der Kutscher der Familie half ihr, die Leichen abzuschneiden und zu beerdigen. Auf der Flucht wurde sie in Prag von den Russen gefangen genommen und beschuldigt, spioniert zu haben. Der katholische Militärgeistliche Captain Fabian Flynn (Jeff Burrell), der als offizieller Kaplan der amerikanischen Kriegsverbrecherkommission in Nürnberg tätig ist, hörte von der weltgewandten Gräfin und schlug vor, sie als „Gastgeberin“ für ein geplantes „Zeugenhaus“ zu gewinnen. Die Amerikaner setzten sich daraufhin mit den Russen in Verbindung, und Elisabeth Gräfin Belavar wurde gegen fünf Kriegsgefangene der Roten Armee ausgetauscht. Nun vergewissert Bernstein sich, dass sie politisch unverdächtig ist und betraut sie mit der Aufgabe, in einer requirierten Villa am Stadtrand Zeugen für die Nürnberger Prozesse zu betreuen. Fabian Flynn, der als Seelsorger für das Zeugenhaus zuständig ist, wird ihre Kontaktperson zur Besatzungsmacht sein.

In der Villa finden Flynn und die Gräfin noch die Ehefrau und den 13-jährigen Sohn des vermissten Besitzers vor: Elise und Werner Krollmann (Johanna Gastdorf, Louis Hofmann). Der amerikanische Geistliche fordert sie auf, das Haus endlich zu verlassen, aber Gräfin Belavar schlägt vor, dass Elise Krollmann bei der Führung des Haushalts hilft und sich mit ihrem Sohn im Keller einrichtet. Auf diese Weise behalten die beiden wenigstens ein Dach über dem Kopf.

Bald treffen die ersten Zeugen ein: Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann (Udo Samel) mit seiner Tochter Henriette („Henny“) von Schirach (Rosalie Thomass), der Ehefrau des in Nürnberg angeklagten Reichsjugendführers Baldur von Schirach, Generalmajor Erwin von Lahousen (Matthias Brandt), Hermann Görings Privatsekretärin Gisela Limberger (Gisela Schneeberger) sowie die Herren Ross (Matthias Matschke) und Gärtner (Edgar Selge).

Ross behauptet, man halte ihn zu Unrecht für seinen Bruder Wilhelm. Tatsächlich sei er der Wiener Kunsthändler Heinrich Ross, und er habe sich schon in der Jugend zum Kommunismus bekannt, im Gegensatz zu Wilhelm, der sich den Nationalsozialisten angeschlossen habe.

Herr Gärtner zieht es vor, allein in der Küche zu essen, statt mit allen anderen am großen Tisch. Er redet kaum ein Wort und hält sich zumeist allein im Freien auf. Verbissen schleppt er Holz an und hackt es. Henriette von Schirach argwöhnt, dass es sich bei ihm um einen sadistischen Lagerkommandanten handelt, der seine Befehlsgewalt für Verbrechen missbrauchte. Gärtner versucht nicht, den Verdacht zu widerlegen; er reagiert überhaupt nicht darauf.

Anfangs weiß keiner der zeitweisen Bewohner des Hauses, wer von den anderen zu den Be- bzw. Entlastungszeugen zählt.

20. November 1945

Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher beginnt.

Erich von Lahousen gibt Werner Krollmann seine Taschenuhr und bittet ihn, eine Pistole zu besorgen. Für den Jungen, der noch immer an der NS-Ideologie festhält, mit der er indoktriniert wurde, ist der höfliche Auftrag eines Generals der Wehrmacht ein Befehl.

Henriette von Schirach bittet Generalmajor von Lahousen unter vier Augen, sich bei seiner Zeugenaussage positiv über ihren Mann zu äußern. Zu seinem Einwand, er sei dem Reichsjugendführer nie begegnet, meint sie, er könne sich doch etwas ausdenken.

Ihr Vater, der mit Fotos von Hitler und anderen Nazi-Größen ein Vermögen verdient hat, wird von den Amerikanern aufgefordert, sein Archiv so zu ordnen, dass es bei den Nürnberger Prozessen verwendet werden kann. Heimlich verkauft er Abzüge auf dem Schwarzmarkt und hortet in seinem Zimmer im Zeugenhaus Delikatessen, Zigaretten und Spirituosen. Dem schmierigen Fotografen und seiner Tochter fehlt es an nichts. Von Henriette von Schirach wird zwar keine Zeugenaussage erwartet, aber ihr Vater erreichte, dass sie während des Prozesses, in dem ihr Mann unter den Angeklagten ist, mit ihm zusammen im Zeugenhaus wohnen darf.

Einmal zeigt Heinrich Hoffmann anderen im Zeugenhaus ein von Hitler gemaltes Aquarell und sagt dazu, jemand, der so eine friedliche Landschaft gemalt habe, könne nicht böse gewesen sein.

Eine Französin meldet sich im Zeugenhaus. Sie nennt sich Marie (Vicky Krieps) und gibt sich als Dolmetscherin aus.

Eines Nachts bringt Captain Flynn einen neuen Zeugen ins Haus und schärft Elisabeth Gräfin Belavar ein, dass er keinen Kontakt zu den anderen haben dürfe und in seinem Zimmer eingeschlossen bleiben müsse. Als die Gräfin dem neuen Bewohner das Frühstück bringt, behauptet er, wegen seiner Verbindung zu den Attentätern vom 20. Juli 1944 in Schutzhaft zu sein. Er bittet sie, einen Brief hinauszuschmuggeln, aber die misstrauische Gräfin lässt sich nicht darauf ein.

Es dauert nicht lang, bis Heinrich Hoffmann mit Hilfe eines aus dem Fenster gehaltenen Spiegels herausfindet, wer der neue Bewohner des stets abgesperrten Nachbarzimmers ist: Rudolf Diels (Tobias Moretti), der von Hermann Göring protegierte Gründer der Gestapo. Beim Abendessen verkündet Hoffmann zum Entsetzen der Gräfin die Neuigkeit.

Gisela Lemberger ertappt Elisabeth Belavar mit einem Spritzbesteck und findet heraus, dass sie sich regelmäßig Morphium injiziert.

Eine junge Frau namens Emilia (Britta Hammelstein) trifft ein, die als Nichte des Generals vorgestellt und in dessen Zimmer untergebracht wird. Erwin von Lahousen kennt sie nicht und fordert sie auf, das Zimmer zu verlassen, aber da erzählt sie ihm die Wahrheit: Die Amerikaner wissen, dass von Lahousen unter schweren Depressionen leidet. Deshalb soll sie versuchen, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Als Gegenleistung sorgen die Besatzer für ihren zweijährigen Sohn und ihre Mutter, die andernfalls verhungern würden. Aus Mitleid bestätigt Erwin von Lahousen dann beim Abendessen, dass Emilia seine Nichte sei. Niemand glaubt ihm das.

Nachdem er in einer der folgenden Nächte aus einem seiner vielen Albträume hochgeschreckt ist, geht er mit der Pistole, die Werner ihm besorgte, in den Flur, steckt sich den Lauf in den Mund und drückt ab. Aber Emilia hat die Waffe entladen und die Patronen versteckt. Gemeinsam mit der Gräfin beruhigt sie den zitternden Mann.

Als seine Zeugenaussage im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 30. November 1945 übertragen wird, sitzen die Bewohner des Zeugenhauses um das von Heinrich Hoffmann besorgte Radiogerät herum. Henriette von Schirach ist entsetzt, als sie begreift, dass der General ein Zeuge der Anklage ist und kein gutes Wort für ihren Mann einlegen wird. Erich von Lahousen unterstützte wie sein Vorgesetzter Wilhelm Canaris den Widerstand im Offizierskorps und half bei der Vorbereitung eines dann allerdings fehlgeschlagenen Sprengstoffanschlags auf Hitler.

28. Januar 1946

Ross hat die Amerikaner endlich davon überzeugen können, dass sie ihn mit seinem Bruder Wilhelm verwechselten. Er packt seine Sachen. Zum Abschied schenkt Heinrich Hoffmann ihm nicht nur eine Flasche Wein, sondern auch ein Foto, auf dem Wilhelm Ross zusammen mit Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich abgebildet ist. Süffisant lobt der Fotograf die schauspielerischen Fähigkeiten des von ihm durchschauten Nationalsozialisten. Allerdings verrät er ihn nicht. Unbehelligt verlässt Wilhelm Ross das Zeugenhaus.

Gärtner kommt herein und schaltet das Radio ein, um die Zeugenaussage einer Französin im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zu verfolgen. Die Frau, die sich in der Résistance engagiert hatte, war von den Deutschen nach Auschwitz verschleppt worden, hatte die Gefangenschaft dort und in Ravensbrück allerdings überlebt. Werner erkennt die Stimme der Zeugin: Es ist Marie. Mit vollem Namen heißt sie Marie-Claude Vaillant-Couturier. Für Werner, der die schöne junge Französin heimlich verehrt und ihr glaubt, bricht eine Welt zusammen. Sind die Greuel, die den Nationalsozialisten angelastet werden, doch nicht nur Erfindungen der alliierten Propaganda?

Als Marie später ins Zeugenhaus zurückkehrt, fragt Heinrich Hoffmann, ob er sie weiterhin Marie nennen dürfe, weil Vaillant-Couturier schwierig auszusprechen sei. Da schlägt sie ihm vor, sie mit ihrer auf den Arm tätowierten KZ-Nummer anzusprechen. Der Münchner Fotograf unterstellt ihr, bei der Zeugenaussage einiges erfunden zu haben. So schlimm könne das alles gar nicht gewesen sein. Hitler habe kein Blut sehen können und sei Vegetarier gewesen. Hoffmann äußert Zweifel daran, dass es überhaupt Konzentrationslager gegeben habe. Doch da meldet sich Herr Gärtner erstmals zu Wort und erinnert ihn daran, wie er mit Heinrich Himmler zusammen das KZ Mauthausen besuchte und dort eine Stunde lang fotografierte. Es stellt sich heraus, dass Gärtner in Mauthausen eingesperrt war, den Fotografen sah und ihn im Zeugenhaus wiedererkannte.

Rudolf Diels kommt frei. Kurz darauf trifft Elisabeth Gräfin Belavar ihn im Treppenhaus des Hauptquartiers des CIC wieder. Sie muss sich wegen der Morphium-Ampullen verantworten, die bei ihr nach einer Denunziation gefunden wurden. Captain Flynn will ihr die Aufgabe im Zeugenhaus entziehen, aber Bernstein klärt ihn darüber auf, dass er die Gräfin mit den Drogen versorgt habe. Ohne sie wären die entsetzlichen Erinnerungen für sie nicht zu ertragen. Der Leiter des CIC steht zu ihr, obwohl sie sich weigerte, die Menschen im Zeugenhaus für die Amerikaner zu bespitzeln. Diels erfuhr durch Gisela Lemberger von dem Morphium und schwärzte die Gräfin bei Captain Flynn an, um sich dafür zu rächen, dass sie seine Avancen im Zeugenhaus abgewiesen und seinen Brief nicht herausgeschmuggelt hatte.

1. Oktober 1946

Die Menschen im Zeugenhaus verfolgen die Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Henriette von Schirach befürchtet das Schlimmste, als ein Todesurteil nach dem anderen verlesen wird, aber Baldur von Schirach kommt mit einer 20-jährigen Haftstrafe davon.

Kurz darauf bringt Captain Flynn zwei Kriminalpolizisten aus Bayern ins Zeugenhaus, die Heinrich Hoffmann verhaften und mit nach München nehmen.

Fabian Flynn kündigt Elisabeth Gräfin Belavar an, dass er in einem Monat in die USA zurückkehren werde. Sie könne bleiben, sagt er, und sich um die Zeugen in weiteren Nürnberger Prozessen kümmern. Auf Wunsch würde er ihr aber auch ein Visum für die USA besorgen.

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Von Herbst 1945 bis 1948 quartierten die amerikanischen Militärbehörden hunderte von Zeugen für die Nürnberger Prozesse vorübergehend in zwei Villen in Nürnberg ein: Täter, Technokraten, Nutznießer, Mitläufer, Opportunisten ebenso wie überlebende KZ-Häftlinge, Regimegegner und Widerstandskämpfer.

Mit der Führung des Haushalts wurde Ingeborg Gräfin Kálnoky (1909 – 1997) betraut. Sie stammte aus Ranis in Thüringen, war eine geborene von Breitenbuch, hatte den ungarischen Grafen Hugo Kálnoky geheiratet und mit ihm auf Schloss Köröspatak in Rumänien gewohnt. Kurz vor Kriegsbeginn wurde Hugo Graf Kálnoky wegen angeblicher Spionage vertrieben und zog mit seiner Familie nach Budapest, wo er sich als Journalist betätigte. Von dort floh die 35-jährige Gräfin 1944, vor dem Einmarsch der Deutschen, während ihr Mann zurückblieb. Über Wien gelangte die Schwangere zu Verwandten im Sudetenland. Von dort nahmen die Amerikaner sie bei ihrem Abzug mit nach Nürnberg und holten dann auch die Kinder nach. Weil sie kultiviert auftrat und außer deutsch und ungarisch auch englisch und französisch sprach, bot man ihr die Stelle einer Hausdame in einer requirierten Villa an, in der die Ehefrauen der Hauptangeklagten untergebracht werden sollten, die dann aber als Quartier der Zeugen diente.

Die requirierte Villa in der Novalisstraße in Nürnberg-Erlenstegen, in der die Gräfin nun mit ihren vier Kindern wohnte, gehörte der Familie Krülle. Elise Krülle und ihr Sohn Gerhard (1932 – 2012) durften zwar im Haus bleiben, mussten sich aber im Keller einrichten, und die Eigentümerin machte sich als Gegenleistung bei der Haushaltsführung nützlich. Ihr Ehemann war vermisst.

Unter den Zeugen, die vorübergehend dort wohnten, waren General Erwin Lahousen Edler von Vivremont, der ehemalige Gestapo-Chef Rudolf Diels, Henriette von Schirach, die Ehefrau des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, und ihr Vater Heinrich Hoffmann, Eva Brauns früherer Arbeitgeber und Hitlers Fotograf.

Auch Fabian Flynn, Gisela Limberger und Marie-Claude Vaillant-Couturier lebten tatsächlich.

Der katholische Geistliche Fabian Flynn (1905 – 1973) aus Boston arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für den National Catholic Relief Service in Europa. Er half beispielsweise Flüchtlingen und Vertriebenen in Ungarn. Der offizielle Kaplan der amerikanischen Kriegsverbrecherkommission war auch Seelsorger der Zeugen.

Die unverheiratete Bibliothekarin Gisela Limberger (1893 – 1957) aus Merzig arbeitete ab 1932 in der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin. 1935 wurde sie von Hermann Göring mit der Katalogisierung seiner Bibliothek und Kunstsammlung betraut. Als seine Privatsekretärin Grundtmann-Kornatskis im Herbst 1942 starb, setzte Göring die Bibliothekarin als Nachfolgerin ein und vertraute ihr die Kontrolle seiner Finanzen an, aber ein Jahr später entzog er Gisela Limberger aus unbekannten Gründen die Aufgaben der Privatsekretärin. Nach dem Krieg gab sie den Amerikanern zwar Auskunft über Hermann Görings Finanzen, trat aber im Nürnberger Prozess gegen ihn nicht als Zeugin auf.

Die französische Fotojournalistin Marie-Claude Vaillant-Couturier (geborene Vogel, 1912 – 1996) gehörte ab 1934 der kommunistischen Jugendbewegung und später der Résistance an. Ihr politisch ebenfalls engagierter Ehemann Paul Vaillant-Couturier verschwand 1937 auf rätselhafte Weise. Sie wurde am 9. Februar 1942 verhaftet und ein Jahr später nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Im August 1944 verlegte man sie in das KZ Ravensbrück. 1946 sagte sie als eine der Überlebenden aus den Konzentrationslagern in den Nürnberger Prozessen aus.

Die Filmfiguren Bernstein, Gärtner, Ross und Emilia sind frei erfunden. Frau Krollmann und ihr Sohn Werner weisen Parallelen zu den tatsächlich enteigneten Hauseigentümern auf: Elise und Gerhard Krülle. Weil Iris Berben, die 64-jährige Mutter des Filmproduzenten Oliver Berben, die Rolle der Hausdame spielen sollte, wurde aus der 36 Jahre alten Ingeborg Gräfin Kálnoky die fiktive Elisabeth Gräfin Belavar.

Ingeborg Gräfin Kálnoky blieb auch nach der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 30. September und 1. Oktober 1946 mit den Kindern im Zeugenhaus. Im Jahr darauf fand Hugo Graf Kálnoky seine Familie dort und nahm sie mit in die USA.

Eine Zeitung veröffentlichte 1949 Auszüge aus einem Bericht der Gräfin Kálnoky, und 1974 druckte der Verlag Bobbs-Merrill in Indianapolis/Indiana das von Ilona Herisko verfasste Buch „The Guest House. A Nuremberg Memoir of Countess Kalnoky“.

Als die 26 Jahre alte Journalistin Christiane Kohl 1980 ihre Eltern besuchte, zeigte ihr der Familienfreund Bernhard von Kleist, der bei den Nürnberger Prozessen gedolmetscht hatte, das von seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau Annemarie von Kleist als zweiter Hausdame in der Novalisstraße in Nürnberg-Erlenstegen angelegte Gästebuch. Nach jahrzehntelangen Recherchen veröffentlichte Christiane Kohl 2005 das Buch „Das Zeugenhaus. Nürnberg 1945. Als Täter und Opfer unter einem Dach zusammentrafen“ (Wilhelm Goldmann Verlag, München 2005, 253 Seiten, ISBN 978-3-442-31066-1).

Nach Motiven dieses Sachbuchs schrieb Magnus Vattrodt das Drehbuch für den Spielfilm „Das Zeugenhaus“, den Matti Geschonneck dann 2014 drehte.

Magnus Vattrodt und Matti Geschonneck reicherten historische Tatsachen mit fiktiven Elementen an. Ihnen geht es in „Das Zeugenhaus“ nicht um die Nürnberger Prozesse, sondern um ein Porträt der Gesellschaft unmittelbar nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes. Während die Siegermächte in Nürnberg über Hermann Göring, Rudolf Heß, Martin Bormann, Joachim von Ribbentrop, Ernst Kaltenbrunner, Julius Streicher und 18 weitere Angeklagte zu Gericht sitzen, werden die Greueltaten noch immer verdrängt und geleugnet. Hitler könne kein böser Mensch gewesen sein, meint der Fotograf Heinrich Hoffmann, denn er sei doch Vegetarier gewesen und habe friedliche Landschaftsbilder gemalt. Aber zwei ebenfalls vorübergehend im Zeugenhaus wohnende Überlebende aus Konzentrationslagern wissen es besser. Ein 13-Jähriger, der mit der nationalsozialistischen Ideologie indoktriniert wurde, hält die Behauptung, es habe einen Genozid gegeben, für alliierte Propaganda, bis er eines Besseren belehrt wird und eine Welt für ihn zusammenbricht. General Erwin von Lahousen, der Widerstandskämpfer unterstützte, leidet nach wie vor unter dem Konflikt zwischen seinem Treueid und seinem Gewissen. Opportunisten wie Heinrich Hoffmann und Rudolf Diels versuchen dagegen schon wieder, das für sie Beste aus der neuen Situation zu machen. Sie stehen für die Kriegsgewinnler und die zahlreichen in der Adenauer-Ära wieder in Ämtern und Behörden beschäftigten (ehemaligen) Nationalsozialisten.

Vielleicht hätten sich Magnus Vattrodt und Matti Geschonneck in „Das Zeugenhaus“ noch etwas mehr mit der Frage beschäftigen können, wieso in dieser Hausgemeinschaft grundverschiedener Menschen zwar einige bissige Bemerkungen fallen und eine Frau einer anderen heißen Kaffee über den Kopf schüttet, aber kein offener Kampf ausbricht.

„Das Zeugenhaus“ ist ein sehenswerter Fernsehfilm, ein Kammerspiel, dessen Handlung mit Ausnahme einige weniger Szenen im Nürnberger CIC-Hauptquartier in einer Villa spielt. Umso wichtiger sind die pointierten Dialoge und das hochkarätige Ensemble der Schauspieler.

Gedreht wurde „Das Zeugenhaus“ vom 25. Februar 2014 bis 6. April 2014 in Berlin. Die von außen zu sehende und die für Innenaufnahmen verwendete Villa sind in Wirklichkeit nicht identisch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

Rudolf Diels (kurze Biografie)
Heinrich Hoffmann (kurze Biografie)
Erwin von Lahousen (kurze Biografie)
Henriette von Schirach (kurze Biografie)

Matti Geschonneck (kurze Biografie / Filmografie)
Matti Geschonneck: Der Mörder und sein Kind
Matti Geschonneck: Wer liebt, hat Recht
Matti Geschonneck: Mord am Meer
Matti Geschonneck: Die Nachrichten
Matti Geschonneck: Silberhochzeit
Matti Geschonneck: Duell in der Nacht
Matti Geschonneck: Todsünde
Matti Geschonneck: Entführt
Matti Geschonneck: Hinter blinden Fenstern
Matti Geschonneck: Boxhagener Platz
Matti Geschonneck: Liebesjahre
Matti Geschonneck: Das Ende einer Nacht
Matti Geschonneck: Tod einer Polizistin
Matti Geschonneck: Der verlorene Bruder
Matti Geschonneck: Brandnächte

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