Ingrid Noll : Der Mittagstisch

Der Mittagstisch
Der Mittagstisch Originalausgabe: Diogenes Verlag, Zürich 2015 ISBN: 978-3-257-6954-9, 220 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nachdem der Amerikaner Matthew seine deutsche Lebensgefährtin Nelly mit zwei gemeinsamen Kindern in Frankfurt hat sitzen lassen, zieht die Mitdreißigerin in das von ihren Großeltern geerbte Haus an der Bergstraße und bietet dort ohne behördliche Genehmigung einen Mittagstisch an. Die Gäste fühlen sich bald wie eine große Familie – mit Ausnahme einer jungen, an Erdnussallergie leidenden Sekretärin, die schließlich damit droht, Nelly anzuzeigen ...
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Kritik

Wichtiger als ein realistischer Plot sind Ingrid Noll in der Krimikomödie "Der Mittagstisch" Skurrilität und schwarzer Humor. Zwar erfahren wir einiges über die Ich-Erzählerin Nelly, aber die anderen Figuren bleiben schemenhaft bzw. stereotyp.
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Kurz nach der Geburt seiner Tochter fliegt der Amerikaner Matthew Gonzales in die USA und lässt seine deutsche Lebensgefährtin Nelly mit den beiden gemeinsamen Kindern Simon und Caroline allein in Frankfurt am Main zurück, ohne sich noch einmal zu melden. Wie soll eine allein erziehende Mutter mit einem abgebrochenen Studium und ohne Berufsausbildung das Geld für den Lebensunterhalt verdienen? Glücklicherweise hat Nelly das leer stehende Haus ihrer Großeltern an der Bergstraße geerbt. Indem sie sich dort mit Simon und Caroline einrichtet, spart sie wenigstens die bis dahin in Frankfurt bezahlte Miete.

Die Mitdreißigerin trifft Regine, eine ehemalige Mitschülerin, die inzwischen in der nahen Schule unterrichtet und gern die Einladung annimmt, in der Mittagspause mit Nelly und den Kindern zu essen. Allerdings besteht sie darauf, sich an den Kosten zu beteiligen. Es schmeckt ihr an Nellys Mittagstisch, und nach kurzer Zeit bittet sie darum, jemand mitbringen zu dürfen: ihre Kollegin Tonja und deren Vater. Der Witwer Jochen, der zwar nur Kellner auf einem Kreuzfahrtschiff gewesen war, aber allgemein als „Kapitän“ angesprochen wird, wird für Simon und Caroline zu einem Ersatz-Großvater und hilft Nelly auch in der Küche, als weitere Kostgänger dazukommen, darunter zwei Mitarbeiter eines in der Nähe gelegenen Elektrogeschäfts: der Außendienst-Elektroinstallateur Markus und seine deutlich jüngere, 24 Jahre alte Lebensgefährtin Gretel, die amtlich Claudia Margarete Schündler heißt und im Büro beschäftigt ist.

Gretel bleibt eines Tages am Mittagstisch sitzen, bis die anderen gegangen sind. Dann weist sie Nelly darauf hin, dass sie mehrfach beobachtet habe, wie Caroline auf dem Schoß des Kapitäns saß. Sie argwöhnt, dass es sich bei dem älteren Mann, der sich so intensiv um die Kinder kümmert, um einen Pädophilen handelt. Nelly mag das zunächst nicht glauben, aber als sie ihre Tochter mit dem Kapitän auf dem Sofa schlummern sieht, beschimpft sie ihn als Kinderschänder und wirft ihn hinaus.

Bald schon bereut sie den unüberlegten Schritt, zumal ihr die Hilfe des Kapitäns in der Küche fehlt, die Kinder den „Opa“ vermissen und auch Tonja dem Mittagstisch aus Protest fernbleibt. Nelly geht zu dem Mehrfamilienhaus, in dem der Kapitän wohnt, entschuldigt sich, und er versöhnt sich mit ihr.

Kurz darauf knipst Nelly vom Fenster aus mit ihrem Smartphone, wie sich jemand an dem Schild „Achtung, Schule!“ zu schaffen macht und nach dem Sch ein W einfügt. Als sie das Foto ihren Kostgängern auf dem Fernsehschirm zeigt, erkennen alle, dass es sich bei der Übeltäterin um Gretel handelt.

Die junge Frau kehrt nach der Demütigung nicht mehr an den Mittagstisch zurück und verlangt auch von Markus, dass er den Kontakt mit Nelly abbricht. Andernfalls, droht sie, müsse Nelly mit einer amtlichen Schließung ihres illegalen Restaurants und Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung rechnen. Markus, der sich der Forderung nicht beugt, unterrichtet Nelly darüber und versucht, Verständnis für seine Lebensgefährtin zu wecken. Gretel war noch ein Kind, als ihr Vater die Familie wegen eines anderen Mannes verließ, und der Frührentner, mit dem ihre Mutter dann zusammenlebte, missbrauchte Gretel jahrelang. Das erklärt nicht nur ihren Hass gegen Schwule, sondern auch ihre übertriebene Wachsamkeit gegenüber Männern, die ihrer Meinung nach pädophil sein könnten.

Eine Anzeige würde unweigerlich das Ende des Mittagstisches bedeuten. Aber Nelly ist auf diese Einnahmequelle angewiesen. Sie will Gretel deshalb einen Denkzettel verpassen, und weil sie weiß, dass die 24-Jährige gegen Erdnüsse allergisch ist, setzt sie Lammfleischbällchen auf den Speiseplan, die sie unter anderem mit Knoblauch und gemahlenen Erdnüssen abschmeckt. Gretel kommt zwar nicht mehr zum Mittagstisch, aber Markus nimmt regelmäßig Reste in einer Tupperdose mit nach Hause, und Nelly weiß von ihm, dass die unter Bulimie leidende Gretel nicht selten nachts mit einem Heißhunger über den Inhalt des Kühlschranks herfällt.

Am nächsten Tag berichtet Markus am Mittagstisch, dass Gretel im Krankenhaus liegt. Aber es hat nichts mit den Lammfleischbällchen zu tun. Sie stürzte am Vortag beim Gardinenaufhängen von der Leiter.

Nellys in Bonn wohnende verwitwete Mutter Gudrun ruft an. Bekannte reisen demnächst für einen Monat in die USA und haben sie gebeten, auf die Villa in Ligurien aufzupassen. So kommt es, dass Gudrun, Nelly, Simon, Caroline und Jochen Sommerferien in Italien machen.

Währenddessen stirbt Gretel an einem allergischen Schock. Markus fühlt sich schuldig, weil er die Tupperdose mit den Lammfleischbällchen im Kühlschrank vergessen und Gretel nicht wegen des Erdnussmehls gewarnt hatte.

Unerwartet taucht Matthew auf. Er will Simon in die USA holen. Dem Jungen schwärmt er von einem Leben auf einer Farm in North Dakota vor. Und dessen sexuell ausgehungerte, hoffnungslos in Markus verliebte Mutter findet sich unversehens mit ihrem Ex-Gefährten im Bett wieder. Dennoch ist sie nicht bereit, ihr alleiniges Sorgerecht für die Kinder aufzugeben.

Am nächsten Morgen öffnet Nelly den Brustbeutel, den Matthew auf dem Nachttisch vergaß. Außer einem dicken Banknoten-Bündel und mehreren Kreditkarten enthält er vier Pässe. Drei Pässe auf die Namen Denzel M. Smith, Matt D. Miller, Joseph M. Brown sind mit Matthews Bild versehen. Der vierte, vermutlich ebenfalls gefälschte Pass ist für Simon gedacht. Matthew, oder wie immer er wirklich heißt, hat also vor, den Jungen zu entführen!

Es stellt sich heraus, dass sein richtiger Name Denzel M. Smith lautet. Nachdem er im Krieg in Afghanistan verwundet worden war, hatte man ihn nach Ramstein ausgeflogen und im Militärkrankenhaus in Landstuhl behandelt. Danach war er desertiert. Nelly lernte ihn in Frankfurt unter dem falschen Namen Matthew Gonzales kennen, und er lebte illegal bei ihr. Geld beschaffte er durch Drogenhandel. Inzwischen ist er mit einer Amerikanerin verheiratet, die keine Kinder bekommen kann. Jodies unheilbar an Krebs erkrankter Vater will ihr seine Farm in North Dakota nur vererben, wenn für männlichen Nachwuchs gesorgt ist, etwa durch den unehelichen Sprössling seines Schwiegersohns.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Denzel versucht Nelly mit der Drohung, sie wegen des Mittagstisches anzuzeigen, zum Nachgeben zu zwingen. Der Streit eskaliert. Ohne lang nachzudenken, schleudert Nelly ein Küchenmesser auf ihren früheren Lebensgefährten. Erschrocken sieht sie, wie die Klinge in seiner Brust stecken bleibt.

Der Kapitän, der längst einen Hausschlüssel hat und eine Minute später in der Tür steht, sieht den Toten auf dem Boden liegen. Er hilft Nelly, die Leiche im WC einzuschließen und das Blut aufzuwischen, bevor die Kinder etwas mitbekommen. In ihrer Not ruft Nelly Markus an. Der meldet sich wegen einer angeblich sofort notwendigen Reparatur in seinem Betrieb ab und eilt herbei. Sobald er die Situation in Grundzügen begriffen hat, schmiedet er mit Nelly und Jochen einen Plan. Während der alte Herr die Küche übernimmt und den Mittagstisch mit einem „Captain’s Dinner“ überraschen wird, fahren Markus mit der Leiche im Lieferwagen und Nelly mit Denzels Leihwagen zu einem Waldparkplatz bei Mörfelden. Es regnet, und sie tragen Einweghandschuhe, als sie den Toten hinter das Lenkrad des PKWs setzen und seine Sachen nach Hinweisen auf Nelly durchsuchen. Dabei finden sie auch zwei Flugtickets, eines davon für Simon.

Ein paar Tage später ruft Markus an, und weil Nelly Besuch von ihrer Mutter hat, geht sie zu ihm hinüber. Er zeigt ihr die aktuelle Ausgabe des „Darmstädter Echo“ mit einem Artikel über einen Leichenfund auf dem Waldparkplatz. Allerdings wird berichtet, dass jemand sich über die offen stehende Tür eines verlassenen Autos wunderte. Im Unterholz fand man dann eine männliche Leiche ohne Papiere und einen leeren Koffer. Der Leihwagen war von einem Mann gemietet worden, der sich mit dem Reisepass eines in Afghanistan gefallenen GIs ausgewiesen hatte.

Hoffentlich haben die Kriminellen, die den Toten ausraubten, nicht nur eventuell noch vorhandene Spuren von Nelly und Markus beseitigt, sondern darüber hinaus die Polizei auf eine falsche Spur gebracht. Nelly und Markus sind erleichtert, und in dieser Situation gelingt es der Mörderin, ihren Mittäter zu verführen.

Einige Zeit später steht in der Zeitung, dass es sich bei dem Toten auf dem Waldparkplatz bei Mörfelden um Denzel S. handelte. Die Polizei geht davon aus, dass er vor vier Jahren den unter dem Spitznamen „Kameruner“ bekannten Drogendealer aus Hanau erstochen hatte und dann untergetaucht war. Einige Sachen von ihm stellte die Polizei in der Wohnung eines kürzlich im Frankfurter Ostend tot aufgefundenen Brüderpaars sicher, das mit dem „Kameruner“ verwandt und ebenfalls in der Drogenszene aktiv war. Es sieht so aus, als hätten die Brüder den Tod ihres Cousins gerächt und seien kurz darauf selbst Opfer einer konkurrierenden Bande geworden.

Nelly vermutet aufgrund des Zeitungsberichts, dass die Brüder durch Kontakte in der Szene von Denzels Anwesenheit im Rhein-Main-Gebiet erfuhren, einen Peilsender an seinem Leihwagen anbrachten und so die Leiche auf dem Waldparkplatz fanden.

Nelly ist schwanger. Aber sie weiß nicht, ob das Kind von Denzel oder von Markus ist.

Regine vertraut ihr an, dass sie zwei-, dreimal mit Markus geschlafen habe und nun ein Kind von ihm erwarte.

Die beiden Freundinnen beschließen, Markus gemeinsam über die doppelte Vaterschaft aufzuklären.

Nellys drittes Kind erhält den Namen Martin, und Regine nennt ihren Sohn Hannes. Gudrun gibt ihre Wohnung in Bonn auf und kauft sich in der Nähe ihres Elternhauses ein Anwesen, um ebenso wie der Kapitän ihrer Tochter beistehen zu können. Markus heiratet eine Kundin, die bei einem Motorradunfall ein Bein verloren hat.

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Bei „Der Mittagstisch“ handelt es sich um einen eher gemütlichen Kriminalroman von Ingrid Noll. In ihren Büchern gibt es kaum Actionszenen oder Nervenkitzel, aber eine Frau, die einen lästigen Mann um die Ecke bringt, fehlt auch in „Der Mittagstisch“ nicht. Das ist schließlich Ingrid Nolls „Markenzeichen“.

Im zwar schnörkellosen, aber gemächlichen und mitunter schnodderigen Plauderton lässt sie die Protagonistin Nelly als Ich-Erzählerin zu Wort kommen. Während wir auf diese Weise in den 21 Kapiteln einiges über Nelly erfahren, bleiben die anderen Figuren in „Der Mittagstisch“ schemenhaft. Einige werden lediglich durch eine Eigenheit beschrieben, so der braungebrannte Sportlehrer und der nackt wandernde Versicherungsvertreter. Vieles wirkt stereotyp.

Wichtiger als ein realistischer Plot sind Ingrid Noll in der Krimikomödie „Der Mittagstisch“ Skurrilität und schwarzer Humor. Sie bietet eine unterhaltsame Lektüre ohne größere Ansprüche.

Beim Titelfoto handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Gemälde „David und Bathseba“ (um 1537) von Lucas Cranach d. J. Zu sehen ist eine der Zofen, die Bathseba umstehen, während diese den Rock bis zu den Knien hochgeschoben hat und eine Magd ihr die Füße wäscht. Der Blick der Zofe lässt vermuten, dass sie soeben den (nicht mit dargestellten) König David bemerkt hat. In der biblischen Geschichte lässt David den Offizier Urija heimtückisch umbringen, nachdem er dessen Ehefrau Bathseba geschwängert hat. In „Der Mittagstisch“ ist es eine Frau, die eine Nebenbuhlerin zu beseitigen versucht.

Den Roman „Der Mittagstisch“ von Ingrid Noll gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Anna Schudt (Regie: Boris Heinrich, ISBN 978-3-257-80364-8).

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Diogenes Verlag

Ingrid Noll (Kurzbiografie)

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Ingrid Noll: Der Mittagstisch
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