Nur die Sonne war Zeuge

Nur die Sonne war Zeuge

Nur die Sonne war Zeuge

Nur die Sonne war Zeuge – Originaltitel: Plein soleil – Regie: René Clément – Drehbuch: René Clément, Paul Gégauff, nach dem Roman "Der talentierte Mr Ripley" von Patricia Highsmith – Kamera: Henri Decaë – Schnitt: Françoise Javet – Musik: Nino Rota – Darsteller: Alain Delon, Maurice Ronet, Marie Laforêt, Erno Crisa, Frank Latimore, Billy Kearns u.a. – 1960; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Tom Ripley und Philippe Greenleaf kennen sich seit langem, aber der smarte Habenichts und der egozentrische Millionärssohn sind keine Freunde geworden. Philippe sonnt sich in seiner gesellschaft­lichen Überlegenheit, während Tom auf eine Gelegenheit lauert, die Beziehung für einen sozialen Aufstieg zu nutzen. Skrupellos ersticht er Philippe während einer Bootstour und übernimmt anschließend dessen Identität ...
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Kritik

Beim Ende des Psychothrillers "Nur die Sonne war Zeuge" weicht René Clément deutlich von Patricia Highsmiths Roman ab, aber auch er macht den skrupellosen – von Alain Delon überzeugend verkörperten – Mörder zur Identifikationsfigur.
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Philippe Greenleaf (Maurice Ronet), der Sohn eines steinreichen US-Amerikaners, hat keine Lust, ein arbeitsreiches Leben wie sein Vater zu führen. Lieber genießt er mit seiner französischen Geliebten Margit Duval (Marie Laforêt) das dolce vita in Italien. Dass er dabei auf Geld seines Vaters angewiesen ist, schmälert sein Vergnügen nicht. Herbert Greenleaf möchte, dass sein Sohn in seine Fußstapfen tritt. Deshalb bittet er Tom Ripley (Alain Delon) – von dem er annimmt, dass es sich um einen Freund Philippes handelt –, nach Rom zu reisen und seinen Sohn zur Rückkehr nach San Francisco zu bewegen. Als Erfolgshonorar stellt er Tom 5000 Dollar in Aussicht.

Das ist für Tom Ripley sehr viel Geld, denn er ist mittellos. Er kennt Philippe Greenleaf seit langem, aber echte Freunde sind der Habenichts und der Millionärssohn nicht geworden. Philippe findet Tom amüsant und sonnt sich in dem Gefühl, in der gesellschaftlichen Rangordnung weit über ihm zu stehen. Es macht ihm Spaß, Tom zu demütigen. Tom, der sehr viel smarter ist als der einfallslose Bonvivant, erduldet es und lauert auf eine Gelegenheit, die Beziehung für einen sozialen Aufstieg zu nutzen.

In Rom amüsiert er sich erst einmal an der Seite Philippes. Die beiden sitzen in einem Straßencafé, und Tom schreibt für Philippe Ansichtskarten. Zufällig kommt ein Bekannter vorbei: Freddy Miles (Billy Kearns). Philippe springt auf, geht zu ihm und fordert ihn auf, sich mit an den Tisch zu setzen. Freddy kann Tom nicht ausstehen, aber Philippe prahlt, sein Begleiter sei gut als Diener und Mädchen für alles zu gebrauchen. Nachdem Freddy Philippe daran erinnert hat, dass sie in einer Woche in Taormina verabredet sind, verabschiedet er sich.

Zum Spaß schwätzen Tom und Philippe einem Blinden (Paul Muller) für 10 000 Lire den Stock ab, den dieser zur Orientierung benötigt, und geben ihm noch 500 Lire für ein Taxi. Dann benutzt Philippe den Stock, um einen Blinden zu spielen und eine Passantin auf sich aufmerksam zu machen. Zu dritt fahren sie mit einer Kutsche von Lokal zu Lokal. Bald ist die Frau beschwipst. Philippe und Tom küssen sie, aber als die beiden ihrer überdrüssig sind, stößt Philippe sie aus dem Wagen, und Tom steckt unbemerkt ihren auf den Boden gefallenen Ohrring ein.

Schließlich fahren die beiden Männer nach Mongibello, ein Dorf südlich von Neapel, wo Philippe ein Haus besitzt, in dem sie von Margit erwartet werden. Rücksichtslos gibt Philippe seinem Begleiter zu verstehen, dass er mit Margit allein sein möchte. Im Ankleideraum zieht Tom Kleidungsstücke von Philippe an, tritt vor einen Wandspiegel und ahmt auch Philippes Stimme nach. Als dieser hereinkommt, fordert er Tom verärgert auf, seine Sachen sofort abzulegen.

Auf einer von Philippe gekauften Segeljacht brechen sie zu dritt nach Sizilien auf.

Margit liebt Philippe. Allerdings missfällt ihr, wie er Tom behandelt. Sie kritisiert ihn, aber der Egozentriker hört nicht auf sie.

Während der Bootstour sorgt Tom dafür, dass Margit den von ihm in der Kutsche aufgehobenen Ohrring in Philippes Sachen findet. Wie beabsichtigt, kommt es dadurch zum Streit, und Philippe wirft im Jähzorn Margits halb fertige Dissertation über Bord. Frustriert will sie deshalb zurück nach Mongibello. Ohne sich zu verabschieden, verlässt sie das Schiff.

Die Männer setzen die Fahrt fort. Tom gibt offen zu, darüber nachgedacht zu haben, wie er Philippe ermorden und an dessen Geld herankommen könnte. Philippe findet das spaßig und erkundigt sich nach Einzelheiten des Plans, von dem er annimmt, dass es sich nur um ein Hirngespinst handelt. Durch seine gesellschaftliche Überlegenheit fühlt er sich sicher. Er hält das Psychoduell mit Tom für ein Spiel, und der erfolgsgewohnte Millionärssohn kann sich nicht vorstellen, dass er es verliert. Aber als er sich bückt, um eine vorher von Tom auf den Boden geworfene Spielkarte aufzuheben, ersticht dieser ihn mit einem Messer.

Der Mörder wickelt die mit dem Anker beschwerte Leiche in eine Plane und verschnürt das Paket mit einer langen Leine. Dann kippt er es über Bord.

Nachdem er Philippes Pass gefälscht und dessen Unterschrift geübt hat, gibt er sich als Philippe Greenleaf aus und beauftragt einen Makler (Nerio Bernardi), die teure Jacht zu verkaufen. Auf Philippes Reiseschreibmaschine tippt er Briefe, die er als „Philippe Greenleaf“ unterzeichnet. In einem davon erklärt er die Beziehung mit Margit für beendet.

Zufällig steigt die Künstlerin Mrs Popova (Elvire Popesco) mit ihrem Lebensgefährten Boris (Nicolas Petrov) in dem Hotel in Rom ab, in dem auch Tom Ripley alias Philippe Greenleaf wohnt. Das Paar kennt den reichen Amerikaner, aber Tom checkt aus, bevor er entdeckt wird und mietet von Signora Gianna (Ave Ninchi) ein möbliertes Zimmer.

Dort taucht unerwartet Freddy Miles auf, der in Taormina vergeblich auf seinen Freund gewartet hatte und die Adresse vom Schiffsmakler bekam. Tom behauptet, Philippe sei allein in ein Restaurant gegangen. Freddy wundert sich darüber, dass Tom Schuhe und Kleidungsstücke von Philippe trägt. Als er durch einen Zufall herausfindet, dass der Habenichts sich für Philippe ausgibt, erschlägt Tom ihn mit einer Buddha-Statue. Dann schleppt er die Leiche durchs Treppenhaus hinunter und transportiert sie mit Philippes Auto zur Küste, wo er sie über ein Geländer kippt.


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Nachdem Freddys Leiche entdeckt wurde, verdächtigt die Polizei Philippe aufgrund von Zeugenaussagen als Mörder. Erhärtet wird der Verdacht durch die Unauffindbarkeit des reichen Amerikaners.

Tom wählt mit Bedacht Philippes Telefonnummer in Mongibello. Wie erwartet, hebt ein Kriminalbeamter ab. Tom, der jetzt wieder seinen richtigen Namen benutzt, möchte Philippe sprechen, und als man ihm sagt, das sei nicht möglich, lässt er ausrichten, wo er zu finden sei. Philippe solle ihn zurückrufen, sagt er. Auf diese Weise täuscht er vor, nichts von Philippes Verschwinden zu wissen.

Inspektor Riccordi (Erno Crisa) taucht bei Tom in Rom auf, um ihn über Philippe Greenleaf und Freddy Miles zu befragen. Nachdem Tom, Margit, Mrs Popova und Boris Freddys Leiche identifiziert haben, gehen sie zusammen in ein Restaurant. Tom entgeht nicht, dass ihnen eine Polizistin in Zivil folgt und sie belauscht. Deshalb flüstert er Margit während des Essens zu, er habe Philippe gestern getroffen. Der Freund halte sich in Mongibello versteckt.

Dort legt er im letzten Augenblick Spuren, die vortäuschen, dass Philippe kürzlich hier gewesen sei.

Zurück in seinem Zimmer in Rom, tippt Tom einen Abschiedsbrief Philippes an dessen Mutter. Er scheide freiwillig aus dem Leben, heißt es darin [Suizid]. Außerdem schreibt er ein Testament, das Margit zu Philippes Alleinerbin macht.

Herbert Greenleaf akzeptiert die Regelung und reist nach Italien, um mit Margit alle Formalitäten zu erledigen.

Währenddessen umwirbt Tom die reiche Erbin. Als Margit darauf eingeht, hat er sein Ziel fast erreicht, denn er kann nun darauf hoffen, an ihrer Seite gesellschaftlich aufzusteigen und über Philippes Reichtum verfügen zu können.

Tom und Margit fahren an den Strand. Am Nachmittag ist Margit mit Herbert Greenleaf verabredet: Der Schiffsmakler hat für Philippes Segeljacht einen Interessenten gefunden. Nun soll sie an Land geholt und überprüft werden. Tom bleibt am Strand und bestellt eine Flasche des besten Weins. Er genießt das neue Leben.

Der Makler hält die Überprüfung des Schiffs für einen Routinevorgang. Aber als die weiße Jacht aus dem Wasser gehoben wird, sehen die Umstehenden, dass sich in der Schiffsschraube eine Leine verfangen hat – und daran hängt ein verschnürtes Paket, aus dem ein menschlicher Arm ragt.

Drei Polizisten kommen an den Strand, um Tom Ripley festzunehmen.

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Patricia Highsmith veröffentlichte 1955 den Roman „The Talented Mr Ripley“. Für die Verfilmung wählte René Clément den Titel „Plein soleil“. Im Deutschen wurde daraus „Nur die Sonne war Zeuge“. Unter diesem Titel erschien dann auch 1961 Barbara Bortfeldts Übersetzung des Romans. Die Neuübersetzung von Melanie Walz trägt den Titel „Der talentierte Mr Ripley“.

In „Nur die Sonne war Zeuge“ geht es wie auch schon in der Romanvorlage „Der talentierte Mr Ripley“ um die auf Besitz basierende Einordnung in der Gesellschaftshierarchie, die Überheblichkeit der Reichen und die Habgier der Mittellosen.

An einigen Stellen weicht René Clément bei der Verfilmung von der literarischen Vorlage ab. Beispielsweise verzichtet er auf die Vorgeschichte und die Andeutung einer homoerotischen Beziehung zwischen Tom Ripley und Philippe Greenleaf. Patricia Highsmith lässt den skrupellosen Mörder Tom Ripley in ihrem Roman ungeschoren als Gewinner davonkommen, aber im Film ist das anders.

Beibehalten hat René Clement in „Nur die Sonne war Zeuge“ die von Patricia Highsmith vorgegebene Konstellation der beiden männlichen Hauptfiguren: Während Philippe abstoßend wirkt, erliegen wir als Zuschauer dem Charisma Toms und identifizieren uns mit dem ebenso smarten wie skrupellosen Mörder, den Alain Delon überzeugend verkörpert. Diese Abweichung von den Gepflogenheiten ist kein stilistischer Gag, sondern soll uns vor Augen führen, dass die meisten Verbrecher nicht wie Monster aussehen und deshalb auch nicht ohne weiteres als solche zu durchschauen sind. Das macht sie noch gefährlicher.

Der Psychothriller stellt uns nicht vor die „Whodunit“-Frage, denn wir wissen von Anfang an, wer der Mörder ist. Die Spannung entsteht stattdessen durch unser Mitgefühl mit dem Mörder und die Frage, ob seine Raffinesse ausreicht, um der Verfolgung durch die Polizei zu entgehen.

Bemerkenswert ist die Farbregie in „Nur die Sonne war Zeuge“: Die Helligkeit und die leuchtend bunten Farben des italienischen Sommers kontrastieren mit der Abgründigkeit der Geschichte. Betont wird dieser Gegensatz durch die Kameraführung von Henri Decaë, der auf Postkartenmotive Nahaufnahmen von Gesichtern folgen lässt.

Im Handlungsaufbau gibt es einige Löcher, und es tauchen Figuren auf, die sich kaum einordnen lassen (Mrs Popova, O’Brien). Außerdem wirkt das Agieren der Schauspieler, das 1960 zeitgemäß war, inzwischen überbetont. Dennoch handelt es sich bei „Nur die Sonne war Zeuge“ um einen noch immer sehenswerten Klassiker.

Der Name Marge wurde in der deutschen Synchronisation zu Margit.

Übrigens ist Alain Delons damalige Verlobte Romy Schneider in „Nur die Sonne war Zeuge“ kurz zu sehen, und zwar als eine der beiden Begleiterinnen von Freddy Miles.

Die Dreharbeiten für „Nur die Sonne war Zeuge“ fanden auf Ischia, in Neapel und Rom statt.

Weitere Verfilmungen der Geschichten über Tom Ripley folgten: „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders (1977), „Der talentierte Mr Ripley“ von Anthony Minghella (1999), „Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund“ von Liliana Cavani (2002).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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