Leo Perutz : Der schwedische Reiter

Der schwedische Reiter
Der schwedische Reiter Originalausgabe: Paul Zsolnay Verlag, Wien 1936 Taschenbuch: dtv, München 2004 ISBN 3-423-13160-8, 254 Seiten Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 99, München 2008, 223 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1701 begegnen sich der desertierte schwedische Edelmann Christian von Tornefeld und ein diebischer Landstreicher. Tornefeld schickt den Dieb zu seinem reichen Paten, doch der ist gestorben. Nur seine mit Tornefeld verlobte Tochter lebt mit dem Gesinde auf dem Gut. Der Dieb verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Nachdem er ein Jahr lang Kirchen ausgeraubt hat, kehrt er als reicher Mann zu ihr zurück und gibt sich als Tornefeld aus ...
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Kritik

Das Buch "Der schwedische Reiter" von Leo Perutz kann man als historischen Roman oder Abenteuerroman lesen, vielleicht auch als Liebesroman oder Kunstmärchen. Es ist eine recht spannende und unterhaltsame Lektüre.
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Maria Christine, geborene von Tornefeld und verwitwete von Rantzau, in zweiter Ehe vermählt mit dem königlich dänischen Staatsrat und außerordentlichen Gesandten Reinhold Michael von Blohme, eine in ihren jungen Jahren vielumworbene Schönheit, hat um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, als Fünfzigjährige, ihre Erinnerungen niedergeschrieben. Dieses kleine Werk, dem sie den Titel Farben- und figurenreiches Gemälde meines Lebens gegeben hat, erschien erst einige Jahrzehnte nach ihrem Tode im Druck. Einer ihrer Enkel machte es zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglich. (Seite 9)

So beginnt Leo Perutz seinen Roman „Der schwedische Reiter“.

Anfang 1701 treffen durch einen Zufall ein diebischer Vagabund und ein aristokratischer Deserteur aufeinander. Der Dieb wurde in Pommern geboren und hatte früher bei einem schwedischen Gutsherrn als Knecht gearbeitet. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden, ist furchtlos, stets auf seinen Vorteil bedacht und lässt sich nichts vormachen. Bei dem anderen Mann handelt es sich um Christian von Tornefeld. Obwohl er aus einem schwedischen Offiziersgeschlecht stammt, ist er eher feig, und die Entbehrungen, die er auf der Flucht ertragen muss, rauben ihm den Lebensmut. Ohne den Dieb wäre er schon umgekommen.

Die beiden gelangen zu einer Mühle. Von dem Müller heißt es, er habe sich erhängt, und der Untote arbeite nun für den Bischof als Fuhrmann.

Christian von Tornefeld schickt den Dieb zu seinem Vetter und Taufpaten Christian Heinrich Erasmus von Krechwitz, dessen Gut Kleinroop bei dem Dorf Lancken liegt. Der reiche Gutsherr soll ihm Geld und Kleider mitgeben. Damit der Vagabund sich legitimieren kann, gibt Christian ihm seinen silbernen Wappenring mit.

Dem Dieb fällt auf, dass die Äcker und das Vieh auf Kleinroop in einem miserablen Zustand sind, und er beobachtet, dass der Rentmeister ein Betrüger ist. Einem belauschten Gespräch entnimmt er, dass die Herrschaft bereits den Schmuck versetzt hat. Bald darauf wird er erfahren, dass Christian von Krechwitz gestorben ist und es sich bei der Herrschaft nur noch um dessen Tochter handelt, ein siebzehnjähriges Mädchen namens Maria Agneta von Krechwitz.

Beinahe hätten ihn einige der Dragoner erwischt, die sich auf dem Gut einquartiert haben. Der Dieb will sich im Herrenhaus verstecken – und gerät dabei ausgerechnet an den als „Malefizbaron“ verschrienen Dragoner-Hauptmann Hans-Georg Lilgenau, der schon zahlreiche Diebe und Landstreicher aufknüpfen ließ. Der Malefizbaron bringt den Ertappten zu der Gutsherrin.

Die spricht gerade mit ihrem Paten Freiherr von Saltza, einem geldgierigen Wucherer, bei dem sie verschuldet ist und der sie drängt, seine Frau zu werden. Maria Agneta weist ihn jedoch darauf hin, dass sie ihrem Cousin Christian von Tornefeld die Treue geschworen hat.

Der Dieb könnte den Ring herzeigen und sich als Diener des Offiziers ausgeben, aber er beschließt, es nicht zu tun, denn er hat sich auf den ersten Blick in Maria Agneta verliebt und möchte nicht, dass sie etwas von ihrem Bräutigam erfährt. Weil Maria Agneta sich für ihn einsetzt, verzichtet der Malefizbaron darauf, den Einbrecher zu hängen und lässt ihn nur mit Haselruten durchprügeln.

Danach kehrt der Dieb zur Mühle zurück und berichtet Christian von Tornefeld, dass sein Pate tot sei. Maria Agneta habe sich kaum an ihren Cousin erinnert, lügt er, und es ausgeschlagen, ihm zu helfen, denn sie sei verarmt und habe selbst nichts. Außerdem macht er dem Deserteur Angst, indem er ihm vorgaukelt, die auf dem Gut einquartierten Dragoner seien bereits hinter ihm her.

In seiner Verzweiflung übergibt Christian von Tornefeld die von seinem Urgroßvater geerbte Bibel des Schwedenkönigs Gustav Adolf, die er als Arcanum (Glücksbringer) bei sich hat, dem Dieb und lässt sich von dem untoten Müller zu den Minen des Bischofs bringen.

Während er dort für den Bischof schuftet, der dabei ist, sich in seiner fränkischen Residenz einen neuen Lustgarten anzulegen, macht der Dieb sich an eine Räuberbande heran, deren Hauptmann im Sterben liegt und übernimmt dessen Rolle. Kurz darauf schlägt er die Dragonereinheit des Malefizbarons in die Flucht, indem er sie mit einem Hornissennest bewirft. Allerdings wird er durch einen Schuss an der Schulter verletzt.

Nachdem er sich davon erholt hat, behält er nur fünf der Räuber und die rote Lies, die Geliebte des verstorbenen Räuberhauptmanns, bei sich. Ein Jahr lang raubt er mit seiner Bande Kirchen in Pommern, Polen, Brandenburg, Schlesien, in der Neumark und in den Lausitzer Bergen aus. Im Frühjahr 1702 macht er damit Schluss: Obwohl seine Männer murren, besteht er darauf, dass die Beute aufgeteilt wird und jeder seines Weges geht. Auch von der roten Lies, die inzwischen seine Geliebte geworden ist, trennt er sich und lässt sich nicht von ihr erweichen, seine Meinung zu ändern.

Als er in eine schwedische Offiziersuniform gekleidet nach Kleinroop kommt, sieht er sogleich, dass Maria Agneta noch unverheiratet ist, denn die Lage auf dem Gut hat sich nicht verbessert, im Gegenteil: Inzwischen gibt es nichts mehr, was nicht dem Freiherrn von Saltza verpfändet wurde.

Er zeigt Maria Agneta den Wappenring, gibt sich als Christian von Tornefeld aus und behauptet, geradewegs vom Heer des Schwedenkönigs zu kommen. Der schwedische Reiter – wie man ihn wegen seiner Uniform nennt – begleicht die Schulden, entlässt den betrügerischen Rentmeister, heiratet Maria Agneta und sorgt dafür, dass das Gut prosperiert.

Nach sechs Jahren tauchen Veiland und Wendehals auf, zwei seiner früheren Kumpane, die ihre Anteile an dem damals aus den Kirchen geraubten Reichtum längst durchgebracht haben und wieder als Vagabunden unterwegs sind. Der Brabanter, der sich mit seinem Beuteteil als angesehener Kaufmann in Ratibor etabliert hat und sogar im Stadtrat sitzt, sagte ihnen, wo sie den früheren Räuberhauptmann finden würden. Der schwedische Reiter überlegt zunächst, wie er die Männer für immer zum Schweigen bringen kann, doch als er beobachtet, wie sie mit seiner kleinen Tochter Maria Christine herumtollen, nimmt er Veiland und Wendehals als Knechte auf.

Ein Jahr später fährt der Brabanter vor. Er hat all sein Hab und Gut zu Geld gemacht und ist auf dem Weg ins Ausland, denn der Malefizbaron sucht mit seinen Dragonern noch immer nach den Kirchenräubern, und einer seiner Korporale ist inzwischen mit der roten Lies verheiratet, die danach trachtet, den Räuberhauptmann zu finden, der sie sitzen ließ – nicht aus Liebe, sondern, um sich zu rächen. Der Brabanter warnt den schwedischen Reiter und rät ihm, seinem Beispiel zu folgen. Andernfalls werde es nicht lang dauern, bis ihn der Malefizbaron mit Hilfe der roten Lies ausfindig mache.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Am nächsten Tag erklärt der schwedische Reiter seiner Frau, er halte es für seine Pflicht, mit dem Schwedenkönig gegen die Moskowiter zu kämpfen. Vergeblich versucht Maria Agneta, ihn davon abzubringen: Er reitet los, und Veiland und Wendehals begleiten ihn.

Unterwegs überlegt er es sich anders. Er hofft, die frühere Liebe der roten Lies neu entfachen zu können. Wenn sie ihn nicht verrät, braucht er den Malefizbaron nicht zu fürchten und seine geliebte Familie nicht zu verlassen.

Die Dragoner haben ihr Lager in Schweidnitz; die rote Lies wurde mit ihrem Mann Jakob beim Schneider einquartiert. Während der Korporal in der Wirtschaft ist, schleicht der schwedische Reiter sich in das Haus und überrascht die rote Lies. Rasch stellt er fest, dass sie ihn hasst. Also muss er sie töten. Die rote Lies ahnt, was er vorhat und legt unbemerkt ein Brenneisen für die Pferde in die Ofenglut. Wenn das für den Namen des Malefizbarons Hans-Georg Lilgenau stehende L verkehrt herum eingebrannt wird, sieht es wie ein Galgen aus. – Als sie Jakob auf der Treppe hört, springt sie auf.

Sie schnellte in die Höhe. Den Bruchteil einer Sekunde lang standen sie einander gegenüber, dann traf sie ihn mit dem glühenden Eisen in die Stirne.
Er stieß einen dumpfen Wehlaut aus, seine Hand fuhr an die Stirne, er taumelte, sein Leib krümmte sich, sein Gesicht war in jähem Schmerz verzerrt. Doch schon hatte er wieder Gewalt über sich erlangt. Er richtete sich auf und presste mit einem Stöhnen die Zähne zusammen. Langsam, Zoll um Zoll, hob sich die Hand, die die Pistole hielt.
Die rote Lies hatte im Sinn gehabt, das Licht auszublasen, wenn die Tat geschehen war, und dann im Dunkeln die Türe zu gewinnen – doch jetzt stand sie wie gelähmt, so furchtbar war der Blick des schwedischen Reiters, sie konnte sich nicht von der Stelle rühren, sie konnte nur schreien.
Sie hörte ihres Jakobs Schritte vor der Türe, sie musste ihn warnen.
„Nimm dich in acht! Der Gottesräuber!“, kreischte sie, und in ihrer Stimme war Grauen und Triumph und Todesangst und wilde Freude. „Komm nicht herein! Ich hab ihm den Galgen in die Stirne gebrannt! Lauf, was du kannst, schrei Alarm! Ich hab‘ ihm den Galgen in die Stirne …“
Der Schuss dröhnte durch den Raum. Die rote Lies verstummte und fiel vornüber. (Seite 194)

In der Mühle des untoten Müllers sucht der schwedische Reiter Zuflucht – und trifft dort erneut auf Christian von Tornefeld, der geradewegs aus der Hölle des Bischofs gekommen ist, wo er neun Jahre lang als „Lasttier, Steinbrecher, Schürer, Brenner, Aufträger, Kohlenmesser, Schmelzer, Gießer, Ofenmeister“ ausgebeutet wurde. Der schwedische Reiter überlässt Christian von Tornefeld sein Pferd, den Degen und die Pistolen, seinen Geldsack und die Knechte. Als Namenloser begibt er sich in die Hölle des Bischofs, während Christian von Tornefeld zum schwedischen König reitet.

Nachts stiehlt der Namenlose sich fort, läuft nach Kleinroop und klopft bei seiner inzwischen sechs Jahre alten Tochter Maria Christine ans Fenster. Eine Viertelstunde unterhält er sich mit ihr, dann muss er wieder zurück, um rechtzeitig vor dem Morgenappell wieder in der Hölle des Bischofs zu sein. Die harte Arbeit verrrichtet er ohne Murren, aber nachts besucht er regelmäßig seine Tochter.

Christian von Tornefeld bringt es in der Armee des schwedischen Königs rasch zum Rittmeister und Kommandeur.

Eines Tages hält der Namenlose es nicht mehr aus, von seiner Familie getrennt zu sein. Er beschließt, Maria Agneta alles zu beichten und auf Vergebung zu hoffen. Doch auf dem Weg stürzt er in einen Abgrund. Im Sterben bittet er einen Cherub, seiner Tochter auszurichten, dass er sie nicht vergessen habe, sondern nicht mehr kommen könne, weil er tot sei.

Am nächsten Tag überbringt ein schwedischer Offizier Maria Agneta von Tornefeld die Nachricht, ihr Mann sei vor drei Wochen in der Schlacht bei Poltawa gefallen. Maria Christine mag es nicht glauben, war ihr Vater doch erst noch in der vorletzten Nacht an ihrem Fenster. „Er kommt wieder“, meint sie, aber sie wartet vergeblich auf ihn.

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Das Buch „Der schwedische Reiter“ kann man als historischen Roman oder Abenteuerroman lesen, vielleicht auch als Liebesroman oder Kunstmärchen.

Leo Perutz erzählt von zwei grundverschiedenen Männern, die zweimal ihre Identität tauschen. Bei dem einen handelt es sich um einen idealistischen Adeligen, der mit den Unbilden des Lebens nicht zurechtkommt; der andere ist ein Dieb und Vagabund, der auf seinen Vorteil bedacht ist und sich nichts vormachen lässt. Dass sich der eine für den anderen ausgibt, um die Braut des anderen heiraten zu können, erinnert an die Geschichte des französischen Bauern Martin Guerre (1524 – 1560).

Leo Perutz stellt der eigentlichen Handlung einen „Vorbericht“ voraus, in dem er die (fiktive) Quellenlage erläutert und uns Leser neugierig macht, denn wie kann der schwedische Reiter, der weit fort von zu Hause bei Poltawa unter dem schwedischen König Karl XII. gegen den Zaren Peter den Großen kämpft, Nacht für Nacht am Fenster seiner kleinen Tochter stehen? (Die Antwort erfahren wir erst auf den letzten Seiten des Romans.)

Auf differenzierte Charaktere und deren psychologische Entwicklung kommt es Leo Perutz nicht an; die Figuren hat er bewusst als Typen aufgestellt. Im Mittelpunkt stehen die Identitätswechsel und die daraus resultierenden Abenteuer und Verwicklungen. Darüber hinaus weist der „Der schwedische Reiter“ auch tragikomische Züge auf. Es ist eine recht spannende und unterhaltsame Lektüre.

Leo Perutz wurde am 2. November 1882 in Prag geboren. 1901 zog die Familie nach Wien. Dort studierte er Volkswirtschaft und arbeitete als Versicherungsmathematiker. Im Ersten Weltkrieg wurde Leo Perutz schwer verwundet. Von 1915 an veröffentlichte er Romane, darunter „Die dritte Kugel“ (1915) und „Wohin rollst du, Äpfelchen“ (1928). Die Nationalsozialisten verboten seine Bücher. „Der schwedische Reiter“ durfte 1936 nicht mehr nach Deutschland ausgeliefert werden. Zwei Jahre später emigrierte Leo Perutz mit seiner Familie von Wien nach Palästina. Er starb 1957 in Bad Ischl.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag

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