Fred Vargas : Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau
Originalausgabe: Dans les bois éternels Éditions Viviane Hamy, Paris 2006 Die dritte Jungfrau Übersetzung: Julia Schoch Aufbau-Verlag, Berlin 2007 ISBN: 978-3-351-03205-0, 474 Seiten Aufbau-Taschenbuch, Berlin 2008 ISBN: 978-3-7466-2455-6, 474 Seite
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Kriminalkommissar Jean-Baptiste Adamsberg zieht in ein Haus, in dem der Nachbar ein Gespenst gesehen haben will. Zwei junge Männer, die offenbar nach etwas gegraben hatten, werden mit durchschnittenen Kehlen aufgefunden. Jemand öffnet die Gräber von zwei kürzlich beerdigten Jungfrauen, nimmt jedoch scheinbar nichts heraus. In den normannischen Wäldern metzelt jemand Hirsche nieder. Und irgendwie hängt das alles zusammen ...
mehr erfahren

Kritik

"Die dritte Jungfrau" ist mehr ein in die heutige Zeit versetztes Schauermärchen als ein Kriminalroman. Realistische Zusammenhänge darf man in diesem skurrilen, von Fred Vargas farbig und mit schwarzem Humor dargestellten Kosmos nicht erwarten.
mehr erfahren

Kriminalkommissar Jean-Baptiste Adamsberg, der Leiter der Pariser Mordkommission, erwirbt ein kleines altes Haus. Fünfzehn Jahre lang war er mit der Komponistin und Klempnerin Camille Forestier liiert. Sie haben einen neun Monate alten Sohn, Thomas, auf den Adamsberg hin und wieder aufpasst, wenn Camille zu einem Konzert muss. Adamsberg liebt Camille noch immer, muss jedoch hinnehmen, dass sie nur noch einen guten Freund in ihm sehen will.

Der Nachbar Lucio Velasco Paz fragt ihn, ob es ihn nicht stutzig gemacht habe, dass sechs Jahre lang kein Käufer gefunden worden war und erzählt ihm von der Geschichte des Hauses: Im 18. Jahrhundert lebte hier eine Nonne, die sich „heilige Clarisse“ nannte und alten Frauen gegen Bezahlung das Paradies versprach. Wenn diese mit dem Geld zu ihr kamen, schnitt sie ihnen die Kehle durch. Am 3. Januar 1771 wurde die Sechsundzwanzigjährige wieder von einer Greisin aufgesucht, doch als sie das Messer zückte, sprang der Sohn der Besucherin ins Zimmer und erwürgte die Serienmörderin. Seitdem spuke es in dem Haus, behauptet Lucio. Erst vor ein paar Tagen habe er einen Schatten herumschleichen sehen. Kein Wunder, dass in den Sechzigerjahren eine Frau aus dem obersten Fenster gestürzt sei, und davor habe man eine andere mit dem Kopf im Kohlenofen gefunden. Dass sich die letzte Besitzerin in dem Haus erhängte, weiß Jean-Baptiste Adamsberg bereits. Aber das Haus gefällt ihm, und an Gespenster glaubt er nicht.

Außerdem beschäftigt ihn etwas anderes: Vor neun Tagen fand man an der Port de la Chapelle zwei nackte männliche Leichen mit durchschnittenen Kehlen: den vierundzwanzigjährigen Afrikaner Diala Toundé und den zwei Jahre jüngeren Franzosen Didier Paillot. Es sieht zwar nach einem Mord im Drogenmilieu aus, doch Adamsberg fragt sich, warum man bei den beiden Toten Erde unter den Fingernägeln fand, so als hätten sie mit ihren Händen nach etwas gegraben.

Dr. Ariane Lagarde, die kürzlich den krank gewordenen Gerichtsmediziner Dr. Romain ablöste, wird hinzugezogen. Zuerst scheint die Sechzigjährige Jean-Baptiste Adamsberg nicht zu erkennen, aber dann erinnert sie sich an ihn: Vor dreiundzwanzig Jahren hätten sie beinahe eine Liebesaffäre gehabt. Bevor sie miteinander ins Bett gegangen wären, zerstritten sie sich in einem Café in Le Havre, weil Ariane den Tod eines Abgeordneten als Suizid erklärte, während Adamsberg von einem Mord ausging. Sie sorgte damals dafür, dass der Polizist von dem Fall abgezogen wurde. Sieben Monate später stellte sich der Mörder Hubert Sandrin und legte ein volles Geständnis ab. Von der Blamage erholte sich Ariane erst einige Jahre später, als sie durch ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen berühmt wurde. Ihr Spezialgebiet sind Mörder mit dissoziativen Störungen, Menschen, die wie Dr. Jekyll und Mr Hyde in zwei verschiedene Persönlichkeiten aufgespalten sind und als „Alpha“ nicht ahnen, dass sie als „Omega“ Verbrecher sind.

Aus den Untersuchungsergebnissen folgert Ariane, dass Toundé und Paillot von einer ungefähr 1.55 Meter großen Person getötet wurden, also wahrscheinlich einer Frau, und zwar mit einem geschickt geführten Skalpell. Möglicherweise handelt es sich um eine Krankenschwester. Adamsberg muss an den „Todesengel“ Claire Langevin denken, eine Krankenschwester, die im Verlauf von fast fünfzig Jahren dreiunddreißig Menschen in Deutschland, Frankreich und Polen ermordete, indem sie ihnen Luft in eine Vene injizierte. Die Ärzte, die die Totenscheine ausfüllten, fanden nichts Verdächtiges. Adamsberg, der in zwei Fällen gerufen wurde, fiel jedoch auf, dass es beide Male nach Relaxol roch, einem öligen Elixier aus Kampfer und Orangenblüte. Deshalb war er überzeugt, dass es sich nicht um natürliche Todesfälle, sondern um Morde handelte. Schließlich überführte er die Mörderin und trug maßgeblich dazu bei, dass sie verurteilt wurde. Er vermutet sie in der Justizvollzugsanstalt in Freiburg im Breisgau. Ariane klärt ihn darüber auf, dass die inzwischen fünfundsiebzig Jahre alte Claire Langevin vor gut zehn Monaten einen Wachmann niederstach und ausbrach.

In der Dorfwirtschaft von Harnoncourt im Department Eure hört Adamsberg eine Gruppe von Männern, die sich darüber aufregen, dass im Wald von Brétilly ein Hirsch niedergemetzelt wurde. Jemand erschoss ihn, schnitt gegen alle waidmännischen Regeln das Herz heraus und ließ den Kadaver liegen, nahm nicht einmal das Geweih mit.

Fünfzehn Kilometer von Harnoncourt entfernt, in Montrouge, will der Friedhofswärter vor zwei Wochen ein Gespenst gesehen haben. Später entdeckte er, dass die Steinplatte auf dem Grab von Élisabeth Châtel aus Villebosc-sur-Risle zerbrochen war. Die Sechsunddreißigjährige war vor drei Monaten bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen: Die Bremsen ihres Autos hatten versagt und sie war gegen einen Lastwagen geprallt. Adamsberg lässt die inzwischen erneuerte Steinplatte abheben, und der Prähistoriker Mathias Delamarre stellt fest, dass unlängst am Kopfende gegraben wurde. Von Diala Toundé und Didier Paillot? Der Sargdeckel ist über dem Kopf der Leiche durchgebrochen. Die Täter scheinen allerdings nichts gestohlen zu haben.

Robert Binet, einer der Männer aus Harnoncourt, ruft Adamsberg an und berichtet, ein weiterer Hirsch sei ebenso wie der erste zugerichtet worden, diesmal im Wald von Opportune-la-Haute. Auf dem Friedhof in Opportune will der siebzehnjährige Gratien vor fünf Wochen einen Schatten gesehen haben. Vor vier Monaten wurde hier eine Achtunddreißigjährige beerdigt, Pascaline Villemont, der ein Stein, der sich aus der Kirchenmauer in Le Mesnil-Beauchamp gelöst hatte, den Schädel zertrümmert hatte. Mathias Delamarre bestätigt, dass auch hier erst kürzlich gegraben wurde, und zwar genau wie im anderen Fall am Kopfende. Pascaline Villemont hatte mehrere Katzen. Jemand tötete den einzigen Kater, der darunter war und schnitt dem kastrierten Tier den Penis ab.

Adamsberg und sein inzwischen zum Commandant beförderter Assistent Adrien Danglard suchen den Pfarrer von Le Mesnil auf. Der versichert ihnen, Pascaline sei noch Jungfrau gewesen. Das heißt es auch von Élisabeth Châtel. Der Geistliche berichtet, neulich habe man einige der Reliquien gestohlen, auf die sein Vorgänger, Pater Raymond, so stolz gewesen sei. Allerdings fehlen nur die menschlichen Gebeine; die tierischen Knochen, die vor langer Zeit unter die Reliquien gemischt worden waren, blieben liegen. Im Pfarrhaus entdecken Adamsberg und Danglard eine 1663 gedruckte Ausgabe eines Folianten aus dem 14. Jahrhundert mit dem Titel „De reliquis“. Aufgeschlagen ist die Seite mit dem Rezept einer Medizin, die das Leben verlängern soll.

Dafür zermahlst du zu Pulver die heiligen Reliquien, nimmst drei Prisen, vermischt sie mit jener Manneskraft, die sich nicht beugen lässt, desgleichen mit dem Lebendigen von Jungfrauen, selbigem dextra, angesetzt zu drei gleichen Teilen, welches du zerstößest mitsamt dem Kreuz, das im Ewigkeitsspross lebt, adiacens in gleicher Menge, wobei all dies dem Kreis des Heiligen entstammen soll, und solches, mit dem Wein des Jahres verrührt, wird sein Haupt zu Boden zwingen. (Seite 251)

Bei der kriminologischen Untersuchung bestätigt sich Adamsberg Verdacht, dass der Stein, der Pascaline Villemont am Kopf traf, nicht aus der Wand fiel. Der Stein muss längere Zeit am Boden gelegen haben. Also wurde die Jungfrau ermordet. Das überzeugt Adamsberg davon, dass es sich auch bei Élisabeth Châtels Tod nicht um einen Unfall handelte: Jemand hatte wohl die Bremsleitungen beschädigt.

Aufgrund des Rezepts in „De reliquis“ – „mit dem Lebendigen von Jungfrauen, selbigem dextra, angesetzt zu drei gleichen Teilen“ – befürchtet Adamsberg, dass noch eine dritte Jungfrau ermordet werden soll. Die Mörderin – bei der sich um Claire Langevin handeln könnte – ist offenbar dabei, sich ein lebensverlängerndes Elixier zu brauen. Der Kater musste wegen des Penisknochens sterben, der „Manneskraft, die sich nicht beugen lässt“. Doch was entnahm die Mörderin aus den Gräbern der Jungfrauen? Und was versteht man unter „dem Kreuz, das im Ewigkeitsspross lebt“?

Lieutenant Louis Veyrenc de Bilhc ist erst seit drei Wochen bei der Pariser Mordkommission. Er stammt aus dem Ossau-Tal in der Nähe von Adamsbergs Heimatdorf Caldhez im Gave-Tal. Adamsberg weiß, dass Veyrenc vor vierunddreißig Jahren als Kind auf einer Hochwiese in Laubazac von vier Burschen aus Caldhez überfallen wurde. Sie rissen ihm einen Teil der Kopfhaut ab und verletzten ihn mit einem Messer am Bauch. Zwei der Gewalttäter sind seit einigen Jahren tot: Fernand Gascaud ertrank in einem Hotelpool, und Georges Tressin kam bei der Explosion einer Gasflasche in seiner Wohnung um. Roland Seyre und Pierre Ancenot leben noch. Wurden Fernand und Georges von Veyrenc ermordet? Will er sich jetzt an Adamsberg rächen, den er damals auch auf der Wiese gesehen hatte?

Während Adamsberg wieder einmal auf Thomas aufpasst, merkt er am Geruch, dass Camille mit einem anderen Mann im Bett war, und anhand zweier Haare findet er heraus, dass es sich um Veyrenc handelt. Zornig und eifersüchtig lässt der Kommissar verbotenerweise von Hélène Froissy eine Abhöranlage mit einem Mikrofon in Veyrencs Handy und einem Sender in Adamsbergs Haus installieren. Es schmerzt, Camille und Veyrenc beim Liebesspiel zuzuhören. Über die Anlage hört Adamsberg jedoch auch, wie Veyrenc von Roland Seyre und Pierre Ancenot überfallen wird. Er alarmiert Danglard und zwei andere Mitarbeiter. Seyre und Ancenot bringen Veyrenc mit dem Auto fort. Sie wollen ihn töten. Gerade noch rechtzeitig taucht die Polizei auf. Es kommt zu einer Schießerei, bei der Veyrenc, Seyre und Ancenot verletzt werden.

Danglard, der annimmt, Veyrenc habe Gascaud und Tressin aus Rache ermordet und sei auch hinter den anderen Beteiligten her, hatte Seyre und Ancenot gewarnt. Da er sie nicht kannte, konnte er nicht voraussehen, dass die beiden Gewalttäter entschlossen handeln würden.

Nach dem Zwischenfall lässt Adamsberg die Abhöranlage eilig wieder abbauen. Den beiden Männern aus Caldhez rät er zur Flucht aus dem Krankenhaus, um zu verhindern, dass die illegale Abhöraktion auffliegt. Veyrenc hört im Nebenzimmer, wie der Kommissar mit den beiden spricht. Erst jetzt erfährt er von den Hintergründen der Tat von damals: Auftraggeber war der stellvertretende Bürgermeister von Caldhez, dem inzwischen eines der größten Bauunternehmen in der Gegend gehört. Er bezahlte Roland und Fernand dafür, Veyrenc zusammenzuschlagen, damit dessen Vater endlich seinen Weinberg verkaufte und wegzog. Pierre und Georges machten mit, ohne etwas von dem Geld zu ahnen. Was Adamsbergs Rolle war, weiß Veyrenc noch immer nicht.

Adamsbergs fünfunddreißigjährige Mitarbeiterin Violette Retancourt wird vermisst. Die Polizei findet sie nach sieben Tagen in einer Halle. Dr. Lavoisier wundert sich, dass sie noch lebt, aber sie befindet sich in einem präfinalen Zustand. Jemand hat sie brutal niedergeschlagen und ihr dann eine eigentlich tödliche Menge Beruhigungsmittel injiziert. Im Krankenhaus von Dourdan, achtunddreißig Kilometer von Paris entfernt, tauschen die Ärzte das Blut der Koma-Patientin aus. Dafür werden drei geeignete Spender benötigt. Adamsberg stellt sich zur Verfügung. Er befürchtet, die Mörderin habe Violette Retancourt als dritte Jungfrau ausgesucht, aber Lieutenant Noël versichert ihm, dass die Kollegin nicht mehr unberührt sei. Fast grenzt es an ein medizinisches Wunder, dass Violette Retancourt sich langsam wieder erholt.

Endlich durchschaut Adamsberg, was den beiden toten Jungfrauen in den Gräbern genommen wurde: Die Mörderin schnitt Haare ab, die in den drei Monaten nach dem Tod gewachsen waren. Dr. Romain hatte das auf den Fotos bemerkt, die ihm von Violette Retancourt vorbeigebracht worden waren. Seltsamerweise steht in Ariane Lagardes Berichten nichts davon. Kann es sein, dass es der erfahrenen Gerichtsmedizinerin entgangen war?

Der Kommissar lernt außerdem, dass es sich beim „Kreuz, das im Ewigkeitsspross lebt“ um das sogenannte Herzkreuz eines Hirsches handelt, verknöcherte Sehnen im Inneren des Herzmuskels. Noch einmal fährt er nach Harnoncourt und bittet die Männerrunde in der Gaststätte, ihn zu alarmieren, wenn wieder einen Hirsch mit herausgeschnittenem Herz gefunden wird. Da erfährt er, dass bereits vor sechs Tagen ein dritter Hirsch niedergemetzelt wurde, diesmal im Wald von Tourelles.

Fieberhaft erkundigt sich die Polizei bei den Geistlichen in den umliegenden Dörfern nach Jungfrauen. Die Raumpflegerin Francine Bidault könnte ins Schema der Mörderin passen. Die Fünfunddreißigjährige lebt auf dem Bauernhof ihres vor zwei Jahren gestorbenen Vaters in Clancy, sieben Kilometer vom Bosc de Tourelles entfernt. In zwei Monaten will sie das Gehöft aus dem 18. Jahrhundert mit einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Évreux vertauschen. Adamsberg erreicht, dass Francine von der für den Ort zuständigen Polizei bewacht wird.

Brigadier Gilles Grimal schläft und findet seine Dienstpistole nicht gleich, als er Geräusche im Haus hört. Er weckt Francine, und sie flieht durchs Fenster in die Scheune eines Nachbarn, aber Grimal wird mit zwei Schüssen getötet.

Weil die Person, die die Morde verübt hat, offenbar detailliert über Adamsberg und seine Schritte Bescheid weiß, wird vermutet, dass es sich um jemanden aus den eigenen Reihen handelt. Es liegt nahe, dass sich der Verdacht gegen Lieutenant Louis Veyrenc de Bilhc richtet. Seine Rache besteht womöglich darin, Adamsberg bei der Aufklärung des Mordfalls scheitern zu lassen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Wer immer es ist, wird wahrscheinlich versuchen, Violette Retancourt im zweiten Anlauf zu ermorden. Also legen sich Adamsberg, Danglard und Brigadier Estalère in deren Krankenzimmer auf die Lauer. Nachts überwältigen sie die Mörderin, die sich mit einer Spritze in der Hand hereinschleicht.

Es handelt sich um Ariane Lagarde. Weil der Wachposten vor der Tür die Gerichtsmedizinerin kannte, ließ er sich von ihr einen Becher Kaffee geben, in den sie ein Schlafmittel gemischt hatte. Die Ärztin, die sich wissenschaftlich mit dissoziativen Mördern beschäftigte, leidet selbst unter einer dissoziativen Störung. Dementsprechend begreift sie bei der Vernehmung auch nicht, was ihr vorgeworfen wird: Alpha weiß nichts von Omega.

Ariane wurde von ihrem Ehemann Charles André Lagarde wegen der Krankenschwester Jeannine Panier verlassen. Die Dreiundzwanzigjährige starb bei einem Unfall in den Bergen. Christiane Béladan, Lagardes nächste Geliebte, wurde von einem Zug erfasst und tödlich verletzt. Adamsberg ist überzeugt, dass Ariane die beiden Frauen ermordete. Sie wurde von ihren Adoptiveltern auf dem Landsitz Écalart aufgezogen, vier Kilometer von Le Mesnil entfernt, und war mit Pater Raymond, dem früheren Pfarrer der Gemeinde, verwandt. Schon als Kind kannte sie die Reliquien und das Rezept aus dem Buch „De reliquis“. Mit sechzig wollte sie nun das lebensverlängernde Elixier herstellen und sich zugleich an Adamsberg für die Demütigung im Fall des vor dreiundzwanzig Jahren ermordeten Abgeordneten rächen. Um ihren Plan durchführen zu können, brachte sie in Freiburg den Gefängniswärter Otto Karlstein um und verhalf Claire Langevin zur Flucht. Dadurch konnte sie Adamsberg in die Irre führen. Um während der Durchführung ihres verbrecherischen Vorhabens in seiner Nähe zu sein und jeden seiner Schritte überwachen zu können, vertauschte sie die Medikamente, die Dr. Romain nahm, und als er durch die Einnahme arbeitsunfähig wurde, bewarb sich die renommierte Gerichtsmedizinerin erfolgreich als Nachfolgerin. Bevor Adamsberg in sein neues Haus einzog, schaute sie sich dort um – und wurde von Lucio Velasco Paz für das Gespenst der „heiligen Clarisse“ gehalten.

Es stellt sich heraus, dass Claire Langevin inzwischen von einem zweiundneunzig Jahre alten betrunkenen Polen mit dem Auto überfahren und tödlich verletzt wurde.

Um Ariane überführen zu können, benötigt Adamsberg das fast fertige Elixier. Er weiß, dass Ariane es in dem Glauben, damit ihr Leben zu verlängern, unbedingt trinken möchte, bevor ihre Haftstrafe beginnt. Die Polizei wird jeden Winkel ihrer Wohnung durchsuchen. Kurz nachdem Ariane sich während der Vernehmung zur Toilette bringen ließ, springt Adamsberg auf, eilt ihr nach und lässt die Türe eintreten. Sie hatte den Flakon mit dem Elixier in der Handtasche. Notgedrungen vermischte sie Pulver und Haare mit Wasser statt Wein. Adamsberg nimmt den Flakon an sich – und füllt heimlich etwas davon in ein anderes Fläschchen ab, das er ihr ins Gefängnis bringen wird, damit sie dort nicht verzweifelt.

Zwei Tage später fährt er mit Louis Veyrenc de Bilhc in die Pyrenäen und wandert mit ihm hinauf zu der Hochwiese in Laubazac. Weil Veyrenc weiß, dass Adamsberg mit den Händen auf dem Rücken an einem Baum lehnte und zuschaute, wie er malträtiert wurde, hält er ihn für den Anführer der Bande aus Caldhez. Adamsberg erklärt ihm nun, es habe in seinem Heimatdorf zwei rivalisierende Banden gegeben, eine von ihm und seinem Bruder angeführte und die Bande von Roland Seyre und Fernand Gascaud. Die Gegner zwangen ihn damals, sie zur Hochwiese zu begleiten und fesselten ihn dort an einen Baum, damit er bei der Misshandlung des Jungen aus dem Ossau-Tal zusehen musste.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

„Die dritte Jungfrau“ ist mehr ein in die heutige Zeit versetztes Schauermärchen als ein Kriminalroman. Zu Beginn eröffnet Fred Vargas ein Sammelsurium von zum Teil abstrusen Handlungssträngen, die sie erst im weiteren Verlauf schrittweise zusammenführt. Realistische Zusammenhänge darf man in diesem skurrilen Kosmos nicht erwarten. Im Mittelpunkt steht der verschrobene Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg, der sich – anders als sein Mitarbeiter Adrien Danglard – bei der Aufklärung von Mordfällen auf seine Intuition verlässt und geduldig wartet, bis ihm etwas auffällt. Bizarr ist aber auch Lieutenant Louis Veyrenc de Bilhc, der bei jeder Gelegenheit Verse von Jean Racine zitiert. Diese Verrücktheiten werden von Fred Vargas farbig dargestellt. Schräge Ideen und schwarzer Humor machen den Reiz der Lektüre aus.

Den Roman „Die dritte Jungfrau“ von Fred Vargas gibt es auch als Hörspiel (Bearbeitung und Regie: Frank-Erich Hübner, mit Volker Risch, Christian Redl, Peter Fricke u.a., Köln 2007, 2 CDs, ISBN: 978-3-89813-625-9).

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Aufbau Verlagsgruppe

Fred Vargas (Kurzbiografie / Bibliografie)

Fred Vargas: Die schöne Diva von Saint-Jacques
Fred Vargas: Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord (Verfilmung)
Fred Vargas: Bei Einbruch der Nacht (Verfilmung)
Fred Vargas: Die schwarzen Wasser der Seine
Fred Vargas: Der Zorn der Einsiedlerin

Keigo Higashino - Böse Absichten
"Böse Absichten" ist kein Whodunit-Thriller. Durch ein geschicktes Spiel mit Perspektiven gelingt es Keigo Higashino, die Leser mehrmals mit Wendungen zu überraschen, die alle bis dahin entstandenen Mut­maßun­gen über das Wie und Warum eines Mords umwerfen.
Böse Absichten