Renaissance


1411 wurde das zehnbändige Werk über die Architektur wieder entdeckt, das der römische Baumeister Vitruv um 25 v. Chr. verfasst hatte. Man griff die von ihm beschriebenen Regeln und Prinzipien, Techniken und Stilelemente auf und wandelte sie zeitgemäß ab. Die Stilwende begann in Florenz, ergriff dann andere italienische Städte und verbreitete sich schließlich auch nördlich der Alpen. Von „Renaissance“ (Wiedergeburt) sprachen Jules Michelet und Jacob Burckhardt 450 Jahre später in diesem Zusammenhang (Jules Michelet: La Renaissance, 1855; Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance, 1860).

Erst in der Renaissance gewann der Baumeister größere Selbständigkeit gegenüber seinem Auftraggeber, und er trat aus der Anonymität der Bauhütte hervor.

Der Florentiner Filippo Brunelleschi (1377 – 1446) erlernte das Handwerk des Goldschmieds und sammelte Erfahrungen als Bildhauer, bevor er Baumeister wurde. In seiner Heimatstadt gestaltete er nicht nur die Kuppel des Doms, sondern auch die Basilika San Lorenzo mit der Alten Sakristei, das Findelhaus (Ospedale degli Innocenti), die Kirche Santo Spirito und die Kapelle der Pazzi in Santa Croce. In Mailand, Mantua und Rimini arbeitete er überdies als Festungsbauer. Auf ihn geht die zentralperspektivische Darstellung sowohl in der Malerei als auch in der technischen Zeichnung zurück. Wie später Leonardo da Vinci, war Brunelleschi Künstler und Ingenieur zugleich.

1420 begann Filippo Brunelleschi, das bereits fertiggestellte Oktogon des Florentiner Doms nach dem Vorbild des römischen Pantheons mit einer mächtigen Kuppel zu überwölben. In einem Modell hatte er 1418 seine Konzeption veranschaulicht: eine gemauerte und freitragende, kugelförmige innere Raumkuppel und darüber eine von einer Holzkonstruktion getragene, im Querschnitt spitzbogige Aussenschale. Brunelleschi starb am 15. April 1446. Kurze Zeit später wurde die 107 m hohe und 39,5 m weite Kuppel vollendet.

Sechzig Jahre später begann Donato Bramante (um 1444 – 1514) mit dem Neubau der Peterskirche in Rom. Als Michelangelo 1546 – zweiunddreißig Jahre nach dem Tod Bramantes – beauftragt wurde, die Bauarbeiten fortzusetzen, sah er eine Tambourkuppel nach dem Vorbild des Doms von Florenz vor. Ausdrücklich beteuerte er, Brunelleschis Kuppel lediglich in den Dimensionen, nicht aber in ihrer Schönheit übertreffen zu wollen. Michelangelos Plan wurde nach seinem Tod 1588 bis 1590 von Giacomo Della Porta verwirklicht. Die Kuppel misst 42 m im Durchmesser und ragt 132,5 m hoch auf. Anders als bei dem Vorbild in Florenz gliedern nicht acht, sondern sechzehn in den Doppelsäulen des Tambours architektonisch fortgesetzte Rippen die Kuppel.

Der römische Rundbogen und das Tonnengewölbe verdrängten den gotischen Spitzbogen und das Kreuzrippengewölbe. Mit Fensterreihen und Gesimsen, Pilastern und Halbsäulen gliederten Renaissancebaumeister die Wandflächen waagrecht und senkrecht. Die Fenster sind – wie die Portale – rechteckig oder sie enden oben in einem Rundbogen; nicht selten sind sie mit Segment- oder Dreiecksgiebeln verziert. Typisch ist auch das Zwillingsfenster: Eine Säule teilt die beiden oben bogenförmigen Hälften, die von einem gemeinsamen Rundbogen überspannt werden.

In Deutschland verbreitete sich die Renaissance-Architektur erst im 16. Jahrhundert – und blieb selbst dann noch von gotischen Zügen beeinflußt. Die 1509 gestiftete, 1518 geweihte (und 1947 restaurierte) Fugger-Grabkapelle neben der St.-Anna-Kirche in Augsburg gilt als erstes Renaissancebauwerk auf deutschem Boden.

An die Stelle der mittelalterlichen Burgen und Wehranlagen traten fürstliche Schlösser und Residenzen. Der Wittelsbacher Herzog Ludwig X. baute 1537 bis 1543 in Landshut gegenüber dem Rathaus ein Stadtschloss im italienischen Renaissancestil. Und der Wittelsbacher Pfalzgraf Ottheinrich ließ die Heidelberger Veste 1556 bis 1559 um den nach ihm benannten Renaissancetrakt erweitern. In Aschaffenburg errichtete Georg von Ridinger für den Mainzer Kurfürsten und Erzbischof Johann Schweickard von Kronberg 1605 bis 1614 um den mittelalterlichen Bergfried herum eine Residenz. Die Johannisburg ist nicht nur einer der frühesten deutschen Vierflügelbauten, sondern zugleich die erste deutsche Schlossanlage, bei der Wohnlichkeit und Repräsentation das Bild bestimmten.

Während der Renaissance verlor der Sakralbau gegenüber dem Profanbau an Bedeutung: Während wir deshalb beim Stichwort „Gotik“ an eine französische Kathedrale denken, assoziierten wir den Begriff „Renaissance“ mit einem italienischen Palazzo. Auch in Deutschland gibt es nur wenige Renaissancekirchen. In Köln, Ulm und Regensburg wurden sogar die Bauarbeiten an unvollendeten Domen eingestellt. Ursache dafür war die Krise der Kirche durch Humanismus und Reformation. Das reich und selbstbewußt gewordene Bürgertum lehnte die mittelalterliche Bevormundung durch die Kirche ab. Vom bürgerlichen Charakter der Epoche zeugen die in manchen Städten dicht gedrängt stehenden, schmalen und mehrgeschossigen Patrizierhäuser. Dabei wurde der Ziergiebel von der Gotik übernommen, aber mit Pilastern, Halbsäulen, Voluten und Obelisken bereichert.

Literatur über die Renaissance

  • Margaret Aston: Die Renaissance

© Dieter Wunderlich 2004

Jean-Philippe Toussaint - Nackt
Mit "Nackt" beendet Jean-Philippe Toussaint eine Tetralogie, die um eine Liebesbeziehung mit Trennun­gen und Annäherungen kreist. Die minimalistische Komposition lässt sich als Spiegelung des Verhältnis­ses von Kunst und Leben inter­pretieren.
Nackt