Who Am I

Who Am I

Who Am I

Originaltitel: Who Am I. Kein System ist sicher – Regie: Baran bo Odar – Drehbuch: Baran bo Odar, Jantje Friese – Kamera: Nikolaus Summerer – Schnitt: Robert Rzesacz – Musik: Michael Kamm, Jaro Messerschmidt – Darsteller: Tom Schilling, Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr., Hannah Herzsprung, Trine Dyrholm, Stephan Kampwirth, Leonard Carow u.a. – 2014; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Der Computer-Hacker Benjamin Engel stellt sich Europol und behauptet in seiner Aussage gegenüber Hanne Lindberg, die anderen drei Mitglieder seiner Hacker-Gruppe CLAY seien von der konkurrierenden Organisation FR13NDS erschossen worden. Aus Furcht vor FR13NDS möchte er ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Als Gegenleistung sorgt er für die Entlarvung und Festnahme des FR13NDS-Anführers MRX. Aber wo sind die Leichen seiner Freunde oder auch nur Spuren des Dreifach-Mordes?
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Kritik

In dem intelligenten, raffiniert aufgebauten und rasant erzählten Netz-Thriller "Who Am I" von Baran bo Odar geht es um Täuschung, und nichts ist so wie es scheint.

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Der Berliner Computer-Hacker Benjamin Engel (Moritz Berkel / Tom Schilling) stellt sich Europol, erklärt jedoch, er sei nur zu Aussagen gegenüber Hanne Lindberg (Trine Dyrholm) bereit. Die Dänin wurde zwar wegen mehrerer Fehlschläge vom Dienst suspendiert, setzt sich aber mit ihm in einen Vernehmungsraum. Benjamin hat drei Patronenhülsen bei sich. Die hätten neben den Leichen seiner drei wahrscheinlich im Auftrag der Hackergruppe FR13NDS erschossenen Freunde gelegen, behauptet er. Und nun befürchte er, sagt Benjamin, dass die Mörder auch ihm nach dem Leben trachten. Hanne Lindberg soll ihn ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Als Gegenleistung bietet er ihr seine Hilfe bei der Festnahme des von Europol gesuchten Hacker-Stars MRX (Leonard Carow) an. Mit diesem Erfolg könnte sie in den aktiven Dienst zurückkehren.

Benjamin nimmt vier Stücke Würfelzucker in die eine Hand und übergibt sie dann scheinbar der anderen, aber als er diese öffnet, ist nur ein Stück zu sehen. Anschließend „zaubert“ er alle Zuckerstücke wieder herbei. Dazu erklärt er Hanne Lindberg, Computer-Hacken sei wie Zaubern; in beiden Fällen gehe es darum, andere zu täuschen.

Seine Aussage beginnt Benjamin Engel mit der Kindheit.

Er hat seinen Vater nie kennengelernt, denn der verschwand noch vor der Geburt des Sohnes nach Frankreich. Benjamins Mutter nahm sich das Leben, als er acht Jahre alt war. Von da an sorgte seine Großmutter Hilde Engel (Katharina Matz) für ihn, und später war es umgekehrt, denn die Greisin leidet seit vier Jahren am Alzheimer-Syndrom. Inzwischen lebt sie in einem Pflegeheim, und Benjamin wohnt allein in ihrem Haus.

In der Schule galt Benjamin als Außenseiter und wurde von anderen oft übersehen. Im Alter von 14 Jahren wurde er zum Nerd und brachte sich die Maschinensprache bei. Er träumte davon, ein Superheld zu sein, von dessen Identität die anderen nichts ahnen.

Als schüchterner Pizza-Bote traf er auf seine ein Jahr ältere frühere Mitschülerin Marie (Tijan Fischer / Hannah Herzsprung), die ihn nie beachtet hatte. Inzwischen studierte sie Jura, und weil Benjamin erfuhr, dass sie für eine anstehende Klausur schlecht vorbereitet war, hackte er sich in den Computer der Universität ein, um die Prüfungsfragen für sie zu besorgen. Dabei wurde er allerdings erwischt und von einem Richter zu 50 Stunden Sozialarbeit verurteilt.

Beim Straßenreinigen fiel er Max (Elyas M’Barek) auf, einem anderen Nerd, der ein paar Jahre älter war als er und im Gegensatz zu ihm über ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl verfügte. In einem Schnellrestaurant demonstrierte er Benjamin, wie Menschen durch dreistes Auftreten manipuliert werden können. Er schlich sich mit ihm auf einer fremden Party ein und stellte ihm dort seine Freunde Paul (Antoine Monot jr.) und Stephan (Wotan Wilke Möhring) vor, die seinen Begleiter erst einmal aufforderten, sein Hacker-Können unter Beweis zu stellen. Benjamin demonstrierte es ihnen, indem er von einem Laptop aus die Stromversorgung des Stadtviertels abschaltete. Die Polizei lokalisierte den Ort des Angriffs, aber Max, Paul, Stephan und Benjamin entkamen unerkannt.

Sie bildeten die Hackergruppe CLAY (Clowns Laughing at You) und richteten sich in Hilde Engels Haus ein. Max war zwar ein Blender und als Hacker nicht mehr als ein Scriptkiddie, aber mit seinem Geschick für Social Engineering nutzte er der Gruppe ebenso wie der Hardware-Experte Paul und die Software-Freaks Stephan und Benjamin.

Benjamins Idol war MRX, der Star der globalen Hackerszene. Ihm eiferte er nach. Während einer Parteiveranstaltung der NBD hackte CLAY sich in deren Computer und vertauschte die geplanten Werbespots der Neonazis mit Szenen, in denen Hitler lächerlich gemacht wurde. Der nächste Angriff galt einem Pharmakonzern, dessen Leuchtreklame CLAY in WE KILL ANIMALS änderte. MRX beeindruckte das nicht, im Gegenteil: Er verspottete CLAY im Netz, indem er ein gehacktes Protokoll veröffentlichte, in dem Hanne Lindberg CLAY im Vergleich zu der von MRX geführten Gruppe FR13NDS als harmlos einschätzte.

CLAY riskierte deshalb etwas nahezu Unmögliches. Die vier jungen Männer drangen ins Gebäude und Computersystem des Bundesnachrichtendienstes in Berlin ein. Ohne seinen Kumpanen etwas davon zu sagen, raubte Benjamin bei dieser Gelegenheit eine streng geheime Agenten-Liste. Einen Tag nachdem er sie MRX im Darknet zugespielt hatte, wurde die Leiche des Hackers Krypton (Marten Borgwardt) im Wald gefunden. Krypton gehörte zu FR13NDS, hatte aber auch heimlich mit dem BND zusammengearbeitet. Offenbar war er durch die von Benjamin gestohlene Liste enttarnt worden.

MRX täuschte Anerkennung für den Coup vor und stellte CLAY sowohl einen Codeschlüssel als auch einen Trojaner zur Verfügung, damit sie in das IT-System von Europol eindringen konnten. Während Max, Paul, Stephan und Benjamin nachts Daten absaugten, stellte die Polizei den Ort des Angriffs fest und stürmte die öffentliche Bibliothek, in die CLAY eingebrochen war, um die Computer zu nutzen. Hanne Lindberg stieß auf Benjamin, aber er entkam ebenso wie seine Kumpane, die kein Mitglied des SEK zu Gesicht bekommen hatte.

Aufgrund dieses Fehlschlags, der nicht ihr erster war, wurde Hanne Lindberg vom Dienst suspendiert.

Benjamin sagt weiter aus, er habe das Haus seiner Großmutter niedergebrannt, um Spuren zu beseitigen und sei mit seinen Freunden in ein Hotel gezogen.

Als die Gruppe physisch in die Europol-Zentrale in Den Haag einbrechen wollte, griff Max in einen Nagel und durchstach sich damit die Hand. Daraufhin brachen die vier Männer den Versuch ab. Kurz darauf gab Benjamin sich als Mitglied einer Schulklasse aus, die soeben Europol besucht hatte und flehte den Pförtner an, ihn noch einmal kurz ins Gebäude zu lassen, weil er seine Geldbörse verloren habe. Die Gutmütigkeit des Mannes nutzte er aus, um einen Evil Twin einzuschleusen, einen zusätzlichen WLAN-Zugang. Sein Plan sah vor, in dem von MRX gelieferten Trojaner einen selbst programmierten zweiten Trojaner zu verstecken, der MRXs Computer für CLAY angreifbar machen sollte, sobald dieser die übermittelten Daten lud. Auf diese Weise hoffte Benjamin, MRX entlarven und Europol seine Identität mitteilen zu können.

Aber der Hacker-Star durchschaute den Trick mit dem „schwangeren Trojaner“. Der von ihm gelieferte Codeschlüssel funktionierte zugleich als IP-Transmitter und ermöglichte es zwei zu FR13NDS gehörenden Gangstern, Benjamin zu identifizieren. Die mit Pistolen bewaffneten Männer verfolgten ihn, aber in einem U-Bahn-Tunnel konnte er sich erfolgreich vor ihnen verstecken. Als er anschließend ins Hotelzimmer zurückkam, war dort alles voller Blut: FR13NDS hatte Max, Stephan und Paul ermordet.

Obwohl Martin Bohmer (Stephan Kampwirth) vom BKA, der die Vernehmung durch einen Einwegspiegel beobachtete, auf Fragwürdigkeiten in Benjamins Aussage hinweist, geht Hanne Lindberg auf Benjamins Vorschlag ein.

Mit ihrem Einverständnis gibt dieser sich im Darknet als MRX aus und provoziert den echten MRX. Es gelingt ihm, ihn zu entlarven. MRX wird in New York verhaftet, und Hanne Lindberg kehrt in den Dienst zurück.


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Weil es keine drei Leichen in einem Hotel gibt und Hanne Lindberg eine Handverletzung Benjamins auffiel, die von einem Durchstich stammen könnte, überprüft sie Einzelheiten der Aussage. Dabei findet sie heraus, dass Hilde Engels Haus nicht niedergebrannt wurde. Bei den drei Patronenhülsen handelt es sich um Andenken seiner Großmutter an den im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront gefallenen Vater. Marie reagiert überrascht auf Hanne Lindbergs Frage nach Benjamin und erklärt, ihn seit der Schulzeit nicht mehr gesehen zu haben. Der Psychiater, der Benjamins Mutter vor dem Suizid behandelte, hält es für möglich, dass Benjamin ebenso wie sie unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet und es sich bei Max, Paul und Stephan um Facetten seines eigenen Charakters handelt. CLAY wäre dann mit Benjamin identisch.

Hanne Lindberg konfrontiert Benjamin mit der leeren Blechschachtel, in der seine Großmutter die Patronenhülsen aufbewahrte und erklärt ihm, er könne wegen einer Psychose nicht ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden.

Auf dem Weg zum Haftrichter ermöglicht Hanne Lindberg es Benjamin, sich durch einen Hackerangriff im Zeugenschutzprogramm eine neue Identität zuzulegen. Statt zum Haftrichter bringt sie ihn zu ihrem Auto und fährt mit ihm los. Bevor er aussteigt, lässt sie sich von ihm den Trick mit dem Würfelzucker erklären, aber dabei täuscht er sie erneut. Als ihr das bewusst wird, ist er bereits verschwunden.

Auf einer Fähre ist Benjamin mit neuen Papieren aus dem Zeugenschutzprogramm unterwegs nach Kopenhagen. Max, Paul, Stephan und Marie stellen sich zu ihm. Sie freuen sich darüber, wie sie Hanne Lindberg manipulierten. Als Benjamin nach der Verfolgung durch die FR13NDS-Gangster ins Hotel zurückkam, warnte er Max, Paul und Stephan, dass MRX seine Identität kenne. Max dachte sich daraufhin aus, wie sie FR13NDS mit Hilfe von Hanne Lindberg entkommen könnten. Damit es funktionierte, musste Benjamin sich einen Nagel durch die Hand schlagen lassen. Paul ist besorgt, weil er es für möglich hält, dass Hanne Lindberg die Täuschung durchschaut, aber Benjamin meint, sie habe es bereits getan, werde aber nichts unternehmen.

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In dem intelligenten Netz-Thriller „Who Am I“ des Schweizers Baran bo Odar (* 1978) ist nichts wie es scheint. Es geht um Täuschung, und die Zuschauer werden davon nicht verschont: Unerwartete Wendungen stellen alles zunächst Geglaubte in Frage, und am Ende bleibt die Frage nach Wahn und Wirklichkeit offen. Der Protagonist Benjamin Engel tritt als Ich-Erzähler auf. Nur so funktioniert die Geschichte; es entspricht aber auch der Rahmenhandlung, seiner Aussage in einem Vernehmungsraum. Dabei entwickelt sich die Handlung temporeich und schnörkellos.

Das Dark Net wird in „Who Am I“ von einer U-Bahn symbolisiert, in der sich Fahrgäste treffen, die ihre Identitäten hinter Gesichtsmasken verbergen.

In Benjamin Engels Zimmer hängt ein Filmplakat, auf dem Brad Pitt in der Rolle des Schizophrenen (!) Tyler Durden in „Fight Club“ abgebildet ist.

Das Gemälde „La reproduction interdite“ (1937) von René Magritte taucht mehrmals in „Who Am I“ auf. Einmal steht Benjamin Engel frontal vor einem Spiegel über einem Waschbecken. Nachdem er Ritalin-Pillen geschluckt hat, sehen wir im Spiegel statt seines Brustbildes seine Rückenansicht – wie bei dem Kunstwerk.

Gegen Ende zu, als Benjamin Engel neben Hanne Lindberg im Auto sitzt, taucht im Hintergrund unvermittelt eine Person mit CLAY-Maske auf, die da eigentlich gar nicht hingehört, aber von Baran bo Odar bewusst platziert wurde.

Die Fernseh-Moderatorinnen Barbara Hahlweg und Stephanie Puls spielen sich übrigens in „Who Am I“ ebenso selbst wie Marc Bator.

Die Dreharbeiten für „Who Am I“ fanden in Berlin und Rostock statt.

Baran bo Odar erhielt für die Regie in „Who Am I“ den Bayerischen Filmpreis 2015.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015

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