Über uns das All

Über uns das All

Über uns das All

Originaltitel: Über uns das All – Regie: Jan Schomburg – Drehbuch: Jan Schomburg – Kamera: Marc Comes – Schnitt: Bernd Euscher – Musik: Steven Schwalbe, Tobias Wagner – Darsteller: Sandra Hüller, Georg Friedrich, Felix Schmidt-Knopp, Kathrin Wehlisch, Valery Tscheplanowa, Stephan Grossmann, Aljoscha Stadelmann, Piet Fuchs, Martin Reinke u.a. – 2011; 85 Minuten

Inhaltsangabe

Nach dem Suizid ihres Ehemanns Paul bricht für Martha eine Welt zusammen, denn sie begreift, dass ihre Liebe und ihr Glück auf einer Illusion basierten. Paul führte ein Doppelleben. Martha verdrängt das, und als sie Alexander begegnet, projiziert sie ihre Vorstellung von Paul auf ihn. Es dauert nicht lang, bis Alexander klar wird, dass sie ihm eine Ersatzrolle zugedacht hat ...
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Kritik

In dem subtilen Psychodrama "Über uns das All" von Jan Schomburg überzeugt Sandra Hüller mit einer nuancen- und facettenreichen Darstellung.

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Martha Sabel (Sandra Hüller), eine Englischlehrerin Anfang 30, ist mit dem Mediziner Paul Sabel (Felix Schmidt-Knopp) verheiratet. Die beiden wohnen in Köln. Martha liebt ihren Mann und ist glücklich mit ihm. Sie freut sich, als er ihr erzählt, seine Dissertation sei angenommen worden und der Doktorvater, Professor Gellendorf (Martin Reinke), habe sie als Meilenstein gelobt. Fast zur gleichen Zeit eröffnet er Martha, er habe ein interessantes Angebot als Krankenhausarzt in Marseille bekommen, wolle es annehmen und mit ihr zusammen nach Südfrankreich ziehen. Voller Vorfreude kündigt Martha ihre Stelle in der Schule und fängt zu packen an. Der Plan sieht vor, dass Paul vorausfährt, und sie ihm eine Woche später folgt.

Am Tag nach Pauls Abreise klingeln zwei Polizistinnen (Anja Lais, Robert Dölle) bei Martha und teilen ihr mit, dass ihr Mann sich auf einem Parkplatz in Marseille das Leben genommen habe. Martha geht erst einmal von einer Verwechslung aus. Sie wählt Pauls Nummer, aber wie am Vorabend schaltet sich nur die Mailbox seines Handys ein. Die Polizistinnen bitten sie, mit ins Präsidium zu kommen und den Toten anhand von Fotos zu identifizieren, die von der französischen Polizei übermittelt wurden. Ein Beamter zeigt sie Martha, und nachdem sie die Aufnahmen eine Weile angeschaut hat, erklärt sie sachlich, es handele sich tatsächlich um ihren Mann. Dann verlässt sie das Büro, wählt erneut Pauls Telefonnummer und spricht schluchzend auf die Mailbox: „Was machst du denn für Sachen?!“ Sie will nicht wahrhaben, dass er tot ist und kann sich auch nicht vorstellen, dass er lebensmüde war. Aber der Beamte zeigt ihr einen Kassenzettel, der beweist, dass Paul vor der Abreise in einem Baumarkt in Köln den Schlauch und die Rolle Klebeband kaufte, die er dann nach der Ankunft in Marseille benötigte, um die Autoabgase ins Wageninnere zu leiten. Als ihr der Beamte sein Beileid ausspricht, sagt Martha: „Können Sie ja nix für.“ Und dann fragt sie leichthin: „Was muss ich denn jetzt machen? Muss ich was unterschreiben?“

Beim Bestattungsunternehmer (Piet Fuchs) sucht sie einen Sarg aus. Als sie überlegt, wen sie zu der Trauerfeier einladen soll, wird ihr bewusst, dass es sich ausschließlich um ihre eigenen Freunde handelt. Pauls Eltern sind schon lange tot, und eigene Freunde hatte er offenbar keine. Sie sucht Professor Gellendorf auf, um ihm die Nachricht von Pauls Tod zu überbringen. Aber der Medizin-Professor versichert ihr, keinen Doktoranden dieses Namens gehabt zu haben, und die Fachbereichssekretärin (Lina Beckmann) findet in einer elektronischen Datei heraus, dass Paul Sabel sich vor vier Jahren exmatrikulierte.

Für Martha bricht eine Welt zusammen. Jeden Tag war Paul angeblich zur Universität gefahren. Offenbar hatte er ein Doppelleben geführt, und Marthas Liebe galt einem Mann, von dem sie jetzt feststellt, dass sie ihn gar nicht kannte. Die glückliche Beziehung war eine Illusion.

Als sie herausfindet, dass auf Pauls Mailbox für die Zeit nach seiner Abreise außer ihren eigenen drei Nachrichten ein Anruf ihrer Freundin Trixi (Kathrin Wehlisch) gespeichert ist, die Paul um einen dringenden Rückruf bat, argwöhnt sie, dass Paul und Trixi sie betrogen. Aber Trixi wollte Paul nur um Rat fragen, weil bei ihrem Cousin ein Magengeschwür diagnostiziert worden war.

Im Aufzug der Universität fällt Martha ein Mann auf, der sich die Haare mit einer Bewegung aus der Stirn wischt, wie auch Paul sie machte. Sie wechselt ein paar Worte mit ihm. Alexander Runge (Georg Friedrich) ist Geschichtsdozent. Als sich die beiden kurz darauf im Bus wiedersehen, nimmt Martha ihn mit nach Hause. So als ob sie längst ein Paar wären, zieht sie sich aus und fordert ihn auf, ins Bett zu kommen. Alexander merkt, dass Martha unglücklich ist, und statt die Situation auszunutzen, geht er.

Einige Wochen später kommt Martha in die Universität, um sich bei ihm zu entschuldigen und ihn erneut einzuladen. Zufällig ist es sein Geburtstag. Inzwischen hat sie die Umzugkartons wieder ausgepackt und die Wohnung neu eingerichtet. Diesmal schlafen sie miteinander. Er wundert sich allerdings, dass sie ihn nicht nach seinem Namen fragt.

Seine Lebensgefährtin, eine Fotografin, ist geschäftlich verreist, und nach ihrer Rückkehr trennt Alexander sich von ihr.

Er macht Martha mit seinem Freund Bernd (Aljoscha Stadelmann) bekannt.

Eines Morgens werden Martha und Alexander aus dem Bett geklingelt. Marthas früherer Kollege Bruno Heimann (Stephan Grossmann) steht mit einem Blumenstrauß vor der Tür. Damit, dass sie einen Liebhaber hat, rechnete er nicht. Nach dem Austausch von ein paar Höflichkeitsfloskeln und einer nachträglichen Beileidsbekundung beendet er die peinliche Situation und geht.

Alexander fragt Martha, warum der Lehrer ihr sein Beileid ausgesprochen habe. Sie lügt, ihre Mutter sei vor einiger Zeit an Darmkrebs gestorben.

Durch die Displayanzeige bei einem Anruf stößt Alexander auf den Namen Paul. Aber Martha verrät nichts über ihren verstorbenen Ehemann. Alexander verlässt sie daraufhin.

Schließlich bietet man Alexander eine interessante Stelle in Marseille an. Inzwischen hat er herausgefunden, dass Martha verheiratet war und ihr Ehemann sich das Leben nahm. Er versöhnt sich mit ihr und nimmt sie mit nach Marseille. Alexander begreift, dass er für sie der Ersatz für einen anderen ist – und findet sich mit dieser Rolle ab.

Bald darauf wird Martha schwanger.

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„Love is not love“, lässt Martha zu Beginn des Psychodramas „Über uns das All“ einen ihrer Schüler Shakespeare rezitieren.

[…] Love is not love / Which alters when it alteration finds, / Or bends with the remover to remove: / O no! It is an ever-fixed mark / That looks on tempests and is never shaken; / It is the star to every wandering bark, / Whose worth’s unknown, although his height be taken.

Marthas Liebe zu Paul basiert auf einer Illusion. Als sie das nach seinem Suizid begreift, bricht für sie eine Welt zusammen. Aber sie verdrängt es, projiziert ihre Vorstellung von Paul auf einen anderen Mann, und dieser findet sich schließlich mit seiner Ersatzrolle ab.

Schon früh gibt es in „Über uns das All“ Anspielungen auf die konstruktivistische These, dass Wahrnehmung nur subjektiv sein kann. Die Wirklichkeit und unsere Vorstellung davon lassen sich nicht klar voneinander trennen. Beim Sex fragt Paul scherzhaft, ob Martha auch mit einem anderen Mann hier im Bett gelegen habe, und sie antwortet: Ja, mit einem, der sich als Paul ausgegeben und so wie er ausgesehen habe. Nach seinem Tod bewegt Martha sich in einer Bettszene mit Alexander genauso wie sie es mit Paul getan hatte.

Jan Schomburg beweist in seinem subtilen Debütfilm „Über uns das All“ Mut zu Leerstellen. Beispielsweise spart er die Gründe für Pauls Doppelleben ebenso aus wie die für den Selbstmord.

Die Bilder verdeutlichen Marthas Befindlichkeit, etwa wenn die Witwe sich Särge zeigen lässt und die Kamera durch die Halle des Bestattungsunternehmens fährt, ohne auf die Ausstellungsstücke gehalten zu werden.

Sandra Hüller überzeugt mit einer nuancen- und facettenreichen Darstellung. Sie macht „Über uns das All“ zur differenzierten Studie über eine Frau, die nicht wahrhaben will, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Das Doppelgänger-Motiv und der Versuch, einen anderen Menschen nach eigenen Vorstellungen zu formen, erinnern an „Vertigo. Aus dem Reich der Toten“.

Außer der zurückhaltenden Filmmusik von Steven Schwalbe sind in einer Bar-Szene The Montesas mit „Vendetta ’62“ zu hören und am Schluss von „Über uns das All“ erklingt „Même pas fatigué“ mit Cheb Khaled und der Gruppe Magic System.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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Wie ein guter Journalist hat Frank Schirrmacher seine apokalyptischen Thesen und seinen Aufruf zu einem "Methusalem-Komplott" scharfzüngig formuliert.
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