Peter Prange : Unsere wunderbaren Jahre

Unsere wunderbaren Jahre
Unsere wunderbaren Jahre Originalausgabe: Fischer Scherz, Frankfurt/M 2016 ISBN: 978-3-651-02503-5, 975 Seiten, 22.99 € (D) ISBN: 978-3-10-403747-9 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Am 20. Juni 1948 holen sich die Bürger von Altena ihr "Kopfgeld" ab. In der Kleinstadt im Sauerland geben die Drahtfabrikanten Walter Böcker und Eduard Wolf den Ton an. Der vulgäre Altnazi Böcker, der zum Arbeitgeberpräsidenten aufsteigt, und Eduard Wolfs Töchter Ruth, Ulla und Gundel stehen mit ihrem Umfeld im Mittelpunkt der Geschichte. Tommy Weidner, dessen Kind Ulla abtreiben lässt, macht in der DDR Karriere. Die anderen bauen sich Existenzen in der Bundesrepublik auf. Wir verfolgen ihre Lebenswege bis 2016 ...
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Kritik

Die Idee, einen Roman mit der Ein­füh­rung der D-Mark zu beginnen und mit ihrer Ablösung durch den Euro zu beenden, ist originell. Peter Prange veranschaulicht die deutsche Zeit­geschichte in "Unsere wunderbaren Jahre" mit beispiel­haften Biografien und Karrieren.
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Währungsreform 1948

In den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen Deutschlands findet am 20./21. Juni 1948 eine Währungsreform statt: Anstelle von Reichs- und Rentenmark wird die Deutsche Mark eingeführt. Jeder Staatsbürger darf sich am Sonntag, den 20. Juni, 40 DM in bar abholen („Kopfgeld“), und vom nächsten Tag an kann nur noch mit dem neuen Geld bezahlt werden. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland blockiert daraufhin den gesamten Personenverkehr zwischen den Westzonen und Berlin, um die befürchtete Überschwemmung der SBZ mit Reichsmark zu verhindern.

Auch die Bürger von Altena, einer Kleinstadt im Sauerland, empfangen am 20. Juni 1948 ihr Kopfgeld.

In der Gemeinde geben die Drahtfabrikanten Walter Böcker und Eduard Wolf den Ton an. Eduard Wolf und seine Ehefrau Christel haben drei Töchter. Der Sohn Richard ist im Krieg gefallen. Ursula („Ulla“) und Gundel leben noch bei den Eltern, aber ihre ältere Schwester Ruth fiel in Ungnade, denn sie brach nicht nur den Besuch des Lyzeums ab, um sich als Krankenschwester an der Front zu engagieren, sondern heiratete dann auch noch gegen den Willen der Eltern Fritz Nippert, einen Rottenführer der Waffen-SS. Der forsche Nationalsozialist kam schließlich als psychisches Wrack aus dem Krieg zurück und arbeitet jetzt bei der Straßenreinigung in Altena.

Gundel wollte eigentlich Lehrerin werden, aber nachdem Richard gefallen war, bestand der Vater darauf, dass sie als Sekretärin im Familienbetrieb anfing. Ulla hingegen zieht 1948 nach Tübingen, um Medizin zu studieren.

Die neuen Banknoten wurden noch in den USA gedruckt, aber die Münzen sollen in Deutschland hergestellt werden. Walter Böcker hört frühzeitig davon und beabsichtigt, davon zu profitieren. Der Unternehmer ist Ende 30. Während des Kriegs war er Luftwaffenmajor und Abteilungsleiter im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. Trotz des Holocausts macht der Antisemit keinen Hehl aus seiner nationalistischen Gesinnung. Weil er dem Vorstand des nordrhein-westfälischen Arbeitgeberverbands angehört, möchte er das Geschäft mit den neuen Münzen ohne Aufsehen machen. Deshalb unterrichtet er Eduard Wolf von der Möglichkeit, die Rohlinge für die DM-Münzen zu produzieren und schlägt ihm die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens vor. Während Walter Böcker als stiller Gesellschafter im Hintergrund bleibt, übernimmt Eduard Wolf die Geschäftsführung der Vereinigten Altenaer Metallwerke (VAM).

Weil Gundel Wolf gesehen wird, wie sie mit dem Schützenkönig Thomas („Tommy“) Weidner in ein Taxi steigt, löst Benno Krasemann die Verlobung mit ihr, kündigt bei der Drahtzieherei Wolf und fährt nach Düsseldorf, wo sein Großonkel Herward Krasemann ein elegantes Schuhgeschäft betreibt. (Bennos Eltern leben in Essen.) Der Geschäftsinhaber stellt seinen Großneffen ein und lässt ihn von seinem Verkäufer Karl („Charly“) Weiß anlernen. Als Herward Krasemann beabsichtigt, den Laden zu erweitern, empfiehlt Benno ihm seinen Freund Bernd Wilke aus Altena, der von seinem Vater ein kleines Bauunternehmen übernommen hat und für den Auftrag zusätzliche Mitarbeiter einstellt.

Im Herbst 1948 wird Eduard Wolf festgenommen. Der Staatsanwalt Erich Zemke beschuldigt ihn, für die Konzentrationslager Dachau und Birkenau Stacheldraht produziert zu haben. Bei den weiteren Ermittlungen stellt sich allerdings heraus, dass der Unternehmer mit der Lieferung einem Juden das Leben rettete und auf eine Bezahlung verzichtete. Die Nationalsozialisten ließen als Gegenleistung Julius Rosen 1938 ausreisen, den mit Eduard Wolf befreundeten Besitzer eines Bekleidungsgeschäfts in Altena, das zuvor bereits zwangsarisiert worden war. Es gehört jetzt dem 32 Jahre alten Bürgermeister Arno Vielhaber. Als Eduard Wolf freigelassen werden soll, findet man den 62-Jährigen in seiner Zelle tot vor. Er hat sich erhängt.

Ulla Wolf muss daraufhin ihr Medizinstudium in Tübingen abbrechen, bevor es richtig begonnen hat, um das von ihrer Mutter geerbte Familienunternehmen und die Geschäftsführung der Vereinigten Altenaer Metallwerke zu übernehmen. Sie heiratet den Altenaer Apothekersohn Jürgen Rühling.

Der vertritt schließlich den Bürgermeister, als dieser sich auf Drängen Walter Böckers für einige Monate zur Kur abmeldet, nachdem Zeitungen darüber berichteten, dass Arno Vielhaber das Bekleidungsgeschäft Rosen für gerade einmal 1000 Reichsmark erworben hatte.

Jürgen Rühling findet heraus, dass Ulla keine Kinder bekommen kann, seit sie von einem Arzt in Hagen ein Kind abtreiben ließ, um sich die Chance für ein Studium nicht zu verbauen.

Tommy Weidner versucht in Ostberlin einen Neuanfang

Gezeugt worden war das Kind von Tommy Weidner. Der verdiente sein Geld als Tanzlehrer in Altena und war als Schürzenjäger bekannt. Weil Tommy als uneheliches Kind einer Putzfrau glaubte, in der kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik keine Zukunftschancen zu haben, wechselte er nach dem Schützenfest 1948 in die Sowjetische Besatzungszone über. Nachdem er jahrelang in einer Baubrigade gearbeitet hat, bewirbt er sich an der Humboldt-Universität in Berlin für ein Medizinstudium. Das wird ihm zwar verwehrt, aber im Sommer 1951 darf er anfangen, Ökonomie zu studieren.

Er verliebt sich in seine Professorin Jutta Höllscher, die sich bedenkenlos auf eine Affäre mit dem Studenten einlässt. Als sie schwanger wird, bittet Tommy sie, seine Frau zu werden, aber sie klärt ihn darüber auf, dass sie bereits verheiratet sei. Ihr Ehemann Horst Höllscher, der Parteisekretär von Leipzig, wisse von Anfang an von der Affäre und freue sich nun auf das Kind, das er selbst aufgrund einer Kriegsverletzung nicht hätte zeugen können.

Tommy hört nichts mehr von Jutta Höllscher, die sich nach dem Abbruch der Beziehung nach Leipzig versetzen ließ – bis man ihm ein Baby bringt. Es wurde auf dem Altar einer Kirche gefunden. Aus einem ebenfalls hinterlassenen Brief geht hervor, dass es sich um Jutta Höllschers 1953 geborene Tochter Angelika handelt. Horst Höllscher fiel in Ungnade und sitzt in Haft. Die Mutter des ausgesetzten Kindes wird im Westen vermutet. Weil Jutta Höllscher als leiblichen Vater Tommy Weidner angegeben hat, muss er nun für Angelika sorgen.

Ruth Wolf und Walter Böcker

In Altena heiraten derweil Ruth Wolf und Walter Böcker gegen den erklärten Willen Christel Wolfs. Der zum Arbeitgeberpräsident der Bundesrepublik aufgestiegene Unternehmer adoptiert zugleich Ruths Söhne Winfried und Fritzchen. Aber schon in den Flitterwochen ertappt Ruth ihren Ehemann im Hotel in Rimini mit einem Zimmermädchen bei einer Fellatio. Aufgebracht reist sie mit den Kindern ab.

Sie zieht nach Bochum und fängt dort in einer Sparkasse zu arbeiten an.

Bald nach der Scheidung heiratet Walter Böcker Annegret Lüsebrink, die Tochter eines Bauern aus Wiblingwerde, und 1954 bringt Annegret Böcker eine Tochter zur Welt, die den Namen Babs bekommt.

Altena, 1967

Als Moses Rosen sich 1967 in Altena meldet, erliegt Arno Vielhaber einem Herzinfarkt. Der Sohn von Julius und Mathilde Rosen verlangt im Auftrag seines in Israel lebenden Vaters eine Entschädigung für die Arisierung des Bekleidungs­geschäfts in Altena. Allerdings wollen die Rosens das Geld nicht selbst kassieren, sondern für die Gründung eines Museums zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der Nationalsozialisten in Altena verwenden. Weil Arno Vielhaber keine lebenden erbberechtigten Verwandten mehr hatte, vermachte er seinen Besitz dem Schützenverein von Altena, der Friedrich-Wilhelm-Gesellschaft, und deren Präsident Walter Böcker bietet nun Moses Rosen an, die zugeflossenen Mittel für den gewünschten Zweck zu verwenden. Damit erreicht er, dass die Familie Rosen auf eine Klage verzichtet und es kein rufschädigendes Gerichtsverfahren gibt.

Nachfolger des verstorbenen Bürgermeisters wird der 40 Jahre alte Jürgen Rühling, der von seiner Frau Ulla zum Mitgeschäftsführer der Drahtzieherei Wolf gemacht wurde.

Walter Böcker lässt sich 1967 selbst zum Schützenkönig ausrufen und holt Bernd Wilkes Ehefrau Regina mit auf den Thron.

Regina, die Tochter eines Tuchfabrikanten in Krefeld, war mit Charly Weiß verlobt. Damals hieß sie noch Küppers. Als Herward Krasemann dann allerdings nicht den erfahrenen Schuhverkäufer, sondern seinen Großneffen zum geschäftsführenden Mitgesellschafter machte, kündigte Charly Weiß frustriert – und Regina Küppers ließ ihn daraufhin fallen. Stattdessen heiratete sie den erfolgreichen Bauunternehmer Bernd Wilke, der inzwischen 400 Mitarbeiter beschäftigt.

Beim Schützenfest trinkt Walter Böcker Henkel trocken aus einem Stöckelschuh, den er Regina abgenommen hat und bestellt dann „Schampus“ für alle.

Bernd Wilke gesteht Ruth, die anlässlich des Schützenfestes ebenfalls nach Altena gekommen ist, dass er es nie gewagt habe, ihr seine Liebe zu erklären. Er war nur der Maurergeselle seines Vaters, sie hingegen eine drei Jahre ältere Fabrikantentochter.

Überraschend taucht auch Tommy Weidner beim Schützenfest in Altena auf. Er war in die SED eingetreten, als er noch mit Jutta Höllscher zusammen war, und inzwischen arbeitet er im Planungsstab Innerdeutscher Handel des Ministeriums für Außenhandel. Sein Chef Werner Himmelreich besorgte ihm eine Ausreise­genehmigung, denn das DDR-Regime möchte von dem Unternehmen Wolf in Altena hochwertigen Stacheldraht kaufen. Ulla Rühling sträubt sich zunächst, denn es ist klar, dass das Material für die innerdeutschen Grenzanlagen verwendet werden soll, aber am Ende lässt sie sich doch auf das Geschäft ein.

Benno und Gundel Krasemann

Zwei Jahre nachdem Herward Krasemann seinen Großneffen als Geschäftspartner in die Firmenleitung geholt hatte, starb er, und Benno Krasemann blieb als alleiniger Inhaber des Schuhgeschäfts zurück, das inzwischen über 30 Filialen verfügt. Bennos Ehefrau Gundel – die jüngste der Wolf-Schwestern – kümmert sich um den Einkauf. Ihre Zwillinge Gerd und Paul („Plüsch und Plum“) kamen 1962 zur Welt.

1968 zertrümmert eine „Ho-ho-ho-chi-minh“ krakeelende, von dem Kunst-Professor Joseph Beuys angeführte Gruppe die Schaufenster des Hauptgeschäfts in Düsseldorf, holt die Schuhe aus der Auslage und zündet sie auf die Straße an. Demonstrantinnen werfen ihre BHs ins Feuer und laufen mit nackten Brüsten weiter.

In einem der Randalier glauben Benno und Gundel Ruths Sohn Fritzchen erkannt zu haben. Ruth kann sich das nicht vorstellen, aber als sie zu der Autowerkstatt geht, wo sie Fritzchen vermutet, erfährt sie, dass er vor einem halben Jahr entlassen wurde.

Dem Schuhhaus Krasemann macht vor allem eine Billigkette Konkurrenz. Nicht nur Benno Krasemann kämpft um seine wirtschaftliche Existenz, sondern auch Bernd Wilke. Um keine Mitarbeiter entlassen zu müssen, baut er Wohnheime für Gastarbeiter zum Selbstkostenpreis. Jürgen Rühling wiederum hofft auf einen Auftrag der Hösch-Werke, Gastarbeiter-Wohnheime mit Stahlbetten und Sprungfeder-Matratzen auszustatten. Aber Walter Böcker, dem er unvor­sich­tiger­weise davon erzählt hat, schnappt ihm den Auftrag vor der Nase weg.

Wilhelm Böckers NS-Vergangenheit

Kurz darauf bringt eine Tageszeitung den Arbeit­geber­präsidenten mit NS-Verbrechen in Zusammenhang. Die Firma Wilhelm Böcker und Söhne soll im Zweiten Weltkrieg in der ostgalizischen Stadt Boryslaw Eisenteile für die Wehrmacht produziert haben, und zwar mit jüdischen Zwangsarbeitern, die Walter Böcker als stellvertretender Abteilungsleiter im Wehrwirtschaftsamt bzw. Abteilungsleiter im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition rekrutierte. Wegen der grausamen Arbeitsbedingungen kamen viele von ihnen ums Leben. Bei einer polizeilichen Durchsuchung der Büros des Unternehmens in Altena wird jedoch nichts Belastendes gefunden, und der Staatsanwalt Erich Zemke entschuldigt sich bei Walter Böcker.

Der hat die alten Unterlagen rechtzeitig zu seinem Adoptivsohn Winfried gebracht. Als dieser sie im Keller seines Hauses in einer Bergarbeitersiedlung in Wiemelhausen verbrennen will, verliert er die Kontrolle über das Feuer. Der Öltank explodiert, und das Gebäude brennt nieder. Winfried wird schwer verletzt, und im Krankenhaus müssen ihm die Ärzte ein Bein amputieren. In der Ruine findet sein jüngerer Bruder Fritzchen einen nicht ganz verkohlten Aktenordner mit Namenslisten aus Boryslaw. Den bringt er seiner Tante Ulla, die ihn ihrem Geschäftspartner mit der Aufforderung zeigt, sich selbst zu stellen. Walter Böcker denkt gar nicht daran und droht Ulla Rühling, publik zu machen, dass sie Stacheldraht für DDR-Grenzanlagen geliefert hat.

Weil die Unterlagen für ein Gerichtsverfahren gegen Walter Böcker nicht ausreichen, setzt Ulla sich mit Tommy Weidner in Ostberlin in Verbindung. Er soll in DDR-Archiven nach weiterem Belastungsmaterial suchen. Weil Werner Himmelreich den Fall für brisant ansieht, verschafft seinem Untergebenen erneut eine Ausreisegenehmigung. Ulla holt Tommy in Dortmund vom Zug ab – und sie nehmen sich in Bahnhofsnähe ein Hotelzimmer. Es ist zwanzig Jahre her, dass sie zuletzt miteinander geschlafen haben.

Walter Böcker bleibt nicht untätig. Er wendet sich an den Staatssekretär Egon Zwar, der ihm einen Kontakt zu seinem DDR-Kollegen Michael Kohl vermittelt. Der sorgt dafür, dass die Ermittlungen gegen den bundesdeutschen Arbeit­geber­präsidenten eingestellt werden, denn dessen Sturz liegt nicht im Interesse der DDR. Tommy Weidner wird versetzt, und weil der Stasi seine private Beziehung mit Ulla Rühling nicht verborgen geblieben ist, wird ihm die erst kürzlich ausgestellte Dauer­ausreise­genehmigung mit sofortiger Wirkung entzogen. Er soll keine Gelegenheit zur „Republikflucht“ bekommen.

Fritzchen verzweifelt an den gesellschaftlichen Verhältnissen, und als sein Vorhaben, Babs zu heiraten am Widerspruch seiner Mutter und Babs‘ Vater scheitert, schlucken die beiden eine Überdosis Schlaftabletten. Babs überlebt den erweiterten Suizidversuch, aber Fritzchen kann von den Ärzten nicht mehr gerettet werden.

Bernd und Regina Wilke

Bernd Wilke gelingt es im letzten Augenblick, sein Bauunternehmen durch einen Auftrag für eine Brückensanierung im französischen Département Haut-Rhin vor dem Bankrott zu bewahren. Weil aufgrund der Ablösung der Großen Koalition in Bonn durch eine sozialliberale Regierung eine Abwertung der D-Mark im Verhältnis zum Französischen Franc zu erwarten ist, schließt er den Vertrag in der Fremdwährung ab. Anfangs geht seine Spekulation auf, aber bald verändert sich der Kurs entgegengesetzt, und die Zahlungen in Francs decken Bernd Wilkes Kosten nicht mehr. Daraufhin muss er doch Konkurs anmelden.

Regina lässt sich von dem Bankrotteur scheiden und übernimmt eine Kneipe in Düsseldorf.

Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands

20 Jahre später, am 9. November 1989, wird überraschend die Berliner Mauer geöffnet.

Bernd Wilke, der nach Konkurs und Scheidung zum Alkoholiker geworden ist und eine Entziehungskur hinter sich hat, wird Betriebsmechaniker bei den Vereinigten Altenaer Metallwerken. Ullas anderes Unternehmen, die Drahtzieherei Wolf, ging in den Siebzigerjahren pleite, aber ihr gehören inzwischen die Vereinigten Altenaer Metallwerke allein, denn Walter Böcker verkaufte ihr nach dem Tod seiner Frau Annegret seinen Anteil und setzte sich zur Ruhe. Ulla heiratete nach der Scheidung von Jürgen Rühling Ramón Alvarez, den Chefarzt des St.-Vinzenz-Hospitals in Altena, und machte Miguel Alvarez-Murguía, seinen Sohn aus erster Ehe, zum Mitgesellschafter der VAM.

Walter Böcker bietet seiner Heimatstadt eine Spende von 10 Millionen D-Mark unter der Bedingung, dass sie das Julius-Rosen-Museum schließt und stattdessen in der Burg ein „Institut gegen die Überfremdung Deutschlands und zur Wahrung deutscher Wesensart in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ (kurz: Walter-Böcker-Institut) einrichtet. Den Altnazi Professor Carl Schlitt hat er als Direktor vorgesehen. Gegner des Vorhabens schließen sich in einer Bürgerinitiative zusammen, scheitern jedoch mit ihrem Widerstand.

Auch privat bleibt Walter Böcker agil: Er holt Regina Wilke und ihren Sohn Hans-Jörg nach Altena und nimmt sie bei sich auf. Von einem ersten Schlaganfall erholt er sich rasch wieder, aber nach einem zweiten Schlaganfall bleibt er auf einen Rollstuhl angewiesen. Regina nimmt dennoch seinen Heiratsantrag an, denn sie rechnet damit, ihn bald zu beerben und betrügt ihn schon vor der Eheschließung mit Jürgen Rühling.

Tommy Weidners Tochter Angelika studierte Physik in der DDR und heiratete zufällig am Tag der Maueröffnung einen zwei Jahre älteren Pastor. Sie engagiert sich bei Bündnis 90 / Die Grünen und wird nach der Wiedervereinigung Deutschlands Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Nach ihrer Scheidung erfährt sie aus den Stasi-Akten, dass ihr Ehemann sie als IM bespitzelte. Ausgerechnet am Morgen des 9. November 2001 hält sie sich in Manhattan auf. Weil die Telefonnetze nach den Terroranschlägen der Al-Qaida zusammenbrechen, kann sie erst drei Tage später in Deutschland anrufen und sowohl ihrem Vater als auch ihrem Verlobten Miguel Alvarez-Murguía die Sorge nehmen, dass sie unter den Opfern sein könnte.

Das Ende der D-Mark

Ulla Alvarez zieht sich im Alter von 71 Jahren aus der Firmenleitung zurück. An ihrer Stelle rückt Torsten Nippert neben Miguel Alvarez in die Geschäftsführung auf. Bei dem Informatiker handelt es sich um den Sohn von Winfried und Uschi Nippert.

Als 2002 Kemal Ersoy zum Schützenkönig ausgerufen wird, tobt Walter Böcker. Der Gelähmte konnte schon die Eheschließung seiner Tochter Babs mit dem Sohn eines türkisch-stämmigen Oberarztes am St.-Vinzenz-Hospital nicht verhindern. Die beiden führen ein Antiquariat in Altena und haben eine kleine Tochter: Coco-Lina.

In seinem Zorn outet Walter Böcker seinen Stiefsohn Hans-Jörg als „175er“. Und als er begreift, dass Regina ihn mit Jürgen Rühling betrügt, enterbt er sie. Daraufhin stößt sie ihn mit dem Rollstuhl über die Kellertreppe hinunter. Walter Böcker stirbt zwar nicht, erwacht aber auch nicht mehr aus dem Koma. Regina Böcker wird zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. (Am Tag vor ihrer Freilassung wird sie sich das Leben nehmen.)

Zur Einführung des Euro-Bargelds am 1. Januar 2002 werden ab dem 17. Dezember 2001 Starterkits mit Münzen im Wert von 20 Euro ausgegeben. Die Rohlinge stammen aus Altena.

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Mittelpunkt der Handlung des Romans „Unsere wunderbaren Jahre. Ein deutsches Märchen“ ist Altena. Die Stadt im Sauerland gibt es tatsächlich, aber Peter Prange betont im Vorwort, dass die Handlung fiktiv sei. In Altena wurde er 1955 als Sohn von Ernst und Christel Prange geboren. In seinem Roman gibt es auch eine Figur namens Peter Prange. Dabei handelt es sich um den Sohn von Ernst Prange, dem Inhaber eines Bettengeschäfts in Altena. Der kifft, wird im Alter von 14 Jahren wegen seiner langen Haare von dem Unternehmer Walter Böcker für ein Mädchen gehalten und kommt schließlich auf die Idee, einen Roman zu schreiben:

Die Geschichte von ein paar jungen Frauen und Männern, die 1948 ihr „Kopfgeld“ bekamen, die berühmten vierzig D-Mark, wie die Talente in der Bibel, um dann zu schauen, was sie damit machten im Lauf ihrees Lebens? Als eine Art Gleichnis auf die Geschichte der Bundesrepublik?

Der Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ der Romanfigur Peter Prange ist als Hochzeitsgeschenk für Angelika Weidner und Miguel Alvarez-Murguía gedacht. Die beiden heiraten 2002. Aber es dauert noch 14 Jahre, bis das Buch am 13. Oktober 2016 erscheint.

„Unsere wunderbaren Jahre. Ein deutsches Märchen“ beginnt mit der Währungsreform am 21. Juni 1948 und endet mit der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 (wenn wir vom Epilog absehen). Die Einführung der D-Mark zementiert die deutsche Teilung, ihre Ablösung durch den Euro soll dagegen die europäische Integration vertiefen. Dieser Rahmen ist eine originelle Idee. Peter Prange hat daraus kein Geschichtsbuch gemacht, aber Ereignisse wie zum Beispiel die Wiedervereinigung Deutschlands in die Handlung eingebaut. Sie bleiben jedoch im Hintergrund und werden nicht näher erläutert. Viele Eckpunkte der Zeitgeschichte wie die Staatengründung, die Berlin-Blockade, den Bau der Berliner Mauer, den Terror der RAF (Deutscher Herbst) und dessen Folgen erwähnt Peter Prange überhaupt nicht. Ein Staatssekretär Egon Zwar mag noch angehen, aber eine promovierte Physikerin in der DDR, die Angelika heißt, auch „Angie“ genannt wird und sich zur Zeit der Wiedervereinigung in der Politik engagiert, wirkt aufgesetzt.

Peter Prange veranschaulicht die deutsche Geschichte weniger mit Ereignissen als mit beispielhaften Biografien und Karrieren. Handwerker, Ladenbesitzer, Unternehmer, Politiker und Akademiker bevölkern den Roman „Unsere wunderbaren Jahre“. Allerdings entwickelt sich keine der Personen im Lauf der Jahrzehnte: Die Charaktere verändern sich nicht und wirken deshalb stereotyp. Das gilt besonders für die klischeehaft überzeichnete Figur des vulgären Altnazis Walter Böcker, der in Altena die Strippen zieht, zum Arbeitgeberpräsidenten der Bundesrepublik aufsteigt und einer gerichtlichen Klärung seiner Rolle im „Dritten Reich“ entgeht. Er repräsentiert zugleich die Spießigkeit, etwa wenn er Gerichte der nouvelle cuisine als „Tuntenfraß“ abtut, bei dem man kaum etwas auf dem Teller hat.

Für etwas ältere Leserinnen und Leser besonders reizvoll sind die zahlreichen konkreten Erinnerungen daran, wie es früher war. Die Romanfiguren halten es für etwas Besonderes, ein Hähnchen im „Wienerwald“ serviert zu bekommen, in der 1955 von Friedrich Jahn gegründeten Restaurant-Kette. Sie mögen Butter­creme­torte, prosten sich mit Henkell trocken zu, trinken Lufthansa-Cocktail und Knickebein. Männer tragen bügelfreie Nyltesthemden, und eine Dame im Chinchilla-Mantel wird nicht attackiert, sondern beneidet. Statt Intercity- fahren TEE-Züge. Mitte der Sechzigerjahre werden die beiden bereits angebotenen Fernsehprogramme zwar durch Dritte Programme der ARD ergänzt, aber vormittags laufen da Schulsendungen, und das Erste und Zweite Programm strahlen nur abends etwas anderes als das jeweilige Testbild aus. Um die „Aufklärungsfilme“ von Oswald Kolle zu sehen, muss man ins Kino gehen. Amüsant ist vor allem auch eine Passage, in der Peter Prange erzählt, wie die Nachfrage nach Kondomen aufgrund der kostenlosen Verteilung der Antibabypille in der DDR Mitte der Sechzigerjahre weit hinter dem gültigen Fünf-Jahres-Plan zurückbleibt und das Kombinat Plaste und Elaste in Karl-Marx-Stadt deshalb Gummistiefel produziert, um die Kautschuk-Bestände abzubauen.

Dass der Germanist Kemal Ersoy, bei dem es sich noch dazu um einen Arztsohn handelt, nicht weiß, was die Gynäkologin mit einem „Spermatogramm“ meint, liegt vielleicht daran, dass er nur ein Spermiogramm kennt. Verwunderlich ist auch, dass sie ihm den Becher für das Ejakulat mit nach Hause gibt.

Die Romanfigur Barbara Reichenbach, geborene von Ganski, und das Gut Daggelin bei Boddenhagen im Landkreis Greifswald kennen wir bereits aus Peter Pranges Roman „Das Bernstein-Amulett“. Als Babs und Kemal Ersoy Barbara Reichenbachs Sohn Christian in Daggelin besuchen, finden dort gerade Dreharbeiten für die Verfilmung statt.

Peter Prange entwickelt die komplexe Handlung in „Unsere wunderbaren Jahre“ chronologisch von 1948 bis 2016. Die etwa 370 (!) durchschnittlich zwei bis drei Seiten langen Kapitel wechseln fortwährend zwischen den verschiedenen Handlungssträngen und enden häufig mit einem Cliffhanger. Es gibt zwar eine hilfreiche (etwas verworrene) „Liste der handelnden Personen“, aber es ist nicht einfach, bei so vielen Personen und über einen so langen Zeitraum den Überblick zu behalten. Dennoch reißt die fulminante, einfallsreiche, anschauliche und lebendige Darstellung mit.

Den Roman „Unsere wunderbaren Jahre. Ein deutsches Märchen“ von Peter Prange gibt es in einer gekürzten Fassung auch als Hörbuch, gelesen von Helmut Zierl (ISBN 978-3-8398-5279-8).

Der Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ von Peter Prange wird von Elmar Fischer (Regie) nach einem Drehbuch von Florian Puchert und Robert Krause als Dreiteiler fürs Fernsehen (ARD) verfilmt. Die Dreharbeiten haben im Frühjahr 2019 begonnen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © S. Fischer Verlag

Peter Prange: Das Bernstein-Amulett
Peter Prange: Die Principessa
Peter Prange: Die Philosophin
Peter Prange: Miss Emily Paxton / Die Rebellin
Peter Prange: Himmelsdiebe
Peter Prange: Der Kinderpapst
Peter Prange: Ich, Maximilian – Kaiser der Welt
Peter Prange: Die Rose der Welt
Peter Prange: Eine Familie in Deutschland

Anton Cechov - Eine langweilige Geschichte
Der "kleine Roman" wird aus der Sicht eines verbitterten alten Mannes erzählt, der sich mit den Gegebenheiten nicht abfinden kann. Die sorgfältige Beobachtung von Personen und die ironische Beschreibung der russischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert lassen auf die Menschenkenntnis Anton Čechovs schließen.
Eine langweilige Geschichte