Flavio Steimann : Bajass

Bajass
Bajass Originalausgabe: Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2014 ISBN: 978-3-89401-797-2, 127 Seiten eBook: 978-3-86438-163-8
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Am Morgen nach der Ermordung eines älteren Bergbauernpaars trifft ein desillusionierter Kommissar aus der Stadt ein und beginnt die Ermittlungen. Albin Gauch ist ein wortkarger Einzelgänger, der befürchtet, bald sterben zu müssen. Statt zielstrebig Hypothesen über den Mordfall aufzustellen und zu überprüfen, schaut er sich um und hört einem Wegmacher zu, der ihm erzählt, dass die Bauersleute Zöglinge aus Heimen ausbeuteten. Auf dem Hof entdeckt er zufällig das Foto eines Jungen. "Bajass" steht auf der Rückseite ...
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Kritik

Flavio Steimann bedient sich zwar des Genres der Kriminalromane, aber "Bajass" ist eher eine düstere Milieu- bzw. Gesellschaftsstudie, die sich durch eine dichte Atmosphäre, eine treffsichere Wortwahl und eine historisierende Sprache auszeichnet.
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Kriminalkommissar Albin Justus Hektor Gauch geht am Dienstag nach Ostern von der Bahnstation Maria Zell die steilen Kehren des Karrwegs hinauf zu einer Stelle im Holz, an der das alte Bauernpaar aus dem Gandhof ermordet wurde. Entfernte Verwandte hatten die Leichen am Vorabend entdeckt. Der ehrgeizige Bezirkslandjäger, der Wäscheleinen von Baum zu Baum spannte und mit Stalllaternen behängte, zeigt Gauch den blutigen Spalthammer, mit dem der Mann und die Frau erschlagen wurden und äußert auch gleich einen Verdacht:

Der Gandbauer sei das Opfer eines Raubmordes geworden, das könne man deutlich daran erkennen, dass man ihm die silberne Uhr von der Weste gerissen habe, zudem sei die Truhe in der Schlafkammer der Eheleute aufgebrochen und alles Wertvolle gestohlen worden. Man verdächtige die Fecker, die beim Zeller Moos am See lagerten.

Der Gandhof wurde bereits auf Anordnung der Amtsschreiberei versiegelt, und man hat auch das brüllende Vieh versorgt.

Missmutig macht Gauch sich auf den einstündigen Weg zum Fecker-Lager am Seezopf. Den Platz findet er verlassen vor, aber er folgt den Wagenspuren und findet das nächste Lager des fahrenden Volkes. Von dort wird der Büttel der Gemeinde die Menschen beim nächsten Leermond wieder vertreiben, so wollen es die Gesetze. Eine Weile hört Gauch einer Geige spielenden Kindfrau zu, aber dann schlagen die Hunde an, und er geht wieder zurück.

Unweit des Gandhofs passiert er eine Baustelle. Dort wird der Mast einer Nachrichtenfunkstation errichtet.

In der Stadt sucht Gauch die Prosektur auf, und während der Gerichtsmediziner Bericht erstattet, betrachtet er die verdorrten äußeren Geschlechtsorgane der inzwischen obduzierten Mordopfer.

Eines zeige sich immer wieder, meinte er [der Pathologe] sodann, das krumme Holz Mensch sei zu mancherlei fähig, und so sehe es eben aus, wenn mehr als Butterblumen ermordet würden.

Die Bauersleute wurden wahrscheinlich von einem Linkshänder erschlagen. Weil Abwehrverletzungen weitgehend fehlen, ist anzunehmen, dass sie den Mörder kannten und von dem tödlichen Angriff überrascht wurden. Das Herz der Bäuerin war übrigens verfettet: Adipositas cordis. Beim Verlassen des Seziersaals liest der Kommissar den Spruch: Mortui vivos docent (Die Toten lehren die Lebenden).

Gauch, der befürchtet, dass die Taubheit seines Beins ein erstes Anzeichen einer schweren Krankheit sein könnte, glaubt, dass der Pathologe von seinem Aussehen auf eine nur noch kurze Lebenserwartung geschlossen habe.

Weil die Gemeinde lediglich über einen Katafalk verfügt, muss beim benachbarten Pfarramt von Seeweiler ein zweiter ausgeliehen werden, um die beiden schwarzen Tannensärge zu Leonidas (15. April) im Chor der Dorf- und Bittkirche St. Marien in Maria Zell nebeneinander aufstellen zu können.

Um der hiesigen Tradition nachleben zu können, hatte man die Gandbauern am Vortag für ein letztes Mal auf ihren Hof geführt und in einer unversiegelten, mit Efeu und Tannenreisig eiligst als Andachtsraum hergerichteten Vorratskammer für ein paar wenige Stunden im offenen Sarg aufgebahrt. Maskenhaft geschminkt und gepudert, die Mullkäppchen tarnend auf den zertrümmerten Köpfen und den Rosenkranz um die verknoteten Gichthände geschlungen.

Der Geistliche hebt in seiner Trauerrede hervor, dass die Gandbauern viele Jahre lang unversorgte Kinder aufnahmen. Aber die Gedanken der anwesenden Bauern kreisen um die versäumten Feldarbeiten, denn niemand trauert den beiden Toten nach; sie waren unbeliebt und als raffgierig verschrien. Gauch nickt ein und träumt, wie der Rappe des Leichenkutschers durchgeht und die Särge auf dem Pflaster zersplittern.

Nachdem der Kommissar wieder aufgewacht ist, geht er von der Kirche zur Wirtschaft hinüber.

Als die ersten Geladenen eintrafen, saß Gauch bereits in der Ilge beim grünen Kachelofen, hielt den Seeboten mit dem Bericht über das dreiste Verbrechen am hölzernen Stock.

Daktyloskopisch relevante und einer Fremdperson zuzuordnende Papillenspuren hatten die unter anderem auch auf den Schaft des Spalthammers aufgetragenen Gelatinefolien keine zutage gefördert, es war demnach mit Sicherheit anzunehmen, dass das delinquente Subjekt während seines ganzen Aufenthalts im Bauernhaus wie auch im Wald Handschuhe aus filzigem Material oder Wolle getragen hatte. Zum Aufbrechen der Truhe war das daneben gefundene Nageleisen aus dem Besitz des Bauern verwendet worden, dessen rekonstruierte Abdruckspuren nach Aussagen der Sachverständigen mit jenen im Holz vollständig übereinstimmten.

Um den debilen, stummen und gehörlosen Bruder der ermordeten Bäuerin, der als Knecht auf dem Gandhof arbeitete, kümmert sich der Waisenvogt, und weil der Verwalter des Ledigenheims im Amtshauptort die Aufnahme verweigert, wird er in die geschlossene Abteilung der Irren- und Heilanstalt für Gemütskranke Mater Domini eingeliefert.

Gauch geht noch einmal zum Gandhof hinauf. Vieh und Geflügel wurden inzwischen weggebracht. Der Kommissar zerbricht das Siegel an der Tür und sieht sich in den Räumen um.

Vor Gauchs Augen lag die von Handschweiß und Melkfett dunkel glänzend gewordene Stelle des Türpfostens, an dem Generationen von Bauern sich in jüngeren Jahren gestützt und in fortgeschrittenem Alter gehalten hatten, um beim Ausziehen der Stallstiefel nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

In einem Bottich aus Zinkblech ist abgeräumtes, aber noch ungespültes Geschirr mit angetrockneten Resten einer Hafersuppe gestapelt. Die Rosshaarmatratze wurde aufgeschlitzt. Gauch findet einen abgerissenen münzengroßen vierlöcherigen Knopf aus dunklem Horn. Aus der aufgebrochenen Truhe nimmt er einen Aussaatkalender, und als er sich müde auf eine Stabelle setzt, um darin zu blättern, rutscht ein alter Barytabzug heraus, auf dem ein zwölf oder dreizehn Jahre alter Junge abgebildet ist. Auf die Rückseite hat jemand mit einem Bleistift in ungeübter Sütterlinschrift „Bajass“ gekritzelt.

Weder der Schullehrer, noch der zugleich als Waisenvogt amtierende Schreiber oder der Dorfgeistliche kennen den Jungen. Immerhin erzählt der Pfarrer, dass die Bäuerin nach einer Totgeburt nicht mehr schwanger werden konnte. In Ermangelung eigener Kinder nahm das Paar jedes Jahr Zöglinge aus den Besserungs- und Waisenanstalten Sonnberg und Rothausen auf, die bei der Erntearbeit halfen.

Etwas später trifft Gauch auf einen Wegmacher, in dem er den Totengräber der Gemeinde erkennt. Der berichtet, dass die dem Gandbauern zugeteilten Waisen nach Abschluss der Herbstarbeiten zum Kohlebergwerk am Sonnberg gebracht wurden und dort weiterschuften mussten. Das Bauernpaar habe es verstanden, Kinderknechte, die kein Kostgeld brachten, vor dem Pfarrer und dem Schullehrer, dem Waisenvogt und allen andern zu verstecken und gewissenlos auszunützen. Sie mussten schwer arbeiten, bekamen kaum zu essen und hatten nichts zu lachen. Die Gandbauern, so der Wegmacher weiter, hätten aber nicht nur Jungen aus Waisenhäusern und Erziehungsanstalten ausgebeutet, sondern sich auch welche gegen eine Speckseite von Hausierern bringen lassen. Bei dem Jungen auf dem Foto handele es sich möglicherweise um den Sohn einer unverheirateten jungen Frau, der vor etwa zehn Jahren auf dem Gandhof arbeitete.

Einige Tage später nimmt Gauch noch ein weiteres Mal den Dampfzug nach Maria Zell und durchstreift den Gandhof, ohne nach etwas Bestimmten zu suchen.

In der Schublade des Nachttischs, die klemmte und wahrscheinlich deshalb vom Gehilfen des Waisenvogts als einzige nicht geöffnet worden war, stieß Gauch auf ein Neues Testament, dessen Goldschnitt wohl als Folge eines Gewitterregens arg gewellt auseinanderklaffte, darin fand sich beim Einlegebändchen ein Andachtsbild mit dem Heiligen Antonius von Padua und dahinter, halb daran klebend, eine abgegriffene Künstlervorlage mit einer kolorierten drallen Frau darauf, die nackt vor einem gemalten Lustgarten mit gesenkten Augen in ihren Handspiegel schaute und deren kraus behaartes Schamdreieck zwischen den kräftigen Schenkeln mit einer Sattlerahle oder einem Hufnagel mehrfach durchstochen worden war.

Die übel riechende Stallkluft des Knechts hängt über einer Stabelle. Seinen Ekel überwindend, durchsucht Gauch die Taschen und findet in der Drillichjoppe einen Ausriss aus einer Zeitung mit einer Annonce, in der unbemittelten Auswanderungswilligen eine billige Überfahrt nach New York angeboten wird. Eines der Abreisedaten ist mit einem abgeleckten Bläuel dick eingekreist. Der Dampfer, die S/S Liberté, läuft in zwei Tagen von Le Havre aus.

Gauch verlässt die Stadt, ohne sich die geplante Reise genehmigen zu lassen. Allerdings legt er im Grenzort Delle seinen Dienstausweis vor, um im Emigranten-Nachtzug nach Paris noch einen Platz zu bekommen. Am nächsten Morgen fährt er weiter nach Le Havre. Das Beweismaterial hat er bei sich: den Barytabzug, den Hornknopf und den Gipsabguss eines im lehmigen Teil des Gemüsegartens auf dem Gandhof sichergestellten Fußstapfens, der von keinem der auf dem Hof hinterlassenen Schuhe oder Stiefel stammt.

Auf der S/S Liberté bezieht Gauch eine Kabine zweiter Klasse. Er weiß, dass er gegen Dienstvorschriften verstößt.

Seit heute früh waren sie nach ihm auf der Suche – erst auf der Kommandantur, später im Feld und auf die Nacht hin, nach vergeblichem Warten, in seiner verlassenen Wohnung – nach Anbruch des Tages dann flussabwärts bis zum Rechen des Wehrs.
Das Fehlen der Beweisstücke mussten sie schon anlässlich des Frührapports zu Dienstbeginn bemerkt haben und, da sie ihn nicht finden würden, zusammen mit seinem Verschwinden vorschriftsgemäß der Oberstaatsanwaltschaft melden.

Nach dem Ablegen des Dampfers wird Gauch seekrank und kotzt sich die Kehle wund.

Als er sich einigermaßen erholt hat, geht er mit einer vom Decksteward ausgestellten Besucherkarte für den Salontrakt der ersten Klasse in die Bordbibliothek und vergleicht eine zuvor in seiner Kabine hergestellte Frottage des Gipsabgusses mit Abbildungen in einer Enzyklopädie.

Das Zeichen auf der Sohle, ein Sonnenrad aus drei geschweiften Strahlen, die gleicherweise drehend in Spiralen endeten, las Gauch, war eine Triskele, seit Urzeiten das Sinnbild für den Kreislauf des Lebens.

Außerdem studierte er Artikel über Hinrichtungsmethoden, Stenose, Thrombose und Schlaganfall.

Gauch hielt inne.
Mit einem Mal spürte er wieder wie einen kalten Stahl den schneidenden Blick des Obduzenten, der in ihm zweifelsohne schnell einen Gezeichneten erkannt hatte, und verstand dessen gefrierendes Lächeln im Park der Prosektur.
Für geraume Zeit war ihm seltsam, der Atem wurde schwer, eine eiserne Klaue klammerte sein Genick.
Dann griff er nach seinem Puls.

Der bucklige Inspekteur des Zwischendecks, dessen linkes Augenlid gelähmt ist, verweigert Gauch einen Einblick in die Passagierliste und nutzt dessen Anfrage zu Ausfällen gegen die Reisenden der dritten Klasse, die er allesamt für Ganoven hält.

Nicht weniger als ein gutes halbes Tausend solch zweifelhafter Subjekte, fünfhundertvierzig, um genau zu sein, würden im Zwischendeck reisen – ein eigentliches Gesindel, Nestflüchter aus allen Ländern, und das meiste davon Luftmenschen, Häusler und Deserteure, Flickschneider, Schuster und Häuteljuden, deren Jiddisch kaum einer verstehe, abgetakelte Schankwirte und was immer über die Stränge haue oder andern die Köpfe blutig schlage, und mit ihnen geschwängerte Weiber oder solche mit schreienden Bälgen, Franzosen, Deutsche, Italiener, Tschechen und Slowaken, Magyaren, dazu Polacken, die, man glaube es kaum, die Freiheitsstatue allen Ernstes für ihre heilige Muttergottes hielten, zunehmend Volk auch aus allen Ecken der Donaumonarchie und aus dem Kronland Galizien, da immer mehr inzwischen gewarnt seien vor den betrügerischen Winkelagenten des Lloyd und der Hamburger Packet-Gesellschaft und sich nicht von denen ausnehmen lassen wollten, dazu gewiss auch das Essen auf französischen Schiffen vorzögen, wenn auch nicht Escoffier persönlich am Herd stehe, fast durchwegs aber Schmutzfinken, die er, ehrlich und offen gesagt, nur allzu gerne der Konkurrenz überlassen würde, am saubersten seien noch die Schweizer, aber auch nur gerade jene, die eine Art Deutsch sprächen.
Bei allem Ärger aber sei Lebendfracht, das müsse man nun einmal kaufmännisch sehen, auch wenn sie gottserbärmlich stinke, ein einträgliches Geschäft.

Am dritten Abend auf See wird im Prunksaal der ersten Klasse eine Abendgala veranstaltet, zu der auch die Passagiere der zweiten Klasse zugelassen sind, wenn auch nur auf der Galerie. Die Auswanderer auf dem Zwischendeck organisieren parallel dazu eine eigene Veranstaltung.

Gauch fallen drei Männer auf, die sich für die Aufführung einer Komödie zurechtmachen. Das Volksstück handelt von einem Bauern, seiner (ebenfalls von einem Mann gespielten) Frau und ihrem tölpelhaften Knecht, der sie bestiehlt. Dass dem Darsteller des diebischen Knechts das Endglied des Ringfingers fehlt, entgeht Gauch nicht.

Am Ende des derben Stücks lag das hässliche Paar mit offenem Mund tot und verkrümmt auf den Planken.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Vorzeitig zieht Gauch sich in seine Kabine zurück und schläft ein. Er träumt, wie der Dieb von zwei bulligen Männern auf einen elektrischen Stuhl gefesselt und hingerichtet wird. Es ist eine grausame Prozedur.

Am nächsten Morgen erregen Fußabdrücke vom Abort der Männer zum Zwischendeck seine Aufmerksamkeit, denn die Triskele ist deutlich sichtbar. Er holt den Gipsabguss aus der Kabine, aber bevor er die Abdrücke damit vergleichen kann, gießt ein Matrose schäumende Lauge über die Eigenplanken und schrubbt den Boden.

Weil ein Marconi-Apparat an Bord ist, könnte Gauch über die Küstenfunkstelle das Ermittlungsdezernat der Einreisebehörden verständigen. Dann würde man den Mordverdächtigen nach dem Anlegen des Schiffs in Ellis Island festnehmen.

Die Avisierung der heimischen Kommandantur mittels der transatlantischen Verbindung und des neu errichteten nationalen Radiofunksystems erlaubte ohne Zeitverlust die telegraphische Anforderung der Beweisschrift und die Depeschierung des Auslieferungsantrags zu Handen der konsularischen Vertretung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in New York.
Da dem Begehren in Erfüllung des Staatsvertrags innert nützlicher Frist stattzugeben war, konnte schon anlässlich der Heimfahrt der Liberté eine Rückschaffung in der Arrestzelle, die sich etwas abseits bei den Messen der Besatzung befand, ins Auge gefasst werden.
Die Verlegung per Schub von Havre nach dem Grenzort Delle erfolgte unter Hoheit der französischen Sûreté und nach der Übernahme in Pruntrut durch die örtliche Gendarmerie ein begleiteter Transport im gesicherten Postwagen des Dampfzugs bis zum Heimbahnhof, wo er den Beschuldigten – alles erklärend – der Staatsanwaltschaft zur Befragung und anschließenden Inhaftierung im Zentralzuchthaus der Stadt überstellen konnte.
Das Kriminal- und in zweiter Instanz auch das Obergericht würden angesichts der belastenden Indizien der Anklage folgen und gestützt auf die Gesetze im Hauptanklagepunkt ohne Zweifel auf des zweifachen Mordes schuldig erkennen, die Todesstrafe verhängen und zur Vollstreckung die Enthauptung durch das Fallbeil anordnen.
Eine Begnadigung seitens des Großen Rats war angesichts der Schwere der Tat mit Bestimmtheit auszuschließen.

Statt einen Funkspruch absetzen zu lassen, nutzt Gauch jedoch die Gelegenheit zu einer Schachpartie mit dem jüngeren der drei Komödianten, und das, obwohl er ungern spielt, weil er es hasst, zu verlieren und Siege ihn beschämen. Er vergewissert sich, dass der Ringfinger des Mannes verstümmelt und auf den Sohlen der rissigen Lederschuhe mit aufgenähten Kappen eine Triskele eingeprägt ist. An der Joppe des Verdächtigen fehlt ein dunkler vierlöcheriger Hornknopf wie der, den Gauch unvermittelt auf eines der Felder des Schachbretts legt.

Der Junge lachte auf, verstummte jäh, lachte wieder und wurde still.
Dann trafen sich ihre Blicke.

Als dann vom Oberdeck der kleine mit Schwimmern versehene, leinenbespannte Aeroplan startet, um die mitgeführte Post so schnell wie möglich zum Festland zu bringen, springt der junge Mann auf und schaut sich an, wie der Sternmotor angeworfen und das Flugzeug von den Radschuhen befreit wird.

Am achten Tag trifft der Dampfer in Ellis Island ein. Der junge Mann steht mit einer Frau in einer zu weiten Handwerkerhose im Gedränge und hat einen Seesack vor den Füßen liegen. Der an seiner Joppe fehlende Hornknopf wurde inzwischen wieder angenäht.

Dann trafen sich ihre Augen.
Es war der Blick des Knaben auf dem Bild; wieder war es der Blick eines gefangenen Tiers.

Gauch zieht das Päckchen mit den Beweismitteln aus einer Manteltasche, hält es über die Reling und lässt es nach langem Zögern fallen.

Gleich darauf bricht er zusammen.

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Die Handlung des Romans „Bajass“ von Flavio Steimann spielt um 1900 in der Schweiz und auf einem Ozeandampfer. Erzählt wird in der dritten Person Singular aus der subjektiven Sicht des Protagonisten, eines älteren und desillusionierten Kriminalkommissars. Albin Gauch ist ein wortkarger Einzelgänger, der befürchtet, dass es sich bei der Taubheit seines Beins um das erste Anzeichen einer schweren Krankheit handelt. Bei der Aufklärungsarbeit nach einem Doppelmord geht er alles andere als zielstrebig vor. Stattdessen hängt er seinen Gedanken nach, nickt mitunter ein und träumt dann heftig. Allerdings beobachtet er, was um ihn herum geschieht und sieht sich mehrmals im abgelegenen Haus der Ermordeten um.

Offenbar geht es Flavio Steimann auch weniger um die Aufklärung des Mordfalls, als um die Beobachtungen des Kommissars. Er bedient sich zwar des Genres Kriminalroman, aber „Bajass“ ist weniger ein spannender Thriller als eine düstere Milieu- bzw. Gesellschaftsstudie.

Der Roman dreht sich um eine Gesellschaft im Umbruch (Fin de siècle). Ein geiziges Bauernpaar beutet Waisen und Kinder unverheirateter Frauen aus. Werden Verbrechen entdeckt, fällt der Verdacht sogleich auf Fremde, vor allem nicht sesshafte. Die Station einer Dampfeisenbahn und der Bau eines Funkmasten veranschaulichen, dass der technische Fortschritt und neue Kommunikations­möglichkeiten auch entlegene Gebiete verändern. Auf dem Ozeandampfer – Schauplatz der zweiten Romanhälfte – ersetzt dann ein Postflugzeug den Funkmasten als Symbol.

Um dem Elend zu entfliehen, wandern viele von Europa nach Amerika aus und hoffen auf ein besseres Leben in der Neuen Welt. Bei der Überfahrt bleiben die Klassenschranken jedoch in Kraft. Die armseligen Emigranten drängen sich auf dem Zwischendeck, während man in der ersten Klasse einen Galaabend feiert und die Passagiere der zweiten Klasse dazu immerhin auf die Galerie des Prunksaals einlädt.

Antiquierte bzw. regional in der Schweiz gebräuchliche Wörter erschweren Lesern nördlich des Bodensees die Lektüre ein wenig, aber sie sind unverzichtbar, denn sie tragen maßgeblich zu der dichten Atmosphäre bei, die Flavio Steimann in „Bajass“ evoziert. Auch sonst zeichnet sich die Erzählung durch eine ebenso sorgfältige wie treffsichere Wortwahl aus. Aus genau den richtigen Wörtern komponiert Flavio Steimann kraftvolle Sätze. Zu der eigenwilligen historisierenden Sprache gehört nicht zuletzt der vollständige Verzicht auf Dialoge in wörtlicher Rede. Überhaupt wird in „Bajass“ weder viel gesprochen noch viel getan, sondern mehr beobachtet.

Flavio Steimann wählte den Titel „Bajass“. Darunter versteht man im Alemannischen einen Kasper bzw. Hanswurst.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Edition Nautilus

Flavio Steimann: Aperwind

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