Evita Perón
Evita wuchs als eines von fünf unehelichen Kindern der Konkubine eines argentinischen Farmers auf. Mit 15 Jahren reiste sie Anfang 1935 nach Buenos Aires und versuchte sich als Schauspielerin. Ihre überzeugendste Rolle spielte sie jedoch als wohltätige Ehefrau des Staatspräsidenten Juan Perón. Evita stilisierte sich zum »Engel der Armen«. Im Alter von nur 33 Jahren starb sie.
Tabellarische Biografie: Evita Perón
Evita Perón: »Sie träumen von mir, und ich darf sie nicht enttäuschen«
Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: Unerschrockene Frauen. Elf Porträts
Piper Verlag, München 2013
Um die Macht zurückzugewinnen, gründete Juan Perón den Partido Único de la Revolución bzw. den Partido Peronista. Die Peronisten peilten einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus an (»Justicialismo«). Ihre politischen Gegner hielten den mit Hitler, Mussolini und Franco sympathisierenden Juan Perón jedoch für einen argentinischen Faschisten. In einer Zeit, in der argentinische Frauen noch nicht wählen durften, engagierte sich Evita Perón unermüdlich für die politische Karriere ihres Mannes und begleitete ihn auch auf seinen Wahlkampfreisen durchs Land. In der Geschichte des vom Machismo geprägten südamerikanischen Landes setzte Juan Perón einen Meilenstein, indem er sich nicht nur mit seiner Ehefrau in der Öffentlichkeit zeigte, sondern auch neben statt vor ihr aus dem Flugzeug trat. Während es ihm zuwider war, wenn ihn jemand aus einer begeisterten Menge anfasste, und er sich deshalb nicht selten bei seinen Auftritten von einem Double vertreten ließ, liebte sie den direkten Kontakt mit den Menschen und schreckte nicht einmal davor zurück, ansteckend Kranke zu küssen. Bei jeder Gelegenheit betonte sie ihre Solidarität mit den Unterprivilegierten und wurde so deren Idol. Weil sie selbst in Armut aufgewachsen war, hielt sie sich für besonders geeignet, die Interessen der »descamisados« (Hemdlosen) zu vertreten, auf deren Unterstützung Juan Perón im Präsidentschaftswahlkampf 1946 angewiesen war.
Die Bemühungen der Peronisten führten schließlich zum Erfolg: Bei der Wahl am 24. Februar 1946 wurde Juan Perón zum Staatspräsidenten gewählt. Nach seiner Inauguration am 4. Juni residierte er mit seiner Frau im Unzué-Palast, einem Gebäude mit 283 Zimmern. Obwohl Evita kein offizielles Amt bekleidete, übte sie im Regime ihres Mannes von Anfang an großen Einfluss aus. Ihr Bruder Juan Duarte wurde zum Privatsekretär des Präsidenten ernannt; ihre Schwester Blanca übernahm die Leitung der Kindergärten und Grundschulen; Evitas Schwäger erhielten wichtige Ämter in der Politik, beim Zoll und im Justizwesen. […]
In seinem Büro im Arbeitsministerium war Juan Perón auch von einfachen Leuten aufgesucht worden. Als Präsident hatte er jedoch nicht mehr genügend Zeit, um sich die Sorgen seiner Anhänger anzuhören. Deshalb übertrug er diese Aufgabe seiner Frau und ließ ihr ein Büro einrichten, in dem sie Bittsteller und Arbeiterdelegationen empfangen konnte. […] Es kam zum Beispiel vor, dass eine Frau um ein Bett bat. Evita Perón fragte, ob sie nicht auch Betten für die Kinder haben wolle, und als sie begriff, dass es dafür in der engen Behausung keinen Platz gab, ordnete sie an, der Bittstellerin eine größere Wohnung zur Verfügung zu stellen. Eine Gruppe von Sozialarbeiterinnen bearbeitete die bis zu 12 000 Briefe, die täglich eingingen. Evita Perón nahm sich nicht nur viel Zeit für die Menschen, die zu ihr kamen, sondern besuchte auch Fabriken, Schulen, Krankenhäuser und Elendsviertel. Außerdem trat sie als Rednerin auf. Ihr Arbeitstag dauerte in der Regel vom Morgengrauen bis spät in die Nacht.
Während die Oberschicht der argentinischen Gesellschaft Evita wegen ihrer Herkunft, ihrer promiskuitiven Vergangenheit und ihres unangepassten Verhaltens verachtete, wurde sie von Arbeitern und anderen Besitzlosen verehrt. Eine
Persönlichkeit aus dem Showgeschäft, die sich politisch betätigte, war damals ein Novum. »Evita hatte getan, was noch keine andere argentinische Frau vor ihr getan hatte. Obwohl sie arm, bedeutungslos und unehelich zur Welt gekommen war, hatte sie den Aufstieg zur mächtigsten Frau der Nation geschafft. Sie war arm aufgewachsen, aber nun trug sie Designerkleidung, Pelze und kostbaren Schmuck. Aus dem Dorfmädchen war eine Schauspielerin und dann die Ehefrau eines Vizepräsidenten geworden – und all das vor ihrem 30. Geburtstag. All diese hart erkämpften Errungenschaften befeuerten die Bewunderung, die sie durch die Arbeiter erfuhr, für die sie eine Heldin war, ein Beispiel dafür, was sie selbst anstreben konnten. Aber für Argentiniens reiche Bürger war sie eine Blenderin, die sich eine Position erschlichen hatte, in die sie nicht gehörte.« Dass sie ein Vermögen für Schmuck und Kleidung ausgab und ihren Reichtum auch nicht versteckte, begründete sie folgendermaßen: »Die Armen lieben es, mich hübsch zu sehen. Sie wollen nicht von einer schlecht gekleideten Alten beschützt werden. Sie träumen von mir, und ich darf sie nicht enttäuschen.« Evita Perón stand im Zentrum eines außergewöhnlichen Personenkults.
Leseprobe aus Dieter Wunderlich: Unerschrockene Frauen. Elf Porträts
© Piper Verlag, München 2013
Quellenangaben und Fußnoten wurden in dieser Leseprobe weggelassen, sind jedoch im Buch zu finden. Zitate:
Lesli J. Favor: Evita Perón, Marshall Cavendish 2010, S. 14, Übersetzung: der Autor
Evita Perón, zit. Alicia Dujovne Ortiz: Evita Perón. Die Biographie,
Übersetzung: Petra Strien-Bourmer, Aufbau-Verlag 2007, S. 209
Evita Perón (tabellarische Biografie)