Philip Roth : Das sterbende Tier

Das sterbende Tier
Originalausgabe: "The Dying Animal" Houghton Mifflin, New York 2001 Das sterbende Tier Übersetzung: Dirk van Gunsteren Carl Hanser Verlag, München / Wien 2003 ISBN 3-446-20273-0, 168 Seiten Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2004 ISBN 3-499-23650-8, 159 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Literaturprofessor David Kepesh lässt sich seit seiner Scheidung auf keine seine Unabhängigkeit einschränkende Beziehung mit einer Frau ein. Es kommt ihm nur auf Sex an. Wie immer am Ende eines Semesters wählt der 62-Jährige eine attraktive Studentin für eine kurze Affäre. Diesmal heißt sie Consuela Castillo. Unversehens wird aus der Beziehung zwischen dem alternden Mann und der jungen Frau eine Amour fou. Sie endet tragisch ...
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Kritik

Philip Roth erzählt die beklemmende Geschichte in "Das sterbende Tier" schnörkellos und sarkastisch in Form eines Monologs: Der Protagonist wendet sich in einer Art Lebensbeichte an einen nicht weiter greifbaren Zuhörer.
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Der auch durch seine Buchkritiken im New Yorker Lokalfernsehen bekannte zweiundsechzigjährige Literaturprofessor David Kepesh gibt seit einigen Jahren nur noch regelmäßig ein Oberseminar über Literaturkritik mit dem Titel „Praktische Kritik“. Praktisch ist das vor allem deshalb, weil vorwiegend Studentinnen daran teilnehmen.

Das Seminar „Praktische Kritik“ hat etwa zwanzig, manchmal auch fünfundzwanzig Teilnehmer, und das heißt, es sind fünfzehn, sechzehn Frauen und fünf oder sechs Männer, von denen zwei oder drei nicht schwul sind. (Seite 13)

Nun, wie Sie wissen, bin ich für weibliche Schönheit sehr empfänglich. Jeder hat seine verwundbare Stelle, und das ist eben meine. (Seite 9)

Allerdings befolgt David Kepesh eine eiserne Regel: Bis zu den Prüfungen erlaubt er sich keine privaten Kontakte zu seinen Studentinnen. Erst wenn die Noten verteilt sind, veranstaltet er jedes Mal eine Party in seiner Wohnung und macht sich dabei an die Studentin heran, die ihm am besten gefällt. In diesem Jahr (1992) ist es die vierundzwanzig Jahre alte Consuela Castillo, deren wohlhabende Eltern 1960 aus Kuba kamen und in New Jersey leben. Vor allem ihre offenbar perfekt geformten Brüste – Körbchengröße D – haben es ihm angetan.

Er war sechzehn, als sein Vater ihn aufzuklären versuchte, aber da hatte er sich bereits eine Geschlechtskrankheit geholt.

Als ich heranwuchs, besaß man als Mann im Reich des Sex keine Bürgerrechte. Man war ein Fassadenkletterer. Man war ein Dieb im Reich des Sex. Man grapschte. Man stahl sich Sex. Man überredete, man bettelte, man schmeichelte, man beharrte – alles, was mit Sex zu tun hatte, musste gegen die Werte, wenn nicht gar den Willen des Mädchens erkämpft werden. Die Regeln besagten, dass man ihr seinen Willen aufzuzwingen hatte. Auf diese Weise, hatte man ihr beigebracht, könne sie den Anschein der Tugend waren […] Niemand […] hatte […] das Gefühl, ein angestammtes Recht auf Erotik zu haben. (Seite 72)

1956 heiratete David Kepesh, doch als sein Sohn Kenny acht Jahre alt war, ertappte ihn seine Frau mit einer seiner Studentinnen und warf ihn hinaus. Das war während der sexuellen Revolution, als die jungen Frauen begannen, frei und selbstbewusst mit ihrer Lust und ihrem Körper umzugehen. Er hatte damals eine Studentin, Janie Wyatt, die zu den großen Unruhestifterinnen an der Universität zählte und mit jedem Kommilitonen, Doktoranden oder Assistenten vögelte, wenn sie dazu aufgelegt war.

Viele Dozenten runzelten über diese sexuelle Freimütigkeit die Stirn und setzten sie mit Dummheit gleich. Selbst einige der Studenten bezeichneten Janie als Schlampe, gingen aber dennoch mit ihr ins Bett. Doch sie war weder dumm noch war sie eine Schlampe. Janie war eine Frau, die wusste, was sie tat. (Seite 55)

Seit damals hält David monogame Beziehungen für unnatürlich.

Die Ehe ist bestenfalls ein verlässliches Stimulans für die Erregungen, die heimliche Seitensprünge bereithalten. (Seite 117)

Als er einen Artikel über ein seit vierunddreißig Jahren verheiratetes Paar aus der Medienbranche las, fragte er sich: Wofür werden sie bestraft? (Seite 116)

Der Libertin hat sein Leben so eingerichtet, dass seine sexuelle Freiheit durch keine Beziehung beschränkt wird; er will keine romantische Liebe, sondern Sex.

Die Leute, die fünfzehn, zwanzig jahre jünger waren als ich, die privilegierten Nutznießer der Revolution, konnten sich ihr hingeben, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie war ein einziges rauschendes Fest, ein schmutziges, unordentliches Paradies, das sie sich – gewöhnlich mitsamt all seinen Banalitäten, all seinem Plunder – zu Eigen machten, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ich dagegen musste nachdenken. Da war ich nun, noch immer im besten Alter, und das Land war dabei, in eine außergewöhnliche Phase einzutreten. Habe ich das Zeug dazu, bei dieser wilden, ungeordneten, ungebärdigen Verweigerung, bei dieser umfassenden Zerstörung der hemmenden Vergangenheit mitzumachen oder nicht? Kann ich nicht nur die Zügellosigkeit der Freiheit, sondern auch die Disziplin der Freiheit meistern? Und wie verwandelt man Freiheit in ein System? (Seite 70f)

Kenny verzieh seinem Vater nicht, dass dieser seine Familie verlassen hatte, aber als er einundzwanzig war und kurz vor dem Collegeabschluss stand (1979), fragte er ihn um Rat, weil er eine Kommilitonin geschwängert hatte. David erklärte ihm, es sei ganz natürlich, dass er in seinem Alter kein Kind haben wolle und auch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen könne. Er rät ihm, der jungen Frau klarzumachen, dass es besser sei, das ungewollte Kind abzutreiben. Falls sie es jedoch austragen wolle, müsse sie allein mit ihrer Entscheidung zurechtkommen. David schärfte seinem Sohn ein, dass die USA ein freies Land sind und zählt ihm alles von der Unabhängigkeitserklärung bis zu den drei während des Bürgerkriegs beschlossenen Verfassungszusätzen auf.

Der einzige Tyrann, der dir hier auflauert, ist die Konvention, und die sollte man nicht unterschätzen. (Seite 88)

Davids Rat fruchtete jedoch nicht: Ein paar Monate später heirataten Kenny und die Kommilitonin, und innerhalb von sechs Jahren setzten sie vier Kinder in die Welt.

Consuela Castillo ist zwar aufgrund ihrer kubanischen Abstammung und Erziehung konservativ, aber zugleich ein Kind der sexuellen Befreiung und gibt sich dem Sex-Maniak David Kepesh vorbehaltlos hin.

Mein Alter und mein Status geben ihr die vernunftmäßig nachvollziehbare Erlaubnis, sich zu unterwerfen, und im Bett ist Unterwerfung kein unangenehmes Gefühl. Doch sich in intimer Hinsicht einem viel, viel älteren Mann zu überlassen, verleiht einer solchen jungen Frau zugleich auch eine Autorität, die sie in einer sexuellen Beziehung mit einem jüngeren Mann nicht haben kann. Sie kommt ebenso in den Genuss der Unterwerfung wie in den Genuss der Dominanz. Was bedeutet es schon für eine so offenkundig begehrenswerte Frau, wenn ein junger Mann sich ihrer Macht unterwirft? Aber was ist, wenn ein Mann von Welt sich ihr unterwirft, einzig und allein, weil sie die Macht der Jugend und der Schönheit besitzt? Dass sie Gegenstand seines uneingeschränkten Interesses ist, dass sie die Leidenschaft eines Mannes geweckt hat, der in jedem anderen Zusammenhang unerreichbar wäre, dass sie Zugang zu einem Leben gefunden hat, das sie bewundert und das ihr sonst verschlossen bleiben würde – das ist Macht, das ist die Macht, nach der es sie verlangt. (Seite 39f)

Als sie bei der Fellatio zu mechanisch vorgeht, packt David eine ihrer Haarsträhnen, wickelt sie wie einen Riemen um seine Hand und hält Consuelas Kopf damit fest, während er ihr seinen Penis in den Mund rammt. Durch die Brutalität weckt er bewusst ihren Widerstand; mit seiner Dominanz verhilft er ihr ebenfalls zur Dominanz. Aber er täuscht sich nicht darüber hinweg, dass die Vierundzwanzigjährige ihn nicht wirklich sexuell begehrt und ihn irgendwann wegen eines jüngeren Mannes verlassen wird. Hat er früher nicht selbst den älteren Männern die Frauen ausgespannt? Zum ersten Mal verspürt er bei einer Affäre Angst vor dem Verlust und ohnmächtige Eifersucht. Er ist besessen vom Anblick von Consuelas Brüsten und vermisst erstmals bei einer Frau „die Erfüllung, das Gefühl, zu besitzen“ (Seite 46).

Da trifft er zufällig Carolyn Lyons, eine frühere Studentin, die 1968 nach Kalifornien zog, um Jura zu studieren. Jetzt ist sie fünfundvierzig, hat zwei Scheidungen hinter sich, übt eine gut bezahlte Tätigkeit aus und fliegt geschäftlich häufig ins Ausland. Sie erinnern sich beide an die wilde Nacht in seinem Büro, damals, als sie neunzehn war. Und sie fangen ein neues, von seiner Seite nicht besonders leidenschaftliches und daher eher beruhigendes Liebesverhältnis an.

Als Consuela ihm von einem Freund erzählt, den sie als Sechzehnjährige an der Highschool hatte, einen höflichen, gebildeten und wohlerzogenen Kubaner namens Carlos Alonso, der sie jeden Monat dazu aufforderte, ihm den Ausfluss ihrer Menstruation zu zeigen, will David das auch. Bei der nächsten Gelegenheit zieht Consuela in seinem Badezimmer ihren Tampon heraus, und er geht vor ihr auf die Knie um das an den Oberschenkeln herabrinnende Blut abzulecken.

Am übernächsten Morgen kommt Carolyn mit dem halb in Toilettenpapier eingewickelten blutigen Tampon aus dem Bad, wirft ihn auf den Frühstückstisch und verlangt Rechenschaft von ihm.

Nein, sie war nicht wütend; sie war geschlagen und gedemütigt. Wieder einmal hatte ein unwürdiger, unersättlicher Mann ihre reiche Sexualität für nicht ausreichend erachtet. (Seite 80)

Schlagfertig lügt er, sein Freund George O’Hearn, ein Pulitzerpreisträger, besitze Schlüssel für die Wohnung, weil er verheiratet sei und nicht immer genügend Geld für ein Hotelzimmer habe, wenn er mit einer jungen Frau schlafen wolle.

[…] ich rettete mich, indem ich Carolyn einfach ins Gesicht log, und zum Glück ging sie nicht, als ich sie am dringendsten brauchte. Sie ging erst später und auf meinen Wunsch. (Seite 82)

Die Affäre mit Consuela dauert etwas länger als eineinhalb Jahre. Dann gibt sie anlässlich ihres Studienabschlusses eine Party im Haus ihrer Eltern in New Jersey. Er sagt zu, doch unterwegs malt er sich aus, wie er ihren Jugendfreunden und Verwandten als Professor und Fernsehkritiker vorgestellt wird.

Und es war einfach idiotisch, dass ich nach diesen eineinhalb Jahren so tun sollte, als wäre ich nichts weiter als ein wohlmeinender Mentor der jungen Frau. (Seite 101)

Da kehrt er um, ruft sie an und lügt, er habe eine Panne. Noch in der Nacht schickt sie ihm ein böses Fax und trennt sich von im.

Wer hat die Sache also beendet? Ich, indem ich nicht zu ihrer Party gegangen bin, oder sie, indem sie die Tatsache, dass ich nicht gekommen bin, zum Anlass genommen hat? (Seite 101)

Sie treffen sich nicht mehr, aber er erhält noch zweimal eine Postkarte von ihr, einmal mit einem Akt von Amedeo Modigliani aus dem Museum of Modern Art. Um sie zu vergessen, spielt er unentwegt Klavier. Doch dabei stellt er sich vor, wie er Klavier spielt und sie nackt bei ihm ist.

Ich spielte Beethoven und masturbierte. Ich spielte Mozart und masturbierte. Ich spielte Haydn, Schumann, Schubert und masturbierte mit ihrem Bild vor meinem inneren Auge. (Seite 108)

Sein fünfzehn Jahre jüngerer Freund George O’Hearn ist sehr beunruhigt über Davids Obsession. George erleidet im Sommer 1999 im Alter von fünfundfünfzig Jahren einen Schlaganfall. David, der seinen halbseitig gelähmten und zum Sprechen nicht mehr fähigen Freund noch einmal besucht, erlebt, wie er sich die Windel abzureißen versucht, die Umstehenden auf den Mund küsst und in dem Augenblick stirbt, als er die Brüste seiner Frau, die er wohl mit einer anderen verwechselt, begrapschen möchte. Für David ist es ein schwerer Verlust, denn er hat nun keinen wirklichen Freund mehr.

Davids inzwischen zweiundvierzig Jahre alter Sohn Kenny hat neuerdings eine Geliebte, eine Sechsundzwanzigjährige, die in seiner kleinen Firma für Kunstrestaurationen beschäftigt ist, und er bringt es weder fertig, sich von ihr noch von seiner Ehefrau zu trennen. Sein Vater versucht, ihm die Skrupel gegenüber der Geliebten auszureden, indem er ihn darauf hinweist, dass sie offensichtlich kein Engel sei, denn immerhin habe sie ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann und Vater von vier Kindern angefangen. Aber Kenny stellt ihre Vorzüge heraus: Sie hat nicht nur Chemie, sondern auch Kunstgeschichte studiert und spielt obendrein Oboe.

David findet seinen Sohn lächerlich.

[…] eingesperrt in seine Ehe wegen meiner Flucht aus meiner Ehe, wegen der Bedeutung, die diese Flucht für ihn hatte, und wegen der Sturheit, mit der sein eigenes Leben zu einem Protest gegen meines gemacht hat. (Seite 110)

Sechseinhalb Jahre nach dem Scheitern seines Verhältnisses mit Consuela, am Silvesterabend 1999, sitzt David allein in seiner Wohnung und spielt Klavier, weil er die hysterischen Feiern zur Jahrtausendwende verabscheut. Da hört er Consuela auf seinem Anrufbeantworter; sie hinterlässt ihre Handy-Nummer und die Nachricht, sie wolle ihm etwas persönlich mitteilen. Zögernd ruft der inzwischen Siebzigjährige zurück. Zwanzig Minuten später steht Consuela mit einer Art Fes auf dem Kopf vor seiner Tür.

Ihr geliebter Großvater erlag vor sechs Jahren einem Herzinfarkt; danach starb ihre Großmutter und dann kam ihr Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Vor ein paar Wochen spürte die Zweiunddreißigjährige beim Duschen etwas in der rechten Achselhöhle. Anfang November begann die Chemotherapie, durch die sie erkahlte. Ausgerechnet die Frau „mit den schönsten Brüsten der Welt“ (Seite 132), denkt David. Mit ihrem jüngeren Bruder mag Consuela nicht darüber reden, und ihre Mutter würde es zu sehr aufregen. Von den Männern, mit denen sie nach ihrer Trennung von David zusammen war, hält sie nicht viel.

„Sie haben bloß auf meinem Körper masturbiert […] Aber du hast meinen Körper geliebt. Und ich war stolz auf meinen Körper […] Du hast meinen Körper gesehen, als er am schönsten war. Und darum wollte ich, dass du ihn siehst, bevor er durch das, was die Ärzte tun werden, zerstört wird.“ (Seite 135)

Consuela entkleidet sich und bittet David, ihre Brüste noch einmal zu bewundern und in den verschiedensten Posen und aus allen möglichen Perspektiven zu fotografieren. Dann führt sie seine Hand in ihre Achselhöhle, und er fühlt zwei Knoten, hart wie Steine, einer etwas größer als der andere. In ihrer Brust kann er zwar keinen Knoten ertasten, aber sie erklärt ihm:

„Meine Brüste sind zu groß. Zu viel Gewebe. Der Krebs sitzt tief in der Brust.“ (Seite 139)

Die Ärzte wollen den Tumor durch die Chemotherapie zum Schrumpfen bringen, um möglichst wenig von ihrer Brust entfernen zu müssen. David versucht Consuela zu trösten, indem er auf die Möglichkeit hinweist, das fehlende Gewebe durch ein Silikonkissen zu ersetzen, aber das möchte sie nicht, denn das wäre nicht ihr eigener Körper.

Drei Wochen lang wartet David nach diesem Gespräch am Silvesterabend 1999 auf ihren Anruf. Dann sitzt er einem schweigenden Zuhörer gegenüber und erzählt ihm all das in einer Art Lebensbeichte. Das Telefon läutet. David hebt ab und entschuldigt sich nach dem Telefonat bei seinem Besucher, weil es so lange dauerte. Aber Consuela sei in Panik, erklärt er. In zwei Wochen werde die Operation stattfinden und man müsse nun doch die ganze Brust amputieren. David will sofort zu ihr. Da meldet sich sein stummes Gegenüber erstmals zu Wort:

„Tun Sie’s nicht.“
Was?
„Gehen Sie nicht.“
Aber ich muss. Jemand muss bei ihr sein.
„Sie wird schon jemanden finden.“
Aber sie hat schreckliche Angst. Ich muss gehen.
„Denken Sie darüber nach. Denken Sie nach. Denn wenn Sie gehen, sind Sie erledigt.“ (Seite 159)

Mit diesen Worten endet der Roman.

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David Kepesh ist ein Alter Ego Philip Roths, das seine Leser bereits aus den Romanen „The Breast“ (1972; „Die Brust“) und „The Professor of Desire“ (1977; „Der Professor der Begierde“) kennen. In „Das sterbende Tier“ ist David Kepesh ein Mann, der sich gegen die Einschränkungen seiner Freiheit durch Konventionen aufbäumt und doch zum Opfer einer amour fou wird, indem er einer achtunddreißig Jahre jüngeren Studentin verfällt, weil ihm der Anblick ihrer perfekt geformten Brüste nicht mehr aus dem Sinn geht. In „Das sterbende Tier“ geht es um Werte und Konventionen, Freiheit und Scheinmoral, die sexuelle Revolution der späten Sechzigerjahre, vereinsamte Menschen in der modernen Gesellschaft, um Eifersucht, Sex und Liebe zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau, um die Angst vor der Zerstörung eines schönen Körpers durch Alter bzw. Krankheit und die existenzielle Angst vor dem Sterben. Eros und Thanatos, Liebe und Vergänglichkeit sind hier nahe beieinander.

Philip Roth erzählt die beklemmende Geschichte schnörkellos und sarkastisch in Form eines Monologs: Der Protagonist wendet sich in einer Art Lebensbeichte an einen nicht weiter greifbaren Zuhörer, schildert das Geschehen also aus einer subjektiven Perspektive (und nicht chronologisch wie in meiner Inhaltsangabe). Weil der Intellektuelle, der über einen scharfen Verstand und eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe verfügt, nicht nur von seinen Erlebnissen berichtet, sondern auch darüber reflektiert, entsteht zugleich ein Plädoyer für Freiheit und Selbstverantwortung, die Philip Roths alias David Kepesh durch die Verbreitung puritanischer Auffassungen für gefährdet hält.

Vor drastischen Sex- und Krankheitsszenen schreckt Philip Roth nicht zurück. Einmal beschreibt er eingehend Consuelas Schamlippen, die bei der sexuellen Erregung anschwellen und sich nach außen wölben. Dann fügt er hinzu:

Schiele hätte alles dafür gegeben, es malen zu können. Picasso hätte es in eine Gitarre verwandelt. (Seite 109)

„Das sterbende Tier“ von Philip Roth gibt es auch in zwei von Otto Sander bzw. Max Volkert Martens gesprochenen Hörbuch-Ausgaben.

Isabel Coixet verfilmte den Roman „Das sterbende Tier“ mit Ben Kingsley und Penélope Cruz unter dem Titel „Elegy oder Die Kunst zu lieben“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 / 2008 / 2011
Textauszüge: © Carl Hanser Verlag – Die Seitenangaben
beziehen sich auf die o. g. Taschenbuchausgabe.

Isabel Coixet: Elegy oder Die Kunst zu lieben

Philip Roth (Kurzbiografie)
Philip Roth: Die Brust
Philip Roth: Professor der Begierde
Philip Roth: Gegenleben
Philip Roth: Täuschung
Philip Roth: Operation Shylock. Ein Bekenntnis
Philip Roth: Amerikanisches Idyll
Philip Roth: Mein Mann, der Kommunist
Philip Roth: Der menschliche Makel
Philip Roth: Jedermann
Philip Roth: Empörung
Philip Roth: Die Demütigung
Philip Roth: Nemesis

Ayaan Hirsi Ali - Mein Leben, meine Freiheit
In der Autobiografie "Mein Leben, meine Freiheit" erzählt Ayaan Hirsi Ali die spannende und packende Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die sich unter extrem schwierigen Umständen emanzipierte.
Mein Leben, meine Freiheit