Nader und Simin

Nader und Simin

Nader und Simin

Nader und Simin. Eine Trennung – Originaltitel: Jodaeiye Nader az Simin – Regie: Asghar Farhadi – Drehbuch: Asghar Farhadi – Kamera: Mahmoud Kalari – Schnitt: Hayedeh Safiyari – Musik: Sattar Oraki – Darsteller: Peyman Moadi, Leila Hatami, Sareh Bayat, Shahab Hosseini, Sarina Farhadi, Merila Zare'i, Ali-Asghar Shahbazi, Babak Karimi, Kimia Hosseini, Shirin Yazdanbakhsh, Sahabanu Zolghadr u.a. – 2011; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Das iranische Mittelschicht-Ehepaar Nader und Simin lebt mit der elfjährigen Tochter Termeh und Naders altersdementem Vater in einer Wohnung in Teheran. Als Simin zu ihrer Mutter zieht, stellt Nader eine Pflegerin für seinen Vater ein. Die Aufgabe überfordert die schwangere Muslima, aber sie benötigt das Geld, denn ihr Mann ist arbeitslos und überschuldet. Nach drei Tagen ertappt Nader sie bei einer Pflichtverletzung und wirft sie hinaus. Kurz darauf wird sie ins Krankenhaus gebracht und erleidet eine Fehlgeburt ...
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Kritik

In dem packenden Familiendrama "Nader und Simin" von Asghar Farhadi entwickelt sich die Handlung flott und stringent in den konfliktreichen Dialogen der differenziert dargestellten Figuren.
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Das seit 14 Jahren verheiratete iranische Mittelschicht-Ehepaar Nader und Simin (Peyman Moadi, Leila Hatami) lebt mit der elfjährigen Tochter Termeh (Sarina Farhadi) und Naders altersdementem Vater (Ali-Asghar Shahbazi) in einer Wohnung in Teheran. Simin möchte den Iran verlassen, damit ihre Tochter nicht länger unter den Restriktionen des Regimes aufwachsen muss. Das Ausreisevisum liegt seit fünf Monaten bereit. Aber Nader, der anfangs auch dafür war, widersetzt sich dem Plan, weil er seinen kranken Vater nicht zurücklassen will. Vergeblich weist Simin darauf hin, dass ihn der alte Mann kaum noch als Sohn erkennt und man ihn deshalb auch einer fremden Pflegekraft anvertrauen könnte. Nader besteht zwar darauf, in Teheran zu bleiben, aber er würde seine Frau nicht von der Emigration abhalten, denn er respektiert ihren Willen.

Der Konflikt bringt das Paar vor einen Richter. Nader erklärt sich mit der von seiner Frau gewünschten Ehescheidung einverstanden, verlangt jedoch das Erziehungsrecht für die Tochter und verweigert insbesondere die Zustimmung zu deren Ausreise. Ohne Termeh wiederum kommt die Auswanderung auch für Simin nicht in Frage. Am Ende lehnt der Richter die Scheidung ab.

Daraufhin zieht Simin zu ihrer in einem anderen Stadtteil von Teheran wohnenden Mutter (Shirin Yazdanbakhsh). Termeh bleibt beim Vater zurück. Der sucht eine Pflegerin für seinen Vater, denn er ist berufstätig und seine Tochter geht zur Schule. Simin empfiehlt Nader, die in einer Vorstadt wohnende, Arbeit suchende Schwägerin einer Bekannten einzustellen. Die etwa dreißig Jahre alte, streng religiöse Frau – sie heißt Razieh (Sareh Bayat) – hat zwar Bedenken, in einem Haushalt mit zwei Männern zu arbeiten, sagt jedoch zu. Weil sie befürchtet, dass ihr Ehemann Hodjat (Shahab Hosseini), ein arbeitsloser und von Gläubigern verfolgter Schuster, damit nicht einverstanden wäre, verheimlicht sie ihm die Anstellung. Ihre kleine Tochter Somayeh (Kimia Hosseini) nimmt sie mit in Naders Wohnung. Dass sie erneut schwanger ist, sieht man nicht, weil sie einen Tschador trägt.

Gleich am ersten Tag nässt Naders Vater seine Hose ein. Zunächst versucht Razieh alles, um ihn dazu zu bringen, sich selbst zu waschen und umzuziehen, aber der kranke Mann ist dazu nicht mehr in der Lage; er versteht nicht, was er tun soll. Nachdem Razieh sich telefonisch vergewissert hat, dass es keine Sünde ist, hilft sie dem Greis. Von der Aufgabe überfordert, erklärt Razieh am Abend, ihr Mann werde an ihrer Stelle die Pflege übernehmen. Weil Hodjat allerdings nicht erfahren darf, dass sie hier war, bittet sie Nader, es nicht zu erwähnen. Daran hält Nader sich, als Hodjat sich bei ihm bewirbt.

Zu seiner Überraschung kommt auch am dritten Tag Razieh mit ihrer kleinen Tochter. Hodjat ist wieder einmal wegen der Schulden vorübergehend im Gefängnis, und seine Frau vertritt ihn ohne sein Wissen.

Als sie die Wohnungstüre abzusperren vergisst, nutzt Naders Vater die Gelegenheit, um auf die Straße zu gehen. Er will eine Zeitung kaufen. Razieh rennt ihm nach und entdeckt ihn auf der anderen Seite einer stark befahrenen Straße, die er gerade überqueren will.

Bei der Heimfahrt an diesem Abend droht sie in der Bahn umzukippen und jemand bietet ihr einen Sitzplatz an.

Am nächsten Tag soll Somayeh den Müll hinuntertragen. Dabei platzt einer der Beutel. Eine Nachbarin beschwert sich über den Schmutz auf der Treppe. Um ihre Tochter in Schutz zu nehmen, lügt Razieh, ihr sei kurz übel geworden und dabei sei das Malheur passiert. Sie wischt die Treppe.

Kurz darauf kommt Nader vorzeitig mit seiner Tochter nach Hause. Die Wohnungstüre ist geschlossen, und niemand öffnet. Nader muss erst Ersatzschlüssel aus dem Auto holen. Sein Vater befindet sich allein in der Wohnung. Er liegt auf dem Boden. Augenschenlich fiel er aus dem Bett. Obendrein ist er gefesselt.

Aufgebracht stellt Nader Razieh zur Rede, die wenige Minuten später mit Somayeh zurückkommt. Sie habe dringend etwas erledigen müssen und sei nur kurz weg gewesen, sagt sie. Den schlafenden alten Mann habe sie aus Fürsorge aufs Bett gebunden. Nader wirft sie hinaus, und weil augenscheinlich Geld in einer Schublade fehlt, beschuldigt er Razieh nicht nur, ihre Pflichten verletzt, sondern auch noch gestohlen zu haben. Razieh beteuert ihre Unschuld und fleht um den ihr zustehenden Lohn, aber Nader drängt sie zur Tür und schubst sie hinaus.

Ein paar Stunden später erfährt er von Simin, dass Razieh im Krankenhaus liegt. Ihre Schwägerin rief Simin an und beschwerte sich darüber, dass Nader die schwangere Frau geschlagen habe. Besorgt eilen Nader und Simin in die Klinik. Dort stoßen sie auf Hodjat und dessen Schwester. Razieh wurde operiert. Sie war im fünften Monat schwanger und verlor ihr Kind. Hodjat wundert sich, was Nader mit seiner Frau zu tun haben könnte und glaubt Simin nicht, die behauptet, nur sie kenne Razieh und seine Schwester. Als er herausfindet, dass Razieh für Nader arbeitete, kommt es zum Streit, und ein für Nader bestimmter Fausthieb trifft Simin ins Gesicht.

Razieh behauptet, Nader habe sie so heftig aus der Tür gestoßen, dass sie über mehrere Treppenstufen stürzte, bevor sie sich am Geländer festhalten konnte. Hodjat zeigt Nader an, und die beiden Ehepaare werden von einem Richter (Babak Karimi) vorgeladen.

Obwohl Nader zufällig hörte, dass Razieh sich die Telefonnummer einer Gynäkologin geben ließ und deshalb vermutete, dass sie schwanger war, behauptet er, nichts von ihrer Schwangerschaft bemerkt oder gewusst zu haben, denn er weiß, dass die Anklage sonst statt auf Körperverletzung auf Totschlag lauten würde. Er will nun seinerseits Razieh wegen Misshandlung seines Vaters anzeigen, aber der überlastete Richter nimmt nur schriftliche Anzeigen entgegen. Weil er es für möglich hält, dass Nader von der Schwangerschaft wusste, lässt er ihn abführen, obwohl der Verhaftete auf die Hilflosigkeit seines dementen Vaters hinweist.

Termeh wirft ihrer Mutter vor, durch ihren Auszug das Unheil verursacht zu haben, denn wenn sie nicht weggegangen wäre, hätte Nader keine Pflegerin einstellen müssen.

Simins Mutter, die der Meinung ist, die Fehlgeburt sei eine Bagatelle , weil Razieh sich erneut befruchten lassen könne, bezahlt am nächsten Tag eine Kaution für ihren Schwiegersohn, und er wird freigelassen.

Nader ist überzeugt, dass er Razieh gar nicht von der Tür auf die Treppe gestoßen haben kann, weil diese zu weit seitlich davon beginnt. Bei einer Tatortbesichtigung der Polizei versucht er es zu beweisen. Die Nachbarin, die sich über die verschmutzte Treppe ärgerte, sagt aus, Razieh habe gesagt, ihr sei schwindelig gewesen. Stürzte sie vielleicht deshalb? Womöglich rutschte sie auf der noch nassen Treppe aus, als sie taumelte.

Hodjat droht, sich für das verlorene Kind zu rächen und Termeh etwas anzutun. Nader wendet sich an den Richter, der jedoch nichts zum Schutz der Schülerin unternimmt. Simin versucht Hodjat dafür zu gewinnen, von Nader Blutgeld anzunehmen. Als Nader erfährt, dass sie ohne sein Wissen mit dem Gegner verhandelte, reagiert er empört. Er will nichts bezahlen, denn das käme einem Schuldeingeständnis gleich.


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Razieh gesteht Simin, sie wisse nicht genau, wann der Embryo abstarb, aber wahrscheinlich sei es bereits am Tag vor dem Hinauswurf durch Nader gewesen. Erst jetzt erzählt sie, dass Naders Vater einmal ins Freie gelangt war und wie sie ihn auf der anderen Straßenseite sah. Um ihn davon abzuhalten, auf die Fahrbahn zu treten, lief sie zu ihm hinüber und wurde dabei von einem Auto angefahren. Das war vermutlich die Ursache für die Fehlgeburt. Wegen der Schmerzen suchte sie am nächsten Tag einen Arzt auf. Deshalb war sie nicht da, als Nader überraschend nach Hause kam.

Aus Sorge um Termeh stimmt Nader schließlich einer finanziellen Regelung zu. Auch Hodjats Gläubiger nehmen an der Besprechung teil. Bevor Nader den Scheck übergibt, soll Razieh auf den Koran schwören, dass er die Fehlgeburt auslöste. Das bringt die Muslima nicht fertig, denn sie fürchtet sich vor Allahs Strafe für einen Meineid. Stattdessen gesteht sie ihrem Mann, dass sie von einem Auto angefahren wurde. Wütend prügelt er auf sie ein.

Einige Zeit später stehen Nader und Simin mit ihrer Tochter erneut vor dem Richter. Sie überlassen es Termeh, bei wem sie nach der Ehescheidung bleiben möchte. Die Elfjährige bittet sie, den Raum zu verlassen, während sie dem Richter ihren Wunsch erklärt. Nader und Simin warten auf dem Korridor.

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In seinem Familiendrama „Nader und Simin. Eine Trennung“ führt uns der iranische Regisseur und Drehbuchautor Asghar Farhadi (* 1972) ein komplexes Beziehungsgefüge vor. Eine Trennung, Notlügen und Verheimlichungen führen dazu, dass sich fünf Personen in ein kaum noch zu entwirrendes Gespinst von Konflikten verstricken. Dies geschieht in einer Gesellschaft, in der religiöse Konventionen und moderne Lebensauffassungen zusammenprallen. Zugleich thematisiert Asghar Farhadi die Diskrepanz zwischen Moral und Rechtsprechung, die nicht nur im Iran besteht.

Die Charaktere werden differenziert und vielschichtig dargestellt. Ihre Handlungsweisen sind sehr gut nachvollziehbar. Das liegt am durchdachten Drehbuch, an der schnörkellosen Inszenierung und an den überzeugenden Schauspielern. Obwohl die flott und stringent entwickelte Handlung im Wesentlichen aus Wortgefechten besteht, vergehen die zwei Stunden im Flug, und der packende Film hängt an keiner Stelle durch, denn die Dialoge sind prägnant, dynamisch, überraschend und realistisch. Da fällt es kaum auf, dass Asghar Farhadi in „Nader und Simin. Eine Trennung“ fast völlig auf eine Musikuntermalung verzichtet hat.

Das Kind Termeh wird von Sarina Farhadi dargestellt, einer Tochter des Regisseurs Asghar Farhadi. Sie wirkt für eine Elfjährige zu alt. (Einige nicht überprüfbare Quellen geben den 9. Januar 1992 als ihr Geburtsdatum an.) Da wäre eine andere Besetzung glaubwürdiger gewesen.

„Nader und Simin. Eine Trennung“ wurde auf der Berlinale 2011 mit einem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet. Außerdem erhielten sowohl Leila Hatami, Sareh Bayat, Sarina Farhadi und Kimia Hosseini als auch ihre männlichen Filmpartner Peyman Moadi, Babak Karimi und Ali-Asghar Shahbazi einen „Silbernen Bären“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

Asgar Farhadi (kurze Biografie, Filmografie)

Asghar Farhadi: Alles über Elly
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