Minette Walters : Der Schatten des Chamäleons

Der Schatten des Chamäleons
Originalausgabe: The Cameleon's Shadow Macmillan, London 2007 Der Schatten des Chamäleons Übersetzung: Mechthild Sandberg-Ciletti Wilhelm Goldmann Verlag, München 2008 ISBN: 978-3-442-31159-0, 446 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 26-jährige englische Lieutenant Charles Acland kommt 2006 schwer verwundet aus dem Irak-Krieg zurück. Mit großer Energie bemüht er sich bereits im Krankenhaus, damit fertigzuwerden, ein Auge verloren zu haben und entstellt zu sein. Psychisch verletzt wurde er offenbar bereits vor seinem Einsatz im Irak. Vielleicht ist das der Grund, warum er äußerst aggressiv auf Frauen reagiert. Der jähzornige Kriegsveteran gerät bald unter Verdacht, drei bisexuelle Männer erschlagen zu haben ...
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Kritik

Liest man die ersten Seiten des Kriminalromans "Der Schatten des Chamäleons" von Minette Walters, erwartet man die Verbindung eines brisanten Themas – Irak-Krieg – mit dem Psychogramm eines physisch und psychisch Schwerverletzten, aber ...
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Der sechsundzwanzigjährige englische Lieutenant Charles Acland befehligt seit Ende September 2006 als Zugführer im Irak einen Spähtrupp mit zwölf Männern. Am 24. November fährt er mit den Corporals Barry Williams und Doug Hughes in einem Scimitar-Spähpanzer einem Konvoi auf der Straße von Basra nach Bagdad voraus. Eine in einem Tunnel unter der Straße versteckte Bombe zerfetzt das Fahrzeug. Williams und Hughes sind auf der Stelle tot; Acland wird aus dem berstenden Spähpanzer geschleudert und später mit schweren Kopf- und Gesichtsverletzungen geborgen, nach England geflogen und ins Allgemeine Krankenhaus von Birmingham gebracht. Sein linkes Auge ist zerstört, und die linke Gesichtshälfte wird auch nach mehreren Operationen und Hauttransplantationen durch den Chirurgen Tony Galbraith entstellt bleiben.

Als Charles Acland aus der Bewusstlosigkeit erwachte, glaubte er zuerst, beim Zahnarzt zu sein. Sein ganzer Mund war taub wie von einer Betäubungsspritze. Dabei war die Sache mit dem Zahnarzt völlig absurd. Er lag auf dem Rücken, die Zimmerdecke über ihm bewegte sich, und hinter ihm bimmelte laut eine Glocke. Ein Wecker? Er wollte den Kopf heben, um zu sehen, wo er war, aber sofort spürte er eine Hand auf seiner Brust, und das körperlose Gesicht einer Frau erschien über ihm. Die Zahnärztin? Er sah, dass ihre Lippen sich bewegten, konnte aber nicht hören, was sie sagte, weil der Wecker immer noch schrill läutete. Er überlegte, ob er sie bitten sollte, das Ding abzustellen, bezweifelte aber, dass er unter der Einwirkung des Novokains überhaupt verständlich sprechen konnte. Und sie würde ihn ohnehin nicht hören können.
Irgendwo in den Tiefen seines Bewusstseins lauerte eine ihm unbekannte Angst. Er verstand nicht, warum, aber die Nähe der Frau beunruhigte ihn. Er hatte sich schon einmal in dieser Lage befunden – platt auf dem Rücken und unfähig, sich zu bewegen –, und eine starke Erinnerung an Schmerzen überfiel ihn. (Seite 17)

Sobald der Patient aus dem Koma erwacht, versucht der Psychiater Robert („Bob“) Willis seine psychischen Verletzungen einzuschätzen.

Acland bleibt unnahbar, spricht nur das Nötigste und reagiert vor allem auf Frauen aggressiv. Mit großer Energie bemüht er sich, die retrograde Amnesie zu überwinden und mit dem monokularen Sehen zurechtzukommen.

Die Eltern haben einen Bauernhof. Von der dominanten Mutter erfährt Willis, dass die Verlobung ihres Sohnes mit der Londoner Theaterschauspielerin Jennifer („Jen“) Morley kurz vor seiner Abreise in den Irak aufgelöst wurde.

Unerwartet besucht Jen ihren früheren Verlobten am 7. April 2007 in Birmingham. Die attraktive junge Frau hat sich so gekleidet, dass sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Uma Thurman wie Irene Cassini in „Gattaca“ aussieht. Acland fordert sie verärgert auf, ihn in Ruhe zu lassen und warnt sie davor, ihm näherzukommen. Als sie es dennoch tut, würgt er sie, bis sie vom Sicherheitsdienst des Krankenhauses befreit wird.

Während Dr. Willis den Patienten fragt, was geschehen sei, wird Jen in sein Büro gebracht. Seine Sekretärin beobachtet, wie die Besucherin die Taschen seines Jacketts durchsucht. Jen ist unerträglich, bis ihr eine Krankenschwester ihre in Aclands Zimmer zurückgelassene Handtasche bringt und sie damit zur Toilette geht. Von dort kommt sie entspannt und mit glänzenden Augen zurück. Sie scheint Drogen genommen zu haben. Im Gespräch mit dem Psychiater vergleicht sie Acland mit einem Chamäleon, verwickelt sich aber in Widersprüche, wenn sie über ihre Beziehung spricht: Acland sei krankhaft eifersüchtig gewesen, behauptet sie. Kurz darauf beschreibt sie, wie stolz er gewesen sei, wenn andere Männer sie anstarrten und mit Uma Thurman verwechselten. Schließlich beschuldigt sie ihren früheren Verlobten, sie vor dem Irak-Einsatz anal vergewaltigt zu haben. Anzeigen will sie ihn allerdings nicht.

Am Tag darauf wird Acland aus dem Krankenhaus in Birmingham entlassen. Er soll sich noch etwas erholen, und zwar in einer Frühstückspension in London, die von der mit Willis befreundeten Psychiaterin Susan Campbell betrieben wird. Acland kennt nur ein Ziel: so schnell wie möglich zu seinem Regiment zurück. Admiral Nelson und der israelische General Moshe Dayan seien auch auf einem Auge blind gewesen, meint er. Sein Antrag wird jedoch Ende Juni 2007 abgelehnt, und den vom Militär angebotenen Bürojob schlägt Acland aus. Das während seines Krankenhaus-Aufenthaltes weitergezahlte Gehalt und die Entschädigung für die Verwundung genügen ihm, um für ein halbes Jahr eine Wohnung in London zu mieten und ein einfaches Leben zu führen.

Am 9. August sitzt er im Pub „The Bell“ am Tresen und trinkt schweigend ein Bier, als eine Gruppe junger arroganter Investmentbanker hereinkommt. Einer von ihnen, der Orangensaft trinkt, mit pakistanischem Akzent spricht und Raschid Mansur heißt, bittet Acland, einen Platz weiterzurücken. Seit dem Bombenanschlag im Irak hasst der Lieutenant arabisch bzw. muslimisch aussehende Männer. Ohne Vorwarnung schlägt er Raschid Mansur die Faust ins Gesicht. Die zierliche Wirtin Daisy Wheeler ruft nach ihrer Partnerin, einer zweieinhalb Zentner schweren Person, die nur aus Muskeln zu bestehen scheint und wie ein männlicher Gewichtheber aussieht. Dabei ist sie Ärztin. Früher hatte Dr. J. Jackson eine eigene Praxis, aber vor fünf Jahren kauften sie und Daisy zusammen den Pub und seither arbeitet sie nur noch im Notdienst. Die beiden ungleichen Frauen sind seit zehn Jahren ein Paar: Butch und Femme.

Jackson trägt Acland, der inzwischen mit einem heftigen Migräneanfall zu Boden gegangen ist, in eines der Fremdenzimmer hinauf, legt ihn aufs Bett und gibt ihm eine Spritze.

Am nächsten Morgen geht Acland zum Geldautomaten. Als er die Brieftasche öffnet, fällt ihm auf, dass Dr. Willis‘ Visitenkarte an anderer Stelle steckt. Jackson hat ihn wohl angerufen. Ein hinter ihm wartender Greis drängelt. Acland droht erneut auszurasten, aber dieses Mal beherrscht er sich. Zu Hause verbrennt er seine Militärpapiere im Garten. Darüber beschwert sich die Nachbarin Sharon („Kitten“) Carter, eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die sich nach seinem Einzug an ihn heranmachen wollte und ihm niemals verzeihen wird, dass er sie zurückwies. Entnervt zieht Acland aus, obwohl sein Mietvertrag noch fünf Monate läuft.

Er fährt zu Susan Campbell. Die Psychiaterin weiß bereits Bescheid: Jackson rief nach dem Vorfall im Pub Robert Willis an, der verständigte am Morgen Susan Campbell, die inzwischen bereits mit Dr. Jackson telefonierte. Sie bringt Acland zu der Ärztin ins „The Bell“. Dort wird Acland jedoch sofort von vier Polizisten gepackt und in Handschellen zur Polizeidienststelle Southwark East gebracht.

Superintendent Brian Jones, Inspektor Nick Beale und Constable Achmed Khan lassen Acland erst einmal stundenlang warten und beobachten ihn auf dem Bildschirm einer Überwachungskamera. Weil Jones keinen Rechtsanwalt dabei haben möchte, ordnet er an, Acland offiziell nur als Zeugen zu vernehmen. Als Beale und Khan dem „Zeugen“ ein Foto vorlegen, gibt er freimütig zu, den alten Mann am Geldautomaten gesehen zu haben. Er ahnt nicht, dass der zweiundachtzigjährige Walter Tutting kurz darauf vor seinem Reihenhaus zusammengeschlagen wurde und auf der Intensivstation des St.-Thomas Krankenhauses im Koma liegt. Bevor er das Bewusstsein verlor, hatte er den Sanitätern gesagt, „der Kerl mit der Augenklappe von der Bank“ sei der Täter. Aclands Nachbarn bestätigen jedoch, dass dieser zur Tatzeit im Garten ein Feuer gemacht habe. Er kann es also nicht gewesen sein. Allerdings entspricht der frustrierte Kriegsveteran genau der Vorstellung, die Jones sich von einem Serienmörder macht, nach dem er gerade fahndet, und Acland könnte zu den Tatzeitpunkten seine damalige Verlobte in London besucht haben.

Am 9. September 2006 wurde der siebenundfünfzigjährige Taxifahrer Harry Peel erschlagen und am 23. September der pensionierte Beamte Martin Britton. Höchstwahrscheinlich derselbe Täter tötete am 7. April den Bauunternehmer Kevin Atkins. Alle drei Männer waren bisexuell. Man fand die Leichen mit nacktem Gesäß und rektalen Verletzungen. Spuren eines Geschlechtsverkehrs gab es nicht. Erschlagen wurden die Männer mit einem stumpfen Gegenstand. Weil Walter Tuttings Kopfverletzungen ähnlich sind, vermutet Jones, dass er ebenfalls von dem Serienmörder angegriffen wurde, sich jedoch erfolgreich wehrte. Tutting hatte vor dem Überfall Geld geholt. Den drei anderen Opfern wurde Bargeld geraubt. Jones geht deshalb davon aus, dass es sich um eine Serie von Beschaffungsdelikten handelt.

Bei der polizeilichen Überprüfung Jennifer Morleys stellt sich heraus, dass es sich bei ihr um eine drogenabhängige Prostituierte handelt. Die junge Frau sieht sehr attraktiv aus, kann aber auch ordinär werden und reagiert wie ein Chamäleon auf die jeweilige Situation.

Acland taucht unter. Jackson sucht ihn und findet ihn bei zwei Obdachlosen: dem sechsundfünfzig Jahre alten „Chalky“, der eigentlich Terence Black heißt, und dem sechzehnjährigen Benjamin („Ben“) Russell. Der von zu Hause fortgelaufene Junge ist bewusstlos, wohl infolge eines diabetischen Komas, vermutet Jackson. Sie alarmiert Dr. Trevor Monaghan im St.-Thomas Krankenhaus, lässt den Kranken von Sanitätern hinbringen und folgt mit Acland und Chalky im eigenen Wagen. In Bens Rucksack findet Acland gestohlene Handys, iPods und Digitalkameras. Die Akkus sind leer. Jackson lädt eines der Handys auf, bis sie nachsehen kann, wer unter „in case of emergency“ gespeichert ist: Belinda Atkins. Im elektronischen Telefonbuch stehen außer Belinda Atkins auch Gerald Atkins, Kevin Atkins, Sarah Atkins, Tom Atkins. Der Name Kevin Atkins kommt Jackson bekannt vor. Sie googelt ihn und erinnert sich an die Meldungen über den erschlagenen Bauunternehmer. Als sie begreift, dass Ben das Handy eines Ermordeten bei sich hatte, verständigt sie Brian Jones.

Der Superintendent glaubt Jackson nicht, dass Acland das Handy in Bens Rucksack gefunden habe. Vielleicht trug er es bei sich und wollte es in Bens Sachen schmuggeln, um den Mordverdacht auf den Jungen zu lenken.

Im Telefonbuch des Handys findet die Metropolitan Police außer Real- auch Decknamen wie zum Beispiel Cass, Cass wie die Abkürzung des Namens der von Uma Thurman gespielten Filmfigur Irene Cassini.

Nach dreißig Stunden taucht Acland unvermittelt wieder auf.

Fast zur gleichen Zeit erwacht Walter Tutting aus dem Koma. Bei der Vernehmung behauptet er, der Mann mit der Augenklappe sei ihm vom Bankautomaten aus gefolgt, weil er wusste, dass er Bargeld bei sich hatte. Er weiß noch nicht, dass Charles Acland für die Tatzeit ein überprüftes Alibi hat. Seine dreiundfünfzigjährige Tochter Amy, die sich als einziges seiner drei Kinder um ihn kümmert, sagt widerstrebend aus, ihr verwitweter Vater habe seine Rente für Prostituierte ausgegeben.

In der von Derek Hardy geführten Gaststätte „Crown“ befragt Jones den Stammgast Pat Streckle, der hier häufig mit Harry Peel und Walter Tutting zusammensaß. Walter soll einmal einen Jugendlichen mitgebracht haben, auf den die Beschreibung Ben Russells passt. Acland war angeblich mehrmals hier, wies jedoch alle Kontaktversuche anderer Gäste brüsk ab.

Jones spricht Acland darauf an.

„Sie haben im selben Pub ihr Bier getrunken wie Harry Peel. Sie hatten Kevin Atkins‘ Handy in Ihrem Besitz. Und Sie haben nur wenige Stunden vor dem Überfall auf ihn mit Walter Tutting gesprochen.“ (Seite 377)

Acland gibt zu, im letzten Jahr vier- oder fünfmal im „Crown“ ein Bier getrunken zu haben. Auf die Frage, ob er am 9. bzw. 23. September 2006 dort gewesen sei – an den Tagen, an denen Harry Peel und Martin Britton erschlagen wurden – antwortet er mit „ja“. Er erinnert sich an die Daten. Am 9. September, drei Tage nach seiner Rückkehr von einem Einsatz in Oman, besuchte er seine in der Nähe des „Crown“ wohnende Verlobte, um sich von ihr zu trennen, und am 23. September, am Tag vor dem Abflug in den Irak, war er noch einmal bei ihr, um seine Sachen abzuholen. In beiden Fällen gab es Streit.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Jackson findet im Fond ihres Autos einen Matchsack. Den kann ihr nur Acland hineingelegt haben. Er enthält zwei Handys, einen Elektroschocker und eine Knobkerrie, also eine Art Keule. Die polizeiliche Überprüfung ergibt, dass die Handys Harry Peel und Martin Britton gehört hatten.

Kurz darauf wird Chalky festgenommen. Bei seiner Vernehmung schildert er Ben Russell als gewalttätigen Zuhälter und gesteht, ihm den Matchsack gestohlen zu haben. Als er sich jedoch den Inhalt ansah und ihn mit den Zeitungsberichten über eine Mordserie in Verbindung brachte, versteckte er sich mit der Beute, die ihm Acland schließlich für 50 Pfund abkaufte.

Nachts um 3.17 Uhr kommt Jen Morley nach Hause. Jones, Beale, Khan und eine Polizistin erwarten sie. Jen beschwert sich darüber, mitten in der Nacht belästigt zu werden und behauptet, heftige Menstruationsschmerzen zu haben. Offenbar will sie die Polizei unter keinen Umständen in ihre Wohnung lassen. Die Polizistin fordert Jen deshalb auf, sich an Ort und Stelle durchsuchen zu lassen. Weil sie den eingeschalteten Elektroschocker rechtzeitig bemerkt, den die Prostituierte in ihrer Handtasche hat, fasst sie die Sachen vorsichtig an. In einer Puderdose entdeckt sie Kokain. Daraufhin wird Jen Morley abgeführt. In ihrem Apartment ist der PC eingeschaltet. Sobald die Polizisten den Screensaver deaktivieren, sehen sie das „Starprofil“ des Callgirls Cass mit Softporno-Fotos von Jen Morley. Unter „Kontakte“ finden sie als Erstes die Namen Robert Allan, Timothy Gains, Kevin Atkins, Martin Britton & John Prentice.

Am 16. August wird Ben Russell im Beisein seiner Mutter und seines Anwalts vernommen. Er gesteht, Zuhälter einer Gruppe junger Mädchen gewesen zu sein. Tutting lernte er im „Crown“ kennen. Der alte Mann, der schon viel Geld für Sex Hotlines ausgegeben hatte, bat um den Besuch von Prostituierten. Bens Mädchen sträubten sich zunächst, doch als sie merkten, dass sie gut bezahlt wurden und wenig tun mussten, lief alles gut – bis der Greis nach einem Monat plötzlich keine von ihnen mehr ins Haus lassen wollte. Ben nahm sich vor, mit ihm darüber reden, aber bevor er dazu kam, raubte er am 10. August einer Passantin einen Matchsack. Damit rannte er zu Tuttings Haus. Dort schaute er sich die Beute an, fand aber nur eines der Handys brauchbar. Den Rest wollte er gerade in Blumentöpfen verstecken, als Tutting nach Hause kam. Der alte Mann griff ihn an. Ben wehrte sich und traf Tutting mit dem am Riemen geschwungenen Matchbeutel am Kopf. Als der Greis zusammenbrach, rannte er erschrocken weg.

Jennifer Morley wird am 17. August wegen dreifachen Mordes angeklagt. Sie hatte alle drei Opfer gekannt. Der Bauunternehmer Kevin Atkins hatte 2004 Instandhaltungsarbeiten an ihrem Wohnhaus durchgeführt, von Harry Peel war sie des Öfteren im Taxi gefahren worden, Martin Britton hatte sie durch dessen Lebensgefährten und Geschäftspartner kennen gelernt, den Modefotografen John Prentice. Sie wusste, dass die Männer Bargeld bei sich hatten. Das benötigte sie, um sich nach heftigen Auseinandersetzungen mit Charles Acland am 9. und 23. September 2006 sowie am 7. April 2007 Kokain kaufen zu können.

Acland vertraut Jackson an, dass ihn seine Verlobte mehrmals mit einem Elektroschocker kampfunfähig gemacht habe. Dann zwang sie ihn, nackt auf allen Vieren herumzukriechen, oder sie rammte ihm den Knauf der Knobkerrie in den Anus. Einmal hielt sie ihm auch ein Brotmesser an den Penis. Die Demütigungen hielt sie auf Fotos fest, die sie auf seinem Laptop speicherte. Als er das herausfand, zertrümmerte er das Gerät, aber sie hatte Kopien der Fotos aufbewahrt. Um zur verhindern, dass jemand die entwürdigenden Fotos zu sehen bekam, belauerte er Jen nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus und beobachtete, wie Ben ihr den Matchsack raubte. Weil er ahnte, dass sich darin auch die beiden USB Flash Drives mit den Fotos befanden, bemühte er sich, den Matchsack zu bekommen.

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Minette Walters beginnt ihren Kriminalroman „Der Schatten des Chamäleons“ mit einer ebenso eindrucksvollen wie einfühlsamen Schilderung der Wahrnehmungen und Empfindungen eines englischen Offiziers, der 2006 im Irak-Krieg schwer verletzt wurde, ein Auge verloren hat, unter einer retrograden Amnesie leidet und sich im Krankenhaus energisch bemüht, damit fertigzuwerden. Zugleich wird er von einem Schatten im Sinne von C. G. Jung gequält, „von Ängsten und unangenehmen Gefühlen […], die, vom Selbst oder von der Persona des Einzelnen zurückgewiesen, im persönlichen Unbewussten bewahrt werden“ (Oxford English Dictionary, hier: Seite 7). Er muss also nicht nur so weit wie möglich von Kriegsverletzungen, sondern zugleich auch von einschneidenden psychischen Verletzungen geheilt werden. Als Leser erwartet man also die Verbindung eines brisanten Themas – Irak-Krieg – mit einem außergewöhnlichen Psychogramm. Minette Walters benutzt den Irak-Krieg jedoch nur als Aufhänger und erzählt dann eine Geschichte, die psychologisch nicht immer nachvollziehbar ist. Ein paar Seiten lang spielt der Hass eine Rolle, den der Protagonist Charles Acland aufgrund des heimtückischen Bombenanschlags im Irak gegen arabisch bzw. muslimisch aussehende Männer entwickelt hat, aber auch dieses Thema lässt Minette Walters bald wieder fallen. Dafür reißt sie andere Themen an, zum Beispiel Homosexualität, Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit und Beschaffungskriminalität, die Traumatisierung von Kindern durch zerrüttete Familienverhältnisse, Sexualität als Mittel zur Manipulation, Narzissmus und das Bedürfnis, andere zu erniedrigen.

Auch wenn man sehr frühen Hinweisen auf die Lösung der Frage, wer drei bisexuelle Männer ermordet hat, misstraut, glaubt man sie spätestens ab der Hälfte des Romans zu kennen. Meint man daraufhin, es handele sich um eine besonders raffinierte falsche Fährte, wird man am Ende enttäuscht.

Dass die Aufklärung der Mordfälle nicht in Action-Szenen, sondern weitgehend in Dialogen erfolgt, gefällt mir, aber die eingestreuten, teilweise mehrere Seiten langen Zeitungsartikel und Aktennotizen von Medizinern und Kriminalbeamten halten die Handlung übermäßig auf.

Ärgerlich sind Schludrigkeiten, die bei der Lektorierung übersehen wurden, etwa wenn Benjamin („Ben“) Russell auf Seite 254 plötzlich Brian heißt oder Wörter ungeachtet eines Bedeutungswechsels wiederholt werden:

Chalky bemerkte vergnügt, dass er zum ersten Mal, seit er seine Alte sitzen gelassen habe, wieder in einem Auto sitze. (Seite 210)

Fazit: Minette Walters hat weit bessere Romane als „Der Schatten des Chamäleons“ geschrieben, aber der Thriller liest sich leicht, ist einigermaßen spannend und überflügelt immer noch den einen oder anderen Bestseller.

Den Roman „Der Schatten des Chamäleons“ von Minette Walters gibt es auch in einer gekürzten Fassung als Hörbuch, gelesen von Christian Berkel (Regie: Wolf-Dietrich Fruck, Köln / Hamburg 2008, 6 CDs, ISBN: 978-3-86604-806-5).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Wilhelm Goldmann Verlag

Minette Walters (Kurzbiografie)

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Minette Walters: Die Bildhauerin
Minette Walters: Die Schandmaske
Minette Walters: Dunkle Kammern
Minette Walters: Wellenbrecher
Minette Walters: Der Nachbar
Minette Walters: Fuchsjagd
Minette Walters: Der Außenseiter
Minette Walters: Der Schrei des Hahns

Kevin Brooks - Bis es dunkel wird
Kevin Brooks verfolgt mit "Bis es dunkel wird" keine literarischen Ambitionen, sondern unterhält die Leser mit einem spannenden Thriller.
Bis es dunkel wird