Hinter der Sonne

Hinter der Sonne

Hinter der Sonne

Hinter der Sonne - Originaltitel: Behind the Sun - Regie: Walter Salles - Drehbuch: Walter Salles, Sérgio Machado und Karim Ainouz, nach dem Roman "Der zerrissene April" von Ismail Kadaré - Kamera: Walter Carvalho - Schnitt: Isabelle Rathery - Musik: Antonio Pinto - Darsteller: Ravi Ramos Lacerda, Rodrigo Santoro, José Dumont, Rita Assemany, Flavia Marco Antonio, Luiz Carlos Vasconcelos u.a. - 2001; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Nachdem ein Zwanzigjähriger seinen älteren Bruder gerächt hat, muss er nach den Gesetzen der Blutrache damit rechnen, als Nächster zu sterben. Durch die Begegnung mit einer Gauklerin gerät er in Versuchung, von zu Hause fortzugehen, aber er entscheidet sich zunächst, stattdessen die Ehre seiner Familie zu verteidigen ...
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Kritik

In der archaischen Geschichte geht es um den Gegensatz zwischen erstarrten Traditionen und dem Aufbruch zu einer neuen Ordnung. "Hinter der Sonne" ist ein düsterer und pathetischer, poetischer und ergreifender Film in großartigen Bildern.
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Die Geschichte spielt 1910 in einer von der Sonne gedörrten Landschaft irgendwo in Brasilien. Die Breves leben ausschließlich vom Zuckerrohr. Während der Vater (José Dumont) das Ochsengespann immer im Kreis herumtreibt, damit die Zuckerrohrmühle sich dreht, sind seine Frau (Rita Assemany) und die drei Söhne damit beschäftigt, das Zuckerrohr auszupressen. Um aus dem Saft Kessel für Kessel Melasse zu gewinnen, wird ebenfalls jede Hand gebraucht. Trotz der Plackerei reicht der Erlös gerade fürs Überleben, zumal die Preise für die Melasse sinken, weil die Betreiber von großen Zuckerrohrmühlen mit Motoren kostengünstiger produzieren.

Die Ferreiras betreiben dagegen Viehzucht. Das ist moderner und verspricht auf längere Sicht mehr Erfolg.

Weil die beiden Familien sich gegenseitig Teile ihres Landbesitzes streitig machen, beginnt eine blutige Fehde.

Der jüngste Sohn der Breves, den sie nur „der Kleine“ nennen (Ravi Ramos Lacerda), wird gerade von seinem ältesten Bruder Ignacio auf den Schultern über die Felder getragen. Da kracht ein Schuss, und Ignacio bricht tödlich getroffen zusammen. Das blutige Hemd des Toten wird auf eine Wäscheleine gehängt, und sobald sich das getrocknete Blut gelblich verfärbt, ermahnt der Vater seinen zweitältesten Sohn Tonho (Rodrigo Santoro), seine Pflicht zu erfüllen. Der Zwanzigjährige weiß, was er zu tun hat: Er schleicht sich auf die Farm der Ferreiras, lauert dem ältesten Sohn auf und erschießt ihn nach einer wilden Verfolgungsjagd. Wie gelähmt starrt er auf den Sterbenden, der mit letzter Kraft ein Stück über den Boden kriecht.

Zur Totenwache erscheinen auch Tonho und sein Vater; sie erweisen dem Opfer der Blutrache die letzte Ehre.

Bis zum nächsten Vollmond gilt ein Waffenstillstand zwischen den Familien. Die Unterbrechung des Tötens wird von den Breves dringend benötigt, weil sie bei der Zuckerrohrernte auf Tonho angewiesen sind, zumal sie ihren ältesten Sohn bereits verloren haben.

„Der Kleine“ begegnet einem jungen Gauklerpaar: Salustiano (Luiz Carlos Vasconcelos) und Clara (Flavia Marco Antonio). Clara schenkt dem Jungen ein bebildertes Märchenbuch. Seine Mutter warnt ihn vor dem Umgang mit Vagabunden, und es missfällt ihr, wenn er die Bilder anschaut und sich dazu ein Märchen über eine Meerjungfrau ausdenkt, die aussieht wie Clara und sich in einen kleinen Jungen verliebt. Der Vater entreißt ihm schließlich das Buch und wirft es fort, damit er nicht länger von der Arbeit abgehalten wird.

Beim Verkaufen der Melasse im nächsten Dorf sieht Tonho das Gauklerpaar, das auf Stelzen durch die Straßen wandert und für die Vorstellung am Abend wirbt. Tonho erzählt seinem kleinen Bruder davon. Sie klettern im Dunkeln aus dem Fenster und erleben Clara beim Feuerspeien und -schlucken. Nach der Vorstellung sprechen sie das Artistenpaar an, das sich an die Begegnung mit dem Jungen erinnert, dem Salustiano jetzt den Namen Pacu gibt. Misstrauisch beobachtet der Schausteller, wie Tonho und Clara sich in die Augen blicken. Zu Hause werden die Brüder von ihrem Vater erwartet, der Tonho mit einem Riemen verprügelt, weil dieser sich trotz der Trauer um die Toten vergnügt hat.

Vor dem Einschlafen rät Pacu seinem Bruder, fortzugehen. Am nächsten Morgen taucht Tonho bei dem Gauklerpaar auf und hilft beim Abbau der Bühne und Einpacken der Requisiten. Er begleitet die beiden auf ihrem Ochsenkarren zu einem Jahrmarkt in der nächsten Stadt, will aber rechtzeitig vor dem Ablauf des Waffenstillstands wieder zu Hause sein. Seine Mutter wünscht sich, dass er fortbleibt und nicht getötet wird, aber ihr Mann tadelt sie, denn in diesem Fall wäre die Familienehre verloren.

Auf dem Jahrmarkt klettert Clara an einem Seil hoch und bittet Tonho, es im Kreis zu schwingen, damit sie durch die Luft wirbeln kann. Die beiden haben sich verliebt, aber Salustiano passt auf und lässt sie nicht allein, und Clara scheint sich nicht zwischen den beiden Männern entscheiden zu können.

Enttäuscht kehrt Tonho zu seiner Familie zurück und hilft beim Auspressen des Zuckerrohrs.

Der Waffenstillstand geht zu Ende. Der älteste Sohn der Ferreiras schlägt vor, zusammen mit den anderen Männern der Familie gegen die Breves zu ziehen und sie alle zusammen auf einen Schlag zu töten. Doch davon will sein blinder Großvater nichts wissen, denn es würde gegen die Tradition verstoßen: „Man darf immer nur so viel nehmen, wie einem genommen wurde.“

Als Clara ihre Sachen packt, warnt Salustiano sie vergeblich, sich mit einem Todgeweihten einzulassen.

Wegen eines Sturms kann Pacu nicht schlafen. Er öffnet das Fenster – und weckt seinen Bruder, denn draußen steht Clara. Tonho klettert zu ihr hinaus. Sie erzählt ihm, sie sei auf dem Weg zur Küste. „Und wenn du willst, kannst du auch gehen.“ Pacu schaut lächelnd zu, wie sich die beiden küssen und in einer Scheune verschwinden.

Während Tonho und Clara sich lieben, nähert sich der älteste Sohn der Ferreiras. Clara zieht sich schließlich wieder an, beugt sich über den schlafenden Tonho und flüstert ihm ins Ohr: „Ich erwarte dich.“ Pacu sieht, wie sie den Hof verlässt. Er läuft hinüber zur Scheune, bindet sich den auf den Boden gefallenen Trauerflor seines Bruders um den Arm und setzt Tonhos Hut auf. Dann geht er ins Freie. Der Rächer, dem ein Brillenglas zerbrochen ist, hält Pacu im Dunkeln für Tonho und erschießt den Jungen.

Tonho erwacht, läuft ins Freie und nimmt seinen toten Bruder in die Arme. Sein Vater fordert ihn auf, sein Gewehr zu nehmen und „den Kleinen“ auf der Stelle zu rächen, und als Tonho nicht auf ihn hört und schweigend fortgeht, legt er auf ihn an, aber in dem Augenblick, in dem er abdrückt, schlägt die Mutter den Lauf des Gewehrs nach oben und schreit: „Es ist vorbei!“

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Walter Salles verlegte die Handlung des 1980 erschienenen Romans „Der zerrissene April“ von Ismail Kadaré (*1936) von Albanien nach Brasilien. In den nordöstlichen Regionen Brasiliens eskalierten Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich noch Grenzstreitigkeiten in mörderischen Familienfehden.

In der archaischen Geschichte geht es um den Gegensatz zwischen der erstarrten Tradition und dem Aufbruch zu einer neuen Ordnung. „Hinter der Sonne“ ist ein düsterer und pathetischer, poetischer und ergreifender Film, in dem Walter Salles auch nicht vor brutalen Szenen zurückschreckt. Das Tempo ist bedächtig, die Dialoge sind karg und die vorwiegend ockerfarbigen Bilder großartig. Obwohl eine realistische Darstellungsweise überwiegt, enthält der Film auch märchenhafte Elemente: Beispielsweise erzählt Pacu die Geschichte, obwohl er am Ende erschossen wird.

Neben neun professionellen Schauspielern wie José Dumont treten in dem Film Laien auf, darunter die Zirkusartistin Flavia Marco Antonio und Ravi Ramos Lacerda, der bei einem Straßentheater entdeckt wurde.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004

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