Christian Oelemann : Isabellas Welt

Isabellas Welt
Isabellas Welt Originalausgabe: Thienemann Verlag, Stuttgart / Wien 2006 ISBN: 978-3-522-17796-2, 158 Seiten Hörspiel: 2007 Neuausgabe: Verlag 3.0 Zsolt Majsai, Bedburg 2015 ISBN: 978-3-95667-187-6, 142 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Obwohl Isabella Korngold bereits beim Schuleintritt Noten lesen und schreiben kann, ahnt niemand etwas von ihrem außerordentlichen musikalischen Talent. Heimlich bringt die inzwischen Zehnjährige den Gesang einer Amsel zu Papier und füllt damit ein Notenheft nach dem anderen. Währenddessen ringt der weltberühmte, 75 Jahre alte, auf einen Rollstuhl angewiesene Komponist Theophil Behrendt mit seinem neuen Auftragswerk. Unzufrieden ist er v.a. mit den Vogelstimmen ...
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Kritik

"Isabellas Welt" ist ein originelles Jugendbuch. Enthusiasmus und Einfallsreichtum haben Christian Oelemann zwar verführt, es zu überfrachten, aber die Musikliebe des Autors überträgt sich auf die Leser.
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Isabella Korngold wohnt mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern in einem Haus in Remscheid-Lüttringhausen. Obwohl sie bereits beim Schuleintritt Noten lesen und schreiben kann, ahnt niemand etwas von ihrem außerordentlichen musikalischen Talent. Während nämlich ihre sechs Jahre ältere Schwester Mareen intensiv im Geigenspiel unterrichtet wird und ihr jüngerer Bruder Tristan begeistert auf der Klarinette übt, mag Isabella kein Musikinstrument spielen. Als Isabella zehn Jahre alt ist, kauft sie sich ohne Wissen der Eltern und Geschwister von ihrem Taschengeld ein Notenheft nach dem anderen. Damit sitzt sie in jeder freien Minute auf einem nicht mehr benutzten Hochstand am Waldrand, lauscht dem Gesang einer Amsel und bringt die Melodien zu Papier.

Eines Tages entdeckt Isabella vom Hochstand aus einen schlaffen Luftballon, der sich im Geäst verfangen hat. Der Bauer Wagner, der in einer Woche seinen 65. Geburtstag feiern wird, hilft ihr mit einer Heugabel, den kaputten Luftballon herunterzuholen, an dem ein Zettel hängt. Darauf klebt ein Passfoto eines Jungen. Der hat dazu geschrieben:

Lieber Gott,
[…] Ich möchte so gern ein Klavier, aber meine Eltern kaufen mir keines, weil wir kein Geld haben. […] Dein Jens Böhmer

Zu Hause zieht Isabellas Mutter, Petra Korngold, vorsichtig das Passbild ab. Wie erwartet, sind auf der Rückseite der Name des Fotostudios, Ort und Datum aufgedruckt. Das Bild wurde vor 30 Jahren, am 30. März 1976, in Mannheim aufgenommen.

Als Petra Korngold im Schreibwarenladen einen Kugelschreiber kauft, gibt ihr der Besitzer die soeben eingetroffenen Notenhefte für ihre jüngere Tochter mit. Sie kann sich nicht vorstellen, was Isabella mit Notenheften anstellt, aber der Ladeninhaber versichert, niemand kaufe mehr Notenhefte bei ihm als Isabella. Die Zehnjährige bewahrt ihr Geheimnis, obwohl die Mutter sie fragt, wofür sie die Notenhefte benötige. Nachdem Petra ihrem Mann davon erzählt hat, sucht dieser heimlich im Zimmer der Tochter nach den Notenheften und findet über 100 Stück davon, fast alle vollgeschrieben. Das kann er sich nicht erklären.

Weil Isabella keinen eigenen Computer besitzt, googelt Tante Vroni, die unverheiratete ältere Schwester der Mutter, die vormittags in der Bibliothek der Robert-Wolfgang-Schnell-Gesamtschule arbeitet, für sie nach Jens Böhmer. Es dauert eine Weile, aber dann findet Vroni heraus, dass er inzwischen Jens MacPherson heißt, 34 Jahre alt ist und in Washington, D. C., lebt. Er wuchs als Jens Böhmer in Ludwigshafen am Rhein auf und wollte schon als kleiner Junge Pianist werden. Als er 14 Jahre alt war, starb sein Vater, und seine Mutter heiratete einen amerikanischen Prediger namens MacPherson, der sie und den Jungen mit in die USA nahm, wo auch Jens den Namen MacPherson annahm. Er studierte Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, promovierte über John Cage und hat sich inzwischen als Musikkritiker einen Namen gemacht. Für den bedeutendsten lebenden Komponisten hält Jens MacPherson übrigens Theophil Behrendt, der in Remscheid-Lennep wohnt, also ganz in der Nähe der Korngolds. Vroni schlägt ihrer Nichte vor, Jens zu schreiben und erklärt sich bereit, den Brief als E-Mail an Pherson@andante.com zu tippen.

Theophil Behrendt, der gerade seinen 75. Geburtstag gefeiert hat, ist auch der Schirmherr des diesjährigen, demnächst in der Stadthalle in Remscheid stattfindenden Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Isabellas Schwester Mareen wird dabei ein Stück von Pablo de Sarasate auf der Geige spielen. Leider kann der Vater nicht dabei sein, denn er muss mit seinem Chef für einige Zeit nach Colombo, um die dortige Tochterfirma vor dem Zusammenbruch zu retten.

Mareen ist schrecklich aufgeregt. Ferdinand Klimperer, ein viel versprechender Nachwuchspianist, der vor fünf Jahren den 1. Preis bei „Jugend musiziert“ gewann und unlängst die Goldbergvariationen von Johann Sebastian Bach eingespielt hat, wird sie begleiten. Beim Proben kommen die beiden sich näher und verlieben sich.

Isabella kauft sich die CD mit der neuesten Komposition von Theophil Behrendt. Das 65 Minuten lange Orchesterwerk heißt „Die See“ und beginnt mit einer zehnminütigen Pause: Die Stille gehört zur Musik. Das Stück beeindruckt Isabella sehr, und sie macht sich daran, ein kleines Stück für mehrere Orchesterstimmen zu komponieren.

Währenddessen kommt Theophil Behrendt zu der Überzeugung, dass die Vogelstellen in seinem neuen Werk „Der Wald“ nicht gut genug sind. Obwohl die Partitur bereits vor drei Wochen gebunden und dem Dirigenten Josten Frantzki geschickt wurde, der das Orchesterwerk anlässlich des Nationalfeiertags am 3. Oktober mit den Berliner Philharmonikern uraufführen soll, beschließt Theophil Behrendt, sie zurückzuziehen und zu überarbeiten.

Theophil Behrendt leitete bis vor 16 Jahren das Wuppertaler Sinfonieorchester. Dann brachte er es in den USA als Komponist zu Weltruhm. Aber durch einen Unfall vor zwei Jahren ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Er wohnt jetzt wieder in Deutschland, in einem Haus in Lennep. Betreut wird er von Max Koch, seinem Freund und Haushälter.

Als Jens MacPherson nach Lennep kommt, um für sein geplantes Buch über Theophil Behrendt ein Interview mit dem Musiker zu führen, berichtet ihm Max Koch entsetzt, was geschehen ist. Theophil Behrendt vertraut dem Besucher schließlich an, was seine Selbstzweifel auslöste: Unlängst war ein Mann da, zeigte ihm ein Notenheft seiner Tochter und fragte ihn, ob sich davon auf ein musikalisches Talent schließen lasse. Theophil Behrendt sah auf den ersten Blick, dass die Melodien besser als seine eigenen Vogelstellen in „Der Wald“ waren, aber er war so bestürzt darüber, dass er vergaß, den Besucher nach Namen und Adresse zu fragen. Er weiß nur noch, dass die Tochter des Mannes bei „Jugend musiziert“ mitmachen wird. Max Koch holt die Teilnehmerliste, und als Theophil Behrendts Blick auf den Namen Mareen Korngold fällt, erinnert er sich daran, dass der Besucher sich mit diesem Familiennamen vorgestellt hatte. Max Koch sucht sofort im Telefonbuch danach.

Isabella hört das Telefon klingeln. Ihre Mutter hebt ab. Nein, ihr Mann sei nicht zu sprechen, sondern verreist. Nein, ihre Tochter Mareen komponiere nicht, sondern spiele Violine. Es müsse sich um einen Irrtum handeln.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Weil Isabella sich den Fuß vertreten hat, kann sie ebenso wenig wie der Vater beim Auftritt ihrer Schwester in der Stadthalle dabei sein. Sie schafft es auch nicht, schnell genug von ihrem Zimmer über die Treppe zum Telefon hinunterzugehen, als es klingelt, und sie allein zu Hause ist. Auf dem Anrufbeantworter hört sie dann eine Nachricht von Jens MacPherson. Er hat ihre Mail bekommen und sich gewundert, wie lange der Luftballon unterwegs gewesen war. Wenn er im Oktober nach Deutschland kommt, möchte er sich mit ihr treffen. Aber nun bittet er sie dringend, Theophil Behrendt anzurufen, dessen Telefonnummer er angibt. In ihrer Mail berichtete sie von 122 mit der Partitur von Amselgesängen gefüllten Notenheften. Darüber soll sie nun so schnell wie möglich mit dem Komponisten reden. Es sei extrem wichtig.

Isabella wählt die Nummer. Eine Stunde später holt Max Koch sie, ihre Mutter und ihren Bruder mit dem Wagen ab.

Am 4. Oktober berichteten die Zeitungen über die erfolgreiche Uraufführung des einstündigen Orchesterwerks „Der Wald“ von Theophil Behrendt – und die sensationelle 17-jährige Geigerin Mareen Korngold, die das äußerst schwierige Solo spielte. Die Feuilletonisten sind voll des Lobs. Keiner von ihnen erwähnt jedoch Isabella.

Erst Jens MacPherson wird in seinem Buch über Theophil Behrendt auch den maßgeblichen Anteil der genialen Komponistin Isabella Korngold an dem Erfolg des Stücks „Der Wald“ erwähnen. Tatsächlich ließ Theophil Behrendt sich nicht nur vom Gesang der Amsel, wie ihn die Zehnjährigen notiert hatte, zu neuen Vogelstellen inspirieren, die seine alten ersetzten, sondern sie brachte ihn auch auf die Idee, die Flötisten, die diese zu spielen hatten, auf die beiden Seiten des Orchesters aufzuteilen. Auf Isabellas Vorschlag kamen die Flötisten am Ende in die Mitte und die Solovioline übernahm von ihnen. Für den Schluss schenkte Isabella Theophil Behrendt ihre bisher einzige mehrstimmige Komposition. Der berühmte Musiker erkannte, dass sie eine von elf Tönen ausgehende Folge geschrieben hatte: C-H-D-Cis, F-E-G-Fis, A-Gis-H-Ais usw. Nur die Tonfolge, die mit B begonnen hätte und deren nächsten Töne A, C und H gewesen wären, hatte Isabella ausgelassen.

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„Isabellas Welt“ ist ein ebenso originelles wie anspruchsvolles Jugendbuch von Christian Oelemann.

Im geschickten Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen erzählt Christian Oelemann von einem weltberühmten Komponisten und einer Schülerin, die auch Geräusche und vor allem den Gesang einer Amsel als Töne wahrnimmt und Musik zu komponieren beginnt. Der Kontrast zwischen dem auf einen Rollstuhl angewiesenen 75-Jährigen und der Zehnjährigen, die ihr Leben noch vor sich hat, ist perfekt. Wenn Isabella Korngold dann aber ohne die geringste musikalische Ausbildung einen entscheidenden Beitrag zum neuen Orchesterwerk eines in Europa und Amerika gefeierten Komponisten liefert, passt das eher in einen Traum als in die Realität.

Enthusiasmus und Ideenreichtum verleiten Christian Oelemann auch dazu, das Buch zu überfrachten. Eine Straffung hätte „Isabellas Welt“ gutgetan, denn vieles kann auf rund 150 Seiten nur angetippt werden: die Freundschaft von Isabella und Paula, die Freundschaft ihrer Mütter, die Schwangerschaften von Paulas Mutter und Isabellas Tante, die Karriere und die Neubaupläne des Vaters, die Entwicklung der Geschwister, die Verliebtheit und die musikalischen Karrieren von Mareen Korngold und Ferdinand Klimperer, die Beziehung von Theophil Behrendt und Max Koch, die Figuren Reiner Zumnick und Bauer Wagner … In der Fülle geht dann auch schon mal die Übersicht verloren; da ist jemand 34 Jahre alt, obwohl ihn ein vor 30 Jahren entstandenes Foto als Zehnjährigen zeigt.

Empfehlenswert ist „Isabellas Welt“ vor allem, weil sich die Musikliebe des Autors und seiner Hauptfigur auf den Leser überträgt. Darüber hinaus vermittelt Christian Oelemann durch das Vorbild der Figuren in „Isabellas Welt“ Ermutigung, positives Denken und Toleranz.

Das Jugendbuch „Isabellas Welt“ von Christian Oelemann gibt es auch als Hörspiel (Bearbeitung: Heide Knetsch und Stefan Richwien, Regie: Götz Fritsch, mit Johanna Fritsch, Anisyah Berty, Benedikt von Sinden, Susana Fernandes Genebra, Hans-Jörg Krumpholz, Anna-Maria Kuricová, Wolf-Dietrich Sprenger, Fabian Gerhardt, Jens Harzer – hr/rbb, Erstausstrahlung: 27. Oktober 2007). Der MDR zeichnete das Hörspiel mit dem Kinderhörspielpreis aus.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Thienemann Verlag

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