John Updike : Terrorist

Terrorist
Originalausgabe: Terrorist Alfred A. Knopf, New York 2006 Terrorist Übersetzung: Angela Praesent Rowohlt Verlag, Reinbek 2006 ISBN: 978-3-48-06885-1, 397 Seiten Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2008 ISBN: 978-3-499-24473-5, 397 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ahmed Mulloy wuchs in New Prospect, New Jersey, auf. Sein Vater, ein ägyptischer Student, hatte ihn und seine irischstämmige Mutter bald nach seiner Geburt verlassen. Der Koranlehrer, bei dem Ahmed seit seinem 11. Lebensjahr Unterricht nimmt, rät ihm, LKW-Fahrer zu werden. Vergeblich versucht der jüdische Lehrer Jack Levy, den hervorragenden Schüler für ein Studium zu gewinnen ...
mehr erfahren

Kritik

Der Roman "Terrorist" wirkt konstruiert, und es ist John Updike nicht gelungen, die Frage zu beantworten, warum ein in den USA aufgewachsener hervorragender Schüler sich von seinem Koranlehrer zu einem Selbstmordanschlag überreden lässt.
mehr erfahren

Ahmed Mulloy wächst in seiner Geburtsstadt New Prospect, New Jersey, auf. Seinen Vater Omar Ashmawy kennt er nur von einem Foto. Omar hatte Teresa Mulloy zwar während der Schwangerschaft geheiratet, sie und das Kind dann aber bald nach der Geburt verlassen. Seit fünfzehn Jahren hat Teresa nichts mehr von ihm gehört. Kennengelernt hatte die Tochter irischer Einwanderer den ägyptischen Austauschstudenten während ihres Kunststudiums an der State University von New Jersey. Inzwischen verdient die allein erziehende Mutter den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn als Schwesternhelferin am Saint Francis Community Hospital. Zum Malen kommt sie nur noch in ihrer Freizeit.

Mit elf Jahren beschließt Ahmed, ein guter Moslem zu werden und beginnt, sich zweimal in der Woche von dem jemenitischen Scheich Rashid im Koran unterweisen zu lassen. Inoffiziell nennt er sich nun Ahmed Ashmawy, nach seinem muslimischen Vater.

Ihn hält seine Religion von Laster und Drogen fern, allerdings auch auf Distanz zu seinen Klassenkameraden und zu den Fächern des Lehrplans. (Seite 13)

Teresa, die seit ihrem sechzehnten Lebensjahr nicht mehr an Gott glaubt, empfindet die Religiosität ihres Sohnes als schön. Dass es sich dabei um den Islam handelt, stört sie nicht.

Dass seine Mutter häufig die Männer wechselt, mit denen sie schläft, missfällt Ahmed ebenso wie die aufreizende Kleidung der Frauen und Mädchen. Auch seine afroamerikanische Mitschülerin Joryleen Grant trägt Tops, die ihre großen Brüste betonen und das Nabelpiercing frei lassen. Obwohl sie mit Tylenol Jones geht, sucht sie den Kontakt zu Ahmed, und er verliebt sich heimlich in sie. Dass sie im Kirchenchor singt, obwohl ihr die Religion nicht wichtig ist, versteht Ahmed nicht. Aber er lässt sich überreden, einmal ins christliche Gotteshaus zu gehen, um sie zu hören. Sein Koranlehrer erfährt davon und ermahnt ihn, sich von den Ungläubigen und ihren Kirchen fernzuhalten.

Als Ahmed die letzte Klasse der Central High besucht, wird Jacob („Jack“) Levy auf ihn aufmerksam, weil er trotz seiner hervorragenden schulischen Leistungen den berufsbildenden Zweig gewählt hat, statt sich aufs College vorzubereiten. –Der agnostische Jude Jack Levy fing vor einunddreißig Jahren als Lehrer für Geschichte und Gemeinschaftskunde an; seit sechs Jahren ist der jetzt Dreiundsechzigjährige nur noch als Beratungslehrer tätig. Seine zwei Jahre jüngere lutheranerische Ehefrau Elizabeth („Beth“), mit der er seit sechsunddreißig Jahren verheiratet ist, arbeitet vier Tage pro Woche als Bibliothekarin in der Clifton Public Library. Sie war immer schon korpulent, aber inzwischen ist sie „ein Wal von weiblichem Wesen“ (Seite 28). Der Sohn Mark lebt in New Mexico. – Ahmed erklärt dem Beratungslehrer, der Imam halte die westliche Kultur für gottlos und habe ihm deshalb geraten, Lastwagenfahrer zu werden statt aufs College zu gehen.

„Hat der Imam jemals erwähnt“, fragt er [Jack Levy] Ahmed, „dass sich ein schlauer Junge wie Sie in einer vielfältigen, toleranten Gesellschaft wie dieser mit einer Vielzahl von Ansichten auseinandersetzen muss?“
„Nein, Sir“, sagt Ahmed überraschend brüsk, und sein weicher Mund kräuselt sich trotzig. „Das hat Scheich Rashid nicht erwähnt. Er ist der Überzeugung, dass ein solcher relativistischer Ansatz die Religion trivialisiert, was hieße, dass sie nicht weiter wichtig ist. Sie glauben dies, ich glaube das, wir kommen alle miteinander aus – das ist der amerikanische Stil.“ (Seite 51f)

„Diese Gesellschaft fürchtet sich davor, alt zu werden.“ (Seite 224)

„Ich bemühe mich, den rechten Weg zu gehen“, gibt Ahmed zu. „Das ist nicht leicht in diesem Land. Es gibt zu viele Wege, es wird zu viel Unnützes verkauft. Sie geben mit ihrer Freiheit an, aber Freiheit ohne Ziel wird zu einer Art von Gefängnis.“ (Seite 190)

Sein Gott sei kein Gott des Unternehmungsgeistes, meint Ahmed, sondern ein Gott der Unterwerrfung.

[…] überkommt Ahmed auf einmal Panik angesichts der Bürde, ein Leben zu haben, das er wird ausfüllen müssen. Diese zum Untergang verurteilten Tiere, die sich dort, Paarung und Unfug witternd, zusammengerottet haben, genießen immerhin den Trost, sich in einer Herde von ihresgleichen zu befinden, und jedes von ihnen hat irgendeine Hoffnung oder einen Plan für die Zukunft – einen Job, ein Ziel, einen Ehrgeiz, und sei es auch nur der, in der Hierarchie der Drogendealer oder Zuhälter aufzusteigen. (Seite 236)

Aufgrund der außergewöhnlichen Intelligenz Ahmeds hält Jack es für abwegig, dass der Junge auf ein Studium verzichten will, das ihm hervorragende Karrierechancen eröffnen würde. Deshalb spricht er auch mit Teresa Mulloy über ihren Sohn, die jedoch nichts unternimmt, um Ahmed umzustimmen. Allerdings lässt sie sich auf eine Affäre mit dem dreiundzwanzig Jahre älteren Lehrer ein.

Zwei Wochen nach der Abschlussfeier an der Central High absolviert Ahmed in Wayne, New Jersey, die Prüfung für den Gewerbeführerschein. Zu den Fragen gehört beispielsweise folgende:

Sie fahren einen Tanklaster und die Vorderräder beginnen zu schlittern. Was ist die wahrscheinlichste Folge?

Die richtige Antwort lautet:

Sie rollen in gerader Linie weiter vorwärts, egal wie stark Sie gegensteuern. (Seite 121)

Sobald Ahmed den Führerschein hat, bringt Scheich Rashid ihn mit Habib und Maurice Chebab zusammen, zwei Libanesen, die als junge Männer in die USA immigriert waren und in New Prospect ein Discount-Möbelhaus eröffnet hatten. Weil Maurice Chebab inzwischen die meiste Zeit in Florida lebt und sein älterer Bruder Habib unter Diabetes leidet, übernahm kürzlich Habibs Sohn Charlie die Firmenleitung. Der Fünfunddreißigjährige stellt Ahmed als Lastwagenfahrer ein.

Die Empfänger einer Lieferung kommen Ahmed verdächtig vor. Er fährt los, stellt den LKW hinter der nächsten Straßenecke ab, läuft zurück und beobachtet durch ein Fenster, wie die Männer die Polsterung der soeben gelieferten Wäschetruhe aufschneiden und mehrere Bündel Banknoten herausnehmen. Als er Charlie darüber berichtet und fragt, was es damit auf sich habe, erhält er zur Antwort, dass es sich bei den Männern um wahre Gläubige handele.

In seinen Gesprächen mit Ahmed findet Charlie heraus, dass der Achtzehnjährige noch keine sexuellen Erfahrungen hat. Daraufhin will er ihn unbedingt mit einem Mädchen zusammenbringen, obwohl er der Ansicht ist, dass die innere Leere der Ungläubigen die Ursache ihrer Sexbesessenheit sei. Nachdem Ahmed eines Abends den LKW abgestellt hat, schickt Charlie ihn in einen der Räume des Möbelhauses. Dort trifft Ahmed zu seiner Überraschung auf Joryleen Grant. Charlie Chebab habe sie dafür bezahlt, dass sie mit einem jungen, noch unberührten Mann schlafe, erklärt sie. Tylenol Jones verlange zwar nicht von ihr, dass sie auf der Straße nach Freiern Ausschau halte, aber sie treffe sich hin und wieder mit Männern, die er für sie aussuche. Das sei auch nur vorübergehend so, beteuert Joryleen. Sie schickt sich an, Ahmeds Hose zu öffnen, aber er will angezogen bleiben und bittet nur darum, Joryleen unbekleidet anschauen zu dürfen. Sobald sie sich nackt an ihn drängt, ejakuliert er in die Hose.

Am Tag darauf bestätigt der Koranlehrer Ahmeds Vermutung, dass er für einen Selbstmordanschlag ausgewählt wurde. Seine Mutter werde eine Entschädigung bekommen, versichert Scheich Rashid, aber Ahmed bittet ihn, das Geld Joryleen Grant zu geben. Er will ihr damit zur Freiheit verhelfen.

Seine Aufgabe besteht darin, während der Rush Hour einen mit vier Tonnen Amoniumnitrat beladenen Lastwagen in den 2,4 Kilometer langen Lincoln Tunnel zu fahren, der Weehawken Township, New Jersey, und Manhattan, New York, verbindet. An einer bestimmten Stelle unter dem Hudson River soll Ahmed die Sprengladung zünden.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Während Ahmed erfährt, was er zu tun hat, vertraut der US-Heimatschutzminister in Washington, D. C., seiner Mitarbeiterin Hermione Fogel an, dass man von einem geplanten Terroranschlag erfahren habe. Offenbar wolle sich ein Moslem mit einem Lastwagen in die Luft sprengen, aber man wisse noch nicht, wo sich das Fahrzeug befinde und wer der Selbstmordattentäter sei. Das Geld dafür habe ein aus dem Libanon stammender Immigrant in Florida bekommen, der mit seinem Bruder zusammen ein Discount-Möbelhaus in New Prospect, New Jersey, besitzt. Hermione Fogel stutzt: Ihre drei Jahre jüngere Schwester Beth lebt in New Prospect und erzählte ihr unlängst von einem araboamerikanischen Schüler ihres Ehemanns, der trotz seiner besonderen schulischen Leistungen LKW-Fahrer werden wollte. Sofort setzt Hermione sich mit ihrer Schwester und ihrem Schwager in Verbindung.

Am nächsten Morgen ist Ahmed mit seinem Boss verabredet, aber Charlie taucht nicht auf und lässt auch nichts von sich hören. Da fährt Ahmed allein los. Zwischen den Vordersitzen ist eine Metallbox mit Klebeband befestigt. Damit wird er im Lincoln Tunnel die Explosion auslösen.

Bevor Ahmed New Prospect verlässt, entdeckt er Jack Levy am Straßenrand, und als er an der nächsten Kreuzung halten muss, kommt der Lehrer angerannt und pocht ans Beifahrerfenster, bis Ahmed ihm die Tür öffnet und ihn einsteigen lässt.

Unterwegs unterrichtet Jack ihn darüber, dass Charlie Chebab tot ist. Die Islamisten hatten herausgefunden, dass er insgeheim für die CIA arbeitete. Deshalb brachten sie ihn um. Seine enthauptete Leiche wurde am Vortag gefunden. Offenbar hatte Charlie Ahmed nur als Agent provocateur benutzen wollen, um die Terroristen auffliegen zu lassen. Scheich Rashid ist untergetaucht.

Im Lincoln Tunnel schaut Ahmed die beiden Kinder im Fond des Autos vor ihm an. Widerstandslos lässt er sich von Jack nach New Prospect zurücklotsen. Dort melden sie sich bei der Polizei.

Diese Teufel, denkt Ahmed, haben mir meinen Gott weggenommen. (Seite 397)

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

In seinem Roman „Terrorist“ schildert John Updike aus der Perspektive des Protagonisten Ahmed Mulloy, wie ein in den USA aufgewachsener Achtzehnjähriger zum islamistischen Selbstmordattentäter wird. Aber es ist Updike nicht gelungen, sich in den Kopf des jungen Mannes zu versetzen und uns zu erklären, was in ihm vorgeht. Die Frage, warum der hervorragende Schüler sich von seinem Koranlehrer überreden lässt, den Lastwagen-Führerschein zu machen und sich ans Steuer eines mit Sprengstoff beladenen LKW zu setzen, wird nur mit Klischees beantwortet. Dass es Ahmed missfällt, wie die Menschen um ihn herum leben (Sex, Konsum) und er seit seinem elften Lebensjahr ein guter Moslem sein möchte, reicht nicht als Erklärung aus.

Ohne einen Hauch des wilden Hasses, den man für den ihm zugedachten Akt erwarten würde, sagt er Ja und Amen zu allem und erweist sich, selbst wenn er in den Laster mit vier Tonnen Sprengstoff steigt, in erster Linie als ein braver Junge. Warum er das tut, begreift man eigentlich nicht. Im Zentrum des Buchs, man muss es leider so sagen, steht nicht ein Held, auch kein Antiheld, sondern eine narrative Null. (Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2006)

Dass John Updike den Terroristen nicht als Monster, sondern als sympathischen Menschen darstellt, finde ich richtig, aber die Entwicklung junger Männer zu Selbstmordattentätern wird in dem Film „Paradise Now“ überzeugender dargestellt. Aufschlussreicher ist auch der Roman „Die Attentäterin“ von Yasmina Khadra (eigentlich: Mohammed Moulessehoul).

Originaltitel: „L’attentat“ – „Die Attentäterin“, Übersetzung: Regina Keil-Sagawe, Nagel und Kimche, München / Wien 2006, 269 Seiten, ISBN 978-3-312-00380-8 – Taschenbuch: dtv, München 2008, 269 Seiten, ISBN 978-3-423-13645-7 – „Die Attentäterin“, Hörspiel mit Christian Berkel, Hans Peter Hallwachs, Peter Fitz u. a., Regie: Frank-Erich Hübner, Der Hörverlag, München 2006, 1 CD, ISBN: 978-3-89940-882-9

Außerdem wirkt der Roman „Terrorist“ konstruiert: Der Protagonist ist der Sohn einer irischstämmigen Christin und eines muslimischen Ägypters, bei Jack Levy handelt es sich um einen agnostischen Juden, der mit einer Lutheranerin verheiratet ist und mit Ahmeds Mutter eine Affäre beginnt. Die afroamerikanische Prostituierte, die Ahmed am Vorabend des geplanten Selbstmordanschlags zugespielt wird, ist ausgerechnet eine frühere Mitschülerin, für die er heimlich schwärmte. Levys Schwägerin arbeitet für den US-Heimatschutzminister, der von dem bevorstehenden Terroranschlag erfahren hat – und die Schlussszene ist noch unglaubwürdiger.

Übrigens veröffentlichte der Verlag Alfred A. Knopf den Roman „Terrorist“ am 6. Juni 2006. Dreimal die Sechs gilt als Satanszeichen. Mit dem Wort „Teufel“ beginnt denn auch der Roman.

Den Roman „Terrorist“ von John Updike gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Ulrich Noethen (Regie: Torsten Feuerstein, Argon Verlag, Berlin 2006, 7 CDs, ISBN: 978-3-86610-101-2).

 

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Rowohlt

John Updike (Kurzbiografie)

John Updike: Rabbit-Pentalogie
John Updike: Die Hexen von Eastwick (Verfilmung)
John Updike: Gertrude und Claudius
John Updike: Rabbit in Ruhe
John Updike: Wie war’s wirklich

Sylvia Richard-Färber - Beppoppelki Nikoppelbom
Wortneuschöpfungen und selbstironische Kommentare der Autorin machen "Beppoppelki Nikoppelbom. Das blutrote Siegel" zu einem Lesevergnügen. In der Geschichte selbst fehlt es an Verknüpfungen.
Beppoppelki Nikoppelbom