Tatort. Borowski und die Frau am Fenster

Tatort. Borowski und die Frau am Fenster

Tatort. Borowski und die Frau am Fenster

Originaltitel: Tatort. Borowski und die Frau am Fenster – Regie: Stephan Wagner – Drehbuch: Sascha Arango – Kamera: Thomas Benesch – Schnitt: Gunnar Wanne-Eickel – Musik: Ali N. Askin – Darsteller: Sibylle Canonica, Axel Milberg, Dirk Borchardt, Thomas Kügel, Sibel Kekilli, Karolina Lodyga, Jan Peter Heyne, Samuel Finzi, Judith Hoersch, Klaus Manchen u.a. – 2011; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Bei Charlotte Delius handelt es sich um eine einsame Tierärztin, die es auf ihren Nachbarn Hans Nielsson abgesehen hat. Als sich eine junge Frau bei ihm einrichtet, bringt Charlotte sie um und schafft nicht nur die Leiche weg, sondern auch die Sachen der Toten. Es sieht so aus, als sei Nielsson von seiner neuen Lebensgefährtin verlassen worden. Aber das kann er sich nicht vorstellen. Er wendet sich an die Mordkommission, und Kommissar Klaus Borowski findet die herausgebrochene Zahnspange der Vermissten ...
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Kritik

Die "Tatort"-Folge "Borowski und die Frau am Fenster" ist ein Highlight unter den deutschen Fernsehfilmen. Das Drehbuch ist gut durchdacht, die Inszenierung erstklassig. Und Sibylle Canonica zeigt eine schauspielerische Glanzleistung.

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Die unverheiratete fünfzigjährige Tierärztin Charlotte Delius (Sibylle Canonica) stundet der Frau eines Arbeitslosen schon mal die Behandlungskosten. Freundlich, überlegt und effizient agiert sie in ihrer Praxis in Rendsburg-Eckernfoerde. Aber dann sitzt sie in ihrem auf einem Feldweg abgestellten Geländewagen, hört Zarah Leander und schminkt sich. Als auf der Hauptstraße ein Motorrad vorbeifährt, folgt sie ihm mit unzulässiger Geschwindigkeit und überholt. Daraufhin schaltet der Motorradfahrer sein Blaulicht ein, setzt sich wieder vor sie und hält sie an. Es handelt sich um den fünfunddreißigjährigen Streifenpolizisten Hans Nielsson (Dirk Borchardt), der im Haus neben ihr wohnt und den sie jeden Abend mit dem Fernglas beobachtet. Sie müsse schnell zu einem erkrankten Pferd, erklärt Charlotte Delius. Obwohl Nielsson sie nun schon zum dritten Mal bei der Missachtung eines Tempolimits erwischt hat, schreibt er sie nicht auf, sondern fährt mit Blaulicht voran zum Gestüt.

Am Abend sieht Charlotte, dass der Nachbar eine junge Frau mitbringt und gleich darauf treiben es die beiden hinter einem Fenster ohne Vorhang. Daraufhin präpariert die Veterinärmedizinerin einen Hackfleischklops mit Rattengift und gibt ihn Nielssons Hund zum Fressen.

Eine Stunde später trägt Nielsson den vor Schmerzen winselnden Hund herüber. Die Frau ist ebenfalls dabei. Sie heiße Valeska Orschanova (Karolina Lodyga), stamme aus der Ukraine und studiere Germanistik, erklärt Nielsson glücklich lächelnd. Ob sie zu Besuch hier sei, fragt die Tierärztin. Nein, für immer, antwortet Nielsson. Ohne eine Regung zu zeigen, injiziert Charlotte dem Hund ein Gegengift und versichert, dass es dem Tier bald wieder gut gehen werde.

Am nächsten Morgen wartet Charlotte, bis Nielsson in den Dienst gefahren und Valeska allein zu Hause ist. Ganz in einen weißen Schutzanzug gehüllt, dringt sie in das Nachbarhaus ein, tötet die junge Frau mit einem Elektroschocker, wie sie ihn sonst beim Abdecken von Kühen oder Pferden benutzt und umwickelt die Leiche mit einer schwarzen Plastikplane. Ruhig und sorgfältig packt sie die Sachen der Toten zusammen.

Als der Polizist am Abend nach Hause kommt, sieht es so aus, als habe Valeska es sich anders überlegt und ihn verlassen. Aber Nielsson kann sich das nicht vorstellen. Er wendet sich an die Mordkommission in Kiel.

Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) ist müde, denn um 4 Uhr morgens wurde er von seinem betrunkenen Freund und Vorgesetzten Roland Schladitz (Thomas Kügel) aus dem Schlaf geklingelt. Schladitz ist in Urlaub. Er war mit seiner Frau Elke und den beiden Töchtern im Wohnmobil unterwegs, aber nach einem Streit fuhr Elke mit den Kindern allein weiter. Aus Angst vor der Blamage will Schladitz nicht zur Dienststelle, sondern sich drei Wochen lang bei Borowski verstecken, so als sei er weiterhin in Urlaub.

Borowski schaut sich im Haus des Streifenpolizisten um – und findet unter einem Schrank die verbogene Zahnspange der Vermissten. Ohne Gewalteinwirkung kann die Spange nicht herausgebrochen sein. Nun ist Nielsson endgültig davon überzeugt, dass jemand in sein Haus eindrang und seine Geliebte ermordete.

Als Charlotte von der Zahnspange erfährt, bleibt sie äußerlich ruhig, aber sobald sie allein ist, drückt sie die gerade gerauchte Zigarette in der Handfläche aus. Bei der Befragung erzählt sie dem Kommissar, ihre Tochter Rosemarie arbeite als Ärztin in Afrika. Später gibt sie zu, dass Rosemarie sie mit siebzehn verließ.

Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei Valeska Orschanova nicht um eine Germanistikstudentin handelte, sondern um eine bei einem Escort-Service in Kiel beschäftigte Gelegenheitsprostituierte.

Nielssons frühere Ehefrau Karen (Judith Hoersch) berichtet von seiner Eifersucht und seinem Jähzorn. Dadurch erhärtet sich der Mordverdacht gegen ihn. Als er bis zur Klärung des Falls vom Dienst suspendiert wird, rast er wütend mit seinem Motorrad los – und prallt in den Traktor des neunundsiebzig Jahre alten dementen Bauern Harry Reens (Klaus Manchen), den er schon mehrmals wegen Fahrens ohne gültigen Führerschein verwarnte. Schwer verletzt wird Nielsson ins Krankenhaus gebracht.

In Vertretung seines Chefs Roland Schladitz führt Borowski mit drei Bewerbern Einstellungsgespräche. Er entscheidet sich für die gut beobachtende, schnell und logisch denkende Polizeianwärterin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die sich obendrein auf das Hacken von Computern versteht. Seine erste Begegnung mit ihr fand in der Kantine statt. Er hatte vergessen, sich Besteck zu nehmen. Als er zu seinem Tisch zurückkehrte, saß sie an seinem Platz und aß. Aufgebracht setzte er sich auf die andere Seite und zog das Tablett zu sich herüber. Wortlos aßen sie beide vom selben Teller. Bis Borowski mit Maggi nachwürzte. Da stand Sarah auf, wünschte ihm noch knapp einen schönen Tag und ging weg. Erst in diesem Augenblick begriff er, dass er sich im Tisch geirrt hatte: Sein Tablett stand auf dem Nachbartisch.

Als Sarah ihrem neuen Vorgesetzten Unterlagen in die Wohnung bringen will, öffnet statt Borowski ein Mann, der nichts außer einer Küchenschürze über der Unterwäsche trägt. Der Urlauber Roland Schladitz! Rasch beteuert er, dass es nicht so sei, wie es aussehe. Tatsächlich kocht Schladitz für sich und Borowski, aber keiner der beiden ist homosexuell.

Borowski sucht Harry Reens auf. Der versteckt sich unter seinem Bett und erzählt etwas von einer Hexe, die alle hole. Der Kommissar ruft den Notarzt. Doch als dieser eintrifft, ist Reens bereits tot. Herzinfarkt.


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In der Schlammgrube auf dem Bauernhof findet man nicht nur die sterblichen Überreste der vermissten Valeska Orschanova, sondern auch noch eine zweite Frauenleiche. Die Unbekannte, die nur etwa siebzehn Jahre alt wurde, ist seit schätzungsweise zwanzig Jahren tot. Borowski ahnt, dass es sich um Charlotte Delius‘ Tochter handelt, von der es außer der Geburtsurkunde aus dem Jahr 1972 keine Dokumente gibt.

Er fährt mit Sarah zur Tierärztin. Bevor er aussteigt, sagt er: „Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, rufst du die Polizei.“

Als Charlotte merkt, dass der Kommissar sie durchschaut hat, setzt sie ihn mit dem Elektroschocker außer Gefecht. Während er bewegungsunfähig am Boden liegt, zieht sie eine Giftspritze auf. Da schaut Sarah durch die Terrassentüre herein. Sie reißt sie ihre Dienstpistole heraus und schießt durch die Scheibe auf die Tierärztin. Im Sturz rammt Charlotte Delius sich die Giftspritze in den Körper. Kurz darauf stirbt sie.

Am nächsten Tag steht unvermittelt Elke Schladitz bei Borowski vor der Türe. Sie und ihr Mann fallen sich um den Hals.

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In der „Tatort“-Folge „Borowski und die Frau am Fenster“ stehen nicht, wie in Krimiserien üblich, die Ermittler im Zentrum des Geschehens. Der Kieler Kommissar Klaus Borowski taucht überhaupt erst nach einer Viertelstunde auf. Außerdem schauen wir gleich zu Beginn bei dem Mord zu, den Borowski dann aufklären muss. Anders als die Polizei kennen wir die Mörderin. „Tatort. Borowski und die Frau am Fenster“ ist also kein „Whodunit“-Thriller, sondern Suspense ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen dem Wissen der Polizei und der Zuschauer.

Sascha Arango hat das im gut durchdachten Drehbuch so angelegt und dabei auch noch komische Szenen in die spannende Krimi-Handlung eingeflochten. Bei der Inszenierung setzt Stephan Wagner auf intelligente Zuschauer, die Zusammenhänge auch aufgrund von leisen Andeutungen verstehen. Erstklassig ist das zum Beispiel in zwei komischen Szenen: Borowski und Sarah Brandt in der Polizeikantine, sie und Roland Schladitz an Borowskis Wohnungstüre. Da wird nichts totgeritten. Die Figur der Polizeianwärterin Sarah Brandt wirkt allerdings ein wenig karikaturhaft, und in der Schlussszene (bei der sich Elke und Roland Schladitz um den Hals fallen) rutscht „Tatort. Borowski und die Frau am Fenster“ noch kurz in den Kitsch ab.

Insgesamt ist diese Tatort-Folge ein Highlight. Das gilt für das Drehbuch, die Inszenierung, die Besetzung und ganz besonders für Sibylle Canonica, die ihre Rolle außerordentlich nuanciert und facettenreich, eindrucksvoll und überzeugend spielt. Eine schauspielerische Meisterleistung ist es, wie sie in ihrer Mimik den Wahnsinn der Tierärztin in einer perfekten Dosierung aufblitzen lässt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011

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