Jakob Arjouni : Kismet

Kismet
Kismet Kayankayas vierter Fall Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2001 ISBN 3-257-06263-X, 265 Seiten Süddeutsche Zeitung / Kriminalbibliothek Band 39, München 2006
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eigentlich wollte der türkischstämmige Privatdetektiv Kemal Kayankaya nur einem brasilianischen Gastwirt in Frankfurt am Main helfen, zwei Schutzgelderpresser zu verscheuchen, aber dabei kommt es zu einer für die beiden Gangster tödlichen Schießerei. Kurz darauf brennt das Gebäude nieder. Kayankaya sucht nach den Hintermännern – und gerät dadurch selbst ins Visier einer brutalen Verbrecherorganisation ...
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Kritik

Die knapp, rasant und spannend erzählte Handlung des Kriminalromans "Kismet" von Jakob Arjouni ist nicht besonders ausgeklügelt. Ein Vergnügen ist die Lektüre vor allem wegen der flapsig-pointierten Dialoge und der parodistischen Elemente.
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Wenn Kemal Kayankaya, ein unverheirateter türkischstämmiger Privatdetektiv Mitte dreißig, wieder einmal kein Geld hat, braucht er in dem brasilianischen Restaurant „Saudade“ am Rand des Frankfurter Bahnhofsviertels nicht zu bezahlen, denn er kennt den Wirt noch aus der Zeit, als dieser eine Imbissbude in Sachsenhausen betrieb. Romario kam zwar bereits vor zwanzig Jahren aus Brasilien nach Frankfurt am Main, aber er muss noch immer einmal im Jahr um die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis betteln.

Im Mai 1998 tauchen zwei neue Schutzgelderpresser bei Romario auf. Sie fahren eine schwarze BMW-Limousine, tragen elegante Anzüge, blonde Perücken, haben ihre Gesichter weiß gepudert und sprechen kein Wort, sondern haben Zettel mit den Forderungen einer „Armee der Vernunft“ dabei. Als Romario sich auch beim zweiten Mal weigert, den beiden Geld zu geben, ketten sie ihn an die Heizung, zwicken ihm mit einer Zange einen Daumen ab und kündigen per Zettel einen weiteren Besuch an.

Daraufhin bittet Romario Kemal Kayankaya um Hilfe. Der Privatdetektiv bringt seinen Freund Slibulsky mit. Slibulsky war früher ein kleiner Drogendealer zwischen Bahnhofsviertel und Westend und machte alles, worauf nicht mehr als fünf Jahre Gefängnis stand. Nach Verbüßung einer einjährigen Haftstrafe betätigte er sich als Rausschmeißer in einem Bordell, als Diskjockey und Leibwächter eines Kommunalpolitikers, bis er vor drei Jahren einen Betrieb mit Speiseeiswagen eröffnete: „Gelati Slibulsky“. Inzwischen arbeiten neun Leute für ihn. Seine langjährige Freundin Gina ist Archäologin.

In einem eigens leer geräumten Schrank in der Küche des Restaurants warten Kemal und Slibulsky auf die Erpresser. Sobald Romario das Stichwort ausspricht, springen sie mit ihren Waffen im Anschlag heraus. Die beiden Schutzgeldeintreiber eröffnen sofort das Feuer. Aber Kemal und Slibulsky tragen kugelsichere Westen und zielen ihrerseits gleich auf die Köpfe, weil auch die Gangster solche Westen unter den Sakkos tragen. Nach der Schießerei verpacken Kemal und Slibulsky die beiden Leichen in Müllsäcke, hieven sie in den Kofferraum des schwarzen BMW und vergraben sie im Taunus.

Als sie zurückkommen, steht das Gebäude, in dem sich das „Saudade“ befand, in Flammen. Romario hat den Brandanschlag überlebt und übernachtet bei Kemal.

Um herauszufinden, wem der schwarze BMW gehört, ruft Kemal Kayankaya den Chef der Frankfurter Ausländerpolizei an. Höttges wurde vor acht Jahren gefilmt, als er mit fünfzehnjährigen Strichjungen herummachte und glaubt, Kemal habe das Video. Deshalb lässt er sich immer wieder dazu erpressen, dem Privatdetektiv Informationen zu beschaffen.

Der BMW ist auf Dr. Michael Ahrens zugelassen, den Inhaber einer Tütensuppen- und Puddingpulverfabrik. Als Kemal dem Firmenchef einen Besuch abstattet und ihm mitteilt, er sei im Besitz des BMW, wird er von einem Leibwächter niedergeschlagen, aber er kann fliehen.

Das elektronische Telefonbuch des Handys, das Kemal einem der beiden toten Schutzgelderpresser abnahm, ist zwar leer, aber ein Druck auf die Wahlwiederholungstaste zeigt eine Rufnummer in Offenbach. Es ist der Anschluss des jugoslawischen Restaurants „Adria-Grill“. Dort fragt Kemal Kayankaya den Wirt nach der „Armee der Vernunft“. Daraufhin wird er erneut verprügelt und hinausgeworfen.

Im Auto wartet Kemal, bis das Lokal schließt. Dann folgt er dem Küchengehilfen Zvonko. Es handelt sich um den Neffen des Besitzers, der Geld fürs Studium verdienen muss. Kemal zwingt Zvonko, ihm zu erzählen, was im „Adria-Grill“ vor sich geht. Dieser Treffpunkt kroatischer Nationalisten, Söldner aus dem Bosnienkrieg, Neo-Nazis und Ustascha-Anhänger ist das Hauptquartier der „Armee der Vernunft“, deren Bosse in Kroatien sitzen. Die Verbrecherorganisation zwingt seit ein paar Wochen Bosnienflüchtlinge dazu, in Frankfurt Schutzgelder einzutreiben. Andernfalls werde man den in Bosnien zurückgeblieben Verwandten etwas antun, lautet die Drohung. Zvonko weiß auch, dass sein Onkel außergewöhnlich viel Fleisch eingekauft hat, weil in Kürze ein Treffen der Bosse stattfinden wird.

Aufgrund einer Zeitungsmeldung kann Kemal sich zwar nicht den Ort, aber den Zeitpunkt denken: Am Samstag wird der kroatische Innenminister mit Wirtschaftsdelegation in Frankfurt am Main erwartet.

In einer zum Asylantenheim umfunktionierten Jugendherberge stößt Kemal auf die vierzehnjährige Leila. Ihr kroatischer Vater sitzt in Bosnien im Gefängnis. Sie kam mit ihrer Mutter Stascha Markovic nach Deutschland. Seit drei Wochen arbeitet Stascha für Ahrens, aber seit Sonntag ist sie verschwunden. Leila bittet den Privatdetektiv, nach ihrer Mutter zu suchen. Zuvor muss Kemal sich jedoch noch des Leibwächters Gregor erwehren. Außerdem kommen auf einen Telefonanruf der Sekretärin Schmidtbauer hin zwei Schlägertypen aus der „Armee der Vernunft“ in einem schwarzen Mercedes. Mit ihren Pistolen im Anschlag suchen sie im Gebäude nach dem Schnüffler. Kemal rettet sich durch einen Sprung aus einem Parterrefenster und sucht hinter der Limousine Deckung. Seine Pistole hat er auf Gregors Beine leergeschossen. Zum Glück steckt der Zündschlüssel. Es gelingt Kemal, die beiden Verfolger vom Fenster wegzulocken. Im nächsten Augenblick rast er mit dem schweren Wagen durch die Glasscheiben des Eingangs. Für die Gangster gibt es in dem schmalen Korridor kein Entrinnen, denn die meisten Türen sind abgeschlossen. Während sie um ihr Leben rennen, verlieren sie ihre Waffen. Am Ende des Korridors quetscht Kemal sie mit der Stoßstange gegen die Wand, tritt die Windschutzscheibe ein und klettert übers Wagendach.

Als er mit Leila zu seinem Büro fährt, sieht er schon von weitem die vielen Blaulichter. Die Reste seines Schreibtisches liegen auf der Straße. Es sieht wie nach einer Gasexplosion aus, aber in dem Haus gibt es keinen Gasanschluss.

Das Mädchen bringt Kemal erst einmal bei Slibulsky und Gina unter.

Am Abend bricht er in die Firma Ahrens ein und blättert in ein paar Akten, aus denen hervorgeht, dass das Unternehmen überall in der Welt Abfall einkauft – „Schokolade, die im Rührbottich versehentlich einen Strahl Maschinenöl abbekommen hatte, Kakaopulver von einer Pflanzung, in deren unmittelbarer Nähe ein Chemiewerk in die Luft geflogen war […]“ (Seite 213) –, daraus Schokoriegel macht und diese mit gefälschten Etiketten von Markenartikeln in Osteuropa verkauft.

Nachdem Kemal herausgefunden hat, wo das Treffen der „Armee der Vernunft“ stattfinden wird, verabredet er sich mit dem Albaner, einem der Frankfurter Unterweltbosse. Die Straße vor dessen Hauptquartier im „New York“ ist abgesperrt: Es gab eine Schießerei zwischen Verbrecherbanden. Offenbar hatte die „Armee der Vernunft“ die Bande des Albaners angegriffen. Ein anderer Bandenchef wurde in seiner Villa in Oberursel erschossen.

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Die Kroaten treffen sich in der Firma Ahrens. Unter ihnen ist nur eine einzige Frau, die Kemal für Leilas Mutter Stascha Markovic hält. Der Albaner kommt mit etwa fünfzig Männern in fünfzehn Autos. Sie überwältigen die Wachen und stürmen das Gebäude. Ahrens und alle seine Gäste mit Ausnahme der Frau werden getötet.

Bei der Frau handelt es sich allerdings nicht um Stascha, sondern um eine Begleiterin Ahrens‘, vermutlich eine Edelprostituierte. Kemal ahnt nun, wo er Leilas Mutter suchen muss. Er fährt in den Taunus und gräbt nach den beiden Leichen: Eine von ihnen war eine Frau. Mit Perücke, gepudertem Gesicht und kugelsicherer Weste unter dem Herrenanzug hatte sie wie ein Mann ausgesehen.

Um Leila zu schonen, erzählt Kemal ihr, die Mutter sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Slibulsky und Gina nehmen das verwaiste Mädchen wie eine Adoptivtochter auf.

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Der Protagonist Kemal Kayankaya, der als Adoptivkind in einer türkischen Gastarbeiterfamilie aufwuchs und in Frankfurt am Main als Privatdetektiv arbeitet, ist die Hauptfigur in den Kriminalromanen „Happy Birthday, Türke!“ (1985), „Mehr Bier“ (1987), „Ein Mann, ein Mord“ (1991) und „Kismet“ (2001) von Jakob Arjouni.

Der Privatdetektiv Kemal Kayankaya ähnelt Sam Spade und anderen Figuren von hard boiled Kriminalromanen: Er ist ein schroffer, trinkfester, zynischer Einzelkämpfer Mitte dreißig, der kein Geld hat, aber sich einmal in der Woche von einer zwanzigjährigen Prostituierten verwöhnen lässt, die ihm Dank schuldet, ein Kerl, der sich zwar im Grunde gutmütig und verantwortungsbewusst verhält, aber auch seine Kontakte zu Ganoven nutzt und Gesetze übertritt, wenn er es für erforderlich hält. Obwohl Kemal Kayankaya in Frankfurt aufgewachsen ist und die Mundart beherrscht, stößt er wegen seines türkischen Aussehens immer wieder auf Vorurteile.

Die knapp, rasant und spannend erzählte Handlung des Kriminalromans „Kismet“ ist nicht besonders ausgeklügelt und auch nicht durchgängig plausibel. Jakob Arjouni setzt stattdessen auf filmreife Actionszenen. Ein Vergnügen ist die Lektüre vor allem wegen der flapsig-pointierten Dialoge und der parodistischen Elemente.

Leseprobe:

Nachdem wir aus Slibulskys Garage einen Haufen reparaturbedürftiger Eiswagen auf den Hof geschoben und den BMW untergestellt hatten, gingen wir hinauf in die Wohnung. Slibulsky zog den Kasten Bier aus dem Kühlschrank, und wir setzten uns mit ihm ins Wohnzimmer ans Fenster. Nach Essen, geschweige denn Handkäs – ein gelber Stinker, der bei entsprechender Fantasiebereitschaft auch wie ein in Leichenhallen gewonnener, gewässerter und in Gummistiefeln langjährig gelagerter Hornhautklumpen wirken konnte – war uns beiden nicht mehr. Draußen wurde es hell. Wir tranken und sahen zu, wie die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer fielen. Wir waren zu erschöpft, um zu sprechen, und zu aufgewühlt, um zu schlafen. (Seite 41)

„Kismet“ von Jakob Arjouni gibt es auch als Hörspiel (Regie: Leonhard Koppelmann, SWF, ISBN 3-89813-204-8).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Diogenes Verlag

Jakob Arjouni (Kurzbiografie)

Jakob Arjouni: Happy Birthday, Türke! (Verfilmung)
Jakob Arjouni: Chez Max
Jakob Arjouni: Der heilige Eddy

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