Sara Paretsky : Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau
Originalausgabe: Hard Time Delacorte Press, New York 1999 Die verschwundene Frau Übersetzung: Sonja Hauser Piper Verlag, München 2001 ISBN 3-492-04092-6, 446 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Chicago. Auf dem Rückweg von einer Party für die Schauspielerin Lacey Dowell hätte die Privatdetektivin Vic Warshawski beinahe eine junge, auf der Straße liegende Immigrantin überfahren, die offenbar schwer misshandelt wurde und im Krankenhaus stirbt. Vor der für den nächsten Tag geplanten Obduktion ist die Leiche verschwunden. Und die Polizei unterstellt, Vic habe die Frau tödlich verletzt ...
mehr erfahren

Kritik

"Die verschwundene Frau" ist ein komplexer, spannender und temporeicher Kriminalroman mit sehr viel Action, der neunte, den Sara Paretsky über die Privatdetektivin Vic Warshawski schrieb.

mehr erfahren

Als die siebenunddreißigjährige, vor allem durch die Rolle der „Mad Virgin“ berühmte Filmschauspielerin Magdalena Lucida („Lacey“) Dowell für zwei Monate nach Chicago kommt, wo die Dreharbeiten für ihren neuen Film „Virgin Six“ stattfinden, gibt „Global Entertainment“ ihr zu Ehren eine große Party im „Golden Glow“. Durch Murray Ryerson, einen für „Global“ arbeitenden Journalisten, kommt die vierundvierzigjährige Privatdetektivin Victoria Iphigenia („Vic“) Warshawski zu Eintrittskarten für sich, ihre Assistentin Mary Louise Neely und deren Adoptivtochter Emily Messenger, die für Lacey Dowell schwärmt.

Vic trinkt an diesem Abend trotz ihrer Vorliebe für Whisky nur Wasser, weil sie versprochen hat, Mary Louise und Emily nach Hause zu fahren. Sie nehmen eine Abkürzung durch ein Immigrantenviertel, in dem die Straßenbeleuchtung ausgefallen ist. Plötzlich bemerkt Vic im Scheinwerferlicht eine mitten auf der Fahrbahn liegende Frau. Im letzten Augenblick reißt sie das Steuer herum und kracht gegen einen Hydranten. Obwohl Vic die bewusstlose Frau nicht anfuhr, ist das „Mad-Virgin“-T-Shirt, das sie trägt, voller Blut. Während die herbeigerufenen Sanitäter die schwer Verletzte ins Beth Israel Hospital bringen, nehmen zwei Streifenpolizisten den Unfall auf.

Am nächsten Morgen wird Vic Warshawski von den Detectives Palgrave und Lemour geweckt. Sie habe eine Frau angefahren, heißt es, und sich danach geweigert, einen Alkoholtest zu machen. Das Protokoll der Streifenpolizisten ist unauffindbar. Glücklicherweise kann Marie Louise bezeugen, dass die Anschuldigungen nicht stimmen.

Vic fragt sich, warum ihr etwas angehängt werden sollte. Vorsichtshalber lässt sie ihren Wagen von einem unabhängigen Institut überprüfen und erkundigt sich im Beth Israel Hospital nach der Frau, die auf der Straße lag. Von der mit ihr befreundeten Perinatologin Dr. Charlotte („Lotty“) Herschel, die trotz ihrer fünfundsechzig Jahre noch im Beth Israel Hospital tätig ist, erfährt sie, dass die siebenundzwanzigjährige Filipina Nicola Aguinaldo inzwischen an einem Darmriss starb. Jemand muss sie schwer misshandelt und in den Bauch getreten haben.

Der Gerichtsmediziner Dr. Bryant Vishnikov beabsichtigt an diesem Vormittag, die Leiche der am Abend zuvor eingelieferten Filipina zu obduzieren. Aber sie ist während der Nacht verschwunden, und es gibt keine Unterlagen über ihren Verbleib.

In den Zeitungen steht, dass Nicola Aguinaldo aus dem Frauengefängnis in Coolis, Illinois, geflohen war, bevor sie bei einem Verkehrsunfall in Chicago tödlich verletzt wurde. Nicola hatte zwei Jahre lang als Kindermädchen für die Familie Baladine gearbeitet und war dann wegen des Diebstahls einer wertvollen Halskette angezeigt und verurteilt worden.

Robert („Bob“) Baladine gehört seit fünf Jahren zum Management des Sicherheitsdienstes „Carnifice“. In seinen Verantwortungsbereich fällt auch die Haftanstalt in Coolis. Er lebt mit seiner Ehefrau Eleanor sowie den Kindern Utah, Madison und Robert Durant („Robbie“) in einer Villa in Oak Brook, Illinois.

Vic Warshawski besucht Robert und Eleanor Baladine, aber die beiden behaupten, über das tote Kindermädchen nichts weiter zu wissen. Der zwölfjährige übergewichtige Robbie scheint sie sehr geliebt zu haben.

Kurz darauf bietet die in den Diensten von „Global“ stehende Rechtsanwältin Alexandra („Alex“) Fisher, die als Mädchen Sandra Fishbein hieß, ihrer früheren Kommilitonin Vic einen Auftrag an: Lacey Dowell fühlt sich angeblich von einem Jugendfreund, dem Unternehmer Lucian („Lucy“) Frenada, belästigt. Vic soll Erkundigungen über Frenada einholen, denn „Global“ möchte ihm mit der Veröffentlichung kompromittierenden Materials drohen und ihn auf diese Weise zwingen, sich von der Schauspielerin fernzuhalten. Vic bräuchte dringend Geld, aber bevor sie sich entscheidet, ob sie den Auftrag annimmt, fährt sie zum Hotel „Trianon“, wo Lacey Dowell während der Dreharbeiten in Chicago wohnt. Der Sicherheitschef Frank Siekevitz, ein alter Bekannter Vics, stellt fest, dass Frenada einmal eine Stunde lang in Lacey Dowells Suite war und hin und wieder mit ihr telefonierte. Von Stalking ist nichts bekannt. Nachdem Vic den Auftrag abgelehnt hat, verbreitet die Klatschkolumnistin Regine Mauger das Gerücht, Lucian Frenada sei in Drogengeschäfte verwickelt und betreibe die Kleiderfabrik „Special-T Uniforms“ nur als Tarnunternehmen. Murray Ryerson kündigt einen sensationellen Fernsehbericht über den Unternehmer an, der überall auf der Welt schwarze Konten haben soll. Vic wundert sich, denn sie holte vor zwei Tagen im Internet Informationen über Frenada ein, denen zufolge der Unternehmer eher in finanziellen Schwierigkeiten steckt, aber Murray Ryerson versichert ihr am Telefon, das mit den Drogengeschäften und den Konten ebenfalls im Internet recherchiert zu haben.

Kurz darauf findet Vic Warshawski in ihrem Büro ein Chaos vor: Es wurde eingebrochen, und der Inhalt der Schränke liegt auf dem Boden. Vic entdeckt drei versteckte Tütchen mit Kokain, bevor Detective Lemour mit Kollegen auftaucht, gezielt nach Drogen sucht und Vic zweimal wütend ins Gesicht schlägt, als er nichts findet. Einige Stunden später wird sie durch einen Anruf in Frenadas Fabrik gelockt, weil sie jedoch mit einer Falle rechnet, entkommt sie Lemour und seinen Komplizen.

Am nächsten Tag berichten die Zeitungen, Lucian Frenada sei im Belmont Harbor ertrunken.

Im Lauf der Zeit findet Vic Warshawski heraus, dass Nicola Aguinaldo ihre Mutter Abuelita Mercedes und ihre beiden Töchter Sherree und Anna zu versorgen hatte. Als das Kleinkind Anna Asthma bekam, fehlte Nicola das Geld für eine medizinische Behandlung. Deshalb stahl die bis dahin unbescholtene Immigrantin Eleanor Baladines Kette. Dafür kam sie ins Gefängnis. Aber warum wurde sie misshandelt? Und warum sollte ihr Tod wie ein Verkehrsunfall aussehen?

Über Morrell, einen Journalisten, der sich für politische Gefangene engagiert, kommt Vic Warshawski in Kontakt mit Lou Corrigan, dem Priester, der für die Kirche in dem Immigrantenviertel zuständig ist, in dem nicht nur Nicola gewohnt hatte, sondern auch Lucian Frenada und Lacey Dowell aufgewachsen waren. Lou Corrigan erfährt von der Schauspielerin, dass sie bis zuletzt mit ihrem Jugendfreund in Kontakt stand. Kurz vor seinem Tod hatte er sie gebeten, sich dafür einzusetzen, dass er von „Global“ einen Auftrag für „Mad-Virgin“-T-Shirts bekam. Edmund („Teddy“) Trant, der zuständige Manager, wollte davon jedoch nichts wissen.

Eines Nachts sucht Robbie Baladine Zuflucht bei Vic, denn seine Eltern halten ihn für verweichlicht und wollen ihn deshalb in ein Militärlager in South Carolina schicken. Vic bringt den Jungen bei ihrem Freund und Nachbarn, dem neunundsiebzigjährigen Mr Contreras unter. Robbie behauptet, Lucian Frenada sei am Abend vor seinem Tod in Oak Brook gewesen und habe sich bei Robert Baladine und Edmund Trant wegen eines angeblich gestohlenen Muster-T-Shirts beschwert. Vic argwöhnt, dass der Unternehmer nicht im Hafen ums Leben kam, sondern in Baladines Swimmingpool ertränkt wurde.

Drei Wochen nachdem Vic Warshawski beinahe die Filipina überfahren hätte, nimmt Lemour sie wegen Kindesentführung fest. Weil das Gefängnis in Chicago überfüllt ist, wird sie nach Coolis überstellt. Vics Anwalt, Freeman Carter, will versuchen, sie bis zur Verhandlung auf Kaution freizubekommen, aber Vic lehnt das ab, denn sie will die Gelegenheit nutzen, ihre Mithäftlinge nach Nicola Aguinaldo zu befragen und Übergriffe des Wachpersonals mit einer von Morrell eingeschmuggelten Armbandkamera zu dokumentieren.

Nicola hatte in der Näherei gearbeitet. Obwohl dort nur Ausländerinnen beschäftigt werden, die der amerikanischen Sprache nicht mächtig sind, gelingt es Vic mit Schmiergeldzahlungen, dort einen Posten zu bekommen. Ihre Fragen nach Nicola wagt niemand zu beantworten, bis auf eine der Näherinnen, die ihr kurz zuflüstert, Nicola habe nicht zur Beerdigung ihrer verstorbenen kleinen Tochter gedurft und sei darüber so wütend gewesen, dass sie auf Erik Wenzel, den Leiter der Näherei, einprügelte habe, bis der Aufseher Hartigan sie mit einem Elektroschocker zu Boden schickte.

Verbotenerweise folgt Vic einer Kambodschanerin, die eine Charge T-Shirts nach nebenan bringt. Dort werden die Kleidungsstücke eingefärbt und mit Motiven bedruckt. Nach wenigen Minuten wird Vic entdeckt und von Hartigan mit einem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt. Als sie halb bewusstlos am Boden liegt, tritt der Aufseher mit seinen Stiefeln auf sie ein.

Auf der Ladefläche eines fahrenden Lieferwagens kommt Vic vorübergehend wieder zu sich.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Dann wacht sie in einem Krankenhausbett auf. Man hatte sie nachts auf der Straße liegend gefunden und ins Beth Israel Hospital gebracht. Dort musste sie wegen eines Darmrisses operiert worden, doch anders als Nicola Aguinaldo überlebt sie die Verletzungen. Aus Sicherheitsgründen ließ ihre Freundin Lotty Herschel sie in das für die Behandlung von Folteropfern eingerichtete Grete-Berman-Institut bringen. In den Medien heißt es, Vic Warshawski sei aus dem Gefängnis entflohen und verstecke sich an einem unbekannten Ort.

Morrell überredet Vic, vom Grete-Berman-Institut nicht nach Hause zurückzukehren, sondern erst einmal im Pfarrhaus des Geistlichen Lou Corrigan Zuflucht zu suchen.

Inzwischen kann Vic sich zusammenreimen, dass Robert Baladine im Frauengefängnis von Coolis „Mad-Virgin“-T-Shirts und andere Promotion-Artikel für „Global Entertainment“ herstellt, obwohl aufgrund eines Gesetzes in den Haftanstalten von Illinois nur für den Eigenbedarf produziert werden darf. Baladines Geschäftspartner ist Edmund Trant. Der mit beiden befreundete Parlamentssprecher Jean-Claude Poilevy hatte versucht, das entsprechende Gesetz abzuschaffen, war aber damit gescheitert, weil die meisten Abgeordneten keine Billigkonkurrenz für den normalen Arbeitsmarkt wollten.

Während Eleanor Baladine im Pool ihrer Villa einen Schwimmwettbewerb für ihre beiden Töchter und andere Kinder veranstaltet, schleicht Vic Warshawski sich in Baladines Arbeitszimmer, knackt seine Passwörter und verschickt in seinem Namen E-Mails an Geschäftspartner und Redaktionen. Vorübergehend muss sie sich in einem Schrank verstecken, weil Robert Baladine mit Alexandra Fisher auftaucht und es mit ihr in seinem Büro treibt.

In den von Vic gefälschten E-Mails gibt Robert Baladine seinen Rücktritt bekannt. Der Manager dementiert zwar, aber Kunden und Journalisten fragen sich, ob er lügt oder ob ein Hacker in das Computersystem der Sicherheitsfirma eingedrungen ist. Beides ist verheerend.

Während Vic mit Hilfe von Morrell in der Kirche eine Pressekonferenz vorbereitet, taucht unerwartet Mr Contreras mit Robbie und den beiden Hunden Mitch und Peppy auf. Robbie war aus dem Militärlager geflohen.

In der Nacht erwacht Lou Corrigan, weil er Geräusche in der Kirche hört. Vic folgt ihm mit den Hunden. Robert Baladine ist mit zwei Komplizen eingebrochen. Am Kirchenportal steht Detective Lemour bereit. Offenbar waren Mr Contreras und Robbie auf dem Weg zur Kirche observiert worden. Es kommt zu einer Schießerei. In der Dunkelheit stürzt Lemour in die Krypta und bricht sich das Genick. Baladine wird von einem der Hunde gebissen und überwältigt.

Bei der Pressekonferenz eine Woche später schildert Vic Warshawski, was sie über Robert Baladine, Edmund Trant und Jean-Claude Poilevy, über deren Opfer Nicola Aguinaldo und Lucian Frenada sowie über die Missstände im Frauengefängnis von Coolis in Erfahrung gebracht hat. Weil sie nichts beweisen kann, wird kein Gerichtsverfahren gegen die Täter eröffnet, aber „Global“ schiebt Edmund Trant nach Chile ab und gibt Robert Baladines Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen bekannt. Außerdem werden Wenzel, Hartigan und ein weiterer Gefängnisaufseher entlassen.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

„Die verschwundene Frau“ ist ein komplexer, spannender und temporeicher Kriminalroman mit sehr viel Action, der neunte, den die amerikanische Historikerin und Schriftstellerin Sara Paretsky (*1947) über die Privatdetektivin Vic Warshawski schrieb. Der Name der Romanfigur lautet so ähnlich wie das Pseudonym, das Isaac Bashevis Singer benutzte, als er für den „Daily Forward“ schrieb: V. I. Warshawski statt I. V. Warshawski.

Sara Paretsky: Kriminalromane, die um die Figur Vic Warshawski kreisen:

  • Indemnity Only (1982; Schadenersatz)
  • Deadlock (1984; Deadlock)
  • Killing Orders (1985; Fromme Wünsche)
  • Bitter Medicine (1987; Tödliche Therapie)
  • Blood Shot (1988; Blood Shot)
  • Burn Marks (1990; Brandstifter)
  • Guardian Angel (1992; Eine für alle)
  • Tunnel Vision (1994; Engel im Schacht)
  • Hard Time (1999; Die verschwundene Frau)
  • Total Recall (2001; Ihr wahrer Name)
  • Blacklist (2003; Die schwarze Liste)

 

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006

Arnold Zweig - Der Streit um den Sergeanten Grischa
Mit dem packenden Antikriegsroman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" prangert Arnold Zweig die Verabsolutierung der Staatsräson an.
Der Streit um den Sergeanten Grischa