Phoenix

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Phoenix

Originaltitel: Phoenix – Regie: Christian Petzold – Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki – Kamera: Hans Fromm – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: Stefan Will – Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Kirsten Block, Imogen Kogge u.a. – 2014; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Die jüdisch-deutsche Sängerin Nelly Lenz hat den Holocaust mit schweren Kopfverletzungen überlebt, weil man sie nach einer Massenerschießung im KZ für tot hielt. Lene Winter von der Jewish Agency bringt Nelly ins zerbombte Berlin und sorgt dafür, dass ihr zerstörtes Gesicht durch plastische Operationen wiederhergestellt wird. Statt mit Lene nach Palästina auszuwandern, sucht Nelly in Berlin nach ihrem nichtjüdischen Ehemann, der sie 1944 verriet, um sich selbst zu retten ...
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Kritik

In "Phoenix" versucht Christian Petzold, die Themen Holocaust und Mitläufertum in einer privaten Geschichte zu spiegeln. Das spröde Drama wirkt konstruiert und nicht sehr glaubwürdig.
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Die jüdisch-deutsche Sängerin Nelly Lenz (Nina Hoss) hat den Holocaust mit schweren Kopfverletzungen überlebt, weil man sie nach einer Massenerschießung im Konzentrationslager für tot hielt. Lene Winter (Nina Kunzendorf), eine Mitarbeiterin der Jewish Agency, bringt sie nach dem Krieg zu einem Chirurgen (Michael Maertens) im zerbombten Berlin, der Nellys zerstörtes Gesicht durch plastische Operationen wiederherstellen soll. Er fragt Nelly, ob sie zum Beispiel Zarah Leander ähneln wolle und meint, es gebe zur Zeit viele Deutsche, die gern ein anderes Gesicht hätten. Aber Nelly möchte – soweit das möglich ist – wieder wie vor den Schüssen aussehen.

Sobald Nelly dazu in der Lage ist, will Lene mit ihr nach Palästina auswandern.

Sie hat herausgefunden, dass Nellys Eltern und Geschwister tot sind und berichtet ihrer Freundin außerdem, dass sie von ihrem nichtjüdischen Ehemann verraten worden sei. Johnny (Ronald Zehrfeld) wurde am 4. Oktober 1944 festgenommen und zwei Tage später freigelassen – unmittelbar nachdem die Gestapo Nelly abgeholt hatte.

Trotzdem sucht Nelly nach ihm und findet den früheren Pianisten als Kellner im Nachtklub „Phoenix“. Er nennt sich jetzt Johannes. Zwar erkennt er sie aufgrund der Gesichtsoperation nicht, aber ihre Ähnlichkeit mit seiner tot geglaubten Frau fällt ihm auf. Dass er nicht wahrhaben will, wen er vor sich hat, mag auch mit Schuldgefühlen und Verdrängung zu tun haben. Jedenfalls beabsichtigt er, sie als Nelly auszugeben. Auf diese Weise will er an deren Erbe herankommen. Er bietet der jungen Frau eine Unterkunft in seiner Kellerbehausung an, und obwohl Nelly eigentlich mit Lene zusammen in einer gutbürgerlichen Wohnung von einer Haushälterin umsorgt wird, lässt sie sich darauf ein. Sie spielt mit, verleugnet sich und behauptet, Esther zu heißen, um bei Johnny bleiben zu dürfen und sich selbst wiederzufinden.

Als Erstes gibt er ihr einen alten Einkaufszettel Nellys und fordert sie auf, die Handschrift nachzuahmen. Dann bringt er ihr Schuhe, die er Nelly in Paris kaufte, und ein Kleid. Außerdem legt er ihr ein Foto der Schauspielerin Hedy Lamarr hin. Nach diesem Vorbild habe Nelly ihr Haar getragen, erklärt er. Als sie sich sorgt, die Leute könnten viele Fragen über Konzentrationslager stellen, beruhigt er sie und versichert ihr, dass niemand etwas darüber wissen wolle.

Während Nelly sich auf ihren Auftritt vorbereitet, erfährt sie, dass Lene sich erschossen hat.

Als Johannes meint, Esther beherrsche die Rolle überzeugend, organisiert er ihre angebliche Rückkehr aus dem KZ. Sie kommt mit dem Zug und wird am Bahnsteig von ihm und Freunden von früher empfangen: Sigrid, Alfred, Monika und Frederike (Daniela Holtz, Frank Seppeler, Kathrin Wehlisch, Claudia Geisler-Bading). Das Wiedersehen wird gleich gefeiert. Nelly schlägt vor, ein Lied zu singen und lässt sich wie früher von Johnny am Flügel begleiten. Während sie immer sicherer „Speak Low“ intoniert und dadurch ihren Mann zum Staunen bringt, rutscht ein Ärmel ihres roten Kleides ein Stück weit hoch. Johnny starrt auf die am Unterarm eintätowierte KZ-Nummer und vergisst, weiterzuspielen. Erst jetzt begreift er, dass die Frau, die vor ihm steht, keine Rolle spielt, sondern tatsächlich Nelly ist. Ohne ein Wort zu sagen, geht sie hinaus und verschwindet.

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In „Phoenix“ versucht Christian Petzold, die Themen Holocaust und Mitläufertum in einer privaten Geschichte zu spiegeln. Der Film dreht sich um das Bemühen einer traumatisierten Holocaust-Überlebenden, sich wiederzufinden und ihren vergeblichen Wunsch nach Normalität, aber auch um Scham und Verdrängung eines Mitläufers der Nationalsozialisten, der seine Frau verriet, um nicht selbst in Schwierigkeiten zu geraten.

Das Drama wirkt konstruiert und nicht sehr glaubwürdig. Christian Petzold setzt in „Phoenix“ auf die schauspielerischen Leistungen von Nina Hoss, Nina Kunzendorf und Ronald Zehrfeld. Die Sprödheit seines Films verstärkt er durch den weitgehenden Verzicht auf Musikuntermalung.

Der anfangs vom Plattenspieler zu hörende und schließlich von Nelly Lenz (Nina Hoss) vorgetragene Song „Speak Low“ aus dem Jahr 1943 wurde von Ogden Nash geschrieben und von Kurt Weill komponiert.

Christian Petzold und Harun Farocki greifen in „Phoenix“ Motive älterer Bücher und Filme auf, darunter …

  • die Verfilmung des Romans „Dark Passage“ von David Goodis durch Delmer Daves: „Dark Passage“ / „Das unbekannte Gesicht“, auch: „Die schwarze Natter“ (1947)
  • Alfred Hitchcocks Thriller „Vertigo. Aus dem Reich der Toten“ (1958)
  • die Verfilmung des Romans „Les yeux sans visage“ von Jean Redon durch Georges Franju unter dem Titel „Les yeux sans visage“ / „Augen ohne Gesicht“, auch: „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ (1960)
  • die 1962 von Alexander Kluge veröffentlichte Erzählung „Ein Liebesversuch“
  • der 1965 von John Lee Thompson mit Ingrid Thulin und Maximilian Schell unter dem Titel „Return from the Ashes“ / „Eine Tür fällt zu“ verfilmte Roman „Le retour des cendres“ / „Der Asche entstiegen“ von Hubert Monteilhet aus dem Jahr 1961
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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