Roald Dahl : Des Pfarrers Freude

Des Pfarrers Freude
Originaltitel: "Parson's Pleasure" Erstveröffentlichung: "Esquire Magazine" Auch in "Kiss Kiss", Alfred A. Knopf, New York 1960 Übersetzung: Wolfheinrich von der Mülbe in: "Küsschen Küsschen! 11 ungewöhnliche Geschichten" Rowohlt Verlag, Reinbek 1962 Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1966
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Seit neun Jahren fährt der Antiquitätenhändler Boggis jeden Sonntag als Pfarrer verkleidet übers Land, um in Bauernhäusern wertvolle Möbelstücke aufzustöbern und sie ihren ahnungslosen Besitzern für einen Bruchteil des Wertes abzukaufen.
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Kritik

Roald Dahl ist berühmt für seine maliziösen, witzigen und spannend erzählten Geschichten. "Des Pfarrers Freude" ist eine seiner besten.
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Cyril W. Boggis führt in Chelsea einen kleinen Antiquitätenladen und gilt als ein Experte für französische, englische und italienische Möbel. Weil er immer wieder ungewöhnliche, oft wirklich seltene Schränke, Tische und Stühle anbieten kann, hat er es zu einem gewissen Ansehen gebracht.

Als er vor neun Jahren seine alte Mutter in Sevenoaks besucht hatte und nach Hause fuhr, kochte der Kühler seines Autos. Deshalb erbat er sich beim nächstgelegenen Bauernhaus einen Krug Wasser. Dabei entdeckte er in der guten Stube einen Sessel und einen Lehnstuhl aus dem 15. Jahrhundert, die er der unwissenden Bäuerin für 37 Pfund abkaufte, obwohl sie mindestens 1000 Pfund wert waren. Das brachte ihn auf die Idee: Jeden Sonntag fährt er seither aufs Land. Damit ihn die Bauern in ihre Häuser lassen, verkleidet er sich als Pfarrer und gibt vor, Präsident der Gesellschaft zur Erhaltung seltenen Mobiliars zu sein und für die Zeitschrift der Organisation Berichte über außergewöhnliche Funde zu schreiben.

An diesem Sonntag ist er in Buckinghamshire unterwegs. Bevor er sich einem der Höfe nähert, lässt er seinen Lieferwagen stehen und geht die restlichen 600 m zu Fuß. Bauer Rummins, der gerade mit seinem Sohn Bert und seinem Nachbarn Claud zusammen steht, denkt an das Schwein, das er tags zuvor schwarz geschlachtet hat und befürchtet, der fremde Pfarrer komme deshalb. Aber der Besucher interessiert sich nicht für seinen Vorratsraum, sondern für seltene Möbel. „So etwas haben wir nicht“, knurrt Rummins. Das kennt Boggis schon, und er entgegnet: „Der letzte Mann, der mir das gesagt hat, war ein alter Bauer unten in Sussex, und als er mich schließlich doch ins Haus ließ, wissen Sie, was ich da in der Küchenecke gefunden habe? Einen schmutzigen alten Stuhl, der bei näherer Betrachtung 400 Pfund wert war! Ich habe dem Mann geholfen, ihn zu verkaufen, und er hat sich für das Geld einen Traktor angeschafft.“ Ein Stuhl um 400 Pfund? Das können sich die drei Bauern nicht vorstellen. Boggis lässt nicht locker.

Endlich darf er ins Haus. Was Boggis da sieht, raubt ihm den Atem: Es ist der Wunschtraum jedes Antiquitätenhändlers, eine herrliche Kommode aus einer wohl von Thomas Chippendale selbst hergestellten Serie. Bisher wusste man nur von drei erhaltenen Exemplaren. Hier steht ein viertes! Obwohl die Kommode weiß lackiert ist, zweifelt Boggis keine Sekunde an seiner außergewöhnlichen Entdeckung. Den drei Männern entgeht nicht, wie er das Möbelstück anstarrt und nach Luft ringt. Geistesgegenwärtig sinkt Boggis auf den nächsten Stuhl, greift sich ans Herz und bittet um einen Schluck Wasser. Dann tut er so, als sei der Herzanfall wieder vorbei und blickt sich in der Stube um. Nichts Besonderes, meint er am Ende, und schon fast an der Tür sagt er dann, er könne vielleicht die Beine der Kommode brauchen, weil die Möbelpacker die seines Kaffeetischchens ruiniert hätten. „Jetzt dachte ich eben daran, dass sich die Beine Ihrer Kommode sehr gut verwerten ließen. Ja, tatsächlich. Man könnte sie ohne weiteres abschneiden und an meinen Tisch leimen.“ Rummins fragt sofort, ob er die Kommode kaufen wolle. Scheinbar gelangweilt winkt der Besucher ab: „Ich weiß nicht recht. Ich möchte schon … und dann wieder … wenn ich’s mir überlege … nein … ich glaube, es würde doch zu viel Umstände machen. Das lohnt sich nicht. Ich lasse es lieber.“ Rummins hält den vermeintlichen Pfarrer zurück: „Wir haben die Kommode seit über zwanzig Jahren im Haus, und vorher hat sie oben im Schloss gestanden. Dort habe ich sie auf der Aktion gekauft, als der alte Herr gestorben war.“

Die weiße Farbe wird sich leicht abmachen lassen, da ist Boggis sicher, und er schätzt, dass er für das Möbelstück 12 000, 15 000, vielleicht sogar 20 000 Pfund bekommen wird.

Die drei Männer ahnen nichts davon, aber dumm sind sie auch nicht, und Boggis muss aufpassen, dass sie keinen Verdacht schöpfen. Er behauptet, bei der Kommode handele es sich um eine 50 oder 60 Jahre alte plumpe Fälschung. Um es zu beweisen, dreht er eine der handgefertigten Messingschrauben von einem Griff heraus, vertauscht sie heimlich gegen eine der Schrauben, die er während seiner Erkundungen auf dem Land immer bei sich hat, und weist die misstrauischen Bauern auf das maschinell gefertigte Gewinde hin. „Überzeugen Sie sich selbst. … Dies hier ist eine ganz gewöhnliche Schraube, wie sie in jeder Eisenwarenhandlung verkauft wird.“

50 Pfund verlangt Rummins. „Lieber Mann“, wendet Boggis ein, „ich kann ja nur die Beine der Kommode gebrauchen. Vielleicht lassen sich später auch einmal die Schubladen verwerten, aber alles übrige, das Gestell selbst, ist nur Brennholz.“ Sie einigen sich auf 20 Pfund. Boggis geht, um seinen Wagen zu holen.

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„Stellt euch bloß vor, 20 Pfund gibt der alte Esel für solchen Plunder“, freut sich Rummins. Wird der Pfarrer auch bezahlen? Plötzlich kommen den Männern Bedenken. Was ist, wenn die Kommode nicht in den Wagen passt? Claud hat eine Idee: Der Pfarrer sei doch sowieso nur an den Beinen interessiert. Die können sie ihm auch gleich absägen. Während der Bauer die Säge holt, schaffen Bert und Claud die Kommode auf den Hof und stellen sie mitten im Hühnerdreck auf den Kopf. Die abgesägten Beine legen sie sorgfältig zusammen. Selbst der Rest der Kommode würde allenfalls in einen Lieferwagen passen. Aber Geistliche fahren nun mal keine Lieferwagen! Rummins glaubt, Boggis werde sich mit den Beinen begnügen, aber Claud warnt ihn, der Pfarrer wolle dann sicher noch einmal etwas vom Preis abhandeln. Da wäre es schon sicherer, wenn sie ihm auch das Brennholz fix und fertig mitgeben könnten. Bert holt die Holzfälleraxt aus dem Schuppen. Es dauert ein paar Minuten, bis Claud die Kommode kurz und klein geschlagen hat und sich den Schweiß abwischt: „Eines kann ich euch sagen. Der Pfarrer mag reden, was er will, aber der Mann, der diese Kommode gebaut hat, war ein verflucht guter Tischler.“

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„Des Pfarrers Freude“ gehört zu den „11 ungewöhnlichen Kurzgeschichten“ von Roald Dahl, die der Verlag Alfred A. Knopf in New York unter dem Titel „Kiss Kiss“ veröffentlichte. Die deutsche Übersetzung von Wolfheinrich von der Mülbe erschien im Rowohlt Verlag: „Küsschen Küsschen!“ (ursprünglich: „Küßchen Küßchen!“).

„Des Pfarrers Freude“ ist eine maliziöse, witzige und spannend erzählte Kurzgeschichte über zwei durchtriebene Männer, die versuchen, sich gegenseitig zu übervorteilen, dadurch ungewollt eine seltene, überaus wertvolle Chippendale-Kommode zerstören und am Ende beide das Nachsehen haben.

Übrigens:
Nach einem Märchen von Roald Dahl drehte Nicolas Roeg den Film „Hexen hexen“. Und Roald Dahl schrieb das Drehbuch für den Film James Bond 007. Man lebt nur zweimal

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Rowohlt Verlag

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