Muriel Spark : Frau Dr. Wolfs Methode

Frau Dr. Wolfs Methode
Originalausgabe: Aiding and Abetting Viking, London 2000 Frau Dr. Wolfs Methode Übersetzung: Hans-Christian Oeser Diogenes Verlag, Zürich 2001 ISBN 3-257-06273-7, 176 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die in Paris praktizierende Psychiaterin Dr. Hildegard Wolf hat eine eigenwillige Methode entwickelt: Statt der Patienten redet sie! Eines Tages behauptet ein Patient, der verschollene Lord Lucan zu sein, der berüchtigte Mörder eines Kindermädchens. Das irritiert Frau Dr. Wolf, denn noch einer ihrer Patienten behauptet das von sich. Ist einer der beiden wirklich Lord Lucan? Und warum wenden sich beide Engländer an sie? ...
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Kritik

Der Roman "Frau Dr. Wolfs Methode" ist kein Meisterwerk, aber eine unterhaltsame und locker geschriebene schwarze Krimikomödie mit einer abstrusen Geschichte.
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Die Sprechstundenhilfe wirkte winziger denn je, als sie den hochgewachsenen Engländer in den Behandlungsraum von Dr. Hildegard Wolf führte, der Psychiaterin, die – über Prag, Dresden, Ávila, Marseille und London – aus Bayern gekommen war und sich nunmehr in Paris niedergelassen hatte.
„Ich wollte Sie konsultieren“, sagte er, „weil ich keinen inneren Frieden mehr kenne. Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich meine Seele dem Teufel verkauft.“ Der Engländer sprach Französisch mit einem sehr fremdländischen Akzent. (Seite 7)

Dr. Hildegard Wolf stammt aus Bayern, lebt aber seit zwölf Jahren in Paris und gilt dort als die gefragteste Psychiaterin der Stadt. Für eine 45 Minuten lange Sitzung berechnet sie 1500 Dollar. Bei der von ihr entwickelten Methode erzählt nicht der Patient von seinen Problemen, sondern während der ersten Stunden redet fast ausschließlich die Therapeutin, die übrigens seit fünf Jahren mit dem sieben Jahre jüngeren Jean-Pierre Roget zusammenlebt, der Gegenstände aus Holz und Metall anfertigt.

Eines Tages kommt ein fünfundsechzigjähriger Engländer als neuer Patient zu ihr und behauptet, „Lucky“ Lucan zu sein, der seit dem 7. November 1974 verschollene Lord Lucan, der siebte Earl of Lucan. Ohne weiteres gibt er zu, dass er damals seine Ehefrau Veronica nach elf Jahren Ehe umzubringen beabsichtigte, nicht nur, weil er nach der Trennung die Klage auf Übertragung des Sorgerechts für die Kinder verloren hatte, sondern vor allem, weil er aufgrund seiner Spielsucht völlig überschuldet war und das Haus verkaufen wollte. In der Nacht auf den 7. November 1974 erschlug er die Frau, die er für Veronica hielt, mit einem Bleirohr. Erst dann merkte er, dass er versehentlich statt seiner Frau das Kindermädchen Sandra Rivett ermordet hatte. Gleich darauf kam Veronica die Treppe herunter, weil sie Geräusche gehört hatte. Lucan schlug auch auf sie ein, aber seine Frau überlebte den Mordanschlag schwer verletzt. Mit Hilfe guter Freunde – allen voran Alfred Twickenheim – gelang Lord Lucan die Flucht aus dem Land.

Dr. Wolf wundert sich, denn sie hat bereits einen Patienten, der sich zwar Robert Walker nennt, aber ebenfalls behauptet, Lord Lucan zu sein. Handelt es sich um zwei Hochstapler oder zwei Verrückte? Ist einer von ihnen tatsächlich der gesuchte Mörder? Aber welcher?

Es dauert nicht lang, bis Dr. Wolf feststellt, dass die beiden unter einer Decke stecken und sie erpressen wollen. Offenbar haben sie herausgefunden, dass sie gar keine Psychiaterin ist und in Wirklichkeit Beate Pappenheim heißt. Sie war mit vierzehn Geschwistern auf einem Bauernhof in Bayern aufgewachsen und hatte in den Siebzigerjahren in der Handtaschenabteilung eines Kaufhauses in München arbeiten müssen, um ihr Medizinstudium zu finanzieren. Einmal fand sie ihr Freund, der protestantische Theologiestudent Heinrich Esk, während einer Menorrhagie blutüberströmt auf ihrem Bett vor. Das brachte sie auf die Idee, sich jeden Monat mit ihrem Regelblut zu beschmieren und abwechselnd eines der fünf Wundmale Christi zu simulieren. Vor allem in Irland sammelte die angeblich Stigmatisierte im Verlauf von acht Jahren sehr viel Geld für ihren katholischen Pappenheim-Fonds. Als sie 1986 als Betrügerin entlarvt wurde, tauchte sie mit mehreren Millionen D-Mark unter.

Um den Erpressern zu entkommen, verlässt Beate Pappenheim alias Dr. Hildegard Wolf Paris, ohne sich auch nur von Jean-Pierre oder ihrer Sprechstundenhilfe Dominique zu verabschieden und setzt sich nach London ab.

Lucan reist ebenfalls nach England. Seit 1974 tut er das zweimal im Jahr, um von seinem Freund Benny Rolfe Bargeld in Empfang zu nehmen, das dieser und andere reiche Freunde regelmäßig für ihn aufbringen.

Von Benny Rolfes Landsitz Adanbrae Keep fährt er weiter zum Kloster St.-Columba, dessen Prior Pater Ambrose ebenfalls zu seinen Freunden zählt. Plötzlich drängt Pater Ambrose ihn abzureisen, weil soeben zwei Personen ins Kloster gekommen sind, die ihm gefährlich werden könnten: Lacey, die gut dreißigjährige Tochter von Albert und Maria Twickenheim, die ein Buch über Lord Lucan schreiben will und bei ihren Nachforschungen von dem fast doppelt so alten Cambridge-Dozenten Dr. Joseph („Joe“) Murray unterstützt wird. Um sie abzulenken und keinen Verdacht aufkommen zu lassen, hat Pater Ambrose ihnen in der Bibliothek seine umfangreiche Sammlung von Zeitungsausschnitten über den Fall Lucan zur Verfügung gestellt.

Lucan folgt dem Paar unbemerkt und fliegt sogar in derselben Maschine nach Paris.

Durch zahlreiche Telefongespräche gelingt es Jean-Pierre herauszufinden, in welchem Hotel seine Lebensgefährtin abgestiegen ist. Er reist nach London – und trifft Dr. Wolf gerade noch beim Check-out an. Mit dem nächsten Flugzeug kehren sie nach Paris zurück, denn Dr. Wolf hat inzwischen beschlossen, sich von den beiden Erpressern nicht einschüchtern zu lassen.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Während Lord Lucan sich in Mexiko versteckte, traf er vor zehn Jahren auf Robert Walker, den ihm verblüffend ähnlich sehenden Butler und Verwalter auf einer Hazienda. Nach einer kleinen Gesichtsoperation war das Double perfekt. Seither bedient Lucan sich des Doppelgängers aus Sicherheitsgründen.

Als Walker feststellt, dass Lucan wieder einmal das gesamte Geld bei Pferderennen verspielt hat, arbeitet er als Weihnachtsmann in einem Kaufhaus, um wenigstens das Nötigste kaufen zu können. Lucan erhält dagegen ein Angebot aus Zentralafrika: Dort sucht ein Stammeshäuptling zwei englische Lords als Hauslehrer für seine drei offiziellen Söhne. Ein Enkel des Häuptlings, der afrikanische Arzt Dr. Karl K. Jacobs, ist Patient bei Dr. Wolf, und der war von Jean-Pierre überredet worden, seinem Großvater ein entsprechendes Fax zu schicken.

Lord Lucan und Robert Walker fliegen also nach Afrika. Lucan ist seines ständigen Begleiters inzwischen so überdrüssig wie damals seiner Frau. Er beabsichtigt, ihn zu vergiften, aber das hält der Häuptling für keine gute Idee, weil dann das Fleisch verdorben wäre. Das Stammesoberhaupt beauftragt stattdessen ein paar Männer, Walker zu erschlagen. In der Dunkelheit verwechseln sie ihn allerdings mit Lucan. Nachdem die Söhne des Häuptlings das Fleisch des Toten gegessen haben, um selbst zu englischen Lords zu werden, bezahlt der Stammesfürst Walker einen Flug nach Mexiko.

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Muriel Spark ließ sich von einer wahren Begebenheit zu ihrem Roman „Frau Dr. Wolfs Methode“ inspirieren: Am 7. November 1974 verschwand Lord Lucan, der am 18. Dezember 1934 geborene siebte Earl of Lucan. Zur gleichen Zeit wurde seine Ehefrau mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert und die Leiche des Kindermädchens in einem Postsack gefunden. Ein Geschworenengericht befand Lord Lucan in Abwesenheit des Mordes und des versuchten Mordes für schuldig, aber er tauchte nie wieder auf und wurde 1999 amtlich für tot erklärt.

Dass die Protagonistin eigentlich den Nachnamen Pappenheim trägt wie eine der berühmten Patientinnen von Sigmund Freud, ist gewiss kein Zufall, zumal sie mit „Frau Dr. Wolfs Methode“ die Psychoanalyse karikiert, zu deren wichtigsten Grundsätzen es gehört, dass der Patient redet und der Psychiater vor allem zuhört. Ein weiteres Objekt ihres Spotts ist der Aberglaube.

„Frau Dr. Wolfs Methode“ ist kein Meisterwerk, aber eine unterhaltsame und von einer auktorialen Erzählerin locker geschriebene schwarze Krimikomödie mit einer abstrusen Geschichte.

Meinen Stil habe ich erst gefunden, als ich Katholikin wurde. Er ist unbeschwert, und dafür braucht man Sicherheit. (Muriel Spark)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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