Nele Neuhaus : Böser Wolf

Böser Wolf
Böser Wolf Originalausgabe: Ullstein Buchverlage, Berlin 2012 ISBN: 978-3-550-08016-6, 476 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein offenbar jahrelang missbrauchtes Mädchen wird 2010 tot aus dem Main geborgen. Wie in einem unaufgeklärten ähnlichen Fall aus dem Jahr 2001 lässt sich die Identität der Toten nicht feststellen. Zwei Wochen später wird die Moderatorin Hanna Herzmann vergewaltigt und schwer verletzt. Ihre Psychotherapeutin fällt einem Mordanschlag zum Opfer. Die Polizei, die einen Zusammenhang zwischen den Fällen vermutet, fahndet nach einem früheren Rechtsanwalt, der 2001 als Kinderschänder verurteilt wurde und seit seiner Freilassung obdachlos ist ...
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Kritik

Stringent, chronologisch und parallel entwickelt die auktoriale Erzählerin die einzelnen Handlungsstränge, die sie Schritt für Schritt zusammenführt und souverän verknüpft. Nele Neuhaus hat die hohe Komplexität in ihrem Kriminalroman "Böser Wolf" professionell im Griff.
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Pia Kirchhoff wird am 10. Juni 2010 zur Kriminalhauptkommissarin befördert. Sie arbeitet bei der Mordkommission der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim am Taunus. Kriminalhauptkommissar Oliver von Bodenstein ist ihr Vorgesetzter, und die Kriminalrätin Dr. Nicola Engel leitet das Dezernat. Pia wohnt mit ihrem Lebensgefährten Christoph Sander, dem Direktor des Opel-Zoos in Kronberg, auf dem Birkenhof in Unterliederbach. Christophs siebenjährige Enkelin Lilly ist für vier Wochen zu Besuch bei ihnen.

Am Tag ihrer Beförderung nimmt Pia an einem Klassentreffen in Königstein teil und sieht dabei auch ihre frühere Schulfreundin Emma nach langer Zeit erstmals wieder. Emma ist inzwischen verheiratet, Mutter einer fünfjährigen Tochter namens Louisa und hochschwanger. Ihren Ehemann, den Chirurgen Dr. Florian Finkbeiner, lernte sie vor sechs Jahren bei einem medizinischen Hilfsprojekt in Äthiopien kennen, für dessen Logistik sie verantwortlich war. Wegen der besseren medizinischen Versorgung möchte sie ihr zweites Kind in Deutschland bekommen. Emma, ihr Mann und Louisa wohnen deshalb für einige Zeit bei Florians Eltern Josef und Renate Finkbeiner, denen eine große Villa in Falkenstein gehört. Dr. Josef Finkbeiner gründete vor 40 Jahren den gemeinnützigen Verein Sonnenkinder. Die Einrichtung kümmert sich um unverheiratete Mütter, deren Babys und um Waisenkinder. Der 79-Jährige erhielt den Ehrenbrief des Landes Hessen und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Wegen eines Leichenfundes muss Pia das Klassentreffen vorzeitig verlassen. Als die 15-jährige Alina Hindemith, die mit anderen Jugendlichen zusammen in Eddersheim an einem Komasaufen teilgenommen hatte, halbwegs zu sich kam, sah sie im Main ein totes Mädchen treiben. Außer Pia finden sich Christian Kröger, der Chef des Erkennungsdienstes, Pias Ex-Mann, der Gerichtsmediziner Dr. Henning Kirchhoff und Oberstaatsanwalt Dr. Markus Maria Frey in Eddersheim ein. Der Rücken der Toten wurde zwar von einer Schiffsschraube zerfetzt, aber es sind auch viele ältere Verletzungen zu sehen.

Vor neun Jahren, am 31. Juli 2001, wurde an der Wörthspitze in Höchst schon einmal ein Mädchen tot aus dem Main geborgen, dessen Körper Spuren schwerer Misshandlungen aufwies. Die Polizei konnte den Fall nicht aufklären.

Dr. Kirchhoff und sein Chef, Professor Thomas Kronlage, nehmen am nächsten Tag die Obduktion vor. Dabei stellt sich heraus, dass das Mädchen jahrelang geschlagen, anal und vaginal penetriert wurde. Symptome, die durch andauernden Lichtmangel entstehen, lassen vermuten, dass die Halbwüchsige gefangen gehalten wurde. Ein Selbstmord ist ebenso wie ein Unfall auszuschließen, denn das Mädchen ertrank nicht im Main, sondern in Chlorwasser, also vermutlich in einem Schwimmbad oder ähnlichem. Der Tod trat schätzungsweise am 8. Juni ein.

Oliver von Bodenstein, Pia Kirchhoff und ihre Mitarbeiter Kai Ostermann, Kathrin Fachinger und Cem Altunay ermitteln im Fall „Nixe“. Es gibt weder Hinweise auf die Identität der Toten, noch geht eine Vermisstenanzeige ein, die mit ihr in Verbindung gebracht werden könnte.

Am 14. Juni erhält Johanna („Hanna“) Herzmann einen Anruf ihrer Psychotherapeutin Leonie Verges in Liederbach. Hanna Herzmann moderiert im Fernsehen das vor 14 Jahren von ihr eingeführte Reportagemagazin „Auf Herz und Nieren“, das sie seit zehn Jahren auch selbst produziert. Ihre sonst in München lebende Tochter Meike ist vorübergehend für den von Hanna entlassenen Produktionsassistentin Norman Seiler eingesprungen, aber die beiden Frauen verstehen sich nicht gut, und die 21-Jährige zieht schließlich die Wohnung einer verreisten Freundin in Sachsenhausen dem Haus der Mutter in Langenhain vor. Als sie sechs Jahre alt war, ließen die Eltern sich scheiden, und statt der wechselnden Lebensgefährten und Ehemänner ihrer Mutter wurde ihr Taufpate Wolfgang Matern zum Vaterersatz. Wolfgang Matern ist zwar 34 Jahre alt und Programmdirektor des Fernsehsenders Antenne Pro, aber er wohnt noch zu Hause bei seinem Vater, dem Medienmogul Hartmut Matern, in dessen Villa in Oberursel. Seine Mutter Christine nahm sich vor neun Jahren das Leben. – An diesem Montag wird Hanna Herzmann von Leonie Verges gedrängt, zu ihr zu kommen. Dort trifft sie auf einen hünenhaften Biker, der sich als Bernd vorstellt, und einen Unbekannten mit strahlend blauen Augen, der ihr vom ersten Augenblick an sympathisch ist, aber seinen Namen zunächst nicht verrät.

Als Leser wissen wir mehr. Der Mann mit den blauen Augen studierte Jura. Nach dem ersten Staatsexamen heiratete er Britta, eine in einem Kaufhaus beschäftigte Groß- und Einzelhandelskauffrau. Nach dem zweiten Staatsexamen fing er in einer renommierten Kanzlei in Frankfurt am Main an. Bald konnte sich das Ehepaar ein Traumhaus mit Pool in Oberursel bauen lassen. Die beiden bekamen eine Tochter und einen Sohn. Der Jurist avancierte zum Partner, spezialisierte sich auf Strafrecht und rechnete schließlich 1000 D-Mark pro Stunde ab. Aber die Karriere endete offenbar vor einiger Zeit abrupt: Der Mann verbüßte eine mehrjährige Haftstrafe, verlor alles – Familie, Freunde, Vermögen, Zulassung – und haust inzwischen in einem Wohnwagen auf dem Dauercampingplatz bei der Gaststätte Main-Riviera in Schwanheim. Statt eines teuren Autos besitzt er nur noch einen Motorroller.

Was Leonie Verges, Hanna Herzmann und die beiden Männer besprechen, erfahren wir erst einmal nicht. Wir lesen nur, dass Hanna am Donnerstag, 24. Juni, Wolfgang Matern anvertraut, über welches Thema sie eine Sendung vorbereitet. Der befreundete Programmdirektor rät ihr davon ab, aber sie hört nicht auf ihn. Außer ihm weiht sie auch niemanden in ihr Vorhaben ein.

Am selben Abend wird sie von einer Polizeistreife angehalten. Als sie merkt, dass es sich bei den beiden Männern gar nicht um Polizisten handelt, ist es zu spät.

Man findet sie am nächsten Tag nackt und halbtot im Kofferraum eines in Weilbach abgestellten Autos. Sie wurde brutal geschlagen und mit einem Gegenstand vergewaltigt. Als sie nach mehreren Notoperationen in der Intensivstation des Höchster Krankenhauses zu sich kommt, kann sie sich an nichts erinnern und nimmt erst einmal an, sie habe einen Autounfall gehabt.

In der Hoffnung, etwas über die Gewalttat herauszufinden, fährt Meike am Samstag den PC im Büro ihrer Mutter hoch. Eine E-Mail vom 16. Juni fällt ihr auf:

Meine Patientin ist unter gewissen Umständen dazu bereit, mit Ihnen persönlich zu sprechen, allerdings wird sie nicht öffentlich in Erscheinung treten. Die Gründe hierfür sind Ihnen ja bekannt. Ihre Bedingung ist, dass ihr Mann und Dr. Kilian Rothemund bei dem Gespräch, das bei mir stattfinden soll, anwesend sind. […] MfG Leonie Verges

Durch Googeln findet Meike heraus, dass es sich bei Leonie Verges um eine Psychotherapeutin in Liederbach handelt, und bei Dr. Kilian Rothemund um einen im Oktober 2001 verurteilten Kinderschänder. Was hatte Hanna mit so einem widerlichen Verbrecher zu tun?

Am selben Tag bringen Fingerabdrücke in Hanna Herzmanns Haus die Polizei auf die Spur von Kilian Rothemund. Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff fahren zu Rothemunds Ex-Frau Britta, die mit ihrem zweiten Ehemann Richard Hackspiel, der 14-jährigen Tochter Chiara und dem zwei Jahre jüngeren Sohn in Oberursel wohnt. Als sie damals erfuhr, dass es sich bei ihrem Mann um einen pädophilen Verbrecher handelte, ließ sie sich von ihm scheiden. Aufgrund einer gerichtlichen Anordnung ist es ihm verboten, mit den Kindern in Kontakt zu treten. Weiterhelfen kann Britta Hackspiel der Polizei nicht, denn sie hat seit Jahren nichts mehr von Kilian gehört.

Dass Hanna Herzmann mit einem Gegenstand penetriert wurde, könnte darauf hinweisen, dass der Anblick einer nackten Frau den Täter nicht erregt, zum Beispiel weil er auf Kinder fixiert ist. Aber warum soll ein wegen pädophiler Straftaten verurteilter Verbrecher eine erwachsene Frau vergewaltigen und halb tot schlagen?

Eine zweite Spur führt zu Bernhard Andreas Prinzler. Der gehörte früher zu der berüchtigten Rockerbande Frankfurt Road Kings, und sein Vorstrafenregister ist lang. Kilian Rothemund war sein Strafverteidiger. Aber seit 14 Jahren ließ Prinzler sich nichts mehr zuschulden kommen. Pia befragt die Mutter des Rockers in Ginnheim, aber die 86-Jährige hat ihn seit Jahren nicht gesehen.

Am Sonntag erhält die Polizei einen anonymen Hinweis, dass der zur bundesweiten Fahndung ausgeschriebene Kilian Rothemund auf einem Dauercampingplatz in Schwanheim zu finden sei. Als Pia und Christian Kröger hinkommen, erfahren sie, dass er mit seinem Motorroller weggefahren ist. Nachbarn sagen aus, er habe mehrmals einige Zeit mit einem etwa 15-jährigen Mädchen in seinem Wohnwagen verbracht, und die Polizei findet bei der Durchsuchung ein Foto von einem Kind. Aber es stellt sich heraus, dass es sich um seine Tochter Chiara handelt. Offenbar besuchte sie ihren Vater heimlich und trotz des Verbots.

Leonie Verges wird an diesem Sonntag in ihrem Haus von zwei maskierten Männern überfallen, die sie auf einen Stuhl fesseln und ihr den Mund verkleben. Einige Zeit, nachdem die Verbrecher das Haus verlassen haben, spricht einer von ihnen mit verstellter Stimme auf den Anrufbeantworter und kündigt Leonie einen qualvollen Tod durch Verdursten an. Offenbar beobachtet der Sadist sie mit einer Infrarot-Funkkamera und hofft, das entsprechend geschnittene Snuff-Video später in einschlägigen Kreisen gut verkaufen zu können. Die Psychotherapeutin kann kaum damit rechnen, rechtzeitig gefunden zu werden, denn an ihrer Türe hängt ein Schild „Urlaub bis 11. Juli“, und die Rollläden sind heruntergelassen.

Während Leonie Verges überfallen wird, ist Emma Finkbeiner mit ihrer Tochter Louisa im Krankenhaus. Die Fünfjährige stürzte beim Pony-Reiten, brach sich den linken Arm und erlitt eine Gehirnerschütterung. Die Ärztin weist Emma darauf hin, dass sie im Schritt des Kindes Verletzungen entdeckte, wie sie auch durch sexuellen Missbrauch entstehen können. Hat Florian seine eigene Tochter vergewaltigt? Emma hält alles für möglich, seit sie am letzten Montag in einer seiner Hosen, die sie waschen wollte, eine aufgerissene, leere Kondom-Packung fand. Statt den Versuch zu machen, sich zu rechtfertigen, verließ Florian Finkbeiner die Villa seiner Eltern und nahm sich in eine Souterrain-Wohnung im Frankfurter Stadtteil Sossenheim.

Am Montag (28. Juni) erhält Emma von Helga Grasser, der als leicht verrückt geltenden Küchenhilfe ihrer Schwiegereltern, den Rat, ihren Mann nach dessen Zwillingsschwester zu fragen. Florian hat nie eine Zwillingsschwester erwähnt. Während Josef und Renate Finkbeiner nicht zu Hause sind, blättert Emma in Fotoalben, findet aber keinen Hinweis auf eine Zwillingsschwester. Die Sache lässt ihr keine Ruhe. In einer Schachtel auf dem Dachboden entdeckt sie schließlich ein Foto von ihrer Schwiegermutter mit zwei kleinen Kindern: „Florian und Michaela, 2. Geburtstag, 16. Dezember 1966“. Was hat das zu bedeuten? Warum hat nie jemand Florians Zwillingsschwester erwähnt?

Emma fragt Corinna Wiesner nach ihrer Schwägerin. Die selbst als „Sonnenkind“ aufgewachsene und vom Ehepaar Finkbeiner adoptierte Verwaltungschefin des gemeinnützigen Vereins sagt, Michaela sei schon als Kind psychisch krank gewesen. Im Alter von zwölf Jahren lief sie von zu Hause fort, drei Jahre später brach sie die Schule ab. Sie wurde bei Ladendiebstählen ertappt, wurde alkoholkrank und drogenabhängig, prostituierte sich und kam nach einem Suizidversuch in eine geschlossene psychiatrische Anstalt. Vor einigen Jahren sei Michaela gestorben und in der Familie habe man nie wieder über die schmerzlichen Erinnerungen gesprochen, erklärt Corinna abschließend.

Kilian Rothemunds Motorroller wird am Hauptbahnhof in Frankfurt gefunden. Zeugenaussagen zufolge löste er eine Fahrkarte nach Amsterdam. Die Mordkommission in Hofheim bittet die Polizei in den Niederlanden, ihn bei der Ankunft festzunehmen, aber das misslingt.

Noch am selben Tag (Montag, 28. Juni) wird Leonie Verges tot aufgefunden. Sie ist verdurstet. Die Anrufe des Mörders auf dem Anrufbeantworter wurden mit einem unregistrierten Prepaid-Handy gemacht. Der Polizei gelingt es auch nicht, herauszufinden, wohin die Aufnahmen der Infrarot-Kamera übertragen wurden. Immerhin hat ein Zeuge die Kennzeichen von zwei verdächtigen Autos notiert. Eines davon ist auf Bernhard Andreas Prinzler zugelassen.

Er wird am Mittwoch vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder in seinem Haus zwischen Langenselbold und Hüttengesäß verhaftet.

Pia trifft sich mit Kriminalhauptkommissar Lutz Altmüller, der zur Soko „Leopard“ gehörte, die vergeblich versuchte, den Fall des am 31. Juli 2001 an der Wörthspitze in Höchst tot aus dem Main geborgenen Mädchens aufzuklären. Altmüller berichtet, dass sich damals ein anonymer Anrufer meldete, der anbot, über die Hintergründe des Mordfalls auszusagen, aber erst einmal unerkannt bleiben wollte und deshalb einen Rechtsanwalt beauftragte, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen: Dr. Kilian Rothemund. Der Jurist behauptete, das Mädchen sei einem Kinderpornoring zum Opfer gefallen und sein Mandant könne Namen von Drahtziehern nennen. Bevor sich die Ermittler mit dem Anwalt auf das Prozedere einigen konnten, veranlasste Staatsanwalt Dr. Markus Maria Frey eine Durchsuchung bei seinem früheren Kommilitonen Rothemund. Dabei wurde nicht nur kinderpornografisches Bildmaterial aus dem Internet auf seinem PC sichergestellt, sondern auch eine Reihe von Fotos, auf denen er selbst nackt mit Kindern zu sehen war. Trotz einer Nachrichtensperre sickerten Informationen über den Fall an die Medien durch. Rothemund wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Wer sein Mandant war, fand die Polizei nicht heraus.

Am nächsten Tag (Donnerstag, 1. Juli) suchen Pia Kirchhoff und Christian Kröger ihren früheren Kollegen Frank Behnke auf, der inzwischen beim LKA in Wiesbaden beschäftigt ist. Seine schäbige, unaufgeräumte Wohnung befindet sich in einer Mietskaserne in Hattersheim. Pia und Christian wollen von ihm erfahren, was bei einer Razzia in einem Bordell in der Frankfurter Elbestraße im März 1997 passierte. Behnke, der bei der Bundeswehr zum Scharfschützen ausgebildet worden war, erschoss damals im Hof des Bordells zwei Rocker und den V-Mann Erik Lessing, der zu den Frankfurt Road Kings gehörte. Er beteuert, er sei angegriffen worden und habe in Notwehr gehandelt. Pia vermutet, dass Erik Lessing etwas herausgefunden hatte, was er nicht wissen sollte. Möglicherweise war die ganze Sache abgekartet, um ihn mundtot zu machen. Den Auftrag für die Razzia bekam Behnke von Dr. Nicola Engel, die damals eine Abteilung des K11 in Frankfurt leitete.

Kilian Rothemund schickt das Material, das er in Amsterdam bekommen hat, per Post nach Deutschland, denn er rechnet damit, bei seiner Ankunft in Frankfurt verhaftet zu werden. Aber er wird bereits am Bahnhof in Amsterdam festgenommen. Rasch begreift er, dass es sich bei den Männern, in deren Gewalt er sich befindet, nicht um Polizisten handelt. Er wird geschlagen und muss sich ein bei Hanna Herzmanns Vergewaltigung gedrehtes Video ansehen. Als die Verbrecher damit drohen, seiner Tochter Chiara etwas Ähnliches anzutun, beantwortet er ihre Fragen, lügt allerdings, er habe das Belastungsmaterial gegen sie an Hannas Adresse geschickt. (Tatsächlich adressierte er das Päckchen an Bernd Prinzlers Postfach.) Am Freitag (2. Juli) wird er auf der L56 kurz vor Selfkant aus einem fahrenden Auto gestoßen. Ein LKW-Fahrer, der gerade noch ausweichen konnte, nimmt den entsetzlich zugerichteten Mann mit, der unbedingt nach Frankfurt möchte, statt sich im nächsten Krankenhaus behandeln zu lassen.

Während Rothemund unterwegs ist, überrascht Meike im Haus ihrer Mutter Wolfgang Matern und einen ihr unbekannten Mann, der sie niederschlägt, bevor sie nach dem Elektroschocker in ihrer Gesäßtasche greifen kann. Meike kann es nicht fassen, dass ihr Patenonkel tatenlos zusieht, wie sie von seinem Begleiter in den Heizungskeller gesperrt wird.

Zur gleichen Zeit beginnt in Falkenstein eine große Feier anlässlich des 80. Geburtstags von Dr. Josef Finkbeiner und des 40-jährigen Bestehens des von ihm gegründeten gemeinnützigen Vereins Sonnenkinder. Der Bürgermeister, der Landrat und sogar der hessische Ministerpräsident sind gekommen, um Finkbeiner zu gratulieren. Pia Kirchhoff wurde von Emma eingeladen und nimmt deshalb ebenfalls an der Gartenparty teil, obwohl sie eigentlich lieber bei der Vernehmung Bernd Prinzlers in der JVA im Frankfurter Stadtteil Preungesheim dabei wäre.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Endlich redet der ehemalige Rocker. Seine Ehefrau Michaela ging in Frankfurt auf den Strich, als er sie kennenlernte. Nach der Hochzeit zog er mit ihr aufs Land. Als das erste Kind ein Jahr alt war, sprang sie in selbstmörderischer Absicht von einer Brücke, überlebte jedoch mit gebrochenen Beinen und kam daraufhin in eine geschlossene psychiatrische Anstalt in Eltville, wo eine multiple Persönlichkeitsstörung bei ihr diagnostiziert wurde und sie der Psychotherapeutin Leonie Verges begegnete, die sich ihrer annahm. Das war vor elf Jahren. Michaela sei schon als Kleinkind von ihrem Vater und dessen Kumpanen missbraucht worden, behauptet Bernd Prinzler. Diese als ehrenwert geltenden Herren gehörten einem internationalen Kinderpornoring an. Um Michaela vor den Verbrechern zu schützen, kam Prinzler auf die Idee, ihren Tod vorzutäuschen. Als 2001 das tote Mädchen im Main gefunden wurde, vermutete Michaela, dass die Pädophilen die für sie zu alt gewordene Jugendliche ermordet hatten und drängte Bernd, etwas gegen den Pornoring zu unternehmen. Der wandte sich daraufhin an seinen früheren Strafverteidiger Kilian Rothemund. Aber das Vorhaben endete mit dessen Verurteilung als angeblicher Kinderschänder. Man hatte ihm K.-o.-Tropfen in ein Getränk gemischt, ihn ausgezogen und zusammen mit nackten Kindern fotografiert. Das gefälschte Beweismaterial überzeugte das Gericht von seiner Schuld. Als nun im Juni erneut ein mutmaßliches Opfer des Kinderpornorings aus dem Main geborgen wurde, beschloss Michaela, die inzwischen auf Anraten ihrer Therapeutin ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hatte, mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Polizei sollte nicht eingeschaltet werden, weil die Ereignisse im Jahr 2001 gezeigt hatten, wie weit der Einfluss der Verbrecher reichte. Bernd kontaktierte Kilian Rothemund, und Leonie Verges rief die Fernsehmoderatorin Hanna Herzmann an.

Während Bernd Prinzler vernommen wird, stellt Kilian Rothemund sich der Polizei.

Zur gleichen Zeit überwältigt Meike Herzmann im Heizungskeller den Fremden, der zurückkommt, um sie zu töten. Mit dem Elektroschocker schickt sie ihn zu Boden. Bevor sie ihn einsperrt und weggeht, droht sie, ihn verrotten zu lassen. Doch stattdessen verständigt sie die Polizei, die den Mann festnimmt. Es handelt sich um Helmut Grasser, den Hausmeister und Chauffeur des Ehepaars Josef und Renate Finkbeiner.

Die Geburtstags- und Jubiläumsfeier auf dem Anwesen der Finkbeiners in Falkenstein ist in vollem Gang. Eine Frau mit einem Blumenstrauß nähert sich Josef Finkbeiner. Der sitzt zwischen dem Medienmogul Hartmut Matern und Dr. Richard Mehring, einem früheren Richter des Bundesverfassungsgerichts. Plötzlich hat sie eine Pistole in der Hand. „Freust du dich nicht, deine kleine Prinzessin wiederzusehen?“, sagt sie zu dem 80-Jährigen, bevor sie auf ihn und die beiden Herren neben ihm schießt. Oberstaatsanwalt Dr. Frey, der als Mitglied des Kuratoriums der Finkbeiner-Stiftung zugegen ist, entwindet der Frau die Waffe. Bei dem Handgemenge löst sich allerdings ein weiterer Schuss, der sie in den Bauch trifft. Die schwer Verletzte wird ins Krankenhaus Bad Soden gebracht. Ein weiterer Hubschrauber transportiert Josef Finkbeiner ins Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Für Hartmut Matern und Richard Mehring kommt jede Hilfe zu spät.

Florian Finkbeiner sah seine Zwillingsschwester Michaela vor mehr als 30 Jahren zum letzten Mal und dachte, sie sei tot. Als er begreift, warum sie den Vater erschoss, kann er es kaum fassen.

Auch von Richard Mehring wurde Michaela als Kind missbraucht. Er und Hartmut Matern gehörten zum inneren Kern des Kinderpornorings, der sich unter dem Deckmantel des gemeinnützigen Vereins Sonnenkinder Waisen aus Fernost und Osteuropa besorgte. Gefangen gehalten und vor der Kamera vergewaltigt wurden die Kinder in den Katakomben des Palais Ettinghausen in Höchst, das der Finkbeiner-Stiftung gehört.

Darunter war auch die junge Russin Oksana, deren Leiche am 10. Juni im Main entdeckt wurde. Sie war immer wieder ausgerissen und hatte es einmal bis in die Frankfurter Innenstadt geschafft. Helmut Grasser, der inzwischen verhaftet wurde, gesteht, sie mit Corinna Wiesner zusammen von dort wieder zurückgeholt zu haben. Der Chef sei so wütend gewesen, gibt er zu Protokoll, dass er das Mädchen verprügelt und dann mit dem Kopf in den Whirlpool getaucht habe. Dass Oksana dabei starb, war ein Versehen. Grasser warf die Tote schließlich in den Main. Auf die Frage, ob er mit „Chef“ seinen Arbeitgeber Josef Finkbeiner meine, lacht Grasser und meint, der sei längst zu alt dafür. Nicky sei der Chef und den habe er vorhin auf dem Korridor gesehen: Oberstaatsanwalt Dr. Frey.

Dominik („Nicky“) Frey wurde als Achtjähriger von der Familie Finkbeiner aufgenommen. Weil der Vorname seiner Pflegemutter nicht gefiel, nannte sie ihn Markus, aber andere riefen ihn weiterhin Nicky. Später fügte er den zweiten Vornamen Maria hinzu. Den Doktortitel kaufte sich Markus Maria Frey von Professor Ernst Haslinger, dem damaligen Dekan der juristischen Fakultät der Goethe Universität in Frankfurt.

Oliver von Bodenstein beantragt Haftbefehle gegen Markus Maria Frey und Corinna Wiesner sowie Durchsuchungsbeschlüsse für das Palais Ettinghausen und die Villa in Falkenstein.

Frey entführt Lilly vom Birkenhof, erschießt dabei zwei der Hunde und schlägt Lillys Großvater Christoph Sander nieder, als dieser in aufhalten will.

Die Polizei vermutet Frey, Lilly und Corinna Wiesner in den Katakomben des Palais Ettinghausen und umstellt das Areal. Pia ist jedoch nicht zu halten: Bevor die Vorbereitungen für die Polizeiaktion abgeschlossen sind, dringt sie in die unterirdischen Räume ein. Oliver von Bodenstein, der sie nicht davon abbringen konnte, folgt ihr mit Christian Kröger und Cem Altunay. Sie verhaften Corinna Wiesner und befreien einige der Kinder. Frey flieht durch einen Tunnel zum Mainufer und zerrt Lilly mit sich. Als die Polizei ihn stellt, droht er, das Mädchen zu erschießen, aber dann packt er Lilly stattdessen und springt mit ihr in den Fluss. Christian Kröger rettet das Mädchen.

Aufgrund der Geständnisse, der Zeugenaussagen, des von Kilian Rothemund in Amsterdam besorgten Beweismaterials und anderer Indizien werden weitere führende Mitglieder des Kinderpornorings festgenommen. Oliver von Bodenstein verhaftet auch seine Vorgesetzte, die Kriminalrätin Dr. Nicola Engel. Als der V-Mann Erik Lessing durch Bernhard Andreas Prinzler von dem Kinderpornoring erfahren hatte, dem auch der stellvertretende Polizeipräsident von Frankfurt angehörte, erhielt Nicola Engel den Auftrag, ihn zu beseitigen, und sie ordnete zum Schein die Razzia an, bei der Frank Behnke den V-Mann und zwei andere Rocker erschoss.

Wolfgang Matern gesteht seiner Patentochter Meike Herzmann, dass er seit seiner Jugend von den verbrecherischen Umtrieben seines Vaters wusste. Der Mutter waren sie auch nicht entgangen, und vielleicht hatte sie sich deshalb vor neun Jahren das Leben genommen. Wolfgang bedauert es zutiefst, dass er seine Freundin Hanna verriet, als diese anfing, eine Fernsehsendung über den Kinderpornoring vorzubereiten. Meike bringt ihn dazu, mit ihr nach Hofheim zur Polizei zu fahren.

Markus Maria Frey bleibt seit dem Sprung in den Main verschwunden.

Schließlich reist er mit einem argentinischen Diplomatenpass auf den Namen Hector de la Rosa nach Schweden und wird dort von Komplizen mit den Namen Linda und Magnus empfangen.

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„Böser Wolf“ lautet der Titel des sechsten Kriminalromans, den Nele Neuhaus über Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff von der Mordkommission der Regionalen Kriminalinspektion in Hofheim am Taunus schrieb. „Böser Wolf“ folgt auf „Eine unbeliebte Frau“, „Mordsfreunde“, „Tiefe Wunden“, „Schneewittchen muss sterben“ und „Wer Wind sät“. Von Buch zu Buch lernte Nele Neuhaus dazu. Bei „Tiefe Wunden“ nahm sie sich noch zu viel vor, aber bei „Böser Wolf“ hat sie die hohe Komplexität professionell im Griff und lässt keinen Handlungsfaden fallen.

Samuel Goldwyn soll Drehbuchautoren einmal geraten haben: „Mit einem Erdbeben beginnen, und dann langsam steigern.“ Nele Neuhaus wagt es stattdessen, nach dem inzwischen im Thriller-Genre offenbar unvermeidlichen Prolog zunächst ein halbes Dutzend Handlungsstränge aufzugreifen und eine Vielzahl von Figuren einzuführen. Das könnte Leser entmutigen, aber es gelingt Nele Neuhaus, sie neugierig zu machen. Für besonderes Interesse sorgt eine erst einmal namenlose Figur: Ein Obdachloser, der früher als Rechtsanwalt 1000 D-Mark pro Stunde verlangte. Dieser und andere Charaktere werden durch ihre Handlungsweisen farbig und lebendig; widersprüchliche Eigenschaften verleihen ihnen Tiefe.

Wie schon in den Prequels erfahren wir auch einiges aus dem Privatleben von Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein, das nichts mit der Kernhandlung zu tun hat. In „Böser Wolf“ hält Nele Neuhaus sich dabei allerdings so zurück, dass es bei Andeutungen bleibt.

In kursiver Schrift lesen wir zwischendurch einige Abschnitte, in denen ein Mädchen über den jahrelangen Missbrauch durch den Vater und seinen Freunden berichtet, die sich dabei als Wolf verkleiden. Später begreifen wir, dass es sich bei den kursiv gesetzten Textpassagen um Aufzeichnungen einer durch die traumatischen Erlebnisse psychisch gestörten Frau handelt.

Stringent, chronologisch und parallel entwickelt die auktoriale Erzählerin die einzelnen Handlungsstränge, die sie Schritt für Schritt zusammenführt und dann souverän verknüpft. Dabei ist vielleicht nicht jede Einzelheit überzeugend, aber die Teile greifen wie die Räder eines Uhrwerks präzise ineinander. Nichts geschieht aus heiterem Himmel: Sorgfältig leitet Nele Neuhaus die einzelnen Szenen ein.

Für Leser, die sich in Königstein, Bad Soden, Kelkheim, Hofheim, Höchst und Umgebung auskennen, sind die Ortsangaben das Salz in der Suppe.

Sprachlich sind Nele Neuhaus und dem Ullstein-Lektorat wieder ein paar missglückte Sätze und widersprüchliche Angaben durchgerutscht, aber es sind deutlich weniger als in früheren Büchern.

Kurz vor dem Waldfriedhof überholte sie ein dunkles Auto. (Seite 155 – Wenn man das liest, nimmt man an, Hanna habe ein anderes Auto überholt und wundert sich dann darüber, dass der andere Wagen plötzlich vor ihr auftaucht. Nele Neuhaus hätte also besser geschrieben: Kurz vor dem Waldfriedhof wurde sie von einem dunklen Auto überholt. Eine missverständliche Subjekt-Objekt-Vertauschung wie diese gibt es auch auf Seite 291.)

[…] die schlechtmöglichste Adresse (Seite 191)

[…] bevor noch das Fernsehen auftaucht und unsere Zielperson sein Haus in der Hessenschau sieht. (Seite 235)

[Ihm] verdankte sie die schlimmste Zeit ihres Lebens. (Seite 466)

Den Roman „Böser Wolf“ von Nele Neuhaus gibt es in einer gekürzten Fassung auch als Hörbuch, gelesen von Julia Nachtmann (Prolog: gelesen von Nele Neuhaus, Regie: Margrit Osterwold, Hamburg 2012, ca. 470 Minuten, ISBN 978-3-89903-379-3).

Marcus O. Rosenmüller verfilmte den Taunuskrimi „Böser Wolf“ von Nele Neuhaus von April bis Juni 2015 als Zweiteiler fürs Fernsehen (Erstausstrahlung: ZDF, 11./12. Januar 2016).

Originaltitel: Böser Wolf – Regie: Marcus O. Rosenmüller – Drehbuch: Anna Tebbe nach dem Roman „Böser Wolf“ von Nele Neuhaus – Kamera: Stefan Spreer – Schnitt: Claudia Klook – Musik: – Darsteller: Tim Bergmann, Felicitas Woll, Kai Scheve, Michael Schenk, Harald Schrott, David Rott, Bella Bading, Michael Mendl, Alexandra Finder, Jürgen Tarrach, Karin Hanczewski, Natalia Wörner, Alex Brendemühl, Emma Bading, Jenny Elvers, Jennifer Ulrich, Teresa Harder u.a.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

Missbrauch von Kindern

Nele Neuhaus: Eine unbeliebte Frau (Verfilmung)
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