Jonathan Franzen : Freiheit

Freiheit
Originalausgabe: Freedom Farrar, Straus und Giroux, New York 2010 Freiheit Übersetzung: Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld Rowohlt Verlag, Reinbek 2010 ISBN: 978-3-498-02129-0, 733 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In seinem Roman "Freiheit" beschäftigt Jonathan Franzen sich vor dem Hintergrund der US-Politik nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit den Mitgliedern einer amerikanischen Familie. Patty, die Mutter, fühlte sich zu dem verantwortungslosen Rocker Richard Katz hingezogen, heiratete jedoch dessen Freund Walter Berglund, einen biederen Vogelbeobachter – und es dauert Jahrzehnte, bis sie sich mit der dadurch auferlegten Einengung abfindet ...
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Kritik

"Freiheit" ist kein formal geschlossenes Meisterwerk, sondern Jonathan Franzen reiht Episoden lose aneinander und stellt dabei abwechselnd Patty, Walter oder Joey in den Mittelpunkt.
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Patty wächst in einem Vorort von New York auf. Ihr Vater Ray Emerson führt eine Anwaltskanzlei in White Plains. Ihre jüdische Mutter wurde 1934 als Joyce Markowitz in Brooklyn geboren; sie studierte Geisteswissenschaften in Maine, heiratete Ray Emerson und engagiert sich als Abgeordnete der Demokratischen Partei im Parlament des Staates New York. Ray und Joyce Emerson haben einen Sohn (Edgar) und drei Töchter (Patty, Abigail, Veronica).

Im Alter von siebzehn Jahren wird Patty auf einer Party gegen ihren Willen von dem etwas älteren Schüler Ethan Post defloriert. Obwohl sie eine herausragende Basketballspielerin ist, gelingt es ihr nicht, sich des kräftigen jungen Mannes zu erwehren, nicht zuletzt, weil sie betrunken ist. Ihren Eltern und Geschwistern verschweigt sie die Vergewaltigung, aber ihre Trainerin Jane Nagel bemerkt die Hämatome an der Innenseite ihrer Oberschenkel und erkundigt sich nach der Ursache. Nachdem Patty ihr von dem traumatischen Erlebnis erzählt hat, rät Jane Nagel ihr, sich medizinisch untersuchen zu lassen und den Vergewaltiger bei der Polizei anzuzeigen. Außerdem alarmiert Jane Nagel Pattys Eltern. Ray Emerson hält seine Tochter jedoch davon ab, etwas gegen Ethan Post zu unternehmen, weil dessen Vater der renommierte Kardiologe Dr. Chester Post ist und eine gerichtliche Auseinandersetzung deshalb einen auch für Patty schädlichen öffentlichen Wirbel auslösen würde.

Dass Patty vor allem im Sport danach strebt, besser als ihre Konkurrentinnen zu sein und ihre Siege feiert, finden ihre Eltern eher peinlich, denn sie ziehen es vor, ihre Erfolge nicht groß herauszustellen, um nicht den Neid anderer hervorzurufen. So kommt es, dass Patty ihren Konkurrenzdrang für etwas Schlechtes hält.

Als eine der ersten Frauen erhält Patty ein Vollstipendium für ein Sportstudium an der University of Minnesota.

Während des Studiums in den „Twin Cities“ lernt Patty die Kommilitonen Richard Katz und Walter Berglund kennen, die sich eine Wohnung teilen und eng befreundet sind, obwohl sie kaum verschiedener sein könnten.

Der Hüne Richard Katz, der am Macalester College in St . Paul studiert, die Punkband „The Traumatics“ gegründet hat und nebenher als Hilfskraft für ein Abbruchunternehmen arbeitet, steht für (promiskuitiven) Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll. Sein Vater war ein Saxophonist und Bohemien in Greenwich Village. Seine Mutter, die aus einer weißen angelsächsischen Protestantenfamilie stammte (WASP), machte dem Mann das Leben zur Hölle, weil er sie mit neunzehn geschwängert hatte. Nach vier wilden Jahren verließ sie ihn und Richard, setzte sich nach Kalifornien ab, fand dort zu Jesus und brachte vier weitere Kinder zur Welt. Der Vater zog mit seinem Sohn nach Yonkers. Dort arbeitete er bei der Post. Eine seiner wechselnden Geliebten führte Richard ins Sexualleben ein.

Walter Berglund wuchs in Hibbing, Minnesota, auf. Sein Großvater Einar Berglund, das älteste von acht Kindern einer schwedischen Familie aus Österland, war um 1900 im Alter von zweiundzwanzig Jahren in die USA immigriert. Er arbeitete als Holzfäller, dann als Steinbrecher, bis er begriff, dass Arbeiter von Kapitalisten ausgebeutet werden und beschloss, das Verhältnis umzudrehen, indem er mit einigen der jüngeren Brüder, die ihm nachgekommen waren, selbst ein Straßenbauunternehmen gründete und Arbeiter für sich schuften ließ. Seine Neigung, mit dem Auto zu rasen, kostete den Misanthropen schließlich das Leben: Mit achtundsiebzig fuhr er sich und seine Ehefrau tot.

Vom Nachlass kaufte der alkoholkranke Sohn Gene Berglund – Walters Vater – ein kleines Motel in Hibbing, aber die Arbeit überließ er von Anfang an seiner Frau Dorothy, einer Arzt-Tochter. Inzwischen ist er wegen eines Lungenemphysems auch gar nicht mehr in der Lage, selbst mit anzupacken. Walter wurde nicht nur von seinem Vater, sondern auch von seinem älteren Bruder Mitch immer wieder verprügelt, und sein jüngerer Bruder machte sich dann lustig über ihn. Er hasst seinen Vater vor allem, weil seine Mutter trotz ihrer verkrüppelten Hand versuchen muss, den Verfall des Motels aufzuhalten. Walter hilft ihr dabei nach Kräften. Obwohl er Stipendien für eine der elitären Universitäten der Ivy League bekommen hätte, zog er das weniger weit von Hibbing entfernte Macalester College vor, denn so kann er seiner Mutter des Öfteren am Wochenende helfen. Als Jugendlicher träumte er von einer Karriere als Filmregisseur oder –schauspieler, aber nun studiert er Jura und finanziert das durch die Arbeit bei einem Bauunternehmen. Mitch, der Alkoholiker wie der Vater geworden ist, beutet die Mutter finanziell aus und kümmert sich ansonsten ebenso wenig um die Familie, wie der jüngere Bruder, der als Berufssoldat wenigstens Geld verdient.

Als Richard wegen der Musikszene in New York nach Hoboken, New Jersey, zieht und sein Zimmer in St. Paul aufgibt, fragt Walter, ob Patty es haben möchte, und sie richtet sich dort ein.

Eigentlich findet Patty den verantwortungslosen Rocker Richard aufregender, aber drei Wochen nach ihrem Examen heiratet die Einundzwanzigjährige den biederen Streber Walter am Standesamt des Hennepin County.

Drei Tage später stirbt Gene Berglund in einem Krankenhaus.

Walter und Patty erwerben eine verwahrloste viktorianische Villa in Ramsey Hill, einem Stadtviertel von St. Paul. Sie ziehen dort ein und machen sich daran, es wieder instand zu setzen. (Die Arbeit wird zehn Jahre dauern.) Sein Berufsleben beginnt Walter in der Rechtsabteilung von 3M, doch als sich zeigt, dass er für juristische Auseinandersetzungen zu wenig skrupellos ist, schiebt man ihn in den Bereich Philantropie und Wohltätigkeit ab. Außerdem wird er bei der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy Referent für Landnutzung und steigt im Lauf der Zeit zum Geschäftsführer für Minnesota auf. Schon als Student organisierte er Symposien zum Thema Übervölkerung der Erde, die er für die Hauptursache allen Übels hält.

Dorothy Berglund, die seit der Aufgabe des Motels in einem Damenbekleidungsgeschäft arbeitet, bricht dort eines Tages zusammen und wird mit einer Lungenembolie ins Krankenhaus gebracht. Nach ihrem Tod hinterlässt sie Walter ein Sommerhaus an einem namenlosen kleinen See, das sie von ihrem Vater geerbt hatte.

Patty und Walter haben zwei Kinder: Joey und Jessica. Schon in der Pubertät fängt Joey mit der ein Jahr älteren Nachbarstochter Connie Monaghan zu kopulieren an. Und mit sechzehn zieht er zu Connie, ihrer Mutter Carol und dem jungen Baggerführer Blake, dem neuen Lebensgefährten Carols. Bei Connies Vater handelte es sich um einen hohen Beamten im Hennepin County. Nachdem er seine Sekretärin Carol geschwängert hatte, war diese in der Position nicht länger tragbar. Die allein erziehende Mutter zog mit ihrer Tochter ungefähr zur gleichen Zeit wie Patty und Walter nach Ramsey Hill.

Ende August 2001 beginnt Joey an der University of Virginia in Charlottesville zu studieren.

Zweieinhalb Wochen lang hatte er den Eindruck, das College werde eine Erweiterung der Welt sein, wie er sie immer schon gekannt hatte, nur noch besser. Er war so davon überzeugt – fand es so selbstverständlich –, dass er am Morgen des 11. September Jonathan, seinen Zimmergenossen, allein am Fernseher verfolgen ließ, wie World Trade Center und Pentagon brannten, während er zu seiner Econ 201-Vorlesung über die Grundlage der Mikroökonomie eilte. Erst als er am großen Hörsaal ankam und sah, dass er nahezu leer war, begriff er, dass sich eine wirklich ernste Panne ereignet hatte. (Seite 308)

Zwei Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bieten die Berglunds die renovierte Villa in St. Paul für die Nachbarn unerwartet zum Verkauf an und ziehen nach Washington, D. C.

Erst gut zwei Jahre später, Anfang 2004, hört Richard wieder etwas von seinem Freund Walter.

Richard klinkte sich Ende 2003 aus dem Musikgeschäft aus. Seither baut er Dachterrassen. Walter und dessen aus Westbengalen stammende Assistentin Lalitha treffen sich mit ihm, denn sie möchten ihn für ein Projekt gewinnen.

Im Sommer 2001 hatte Walter bei 3M gekündigt und war geschäftsführender Direktor der kurz zuvor von dem Texaner Vin Haven gegründeten Waldsänger-Stiftung geworden. Vin Haven ist eine große Nummer im Öl- und Gasgeschäft. Er wohnt mit seiner Ehefrau Kiki in Houston. George und Laura Bush, Dick und Lynne Cheney gehören zu ihren Freunden. Das Büro der Stiftung wurde in einer Villa im Stadtteil Georgetown von Washington, D. C., eingerichtet, die Kiki Haven von ihrem Vater geerbt hatte. Walter und Patty konnten die erste und zweite Etage weit unter dem Marktpreis erwerben. Sie wohnen dort zusammen mit Lalitha, für die eine Dachkammer eingerichtet wurde.

Patty, die verzweifelt nach ihrem Weg sucht und zu viel Alkohol trinkt, arbeitet seit Herbst 2003 am Empfang des Fitnesscenters „Republic of Health“ in Georgetown. Sie wolle sich „ein paar Titten kaufen“, erzählt Walter seinem Freund:

[…] redet sie seit zwei Wochen davon – hauptsächlich, denke ich mal, um mich in den Wahnsinn zu treiben –, dass sie sich die Brüste machen lassen will. Ich könnte heulen, Richard, bei ihr stimmt doch alles. Jedenfalls äußerlich. Es ist total irre. Aber sie sagt, sie wird bald sterben, und sie fände es interessant, vor ihrem Tod noch zu erleben, wie es ist, wenn man Busen hat. Sie sagt, es könnte ihr helfen, ein Ziel zu haben, auf das sie hinsparen kann, jetzt, wo …“ Walter schüttelte den Kopf. (Seite 304)

Die Waldsänger-Stiftung erwarb bereits ein 250 Quadratkilometer großes Areal im Wyoming County, West Virginia. Auf einem Drittel des Geländes soll zunächst Kohle abgebaut werden. Danach, so der Plan, lässt die Stiftung das gesamte Gebiet renaturieren, aufforsten und als Vogelreservat vor allem für den Pappelwaldsänger herrichten. Richard soll bei der Öffentlichkeitsarbeit des Naturschutzprojektes mitmachen, wenigstens seinen durch die Musik berühmten Namen zur Verfügung stellen, möglichst aber auch persönlich dafür werben.

Um an die Kohlenflöze heranzukommen, wird der Boden des am höchsten gelegenen Areals aufgesprengt. Das nennt man Mountain top removal mining (MTR). Gegen diese rabiate Art der Kohleförderung laufen Umweltschützer Sturm und lassen sich auch nicht dadurch besänftigen, dass es sich bei dem Gesamtvorhaben um ein Naturschutzprojekt handelt. Vor allem die Umweltaktivistin Jocelyn Zorn stachelt die letzten Bewohner von Forster Hollow, die ihr Land noch nicht verkauft haben, zum Widerstand auf. Auch mit einem lukrativen Angebot gelingt es Walter nicht, den Misanthropen Coyle Mathis zum Verkauf seines Grundstücks zu bewegen. Später bleibt er in einem Motel in Beckley, während Lalitha es noch einmal allein versucht – und den störrischen alten Mann überredet.

Patty glaubt, dass Walter in Lalitha verliebt ist, und vermutlich stimmt das auch, aber der Siebenundvierzigjährige sträubt sich aus Pflichtgefühl gegen die Gefühle, die er für seine zwanzig Jahre jüngeren Assistentin empfindet und will nicht wahrhaben, dass Lalitha sie erwidert, obwohl sie einen festen Freund hat, einen Inder namens Jairam, der in Baltimore Medizin studiert und eine Karriere als Herzchirurg anstrebt.

Richard fährt mit dem Zug von Newark nach Washington und besucht Patty, Walter und Lalitha. Er drängt Patty, mit ihm zu kommen und ihren Mann zu verlassen. Walter werde bestimmt mit Lalitha glücklich, meint er. Patty fühlt sich zwar durch Richards Werben in ihrem Selbstwertgefühl bestärkt, lehnt jedoch seinen Vorschlag ab. Auf dem Bett im Gästezimmer findet er ein Manuskript, das Patty auf Anraten ihres Psychotherapeuten schrieb. In der Autobiografie „Es wurden Fehler gemacht“ verheimlicht sie auch nicht, dass sie während eines Aufenthalts im Sommerhaus vor vier Jahren eines Nachts zu Richard ins Bett kroch. Er sträubte sich, aber sie meinte, sie würden ja beide schlafen, alles nur träumen und deshalb nichts Verbotenes tun. Bei dem einen, verhältnismäßig flüchtigen Koitus blieb es dann auch. Bevor Richard im Morgengrauen die Villa in Georgetown verärgert verlässt, legt er das Manuskript auf Walters Schreibtisch.

Nachdem Walter auf diese Weise von dem Seitensprung erfahren hat, wirft er Patty nach vierundzwanzig Jahren Ehe aus dem Haus – und tröstet sich mit Lalitha.

Joey wollte eigentlich seinen Umzug nach Charlottesville dazu nutzen, sich von Connie zu trennen, aber dann hielt er sie nicht davon ab, mit dem Bus anzureisen und ihn zu besuchen. Ein Jahr später beginnt sie dann am Morton College in Virginia zu studieren. Sie ist daher leicht für ihn erreichbar – bis sie ihr Studium abbricht und nach Hause zurückkehrt. Carol Monaghan ruft Joey an, um ihm mitzuteilen, dass ihre Tochter seinetwegen depressiv geworden sei. Sie redet ihm ins Gewissen, drängt ihn, Connie zu besuchen, aber Joey geht nicht darauf ein.

Erst anlässlich seines zwanzigsten Geburtstages treffen sie sich in New York wieder. Connie gesteht ihm, dass sie ihr Antidepressivum ohne Wissen ihrer Mutter absetzte. Sie sei es leid gewesen, erklärt sie, beim Geschlechtsverkehr mit dem verheirateten Geschäftsführer des Restaurants, in dem sie als Kellnerin arbeitet, nicht zum Orgasmus zu kommen. Als Joey im Taxi neben ihr sitzt, fallen ihm die fünfzehn langen Narben an ihren Armen auf. Sie habe sich geschnitten, erklärt sie, weil er nichts von sich hören ließ, und zwar für jeden Koitus mit ihrem Chef einmal. Spontan beschließen Joey und Connie, auf dem Standesamt von Lower Manhattan zu heiraten. Aber danach schickt Joey seine frisch angetraute Ehefrau wieder zu ihrer Mutter nach Hibbing. Vergeblich bettelt Connie darum, mit ihm zusammenleben zu dürfen.

Joey will Jenna erobern, die zwei Jahre ältere und überaus attraktive Schwester seines Kommilitonen Jonathan. Bei einem gemeinsamen Winterurlaub mit den aus einer reichen Familie stammenden Geschwistern kommt er jedoch nicht an Jenna heran. Erst als sie nach ihrer Abschlussprüfung nach Manhattan zieht und sich bald darauf von ihrem Beinahe-Verlobten Nick trennt, macht er sich neue Hoffnungen.

Inzwischen arbeitet er als Subunternehmer für den Waffenhändler Kenny Bartles. Der verkauft den US-Militärs im Irak schrottreife polnische Lastwagen, die flottenweise auf Militärbasen in Ungarn und Bulgarien herumstehen. Die Amerikaner benötigen auch Ersatzteile für das längst nicht mehr produzierte Modell Pladsky A10 – und die soll Joey besorgen. Allein bei diesem Subkontrakt geht es um 850 000 Dollar. Um zu einem Waffenhändler nach Paraguay fliegen und eine Anzahlung leisten zu können, leiht Joey sich von Connie 50 000 Dollar, die sie von dem zur Finanzierung ihres Studiums eingerichteten Treuhandkonto nimmt.

Allerdings wundert sie sich, wieso Joey statt nach Paraguay zunächst nach Argentinien will. Sie weiß nicht, dass er dort einen gemeinsamen Aufenthalt mit Jenna plant. Am Abend bevor er sich mit Jenna in Miami trifft, um von dort mit ihr nach Buenos Aires weiterzufliegen, verschluckt er versehentlich seinen Ehering. So kommt es, dass er kurz darauf im Hotel Estancia El Triunfo seinen Kot nach dem Ring durchsucht, während nebenan Jenna ungeduldig auf ihn wartet. Als er endlich bei ihr im Bett liegt, bringt er keine Erektion zustande, auch nicht, als sie seinen Penis mit dem Mund zu stimulieren versucht. Nach einem Telefongespräch mit Kenny Bartles muss er Jenna dann auch noch erklären, dass er sofort weiter nach Asunción muss, und als sie klagt, er sei eine einzige Enttäuschung für sie, macht er das Maß durch das Geständnis, mit Connie verheiratet zu sein, voll.

Kenny, der sich in Kirkurk aufhält, drängt Joey, endlich die Ersatzteile zu liefern, denn die polnischen Lastwagen blieben inzwischen fast alle mit kaputten Hinterachsen liegen. Joey fliegt zu einem in einer Vorstadt von Asunción lebenden Geschäftspartner namens Arnando da Rosa. Der verfügt zwar über eine große Menge von Ersatzteilen für den Pladsky A10, aber die sind alle verrostet. Joey hat Skrupel, dem US-Verteidigungsministerium unbrauchbaren Schrott anzudrehen und dafür 850 000 Dollar zu kassieren, aber Kenny bekniet ihn, das Zeug loszuschicken. Wichtig sei nur, dass das Gewicht stimme.

Nach diesem Geschäft steigt Joey aus dem Vertrag mit Kenny aus. Und er vertraut sich seinem Vater an, obwohl er nie ein gutes Verhältnis und seit Jahren nicht einmal Kontakt mit ihm hatte.

Walter erfährt von seinem Sohn, dass Patty bei Richard in Jersey City wohnt. Tatsächlich nahm sie sich, nachdem Walter sie hinausgeworfen hatte, für eine Nacht ein Hotelzimmer und trug sich mit Selbstmordgedanken, aber dann suchte sie Trost und Zuflucht bei Richard, obwohl sie ihn nicht wirklich liebt.

Im Lauf der Zeit durchschauen Walter und Lalitha, dass Vin Haven und das Kohlebergbau-Unternehmen die Waldsänger-Stiftung zur Verschleierung ihrer wahren Absichten missbrauchen. Als Walter anlässlich der Eröffnung einer Schutzwestenfabrik in West Virgina, die den aus dem Abbaugebiet umgesiedelten Leuten neue Arbeitsplätze anbietet, eine Rede halten soll, nutzt er die Gelegenheit, um die Machenschaften aufzudecken und auch Männer anzuprangern, die sich wie Coyle Mathis kaufen ließen. Damit löst er einen Tumult aus, wird krankenhausreif geprügelt und entlassen. Aufgrund einer entsprechenden Vertragsklausel macht Vin Haven sein Rückkaufrecht für die Wohnung in der Villa in Georgetown geltend. Patty, Walter und Lalitha müssen ausziehen. Weil Walter nicht mit seiner Ehefrau reden will, ruft Lalitha sie an. Daraufhin kommt Patty mit einem Miettransporter und holt ihre Sachen ab. Walter und Lalitha fahren nach dem Auszug nach Florida und von dort nach Westen.

Ein Vierteljahr nach der Trennung von Walter und Patty verunglückt Lalitha bei einer Autofahrt tödlich.

Von Joey erhält Walter einen Scheck über 100 000 Dollar. Er richtet sich im Sommerhaus am namenlosen See ein und arbeitet weiter für die Naturschutzorganisation The Nature Conservancy, allerdings nicht mehr in leitender Funktion.

Drei Monate nach Lalithas tödlichem Unfall verlässt Patty Richard und zieht nach Brooklyn. Dort fängt sie als Lehrerin in einer Privatschule an.

Im Herbst 2007 ziehen die ersten Bewohner in der neu gegründeten Siedlung Canterbridge Court ein, nach der nun auch der See, an dem sich Walters Sommerhaus befindet, benannt wird. Vergeblich versucht Walter seine neuen Nachbarn dazu anzuhalten, ihre Katzen in den Häusern zu lassen. Eine Frau namens Linda Hoffbauer ist nicht einmal bereit, ihrem Kater Bobby das von Walter mitgebrachte leuchtende Neopren-Lätzchen umzubinden. Dass der Tod eines Vogels unter Umständen auch bedeutet, dass die Brut verhungert, lässt Linda Hoffbauer unbeeindruckt. Für wichtiger hält sie es, dass ihre Kinder im Umgang mit einem Haustier lernen, was Verantwortung bedeutet. Walter rächt sich schließlich, indem er Bobby in einer Falle fängt und in einem Tierheim in Minneapolis abliefert.

Hin und wieder wird Walter von seiner Tochter Jessica besucht, die inzwischen in einem New Yorker Verlag Karriere gemacht hat, und von Joey und Connie, die in St. Paul erfolgreich ein Unternehmen führen.

Als Jessica, die sich auch regelmäßig mit ihrer Mutter trifft, Walter von ihr erzählen möchte, hindert er sie daran. Er will von Patty nichts wissen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Sechs Jahre lang haben Walter und Patty keinen Kontakt. Dann fällt Walter eines Morgens, als er zu einer Sitzung der Nature Conservancy in Duluth fährt, ein in der Nähe seines Hauses geparktes Auto auf, weil die Lehne des Fahrersitzes zurückgeklappt ist und offenbar jemand im Wagen schläft. Als er abends zurückkommt, sitzt Patty durchgefroren auf der Stufe vor der Eingangstür. Ohne ein Wort an sie zu richten, geht er ins Haus und schließt die Türe hinter sich. Am Ende holt er die Zweiundfünfzigjährige doch herein und wärmt sie.

Bald darauf ziehen Walter und Patty nach New York, denn dort hat Patty nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre Stelle als Lehrerin. Außerdem leben ihre inzwischen verwitwete Mutter, ihre Geschwister, die Tochter Jessica und Walters bester Freund in der Nähe.

Eine Spezialfirma umzäunt das Seegrundstück, um Katzen abzuhalten und entkernt das Sommerhaus, damit es sich als Vogelreservat eignet.

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In seinem Roman „Freiheit“ beschäftigt Jonathan Franzen sich wie in „Die Korrekturen“ mit einer amerikanischen Familie. Dabei entwickelt sich das Leben der Figuren vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Politik in den Jahren nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Freiheit“ ist also nicht nur ein Familienroman, sondern zugleich das Panorama des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert. Das Wort Freiheit bedeutet hier nicht nur, was die Väter der Verfassung der Vereinigten Staaten vom 17. September 1787 meinten, sondern zum Beispiel auch die sexuelle Freiheit, die paradoxerweise mit einem erhöhten Leistungsdruck einhergeht, und die Option, sich selbst zu definieren, die nicht ohne eine Auswahl zwischen verschiedenen Einschränkungen möglich ist und ebenfalls zu konkreten Zwängen führt. So entscheidet Patty sich statt für eine Liaison mit dem verantwortungslosen Musiker Richard Katz (!) für die Ehe mit dem biederen Vogelbeobachter Walter Berglund, und es dauert Jahrzehnte, bis sie sich mit der dadurch auferlegten Einengung abfindet.

Jonathan Franzen befasst sich in „Freiheit“ nicht nur mit dem Titelthema, sondern auch auf satirische Weise mit dem Missbrauch von Ökoprojekten durch die umweltschädliche Industrie und dem Zusammenspiel des US-Militärs mit kriminellen Waffenlieferanten. An Seitenhieben gegen George W. Bush und seine Regierung fehlt es nicht.

Außer Patty stehen ihr Ehemann Walter, der gemeinsame Freund Richard und der Sohn Joey im Zentrum des Romans „Freiheit“. Jessica, die ihren Eltern nie Kummer macht, wird von ihrer Mutter Patty ebenso vernachlässigt wie vom Autor. Andere Figuren (z. B.: Seth und Merrie Paulsen, Eliza, Zachary) führt Jonathan Franzen ein und lässt sie wieder fallen. Connie Monaghan geistert mehr oder weniger schemenhaft durch die Handlung. Selbst die Charakterzeichnung der Hauptfiguren ist nicht ganz frei von Klischees.

In die mit einigen Rückblenden erzählte Handlung montiert Jonathan Franzen einen autobiografischen Text von Patty mit dem Titel „Es wurden Fehler gemacht“, dessen Duktus sich allerdings nicht von dem des auktorialen Erzählers unterscheidet. Die ersten drei Kapitel dieses Manuskripts finden wir auf den Seiten 43 bis 253, das vierte und letzte Kapitel („Eine Art Brief an ihren Leser, von Patty Berglund“) auf den Seiten 657 bis 699. Auch sonst wechselt Jonathan Franzen in „Freiheit“ mehrmals die Perspektive und stellt abschnittweise Patty, Walter oder Joey ins Zentrum. „Freiheit“ ist kein formal geschlossenes Meisterwerk, sondern Jonathan Franzen reiht Episoden aneinander. Hätte er einige weggelassen oder andere hinzugefügt, wäre die Form des Romans nicht entscheidend verändert worden.

Unterhaltsam sind in „Freiheit“ vor allem die satirischen und tragikomischen Szenen (auch wenn eine der letzteren mit derbem Fäkalhumor einhergeht). Ermüdend wirkt die Länge.

Und mit dem Happy End schrammt Jonathan Franzen dicht am Kitsch vorbei.

Dass Patty „Krieg und Frieden“ liest, ist kein Zufall, denn so wie sie zwischen zwei grundverschiedenen Männern steht, bricht Natalja („Natascha“) Iljinitschna zunächst wegen Anatol Kuragin die Verlobung mit Andrei Nikolajewitsch Bolkonski und heiratet am Ende Pierre Besuchow.

Wieland Freund behauptet in „Die Welt“ (13. September 2010), Richard Katz trage Züge des mit Jonathan Franzen befreundeten Schriftstellers David Foster Wallace, der sich am 12. September 2008 im Alter von sechsundvierzig Jahren erhängte. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen.

Es ist bedauerlich, dass die Verlage inzwischen glauben, die deutschsprachigen Ausgaben der Romane berühmter Autoren wie Jonathan Franzen fast gleichzeitig mit den Originalen auf den Markt werfen zu müssen, denn das bedeutet, dass die Übertragungen mit heißer Nadel gestrickt werden. Das ist auch bei „Freiheit“ der Fall. Da tummeln sich dann „krenelierte Keramikaschenbecher“ (Seite 171), „Nervenden“ (Seite 531) und „spirrelige Frauen“ (Seite 539). Das englische „to handle“ wird mit „händeln“ übersetzt (Seite 535) und „petrol consumption“ statt mit Benzinverbrauch mit „Petroleumverbrauch“ (Seite 646).

Den Roman „Freiheit“ von Jonathan Franzen gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Ulrich Matthes (Lesefassung: Katia Semprich, Regie: Ralph Schäfer, Hamburg 2010, 15 CDs, ISBN: 978-3-86717-616-3).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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