Tatort. Reifezeugnis

Tatort. Reifezeugnis

Tatort. Reifezeugnis

Originaltitel: Tatort. Reifezeugnis – Regie: Wolfgang Petersen – Drehbuch: Herbert Lichtenfeld – Kamera: Jörg-Michael Baldenius, Hans Schreiber – Schnitt: Hannelore Pitschek, Karin Wagner – Musik: Nils Sustrate – Darsteller: Nastassja Kinski, Christian Quadflieg, Klaus Schwarzkopf, Judy Winter, Markus Boysen, Rüdiger Kirschstein, Petra Verena Milchert, Rebecca Völz, Uta Sax, Henry Kielmann, Friedrich Schütter, Hans Timmermann u.a. – 1977; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Der verheiratete Studienrat Helmut Fichte lässt sich auf eine Affäre mit der 17-jährigen Gymnasiastin Sina Wolf ein, die deshalb die Beziehung mit ihrem Mitschüler Michael Harms beendet. Der findet sich damit nicht ab. Er folgt Sina zu einem Waldsee und schaut entsetzt zu, wie sie und der Lehrer sich lieben. Später erpresst er Sina mit der Drohung, den Lehrer anzuzeigen, falls sie ihm nicht bei einem Treffen im Wald gefügig sei ...
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Kritik

"Reifezeugnis" ist kein Whodunit-Thriller. Dementsprechend hält sich die Spannung in Grenzen. Besonders ausgeklügelt ist die von Wolfgang Petersen aus wechselnder Perspek­tive erzählte Geschichte auch nicht, aber die Folge gilt als Klassiker der TV-Serie "Tatort".
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Die 32-jährige Oberstudienrätin Dr. Gisela Fichte (Judy Winter) freut sich, als der Schulleiter Dr. Forkmann (Friedrich Schütter) ihr mitteilt, dass er die von der Behörde geplante, von ihm und den Betroffenen nicht gewollte Versetzung des Lehrerehepaars Fichte nach Lübeck abgewendet hat. Gisela Fichte unterrichtet an einem Gymnasium in einer holsteinischen Kleinstadt Mathematik, ihr gleichaltriger Ehemann Helmut Deutsch und Sport.

Auch die 17-jährige Schülerin Sina Wolf (Nastassja Kinski) ist froh über die Wendung, denn sie glaubt, Helmut Fichte zu lieben, und der verheiratete Lehrer hat sich auf eine Affäre mit ihr eingelassen.

Sina Wolf wird allerdings auch von ihrem Mitschüler Michael Harms (Markus Boysen) umworben, der bei einem Onkel und einer Tante wohnt, weil sein Vater tot ist und sich seine Mutter in einer Entzugsklinik aufhält. Während Sina vor der Affäre viel Zeit mit ihm verbrachte, allerdings ohne mit ihm intim geworden zu sein, lehnt sie nun Verabredungen mit ihm ab. Frustriert lauert er ihr auf und folgt ihr mit dem Fahrrad zu einem Waldsee. Helmut Fichte kommt mit dem Auto und küsst Sina zur Begrüßung. Die beiden lieben sich in einem Kahn und ahnen nicht, dass Michael Harms ihnen entsetzt zuschaut. Aufgewühlt radelt er zurück in den Ort, und als ihm dort die Mitschülerin Inge (Petra Verena Milchert) begegnet, erzählt er ihr spontan von der Affäre Sinas mit dem Lehrer.

Vor Sinas Gartentüre wartet er auf sie, sagt ihr, dass er sie gesehen habe und verlangt von ihr, dass sie sich am nächsten Tag mit ihm im Wald trifft. „Was Fichte kann, kann ich auch!“ Falls sie nicht komme, droht er, werde er den Lehrer anzeigen.

Im Wald fällt Michael über Sina her. Während er auf ihr liegt, bekommt Sina einen Stein zu fassen. Damit erschlägt sie ihn. Dann rennt sie schreiend los. Sie habe sich mit Michael im Wald getroffen, berichtet sie. Da sei sie plötzlich von einem Mann überfallen worden, der sie offenbar vergewaltigen wollte. Michael habe versucht, ihr zu helfen, sei aber von dem Angreifer mit einem Stein erschlagen worden. Den erfundenen Fremden beschreibt Sina nach dem Bild eines Sexualstraftäters, dessen Foto sie in der Zeitung sah.

Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) leitet die polizeilichen Ermittlungen und wird dabei von seinem Assistenten Franke (Rüdiger Kirschstein) unterstützt.

Gisela Fichte weist im Unterricht auf die vorbildliche Zivilcourage des ermordeten Mitschülers hin.

Inge weiht ihre Freundin Katrin (Rebecca Völz) in das Geheimnis ein, das sie von Michael erfuhr. Und sie erpresst Helmut Fichte mit diesem Wissen. Wenn er nicht auffliegen will, muss er ihr und Katrin nicht nur in Deutsch bessere Note geben, sondern ihnen außerdem vor der nächsten Mathematik-Arbeit bei seiner Frau die Aufgaben und Lösungen besorgen.

Helmut Fichte nimmt an, dass Sina ihren Mitschülerinnen unabsichtlich etwas von ihrer Beziehung zu ihm verraten hat. Außerdem wundert er sich darüber, dass sie mit Michael Harms im Wald war, denn er dachte, sie habe die freundschaftliche Beziehung längst abgebrochen. Trotz seiner Eifersucht meint er: „Ich habe keinen Besitzanspruch auf dich.“ Aber das junge Mädchen seuzt: „O doch, den hast du.“

Der von Sina beschriebene Sexualstraftäter wird von der Polizei in Kiel aufgespürt, rennt jedoch bei der versuchten Festnahme davon, gerät vor ein Auto und stirbt noch an der Unfallstelle. Sina identifiziert den Toten gegen besseres Wissen als den Mann, der Michael erschlug.

Pornografische Skizzen und hasserfüllte Bemerkungen über ihren Ehemann in Michael Harms‘ Schulheften misst Gisela Fichte zunächst keine Bedeutung bei, aber als sie aufgrund eines Schreibfehlers dahinter kommt, dass Helmut zwei Schülerinnen unerlaubt bei einer Mathematik-Prüfung half, vermutet sie einen Zusammenhang und stellt ihren Mann zur Rede. Er gibt die Affäre mit Sina zu, verspricht, sie unverzüglich zu beenden und ist einverstanden, dass sie sich nun doch um die Stellen in Lübeck bewerben.

Helmut Fichte besucht Sina, während ihre Eltern verreist sind. Aber statt Schluss mit ihr zu machen, schläft er mit ihr. Finke und Franke entgeht nicht, dass der Lehrer mehrere Stunden in der Villa der Familie Wolf verbringt, obwohl nur das Mädchen zu Hause ist. Weil sich außerdem herausstellt, dass sich der inzwischen tote Sexualstraftäter zur Tatzeit gar nicht in Deutschland aufhielt, vermutet Finke, dass Sina nicht mit Michael Harms, sondern mit ihrem erwachsenen Liebhaber im Wald war. Möglicherweise wurden sie von dem eifersüchtigen Schüler überrascht, und bei der Auseinandersetzung erschlug Helmut Fichte den Jungen.


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Als Gisela Fichte merkt, dass ihr Mann sein Versprechen, die Affäre zu beenden, nicht eingelöst hat, reagiert sie zornig, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als es auf der Stelle telefonisch nachzuholen.

Sina hört nach dem Gespräch nicht zu weinen auf. Dann rufen auch noch Inge und Katrin an und machen sich einen Spaß daraus, sie als Hure zu beschimpfen.

Als die Eltern (Uta Sax, Henry Kielmann) nach Hause kommen, rufen sie vergeblich nach Sina. Sie finden einen Abschiedsbrief, und Harald Wolfs Pistole fehlt. Das Schlimmste befürchtend, alarmieren sie die Polizei.

Eine Suchaktion im Wald bleibt erfolglos.

Finke und Franke warten vor dem Haus des Lehrerehepaars, aber Helmut Fichte lud seine Frau zur Versöhnung zum Abendessen in ein Restaurant ein und die beiden haben sich danach spontan ein Hotelzimmer genommen. Erst am nächsten Morgen kehren sie zurück – und erfahren, was geschehen ist.

Helmut Fichte ahnt, wo Sina sein könnte: am Ufer des Waldsees, an dem sie sich des Öfteren verabredeten. Dort sitzt sie tatsächlich, durchnässt und verzweifelt schluchzend. Die gesicherte Pistole hält sie in der Hand. Weil die Waffe nicht funktioniere, klagt sie, sei sie ins Wasser gegangen, aber sie könne schwimmen und habe es nicht geschafft, sich zu ertränken.

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In „Reifezeugnis“, der 73. Folge der Fernsehserie „Tatort“, erzählen Herbert Lichtenfeld (Drehbuch) und Wolfgang Petersen (Regie) von der Affäre eines Lehrers mit einer Schülerin. Dass das nicht gut ausgeht, ahnt man von Anfang an. Ein Mensch wird erschlagen, aber „Tatort. Reifezeugnis“ ist kein Whodunit-Thriller, denn Herbert Lichtenfeld und Wolfgang Petersen zeigen die Tat und die Beteiligten. Da gibt es kein Rätselraten. Dementsprechend hält sich die Spannung in Grenzen, zumal die Geschichte weder besonders ausgeklügelt ist noch rasant entwickelt wird. Die Perspektive springt hin und her. Wir verfolgen das Geschehen abwechselnd aus der Sicht der Figuren Sina Wolf, Michael Harms, Helmut Fichte, Gisela Fichte, Kommissar Finke, Inge … Zum einen erhalten die Zuschauer auf diese Weise Informationsvorsprünge gegenüber einigen Filmfiguren, und das schafft Spannung, zum anderen werden die Personen dadurch lebendig. Die Darsteller neigen allerdings zum damals noch üblichen Overacting. Überraschend ist die Figur der klugen, selbstbeherrschten Mathematik-Lehrerin, die ihren Mann durchschaut, trotz seiner Untreue zu ihm hält und ihn berät, als er die Nerven verliert.

Die Dreharbeiten für „Tatort. Reifezeugnis“ fanden vom 23. August bis 24. September 1976 in der Holsteinischen Schweiz statt, u. a. am Johann-Heinrich-Voß-Gymnasium in Eutin. Die Erstausstrahlung erfolgte am 27. März 1977. Seit 7. Januar 2010 gibt es „Reifezeugnis“ auch auf DVD. Die „Tatort“-Folge gilt als Klassiker und wird entsprechend oft im Fernsehprogramm wiederholt.

Sowohl für den Regisseur Wolfgang Petersen als auch für die Hauptdarstellerin Nastassja Kinski erwies sich „Tatort. Reifezeugnis“ als Meilenstein in der Karriere.

30 Jahre nach der Entstehung wurde beim NDR über eine Fortsetzung nachgedacht. Günter Schütter verfasste ein entsprechendes Drehbuch, und als Regisseur war Marcus O. Rosenmüller im Gespräch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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"Wir sehen uns dort oben" ist eine ebenso zynische wie tragikomische Mischung aus Antikriegs- und Schelmen-, Abenteuer- und Krimi­nal­roman. Pierre Lemaitre erzählt mit überbordender Fabulierlaune. Die Lektüre ist unter­haltsam, auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt.
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