Elfriede Jelinek


Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag (Steiermark) als Tochter des Chemikers Friedrich Jelinek und seiner aus dem Wiener Großbürgertum stammenden, in einem Industrieunternehmen angestellten Ehefrau Olga geboren. „Ihr Vater war jüdischer Herkunft und überlebte den Holocaust nur, weil er als Chemiker mit kriegswichtigen Forschungsaufgaben betraut war.“ (Hans Mayer: Kleine Geschichte der Zuerkennung des Nobelpreises an Elfriede Jelinek. Berlin 2005) Elfriede Jelinek wuchs in Wien auf, erhielt auf Betreiben der Mutter bereits als Kind Musikunterricht und kam als Dreizehnjährige ans Konservatorium. „Die Mutter hatte den ehrgeizigen Plan, die kleine Elfriede zum Wunderkind zu dressieren.“ (Hans Mayer, a.a.O.) Parallel zur Musik studierte Elfriede Jelinek nach der Reifeprüfung (1964) einige Zeit Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften – bis sie es wegen ihrer Angstzustände nicht mehr wagte, das Elternhaus zu verlassen. Erst als ihr Vater 1969 in einer psychiatrischen Klinik geistig umnachtet gestorben war, erholte sie sich etwas und schloss 1971 ihr Musikstudium mit einem Organistendiplom ab. Drei Jahre später heiratete sie Gottfried Hüngsberg, blieb aber auch mit ihrer Mutter weiterhin zusammen: Olga Jelinek lebte bis zu ihrem Tod mit sechsundneunzig Jahren im Jahr 2000 im selben Haushalt.

Mit einundzwanzig veröffentlichte sie ihre ersten Gedichte. Elfriede Jelinek schrieb auch Erzählungen, Romane, Hörspiele, Drehbücher und Bühnenstücke.

In ihren Werken untersucht Elfriede Jelinek, wie die vorherrschende kapitalistische Lebensauffassung das Verhalten prägt. Sie setzt sich für die unterprivilegierten Schichten ein und versucht, das Bewusstsein der Benachteiligten zu verändern, ihnen die Augen zu öffnen für die Manipulation, der sie ausgesetzt sind. Die Unterdrückung der Frau betrachtet sie als Teil dieses größeren Zusammenhangs. Ihre provokante Kritik macht sie vor allem am Beispiel der österreichischen Gesellschaft fest und verbot aus Protest gegen die politischen Verhältnisse sogar einige Zeit die Aufführung ihrer Stücke in Österreich.

Elfriede Jelinek ist virtuos, so virtuos, dass die schwedische Akademie bei ihr zurecht den „musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen“ lobt. Sie beherrscht die Sprache in all ihren Registern, sie kann tückisch und grob, zart und feierlich zugleich sein […] Aber virtuos kann man auch mit Ressentiments umgeben, mit unbegründeten Vorwürfen und verfehlten Urteilen. Zur Musikalität von Elfriede Jelinek gehört der freihändige Umgang mit der Nervensäge, dem Nebelhorn und der Matschpauke. Zusammen bilden sie ein kakophones Meisterorchester […]
(Thomas Steinfeld über Elfriede Jelineks Prosa, Süddeutsche Zeitung, 8. Oktober 2004)

Die Sprachflächenstücke der Jelinek, in denen mit zuweilen harten Schnitten Fragmente aneinander montiert werden, sind gebaut wie Musikstücke. Sie sind Kompositionen ohne Musik, aber mit Dissonanzen, mit Harmonien, mit Leitmotiven und strahlenden Akkorden. Es gibt neben dem Solo das Duett und den Chor […] Die Collage als bewusst geformtes literarisches Konstrukt […] Wenn Elfriede Jelinek nicht zuerst eine Figur erfindet, der sie dann beim Schreiben Gedanken, Gefühle, Vorurteile, Kämpferattitüden zuordnet, sondern genau gegensätzlich arbeitet, also über die Sprache eine Figur schafft, dann ist die Jelinek groß. Dann gelingt es ihr, ihren Zorn, ihren Ekel, ihre Kritik in eine musikalische Sprachform zu bringen […] das Sprechen sucht [dann] eine Hülle […]
(C. Bernd Sucher, a. a. O.)

Am 7. Oktober 2004 gab Horace Engdahl, der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, in Stockholm bekannt, dass Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur erhalten werde. Als Begründung gab er an, die österreichische Schriftstellerin entlarve „mit einzigartiger Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht sozialer Klischees“ und erschüttere „mit ihrem Zorn und mit Leidenschaft ihre Leser in den Grundfesten“. Elfriede Jelinek kündigte sogleich an, dass sie nicht zur Preisverleihung nach Schweden reisen werde. Zur österreichischen Nachrichtenagentur APA sagte sie:

Natürlich freue ich mich auch, da hat es keinen Sinn zu heucheln, aber ich verspüre eigentlich mehr Verzweiflung als Freude. Ich eigne mich nicht dafür, als Person an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Da fühle ich mich bedroht […] Ich habe böse Ahnungen, dass der Nobelpreis eine Belastung bedeuten wird, denn man wird zur öffentlichen Person.

Bei der Preisverleihung in Stockholm am 10. Dezember 2004 wurde ein Video mit einer drei Tage zuvor aufgezeichneten Rede von Elfriede Jelinek gezeigt. Am selben Tag flogen Horace Engdahl und Kjell Esplund, der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, eigens nach Wien, um Elfriede Jelinek den Preis unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Residenz der schwedischen Botschafterin Gabriella Lindholm überreichen zu können. Die „Nobelpreis-Erträgerin“ Elfriede Jelinek („Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“) wurde von ihrem Ehemann Gottfried Hüngsberg begleitet.

Aus Protest gegen die Verleihung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek zog der emeritierte Sprachprofessor Knut Ahnlund (*1923) sich im Oktober 2005 nach zweiundzwanzig Jahren aus der Schwedischen Akademie zurück. Zur Begründung schrieb er:

[…] hat der Nobelpreis 2004 für Elfriede Jelinek den Wert dieser Auszeichnung auf absehbare Zeit zerstört. Denn hierbei handelt es sich um ein monomanisches, äußerst schmal angelegtes Werk, um eine Textmasse, die ohne einen Ansatz zu künstlerischer Struktur aufgehäuft wurde […] Die Romane oder die Dramen […] von Elfriede Jelinek bestehen aus einem Redefluss, in dem sich willkürlich zustande gekommene Einfälle über zehn oder hundert Seiten erstrecken können, ohne dass etwas damit gesagt wäre […] Erniedrigung, Demütigung, Schändung und Selbstekel, Sadismus und Masochismus sind die Hauptthemen im Werk von Elfriede Jelinek. Alle anderen Aspekte des menschlichen Lebens werden ausgeschlossen. Deswegen ist ihr Werk so dürftig […] Jelinek huldigt dem Krieg der Geschlechter, mitsamt seinem Zug zur aggressiven Einfalt […]

Elfriede Jelinek: Bibliografie (Auswahl)

  • Lisas Schatten (Gedichte, 1967)
  • wir sind lockvögel baby! (1970)
  • Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft (1972)
  • Die Liebhaberinnen (1975)
  • Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte
    oder Stützen der Gesellschaft (UA 1979)
  • Die Ausgesperrten (1980)
  • Clara S. Musikalische Tragödie (1983)
  • Die Klavierspielerin (1983)
  • Burgtheater (1986)
  • Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr (1986)
  • Krankheit oder Moderne Frauen (UA 1987)
  • Lust (1989)
  • Malina. Ein Filmbuch (1991)
  • Totenauberg. Ein Stück (UA 1992)
  • Sturm und Zwang. Schreiben als Geschlechterkampf
    (mit Jutta Heinrich und Adolf-Ernst Meyer; 1995)
  • Die Kinder der Toten (1995)
  • Stecken, Stab und Stangl. Eine Handarbeit (UA 1996)
  • Ein Sportstück (UA 1998)
  • Jelineks Wahl (Anthologie, 1998)
  • er nicht als er (zu, mit Robert Walser). Ein Stück (UA 1998)
  • Olga Neuwirth (mit Stefan Drees und Olga Neuwirth; 1999)
  • Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes (1999)
  • Gier. Ein Unterhaltungsroman (2000)
  • Das Lebewohl. Drei kleine Dramen (2000)
  • Ich liebe Österreich (UA 2000)
  • In den Alpen. Drei Dramen (2002)
  • Der Tod und das Mädchen. Fünf Prinzessinnendramen (2003)
  • Bambiland. Babel. Zwei Theaterstücke (2004)
  • Raststätte (2004)

Literatur über Elfriede Jelinek

  • Heinz Ludwig Arnold: Elfriede Jelinek (München 1999)
  • Alexandra Heberger: Der Mythos Mann in ausgewählten Prosawerken von Elfriede Jelinek (Osnabrück 2002)
  • Pia Janke (Hg.): Die Nestbeschmutzerin. Elfriede Jelinik und Österreich (Wien 2002)
  • Verena Mayer und Roland Koberg: Elfriede Jelinek. Eine Biographie (Reinbek 2006)

© Dieter Wunderlich 2004

Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin
Michael Haneke: Die Klavierspielerin

Jodi Picoult - Das Herz ihrer Tochter
Der Roman "Das Herz ihrer Tochter" dreht sich nicht um June und ihre todkranke Tochter Claire, sondern um den zum Tod verurteilten I. M. Bourne. Jodi Picoult geht es um die Todesstrafe, Organtransplantationen und Religion.
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