Adolf Muschg : Kinderhochzeit

Kinderhochzeit
Kinderhochzeit Originalausgabe: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2008 ISBN: 978-3-518-42032-4, 580 Seiten Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/M 2009 ISBN: 978-3-518-46123-5, 580 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Im Zentrum des Geschehens steht eine Schweizer Multimillionärsfamilie, deren Schicksal wir über drei Generationen hinweg vom Ersten Weltkrieg bis 2007 verfolgen. Der Historiker Klaus Marbach erforscht die Verstrickungen Schweizer Unternehmen mit der nationalsozialistischen Wirtschaft und gerät dabei unter den Einfluss der Enkelin des Firmengründers und einiger Herren, die sie seit der Schulzeit verehren. Ihren Ehemann und ihre Adoptivschwester entdeckt Marbach in einer Sekte ...
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Kritik

Adolf Muschg hat seinen Roman "Kinderhochzeit" mit Figuren, Handlungssträngen, Verästelungen und Episoden, Themen und Anspielungen, einem Epilog aus 7 Kapiteln und 44 Seiten "Anhang" überfrachtet.
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Der 40-jährige Historiker Klaus Marbach und seine Ehefrau, die habilitierte Juristin Manon de Montmollin, fliegen am Neujahrstag 2003 nach Istanbul. Dort eröffnet Manon ihrem Mann, dass sie sich drei Wochen zuvor in eine Frau verliebt und mit ihr ein Verhältnis angefangen habe. Auf dem Rückflug nach Deutschland verlangt Klaus die Scheidung.

Kurz darauf erfährt er, dass er von seinem im November verstorbenen Vater Erich Marbach nichts als Schulden geerbt hat. Manon rät ihm, die Erbschaft auszuschlagen, aber Klaus hält es für seine Pflicht, für die Schulden einzustehen, obwohl er nicht genügend Geld hat, um sie zu tilgen.

Der Student Erich Marbach hatte mit sechs anderen Kommilitonen zusammen eine junge Frau namens Regina vergewaltigt, die in Fribourg eine Lehre als Floristin machte. Als sie daraufhin schwanger wurde, brachte der Studentenseelsorger, dem einer der Vergewaltiger das Verbrechen gebeichtet hatte, Erich Marbach dazu, Regina zu heiraten. Die Hochzeit fand in Rapperswil statt. Erich und Regina Marbach zogen dann nach St. Gallen, wo der Sohn Klaus geboren wurde. Erich Marbach stieg schließlich bis in die Chefetage eines Zürcher Discount-Versandgeschäftes auf. Er wurde alkoholkrank, aber die Ehe blieb wegen des Kindes ungeschieden.

Dass er bei einer mehrfachen Vergewaltigung gezeugt worden war und nicht einmal seine Mutter gewusst hatte, wer sein leiblicher Vater war, erfuhr Klaus erst nach Reginas Krebstod vor 15 Jahren aus einem von ihr hinterlassenen Brief. Danach brach er den Kontakt zu Erich Marbach ab.

Klaus wurde zunächst Berufssoldat. Während er dann Geschichte studierte, lernte er Manon de Montmollin kennen. Sie gehörten beide einer am 13. Dezember 1996 durch die schweizerische Bundesversammlung gebildeten internationalen Kommission an, deren Aufgabe es war, die in die Schweiz gelangten Vermögenswerte von Opfern, Tätern und Kollaborateuren des NS-Regimes, die Zusammenarbeit Schweizer Handels- und Industrieunternehmen mit der deutschen Industrie und die Schweizer Flüchtlingspolitik vor dem Hintergrund der Wirtschaftsbeziehungen historisch und rechtlich zu untersuchen. In den Medien wurde die „Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ nach ihrem Präsidenten Jean-François Bergier benannt.

Der Bergier-Bericht wurde zwar am 22. März 2002 abgegeben, aber Klaus Marbach setzt seine Forschungen nach dem Scheitern seiner Ehe privat fort. Dabei stößt er auf den Staatsrechtler Dr. Achim Tobler. Der Enkel des Schweizer Mundartforschers Ludwig Tobler, eines Mitbegründers des Schweizer Idiotikons, war SS-Sturmbannführer und leitete ein Aluminiumwerk in Rheinfelden. Wie andere Schweizer Unternehmen auch, betrieb die Firma in Grenznähe auf deutschem Boden ein Werk, in dem Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

Das Aluminiumwerk war von Christoph Bühler gegründet worden. Im Alter von 36 Jahren hatte der Schweizer Unternehmer eine 14 Jahre jüngere Frau namens Antoinette zunächst geschwängert und dann in Nieburg geheiratet. Das Ehepaar lebte mit der am 17. Juli 1920 geborenen Tochter Constanze in einer Stadtwohnung in Zürich, einer Villa am Rheinfall und in einer weiteren Villa in Nieburg, einem kleinen badischen Ort am Rhein zwischen Rheinfelden und Bad Säckingen, die Christoph Bühler nach dem Ersten Weltkrieg von Walther Rathenau erworben hatte. Außerdem besaß er seit 1920 die Insel Antikratos im Ionischen Meer. Christoph Bühler baute nicht nur sein Unternehmen aus, sondern kümmerte sich auch wie ein aufgeklärter Fürst um die Belegschaft. Für sie ließ er in Nieburg die Mustersiedlung Herrenwald errichten. Er starb 1960. Seine Witwe überlebte ihn um 34 Jahre.

Constanze Bühler heiratete den acht Jahre älteren Arbeitersohn Leonhard („Lennie“) Weiland. Der hatte im Alter von neun Jahren seine Mutter verloren. Nach einer Lehre bei der Degussa ging er mit 18 zu Benediktinern ins Kloster, aber der Abt nahm ihm kein Gelübde ab. Lennie, der inzwischen eine ganze Reihe von Fremdsprachen gelernt hatte, verließ schließlich das Kloster, wurde Ehemann der Unternehmertochter Constanze Bühler, und statt Mönch wurde er Gymnasialprofessor in Säckingen. Am 13. Mai 1940 kam die Tochter Imogen Weiland zur Welt. Als die Familie acht Jahre später in die Bühlersche Villa Aia in Nieburg zog, war Lennie bereits schwer krank. Er erblindete und starb im August 1959.

Auf der Kopie eines Artikels aus einer Lokalzeitung vom 2. Mai 1949 entdeckt Klaus Marbach ein Foto, das auf einem Frühlingsfest in Nieburg aufgenommen wurde. Es entstand bei einer sogenannten Kinderhochzeit. Bei der Kinderbraut handelte es sich um die neunjährige Imogen Weiland. Als Kinderbräutigam fungierte Iring Selber, der Sohn des schlesischen SS-Obersturmführers Bernd Selber.

Um mehr über die Verbindung der Schweizer Familie Bühler mit dem Sohn eines SS-Offiziers herauszufinden, sucht Klaus Marbach am 5. April 2003 die 83-jährige Witwe Constanze Weiland-Bühler in ihrem Chalet in Visperterminen auf. Er erfährt, dass Imogen bei der Kinderhochzeit 1949 keinen anderen Jungen als Iring Selber neben sich akzeptierte. Achim Tobler hatte seinen SS-Kameraden Bernd Selber in einem Brief indirekt zur Fahnenflucht aufgefordert und ihn nach Nieburg eingeladen. Bernd Selber war zwar in Görlitz geblieben und hatte sich dort im April 1945 erschossen, aber seine Frau war der Einladung 1947 mit dem damals siebenjährigen Sohn gefolgt. Sie wurden im Kutscherhaus der Villa Aia untergebracht. Felicitas Selber hielt bei dem schwerkranken Hausherrn Lennie Weiland Nachtwache. Constanze Weiland-Bühler konnte später nicht verhindern, dass ihre Tochter Iring Selber 1967 heiratete. 1973 trennten sich Iring Selber und Imogen Selber-Weiland, aber die Ehe blieb ungeschieden. Constanze Weiland-Bühler überlässt ihrem Besucher ein Notizbuch ihres Vaters aus dem Jahr 1923 mit stenografischen Eintragungen und das Original des Zeitungsfotos von der Kinderhochzeit im Jahr 1949.

Klaus Marbach ist einer der letzten, die Constanze Bühler-Weiland lebend sehen. Sie stirbt am 6. April 2003. Nach der Trauerfeier kondoliert er ihrer Tochter. Imogen Selber-Weiland nimmt ihn mit zum Leichenschmaus, und als sie erfährt, dass er die Verhältnisse während des Zweiten Weltkriegs am Oberrhein erforscht, bietet sie ihm an, im Kutscherhaus der Bühlerschen Villa in Nieburg zu wohnen.

Am 21. April zieht Klaus Marbach dort ein.

Bis vor drei Jahren hatte der Bürgermeistersohn und Stadtbildner August Kaiser hier sein Atelier. Klaus Marbach findet ein zerlesenes Exemplar des von Iring Selber in den Siebzigerjahren geschriebenen Buches „Zeichen und Wunder“, aus dem eine Karte herausfällt. Darauf ist die 1749 entdeckte, aus dem 1. Jahrhundert vor Christus stammende Marmorskulptur „Amor und Psyche“ aus dem Kapitolinischen Museum in Rom abgebildet. August Kaiser scheint eifrig in dem Buch gelesen zu haben. Im Kutscherhaus liegt aber auch noch ein Stapel mit 20 eingeschweißten Exemplaren.

Zwei Tage nach seinem Einzug schreibt Klaus Marbach an sieben ehemalige Mitschüler Imogens, die 1959 zusammen Abitur machten, sich regelmäßig im Oberrheinischen Hof treffen und den Rat der von Constanze Weiland-Bühler gegründeten Stiftung zur Förderung Nieburgs bilden: Kaspar Blunck, Dr. Maurus Freyer, Emile Isele, August Kaiser, Heinrich („Harry“) Pracht, Horst A. Simon, Dr. Ferdinand („Ferri“) Springmann. Daraufhin wird er zum nächsten Treffen der Gruppe am 8. Mai eingeladen. Bis auf Horst A. Simon kommen alle.

Die Herren sind allesamt Jahrgang 1940. Ferdinand Springmann ist der Sohn des Arztes Paul Springmann (1894 – 1970), der sich 1928 als praktischer Arzt in Nieburg niedergelassen hatte. Er studierte Maschinenbau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und danach Betriebswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1985 stieg er zum Betriebsleiter des Bühlerschen Aluminiumwerks in Nieburg auf. Seine Frau Coco stammt aus der Karibik. Die Ehe blieb kinderlos.

Die Mutter des Kriminalkommisars Emil („Ämil“) Isele starb 1972. Sein Vater, ein von Christoph Bühler viel beschäftigter Bauunternehmer, vergiftete sich später in seinem Bentley mit Auspuffabgasen. Weil er seinem Sohn nur Schulden hinterließ, musste Emil Isele seine Galerie in Lörrach aufgeben und bei der Polizei anfangen. Er blieb Junggeselle. Seine ältere Schwester führte ihm bis zu ihrem Tod den Haushalt.

Bei dem zweimal geschiedenen Maurus Freyer handelt es sich um den Apotheker von Nieburg. Eigentlich hätte er Arzt werden wollen. Sein Vater war der Drucker und Verleger Johann Freyer.

Horst Adolf Simons Vater Alfried war Künstler. Von dem Künstlermaskenball 1936, auf dem die Damen mit nackten Brüsten getanzt hatten, wurde noch lange gesprochen. Weil Alfried Simon als kriegswichtiger Künstler galt, brauchte er nicht an die Front. Er reiste allerdings nach Polen, um eine Kinderarbeiterin für seinen Haushalt zu rekrutieren. Verheiratet war er mit einer Frau namens Isolde, aber den Sohn Horst Adolf zeugte er mit der halbjüdischen Polin Marina. Antoinette Bühler brachte ihn dazu, das Kind als seines anzuerkennen und übernahm die Patenschaft für den Jungen. Marina starb 1950 in Davos an Tuberkulose. 1971 fuhr Alfried Simon mit dem Auto gegen einen Baum. Bei einem weiteren von ihm verursachten Autounfall, den er vermutlich ebenfalls in selbstmörderischer Absicht herbeiführte, kam seine Frau Isolde ums Leben. Erst der nächste Selbstmordversuch endete mit seinem Tod. Horst Adolf Simon wurde Reformpädagoge. Beispielsweise versuchte er, eine Bande türkischer Jugendlicher, die in Mannheim eine minderjährige Deutsche vergewaltigt hatten, in einem „Bauhütte“ genannten Camp im Schwarzwald zu erziehen.

Kaspar Blunck weiß ebenso wenig wie Klaus Marbach, wer sein leiblicher Vater war. Der Ehemann seiner Mutter konnte es jedenfalls nicht gewesen sein, denn ihm waren in Ypern die Hoden zerschossen worden. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er Theologie studiert, war Pfarrer in Thüringen geworden und hatte die Witwe seines Vorgängers geheiratet. Schließlich wurde er nach Nieburg versetzt. Um trotz seiner Impotenz ein Kind bekommen zu können, ließ seine Frau sich an Weihnachten 1939 von einem anderen Mann schwängern. Kaspar war fünf Jahre alt, als sie sich vergiftete. Im Jahr darauf starb auch der Witwer. Kaspar Blunck kam in das Internat Schloss Beuggen, und Constanze Weiland-Bühler übernahm die Kosten.

Als Jungen waren alle sieben in Imogen verliebt und tanzten nach Constanze Weiland-Bühlers Pfeife. Später machten sie recht verschiedene Karrieren. Kaspar Blunck:

„Wir hatten Taten vorzuweisen. August machte die Werbung für Opel, nicht mehr der Zuverlässige – kaum noch ein Automobil. Ein Lebensgefühl! Maurus war auf dem Weg zur Spitzenmedizin und hatte das Patent für eine Krebstherapie angemeldet, damals noch auf Bachblüten-Basis. Harry wurde ein fast schon großer Künstler und bestückte eine Düsseldorfer Galerie mit Tachismus, Markenzeichen: kobaltblau. Horst Adolf unterhielt eine Selbsterfahrungspraxis, Spezialität: Geburtsweinen und Urschrei. Ämil brachte immer noch seine Wäschesäcklein zu Muttern und las einen Krimi nach dem anderen. Aber auch er hatte eine Galerie – Fumetti und Foto-Romanzen – und gab eine Insider-Zeitschrift heraus, zweimal im Jahr, wenn nichts dazwischen kam. Der SPIEGEL hatte meinen Essay über Hitler als obszöne Ikone gebracht. Viel heiße Luft, aber wir fühlten Aufwind und wurden vom Zeitgeist getragen. Ferry bezog ein Gehalt von dreißig Mille, Boni nicht gerechnet.“

Nach Constanze Weiland-Bühlers Tod fürchten die Herren um ihre gut dotierten Posten im Stiftungsrat. Weil sie den Eindruck gewonnen haben, dass sich Imogen Selber-Weiland für Klaus Marbach interessiert, versuchen sie ihn als Interessenvertreter zu gewinnen, indem sie ihm einen Fünf-Jahres-Vertrag als Generalsekretär in Aussicht stellen. Der Historiker lehnt das Angebot jedoch ab.

Während Imogen längere Zeit abwesend ist, taucht ein Mann bei der Villa auf, der wie ein Landstreicher aussieht. Er übergibt Klaus Marbach einen dicken Umschlag für die Hausherrin. Der sei von F. Schaumgold, soll Marbach ihr ausrichten.

Erst später findet Klaus Marbach heraus, dass es sich bei dem Mann um Iring Selber handelte. Das Kuvert enthält außer Iring Selbers Ausweispapieren Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht, dass er als Fünfjähriger in Niederschlesien miterlebte, wie seine Mutter Felicitas von einem Trupp Russen vergewaltigt wurde. Einer der Männer hielt ihn fest, während die anderen seine Mutter auf den Boden warfen, ihr den Rock über den Kopf hochzogen und die wollene Unterhose herunterrissen. Plötzlich stand Irings 12-jährige Schwester Rahel splitternackt in der Türe. Die Soldaten hielten inne. Einer half Felicitas beim Aufstehen. Ohne Rahel anzurühren, ordneten die Russen ihre Uniformen und marschierten ab. 1960 verschwand Felicitas Selber, und es hieß, sie sei ins Wasser gegangen. Aber eine Leiche wurde nicht gefunden. Tatsächlich reiste sie über Berlin in die DDR und ließ sich im Witwenhaus der Herrnhuter Gemeine aufnehmen. Als sie 1969 starb, war sie noch keine 50 Jahre alt.

Iring Selber ging zwar mit Imogen und ihren Verehrern zur Schule, wurde jedoch von Kaspar Blunck, Maurus Freyer, Emile Isele, August Kaiser, Heinrich Pracht, Horst A. Simon und Ferdinand Springmann ausgegrenzt. Nur Imogen Weiland nahm ihn in Schutz. Im Alter von acht Jahren drohte sie beispielsweise einem Lehrer, der ihn peinigte, mit einer Beschwerde bei Colonel Ledoux, dem französischen Kommandanten, zu dem ihre einflussreiche Mutter Kontakt hatte.

Nachdem die Jungen im Alter von 17 Jahren eine Höhle entdeckt und erkundet hatten, lockten sie Iring hinein, indem sie von einer Probe sprachen, die er bestehen müsse, um in die Gruppe aufgenommen zu werden. Er sollte acht Stunden lang in einem tief gelegenen Teil der riesigen Höhle im Dunkeln ausharren. Aufgrund von Missverständnissen zwischen den Gruppenmitgliedern schaute dann jedoch niemand nach dem Eingesperrten, und ohne Strickleiter war der Aufstieg unmöglich. Iring wurde vermisst und von der Polizei gesucht. Horst rettete den Außenseiter schließlich. Iring gab seinen Mitschülern etwas Zeit, damit sie ihre Ausrüstung aus der Höhle bergen konnten. Dann ging er zur Bundesstraße, ließ sich von einem Lastwagenfahrer mitnehmen und behauptete bei der Vernehmung, er habe die Höhle allein entdeckt und sei bei der Erforschung ein Stück weit abgestürzt. Iring Selber wurde daraufhin von den Medien als heldenhafter Entdecker der Quirinushöhle gefeiert.

Imogen erzählt ihrem Gast Klaus Marbach, ihre Eltern hätten sie nach der Tochter des Königs Cymbeline in dem Bühnenstück „Cymbeline“ von William Shakespeare benannt. Allerdings seien Shakespeare-Forscher inzwischen der Meinung, dass der Name ursprünglich Innogen gelautet habe. Imogen gesteht auch, dass sie zwei Tage vor ihrem 20. Geburtstag ihrem todkranken Großvater Christoph Bühler auf der Intensivstation einen letzten Wunsch erfüllt und den Stecker des Beatmungsgeräts gezogen habe. Die sofort eingeleiteten Reanimations­maßnahmen seien erfolglos geblieben.

Gegen den Widerstand ihrer Mutter verwirklichte Imogen etwas, das sie sich schon als Kind vorgenommen hatte: Sie heiratete Iring Selber.

Klaus Marbach fährt mit dem Zug über Dresden nach Görlitz zu Balthasar Nicht, der im Haus des einstigen Bürgermeisters und Alchimisten Gregor Gobius wohnt. Der Archivar einer naturgeschichtlichen Bibliothek und der zehn Jahre jüngere Historiker lernten sich vor bald 20 Jahren in der Schweiz kennen. Nicht war Deutschlehrer gewesen, aber wegen seiner Kritik am DDR-Regime und vor allem an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 entlassen worden. Seine Frau Anna starb 2000 im Alter von 55 Jahren.

Balthasar Nicht glaubt, Iring Selber aufgespürt zu haben. Die fragliche Person nannte sich Dimitrij Kuhlmann und bezog sich dabei wohl auf den Mystiker Quirinus Kuhlmann (1651 – 1689). Der Mann, von dem Nicht annimmt, dass es sich um Iring Selber handelt, erlitt auf einem Friedhof im polnischen Teil der Stadt, also in Zgorzelec, einen Schlaganfall und wurde ins Johanniter-Krankenhaus in Görlitz gebracht. Da er keinen Ausweis bei sich hatte, konnte der durch den Schlaganfall gelähmte und stumme Patient nicht identifiziert werden. (Es handelte sich tatsächlich um Iring Selber. Seine Papiere hatten sich in dem Kuvert befunden, das er im Frühjahr in Nieburg für Imogen abgegeben hatte.) Eine Griechin namens Frini, die ihm im Krankenhaus regelmäßig aus der „Odyssee“ vorlas, nannte ihn „Uti“. Im Griechischen bedeutet dieses Wort niemand oder keiner. So nannte sich auch Odysseus in der Höhle des Polyphem.

Als Klaus Marbach und Balthasar Nicht den Mann im Krankenhaus besuchen wollen, erfahren sie, dass der an einem Locked-In-Syndrom Leidende von seiner angeblichen Familie abgeholt worden sei. Ärzte und Schwestern sind erstaunt, als sie erfahren, dass Iring Selber verheiratet ist und Klaus Marbach im Auftrag der Ehefrau handelt.

Am 17. September 2003 passen Klaus Marbach und Balthasar Nicht die Griechin Frini auf dem Friedhof ab, auf dem Iring Selber zusammenbrach. Die Griechin, die als Übersetzerin für eine Sekte in Herrnhut arbeitet, verrät ihnen, dass der Gesuchte von den Sektenmitgliedern in „God’s Factory“ in Herrnhut unter dem Namen David wie ein Gott verehrt werde.

Angeführt wird die Sekte von einer Frau, die sich Victoria („Vicky“) nennt. Bei ihr handelt es sich um Judith Valiant Bueller, die Adoptivtochter von Constanze Weiland-Selber. Die Frau, deren Wurzeln auf Onondagas zurückgehen, einen Stamm der indigenen Bevölkerung Nordamerikas, begrüßt Klaus Marbach und Balthasar Nicht, als diese nach Herrnhut kommen. Die beiden Besucher erleben mit, wie Iring Selber alias David bei einer Zusammenkunft der Sektenmitglieder auf einer Chaiselongue liegt. Über Kabel und Schläuche ist er mit Maschinen verbunden, die hinter einem Paravent verborgen sind. Judith alias Victoria lässt drei Fragen aus der Gemeinde zu und behauptet, die Antworten, die sie darauf gibt, habe David ihr übermittelt. Die Sektenmitglieder geraten in Ekstase; sie beginnen zu stampfen und lassen es zu, dass sich ihre Kleidungsstücke öffnen und zu Boden fallen.

Für 25. November 2003 lädt Imogen Selber-Weiland die Herren Klaus Marbach, Kaspar Blunck, Maurus Freyer, Emile Isele, August Kaiser, Heinrich Pracht, Horst A. Simon und Ferdinand Springmann zu einem letzten Essen in der Villa Aia ein. Sie hat nämlich beschlossen, dauerhaft in das geerbte Bühlersche Stadthaus zu ziehen.

Unmittelbar vor dem Beginn des feierlichen Dinners erfährt Klaus Marbach durch einen Anruf von Balthasar Nicht, dass Iring Selber seit zwei Tagen tot ist. Frini, die eine Alphabet-Tafel angefertigt hatte, die es dem fast vollständig Gelähmten ermöglichte, sich durch Blinzeln mit einem Auge zu äußern, tötete ihn auf sein Verlangen. Die Sekte beabsichtigt, den Toten von Gunther von Hagens plastinieren zu lassen und ihn dann im Heiligtum aufzustellen. Am Morgen des 26. November eilt Klaus Marbach nach Görlitz. Er und Balthasar Nicht dringen auf das Anwesen vor, und obwohl sie von dem Sektenmitglied Niklas ertappt werden, gelingt es ihnen, die Leiche zu rauben und in einem Kühlwagen nach Nieburg zu bringen.

Judith Valiant Bueller trifft allerdings noch vor ihnen ein, denn sie benutzte ein Privatflugzeug. Die Trauerfeier wird für 4. Dezember angesetzt. Imogen Selber-Weiland will den Toten kremieren lassen und die Asche in der Quirinus-Höhle verstreuen, in der Iring von seinen Mitschülern gequält worden war.

Klaus Marbach ist überrascht, als er erfährt, dass Imogen seine Noch-Ehefrau Manon de Montmollin mit der Klärung der Fragen im Zusammenhang mit der Erbschaft ihrer Mutter beauftragt hat. Die Rechtsanwältin half ihrer Mandantin auch, ein Testament zu hinterlegen, dem zufolge der größte Teil des auf 300 Millionen Euro geschätzten Nachlasses für die Versorgung von Kriegswaisen auf der Insel Antikratos verwendet werden soll.

Tatsächlich hatte Manon sich während eines zweiwöchigen Urlaubs im Juni auf der Insel Lesbos mit ihrer Geliebten Christiane überworfen. Einige Zeit später stellte sie sich bei ihrer neuen Mandantin Imogen Selber-Weiland vor – und erlebte dabei ein neues erotisches Abenteuer.

Sie hatten getrunken, Heidäwein, vor dem Kaminfeuer, das einer der dienstbaren Dorfgeister entzündet hatte, die im Haus kamen und gingen. […] Offenbar lag Frau Selber-Weiland daran, mehr von sich preiszugeben als einen verkürzten Lebenslauf. […] Manon stand schon nicht mehr auf festesten Füßen, als sie sich plötzlich gehalten fühlte. Zwei Hände lagen auf ihren Brüsten und befestigten sich darauf, leichthin und in aller Ruhe, als müsse das jetzt so sein. Sie spürte mehr als einen Hauch Wärme in ihrem Rücken, die zunehmende Nähe eines Körpers, und wusste auf der Stelle: er war nackt und seine Formen weiblich. Manon erstarrte nicht, sie vergaß nur, sich zu bewegen, widerstand auch nicht, als die Hände sie zu entkleiden begannen, Stück um Stück. […]

Du suchtest an meinem nackten Körper die Spur von Klaus. Diese Spur musstest du aufnehmen, und du wolltest sie tilgen. Du hast, als Frau, seine Stelle eingenommen, um sie bei mir zu löschen.

Die Nacht auf den 12. Dezember 2003 verbringt Imogen Selber-Weiland mit Klaus Marbach.

Am Morgen des 15. Dezember findet die 78-jährige Griechin Maria („Maro“) Ioannides, die seit Jahrzehnten für die Familie Bühler in Nieburg den Haushalt geführt hat, die letzte Erbin tot in einem Schaukelstuhl vor. Jemand hat sie mit an der linken Brust aufgesetzter Waffe erschossen. Der Blutfleck und die Pistole werden von einem großen Blumenstrauß im Schoß der Toten nur unzureichend verdeckt.

Als Kommissar Emil Isele von dem Todesfall erfährt, eilt er sofort zum Tatort, obwohl bereits sein Nachfolger Ernst Göhler für die Ermittlungen zuständig ist. (Bei einer dienstlichen Unterredung in Lörrach hatte man ihm Ende September dringend geraten, sich wegen seiner Depression ab 1. Januar 2004 beurlauben und später vorzeitig pensionieren zu lassen.)

In mehreren gleichlautenden, an verschiedene Adressaten verschickten Schreiben vom 11. Dezember hatte Imogen Selber-Weiland versichert, dass sie aus freiem Willen aus dem Leben scheiden und Klaus Marbach ihr diesen letzten Wunsch erfüllen werde. Es handelt sich also um eine Tötung auf Verlangen. Manon de Montmollin erhält von ihrer Mandantin außer diesem formellen Schriftstück einen Privatbrief, in dem Imogen gesteht, Klaus Marbach vom ersten Augenblick an geliebt zu haben.

Ich möchte Klaus in meinen Armen ein Nest machen und ihn dann hinauswerfen, mit aller Kraft. Dann fliegt er, und ich fürchte nicht, dass Du ihn auffangen musst.

Als Journalisten herausfinden, dass es sich bei der Anwältin und Testamentsvollstreckerin der Toten um die Ehefrau des Mannes handelt, der die Erbin des Bühlerschen Vermögens erschoss, wird darüber spekuliert, ob Klaus Marbach sich im Rahmen eines ausgeklügelten Plans an Imogen Selber-Weiland herangemacht und sich ihr Vertrauen erschlichen habe, um in den Besitz des Vermögens zu kommen. Wer die Tote beerben wird, ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht bekannt. Manon de Montmollin hat angekündigt, dass die Testamentseröffnung am 20. Januar 2004 stattfinden werde.

Die Herren aus dem Stiftungsrat der Constanze-Weiland-Bühler-Stiftung zur Förderung Nieburgs treffen sich noch am 15. Dezember zu einer Notsitzung. Dr. Maurus Freyer fehlt allerdings; er hat versucht, sich zu vergiften. Eine Woche später, am 22. Dezember, übermittelt Heinrich Pracht der Gruppe bei einer weiteren Besprechung im Oberrheinischen Hof Judith Valiant Buellers Einladung, den Heiligen Abend in der „Herrnhuter Family“ zu verbringen.

Am 26. Dezember wird Kriminalkommissar Emil Isele tot auf dem Dachboden seines Hauses in Nieburg aufgefunden. Er ist über einer Abhöranlage zusammengesunken und erfroren. Zuletzt löschte er offenbar noch alle Daten und Aufnahmen.

Emil Isele hatte die Villa Aia seit langer Zeit abgehört. Als Imogen Selber-Weiland Klaus Marbach im Kutscherhaus einquartierte, beschlossen er und die anderen Mitglieder des Stiftungsrates, die Abhörmaßnahmen auf ihn auszudehnen, und während sich der Historiker am 8. Mai im Oberrheinischen Hof mit den Herren traf, wurden die von ihm bewohnten Räume verwanzt.

Durch Imogen Selber-Weilands Tod kommen sich Klaus Marbach und Manon de Montmollin wieder näher. Er soll die Asche der Toten im God Tamangur verstreuen, einem Naturwaldreservat im Unterengadin. Am 3. Januar fahren sie beide mit der Urne von Zürich nach Il Fuorn. Dort vertraut Manon ihrem Begleiter an, dass Imogen Selber-Weiland ihn geliebt habe und er von ihr kurz vor ihrem Tod als Alleinerbe eingesetzt worden sei. Klaus will davon nichts wissen. Den entsprechenden Brief brachte er selbst für Imogen zur Post, ohne etwas vom Inhalt zu ahnen. Er will ins Freie. Manon stellt sich ihm in den Weg und schlägt auf ihn ein, bis es ihm gelingt, sie festzuhalten. Da beißt sie ihn in die Wange. Eigentlich müsste die Wunde genäht werden, aber ein Arzt ist nicht aufzutreiben.

Wie geplant, fahren sie am nächsten Tag weiter nach Lü in Graubünden. Während Klaus von dort aus mit der Urne zum God Tamangur aufbricht, reist Manon nach Müstair, wohin er ihr bis zum Abend nachkommen soll. Am 5. Januar wollen sie dann zusammen nach Zürich zurückkehren.

Als Manon in Müstair das Benediktinerinnenkloster St. Johann besichtigt, begegnet sie Balthasar Nicht. Er hat sich hierher zurückgezogen, um darüber nachzudenken, ob er Frini, die ein Kind von Iring Selber erwartet, heiraten soll. Seit drei Jahren hat er sich regelmäßig mit ihr getroffen.

In der Gaststätte Chasa Chalavaina in Müstair wartet Manon vergeblich auf Klaus. Zwei Suchtrupps werden losgeschickt, auch ein Hubschrauber kommt zum Einsatz. Im God Tamangur wird die komplette Ausrüstung des Vermissten entdeckt. Außerdem graben die Männer die Urne aus, die allerdings keine Asche enthält, sondern das Notizbuch Christoph Bühlers aus dem Jahr 1923, das Klaus Marbach am 5. April von Constanze Weiland-Bühler anvertraut wurde. 20 Seiten in dem Notizbuch sind absichtlich mit Speichel verwischt und unleserlich gemacht worden. Chasper Caflisch, der Leiter der Suchaktion, kommt am 9. Januar zu Manon in die Chasa Chalavaina und teilt ihr mit, dass keine weitere Spur von Klaus gefunden worden sei. Vor der Schneeschmelze bestünde keine Chance, seine Leiche zu entdecken, meint er. (Tatsächlich wird sie nie gefunden.) Am 8. Mai wäre der Scheidungstermin gewesen, sagt Manon traurig.

Bei der Testamentseröffnung am 20. Januar 2004 unterschlägt Manon de Montmollin den letzten Willen der Verstorbenen und tut so, als sei das Testament noch gültig. Dementsprechend beabsichtigt sie, den größten Teil des Vermögens für den Bau eines Dorfes für Kriegswaisen auf der Insel Antikratos zu verwenden. Der Immobilienbesitz am Oberrhein fällt an das Land Baden-Württemberg und die entsprechenden Kommunen. Maria („Maro“) Ioannides und ihr vermutlich von Christoph Bühler gezeugter Sohn Zeus erhalten ein lebenslanges Wohnrecht im Kutscher- und Pförtnerhaus der Villa Aia in Nieburg.

Judith Valiant Buellers Erbe war bereits 1994 von ihrer Adoptivmutter Constanze Weiland-Bühler geregelt worden. Die Stiftung zur Förderung Nieburgs wird unter Judiths Leitung in „Stiftung zur Erneuerung Nieburgs“ umbenannt, und die Sekte entwickelt sich zu einem weltumspannenden Wirtschaftsimperium, in dem auch Ferdinand Springmann und andere Herren des Stiftungsrates reüssieren.

August „Ezechiel“ Kaiser, Aufsichtsratsmitglied der Academy of Sign and Sense in Berlin, schreibt am 11. Oktober 2007 Hannelore Kretzschmar alias Barbelo einen Brief. Die Kunsthistorikerin, die drei Jahre lang Iring Selbers Geliebte war, arbeitet an einem Buch über ihn, das im Herbst 2008 veröffentlicht werden soll. Im Auftrag der Chief Guardian Victoria Valiant Bueller rät Kaiser ihr davon ab und schlägt ihr stattdessen vor, das Buch über den „LEBENDIGEN“ als Mitglied der Gemeinschaft zu schreiben. Man würde für die Kosten der Vertragsauflösung aufkommen und ihr ein höheres Honorar als jeder Verlag bieten.

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Die Gegenwart des Romans „Kinderhochzeit“ von Adolf Muschg spielt in der Zeit von Januar 2003 bis Januar 2004. Es geht um eine Reihe von Personen, die 1940 geboren wurden, und deren Väter. Der Blick in die Vergangenheit zeigt die Verstrickung der älteren Generation in die Verbrechen der Nationalsozialisten. In der Gegenwart ebenso wie in der nahen Zukunft (2007) geht es um die Manipulationen einer Sekte. Im Zentrum des Geschehens steht eine Schweizer Unternehmerfamilie, deren Schicksal wir über drei Generationen hinweg vom Ersten Weltkrieg bis 2007 verfolgen. Vor diesem Hintergrund sucht der Historiker Klaus Marbach – den Adolf Muschg bereits in seinem Roman „Gegenzauber“ einführte und aus dessen Perspektive das meiste in „Kinderhochzeit“ erzählt wird – nach seiner eigenen Identität. Verwoben sind die zahlreichen am Oberrhein, im Engadin, aber auch in Berlin und in Görlitz / Zgorzelec spielenden Episoden und Handlungsstränge mit mehreren Liebesbeziehungen.

Am Ende verschwindet Klaus Marbach, ohne dass wir erfahren, was aus ihm geworden ist. Auch vieles andere bleibt unklar, und Adolf Muschg lässt überdies eine Reihe von Handlungsfäden einfach fallen. Es sieht so aus, als habe er die Verrätselung der Geschichte absichtlich herbeigeführt.

Adolf Muschg hat seinen Roman „Kinderhochzeit“ überfrachtet. Es sind zu viele Figuren, Handlungsstränge, Verästelungen und Episoden, zu viele Themen und Anspielungen etwa auf die Bibel, die „Odyssee“, das Shakespeare-Stück „Cymbeline“. „Kinderhochzeit“ weist nicht nur einen Prolog und einen aus sieben Kapiteln bestehenden Epilog auf, sondern Adolf Muschg hat auch noch 44 kleingedruckte Seiten Anhang mit angeblichen „Zeugnisse[n] von und über Iring Selber (‚Dimitrij Kuhlmann‘ bzw. ‚DAVID‘)“ hinzugefügt, darunter fiktive Briefe Balthasar Nichts an Klaus Marbach vom 24. September, 1., 5. und 30. Oktober 2003 und den Redetext der Staatsministerin bei der Trauerfeier für Iring Selber am 4. Dezember 2003 in der Erlöserkirche in Nieburg.

An der Sprache stören verzerrte Satzstellungen, missverständliche Bezüge und Grammatikfehler wie zum Beispiel:

Auf dem Schoß hielt sie einen großen Strauß Mohn in verschiedenen Rot- und Gelbtönen, doch verbarg er den schwarzroten Fleck auf der linken Brust nicht ganz, der keine Blüte war. (Seite 9)

Iring Selber, den ich nicht kenne, hat einen Auftritt als Kinderbräutigam Frau Imogens, meiner freundlichen Gastgeberin, mit dem sie inzwischen verheiratet ist. (Seite 112)

Denn Imogen […] begegnete ihm in Gestalt eines jungen, nicht großen, doch sehr schlanken Menschen afrikanischer Herkunft, dessen Geschlecht das weit geschnittene weiße Kostüm verbarg und die helle Stimme nicht ganz verriet. (Seite 256)

[…] er war nackt und seine Formen weiblich. (Seite 452 – „war“ passt nicht zum Plural „Formen“)

Für einige der Figuren gibt es historische Vorbilder, auch der Bergier-Bericht existiert, aber „Kinderhochzeit“ ist kein Schlüsselroman. Der Ort Nieburg ist ebenso fiktiv wie die Familie Bühler.

Auf dem Cover ist die aus dem 1. Jahrhundert vor Christus stammende, 1749 entdeckte Marmorskulptur „Amor und Psyche“ aus dem Kapitolinischen Museum in Rom abgebildet, die Adolf Muschg in seinem Roman „Kinderhochzeit“ erwähnt.

Friedrich Adolf Muschg wurde am 13. Mai 1934 in Zollikon im Kanton Zürich geboren, und zwar als Sohn des Grundschullehrers Friedrich Adolf Muschg Senior (1872 – 1948) und dessen zweiter Ehefrau Frieda (geb. Ernst), einer Krankenschwester. Adolf Muschgs Halbbruder aus der ersten Ehe des Vaters war zu diesem Zeitpunkt bereits Mitte 30. Ab 1946 besuchte Adolf Muschg das Kantonale Literargymnasium in Zürich. Nach zwei Jahren im Internat der Evangelischen Lehranstalt Schiers schloss er die Schulbildung 1953 mit der Matura am Literargymnasium Rämibühl in Zürich ab. Adolf Muschg studierte von 1953 bis 1959 Germanistik, Anglistik und Psychologie in Zürich und zwischendurch in Cambridge. 1959 promovierte er mit einer Dissertation über Ernst Barlach bei Emil Staiger in Zürich.

Von 1959 bis 1962 unterrichtete Adolf Muschg Deutsch an der Kantonalen Oberrealschule in Zürich. Dann lehrte er an der International Christian University Tokyo (1962 – 1964), als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Göttingen (1964 – 1967), Assistant Professor an der Cornell University in Ithaca/New York (1967 – 1969) und Forscher an der Universität Genf (1969/70). 1970 wurde Adolf Muschg als Professor für Deutsche Sprache und Literatur an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich berufen. Nachdem er 1997 noch ein Graduiertenkolleg an der Semper-Sternwarte Zürich gegründet hatte, emeritierte Adolf Muschg 1999. ➤ Fortsetzung

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Adolf Muschg (kurze Biografie / Bibliografie)

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Adolf Muschg: Der Rote Ritter. Eine Geschichte von Parzival
Adolf Muschg: Sutters Glück
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Jesús Carrasco - Die Flucht
Jesús Carrasco konzentriert sich in "Die Flucht" auf ein Minimum an Ereignissen und Beziehungen. Langsam und schnörkellos entwickelt er die archaische, grausame Geschichte. "Die Flucht" ist ein kraftvoller Roman auf hohem literarischen Niveau.
Die Flucht