Wahre Lügen

Wahre Lügen

Wahre Lügen

Wahre Lügen – Originaltitel: Where the Truth Lies – Regie: Atom Egoyan – Drehbuch: Atom Egoyan, nach dem Roman "Where the Truth Lies" von Rupert Holmes – Kamera: Paul Sarossy – Schnitt: Susan Shipton – Musik: Mychael Danna – Darsteller: Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman, Rachel Blanchard, Maury Chaykin, David Hayman, Sonja Bennett, Kristin Adams, Deborah Grover u.a. – 2005; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Lanny Morris und Vince Collins waren populäre Standup-Comedians in den USA. Trotz ihrer Erfolge trennten sie sich 1957, nachdem in ihrem Hotelzimmer die Leiche einer Studentin gefunden worden war. Die Entertainer hatten ein Alibi, und die Polizei kam zu dem Schluss, es habe sich um einen Suizid gehandelt, aber 1972 versucht die ehrgeizige, für ein Buchprojekt recherchierende Journalistin Karen O'Connor nachzuweisen, dass das Mädchen ermordet wurde ...
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Kritik

Das Besondere an dem film noir "Wahre Lügen" – einer Adaptation des Romans "Where the Truth Lies" von Rupert Holmes – ist die kompliziert verschachtelte Erzählstruktur.
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Lanny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins (Colin Firth) waren in den Fünfzigerjahren populäre Standup-Comedians in den USA. Während der Amerikaner Lanny Morris als Sidekick auf der Bühne herumhampelte, Damen ostentativ ins Dekolleté starrte und das Publikum mit losen Sprüchen provozierte, rief der britische Gentleman Vince Collins ihn immer wieder zur Ordnung. Das gehörte zum Spiel. „Wir waren ein Junge-Mädchen-Gespann“, erklärt Lanny später. „Ich war Spaß, er war Kontrolle. Ich war Rock ’n‘ Roll, und er war Klasse. Seine Anwesenheit erlaubte Amerika, mich zu lieben.“ Und er klagt: „Der netteste Typ der Welt zu sein, ist der schwierigste Job der Welt – wenn du es nicht bist.“

Als der überaus mächtige Mafia-Pate Sally Sanmarco (Maury Chaykin) die beiden Komiker 1957 in seinen Nachtklubs auftreten ließ, brauchten sie sich keine finanziellen Sorgen mehr zu machen.

Doch sie trennten sich kurz darauf und beendeten ihre Karriere, nachdem die als Zimmermädchen jobbende Studentin Maureen O’Flaherty (Rachel Blanchard) 1957 in der Suite des Duos nackt und tot aufgefunden worden war. Offiziell hieß es, das Mädchen habe mit einer Überdosis Schlaftabletten Selbstmord begangen. Die Stars hatten ein hieb- und stichfestes Alibi, denn sie standen in einem TV-Spenden-Marathon für Opfer der Kinderlähmung auf der Bühne. Aber der Fall blieb geheimnisumwittert.

Fünfzehn Jahre später erhält die ehrgeizige Nachwuchs-Journalistin Karen O’Connor (Alison Lohman) den Auftrag, mit Vince Collins dessen Memoiren zu schreiben. Für seine Mitarbeit soll der ehemalige Star, der allein in einer Villa in Hollywood lebt, eine Million Dollar bekommen.

Als Kind stand Karen einmal mit Lanny Morris und Vince Collins auf der Bühne, und zwar in der Fernsehsendung im Jahr 1957, in der um Spenden für Polio-Opfer geworben wurde. Karen hatte die Krankheit überwunden und berichtete darüber. Damals wunderte sie sich, dass Lannys Augen feucht wurden. Sie glaubte, es seien Tränen der Rührung über ihren Vortrag. Inzwischen vermutet sie, dass Lanny um Maureen weinte. Sie ist nämlich überzeugt davon, dass die Studentin – die ihr verblüffend ähnlich sah – ermordet wurde und hofft auf sensationelle Enthüllungen für ihr Buch.

Nach einer Unterredung mit Vince fliegt Karen erster Klasse von Los Angeles nach New York. Zufällig sitzt Lanny Morris mit zwei Begleitern vor ihr, mit seinem Geschäftspartner Irv Fleischman (John Moraitis) und seinem langjährigen Butler Reuben (David Hayman). Beim Essen kommen sie ins Gespräch. Damit sie nicht den Anschein erweckt, sie habe absichtlich diesen Flug genommen, um sich wegen des Buchprojekts an Vinces früheren Partner heranzumachen, gibt sich Karen spontan als ihre Freundin Bonnie Trout (Sonja Bennett) aus, eine Lehrerin.

Von da an bekommt sie einzelne Kapitel aus der unveröffentlichten Autobiografie von Lanny Morris anonym zugeschickt. Daraus geht hervor, dass Larry nicht gerade zurückhaltend war, wenn weibliche Fans bereit waren, mit ihm ins Bett zu gehen. Karen liest, wie er Maureen kennen lernte: Er trieb es gerade mit einer jungen Frau namens Denise (Rebecca Davis) im Hotelzimmer, als Maureen eine Bestellung brachte. Während Denise sich ungeniert nackt zeigte, erzählte Maureen ihm, dass sie zwar als Zimmermädchen arbeite, aber auch Chefredakteurin einer Studentenzeitung sei und bat ihn um ein Interview.

Lanny schläft mit Karen, ohne zu ahnen, dass sie vor fünfzehn Jahren mit ihm auf der Bühne stand oder gar, dass sie mit Vince an einem Buch arbeitet und versucht, die Wahrheit über Maureens Tod herauszufinden.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Weil Vince ihn schließlich einlädt, bei einem seiner Gespräche mit Karen dabei zu sein, fliegt ihre Lüge auf. Während Larry verärgert abreist, bestellt Vince die Journalistin für den Abend noch einmal in seine Villa. Sie versucht, ihn zu verführen und lässt sich von ihm überreden, Drogen zu nehmen. Er entkleidet sie und holt eine blonde Schülerin herein, die Karen kurz zuvor bei einer zusammen mit Vince besuchten Schulaufführung als Hauptdarstellerin in „Alice im Wunderland“ bewunderte (Kristin Adams). Vince öffnet „Alice“ das Kleid und schaut zu, wie sie Karen zwischen den Beinen küsst, bis diese so erregt ist, dass sie die Liebkosungen erwidert.

Am nächsten Tag zeigt Vince der Journalistin Polaroids von ihr und der Schülerin. Damit will er sie erpressen, in dem Buch zu bestätigen, es habe sich bei Maureens Tod tatsächlich um einen Suizid gehandelt.

Kurz darauf mietet er die Suite, in der Maureen starb, bestellt drei Flaschen Champagner, trinkt, legt sich in die mit Eiswürfeln gefüllte Badewanne und nimmt sich das Leben.

Schließlich findet Karen heraus, was 1957 geschah. Nachdem Maureen die Entertainer in einer Hotelsuite interviewt hatte, ließ sie sich von Vince entkleiden. Während Lanny es in der Missionarsstellung mit ihr trieb, trat Vince von hinten an die beiden heran. Lanny amüsierte sich zunächst, weil er annahm, Vince habe es auf Maureen abgesehen, doch als dieser versuchte, seinen erigierten Penis in seinen Anus zu schieben, sprang er wütend auf und schimpfte: „Wir sind Partner, wir mögen uns, aber wir ficken nicht, Vinnie!“ Lanny war klar, dass ihnen das Publikum zwar Entgleisungen mit weiblichen Fans nachsah, Bi- oder Homosexualität jedoch niemals tolerieren würde.

Weil das auch Maureen wusste, versuchte sie, Lanny zu erpressen, sobald Vince den Raum verlassen hatte. Dann schliefen sie und Lanny aufgrund der zuvor geschluckten Drogen ein.

Als Lanny wieder aufwachte, war Maureen tot. Weil Lanny nach dem Interview die Türen verriegelt hatte, nahm er an, Vince habe Maureen erwürgt.

Gemeinsam packten sie die nackte Tote in eine große Kiste mit Eis, in der Sally Sanmarco ihnen jede Menge Hummer geschickt hatte. Darin ließen sie die Leiche in das Hotel bringen, in das sie als nächstes kamen und richteten es so ein, dass sie von der Hotelangestellten, die ihnen ihre Suite zeigte, in der Badewanne entdeckt wurde.

Nicht einmal Lanny ahnte damals, wer Maureen wirklich ermordet hatte: sein Butler Reuben. Er hatte nämlich eine Türe zu verriegeln vergessen. Durch die war Reuben hereingekommen und hatte das Mädchen erwürgt. Solange der Unterweltboss Sally Sanmarco lebte, wagte Reuben es nicht, die Entertainer mit Enthüllungen über den Tod der Studentin zu erpressen, aber nach dessen Tod tat er es jahrelang.

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Der Thriller „Wahre Lügen“ – nicht zu verwechseln mit „True Lies. Wahre Lügen“ – basiert auf dem 2003 veröffentlichten Roman „Where the Truth Lies“ des britisch-amerikanischen Komponisten, Liedermachers und Schriftstellers Rupert Holmes (* 1947). Vorbild der beiden Entertainer waren wohl vor allem Dean Martin und Jerry Lewis, die ihre großen Erfolge zu Beginn der Fünfzigerjahre feierten und sich 1956 überraschend trennten. (Das Buch „Dean and Me. A Love Story“ von Jerry Lewis erschien zufällig, als „Wahre Lügen“ ins Kino kam.) In einem Interview nannte Kevin Bacon als Vorbilder „Abbott and Costello, Laurel and Hardy, die ganze Rat-Pack-Geschichte inklusive Dean Martin und Jerry Lewis“ (Süddeutsche Zeitung, 9. Februar 2006).

Jedenfalls werden die Hauptfiguren von Gier und Ehrgeiz getrieben und verleugnen sich dabei auch selbst.

„Wahre Lügen“ – leider lässt sich das Wortspiel im Originaltitel nicht übersetzen – ist ein optisch brillanter film noir. Das Besondere daran ist die Erzählstruktur: Atom Egoyan entwickelt die Handlung nicht linear bzw. chronologisch, sondern wechselt Szenen aus der Gegenwart und Rückblenden, zutreffende und falsche Erinnerungen, tatsächliche Ereignisse und Lügen bzw. Selbsttäuschungen. Dazu kommen Kommentare aus dem Off, abwechselnd von Karen und Lanny. Durch die komplizierte Verschachtelung, wechselnde Perspektiven und einige unerwartete Wendungen ergibt sich erst nach und nach eine Vorstellung davon, was gerade passiert bzw. vor fünfzehn Jahren geschah.

Die Handlung wirkt konstruiert. Das gilt vor allem für die enttäuschende Auflösung. Es ist auch nicht alles in „Wahre Lügen“ plausibel. Beispielsweise wird kein Verlag einer Nachwuchs-Journalistin ein millionenschweres Buchprojekt anvertrauen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009

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