Anna Mitgutsch : Die Züchtigung

Die Züchtigung
Die Züchtigung Originalausgabe: Claassen Verlag, Düsseldorf 1985 ISBN: 3-546-46758-2, 247 Seiten Taschenbuch: dtv, München 1987 ISBN: 3-423-10798-7, 246 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Marie erfährt von klein auf, dass sie unerwünscht ist. Sie heiratet schließlich einen Häusler. Dessen vermeintlich schlechte Erbanlagen versucht Marie aus ihrer Tochter herauszuprügeln und traumatisiert sie dadurch. Vera vermeidet gegenüber ihrer eigenen Tochter Gewalt – und begreift erst durch heimliches Lesen in deren Tagebuch, dass sie in der Erziehung ebenso versagt hat wie ihre Mutter, nur auf andere Weise: Die Auswirkungen der Fehler setzen sich von Generation zu Generation fort.
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Kritik

Trotz des erschütternden Inhalts bleibt die Darstellung nüchtern. Für depressive LeserInnen ist die Lektüre von "Die Züchtigung" nicht zu empfehlen, denn es gibt in dem Roman keinen Lichtblick. Anna Mitgutsch reiht Leid an Leid.
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Kurz nach der Geburt des ersten Kindes, Fanni, wird die Ehefrau des wohlhabenden Bauern erneut schwanger.

Sechs Wochen gibt’s jetzt Ruh, hatte die Hebamme zum Bauern gesagt, als sie mit den blutigen Tüchern an ihm vorbei zum Herd ging. Aber in der nächsten Nacht schon fiel er über sie her, sie stöhnte, au, du tust mir weh. Halt’s Maul, hatte er gesagt, soll ich zu einer anderen gehen, ich brauch nur mit dem Finger zu schnalzen. Sie schwieg und biss die Zähne zusammen, es würde ja gleich vorbei sein. Er war zwölf Jahre jünger als sie, der schönste Mann im Dorf. Die Frauen kriegten einen wiegenden Gang, wenn sie seinen Blick im Rücken spürten. Du Vieh, stieß sie zwischen den Zähnen hervor, er hörte es nicht mehr, er rollte zur Seite, drehte ihr den Rücken zu. Sie setzte sich auf, der Schmerz raste, stopfte sich noch zwei Windeln zwischen die Beine. Das Kind war groß gewesen, die Risse mussten von selbst verheilen, und er stieß ihr in der Euphorie der Vaterschaft seinen Samen in den zerrissenen Schoß. Nacht für Nacht. Solang man stillt, kann nichts passieren, hieß es. Es passierte etwas. Neun Monate später kam Marie zur Welt. Wieder ein Mädchen.

Marie wird 1922 geboren. Als sie neun Monate alt ist, amputieren die Ärzte ihrer Mutter im Krankenhaus eine Brust. Der Vater kommt nächtelang nicht nach Hause. Maries Beine sind plötzlich gelähmt. Das bleibt neun weitere Monate so, bis ihre Mutter eine Wallfahrt nach Altötting unternimmt.

Mit sechs kommt Marie in die Schule. Fanni bleibt im zweiten Schuljahr sitzen und geht nun mit ihr in dieselbe Klasse. Während der Ernte werden die beiden Mädchen vom Unterricht befreit, denn sie müssen in der Landwirtschaft helfen.

Fünf Monate vor Maries neuntem Geburtstag wird das letzte ihrer sechs Geschwister geboren. Kurz darauf muss die Mutter sich erneut einer Operation unterziehen: die zweite Brust und der Uterus werden entfernt. Vier Wochen lang liegt sie im Krankenhaus. Wegen des Ausfalls stellt der Vater zwar einen Knecht ein, aber die Kinder müssen die Haus- und Stallarbeit erledigen.

Melken, Schweinefüttern und Grasmähen ist Weiberarbeit, kein Mann würde sich mit dieser Arbeit die Hände dreckig machen.

Nachdem Marie vier Wochen lang jeden Morgen um 4 Uhr aufgestanden ist, geht sie wieder zur Schule. Aber der Vater darf sie nicht erwischen, wenn sie abends nach dem Melken ihre Hausaufgaben macht, denn er hält den Schulunterricht für Zeitverschwendung und kann selbst kaum seinen Namen schreiben.

Sobald Marie mit vierzehn aus der Schule kommt, entlässt der Vater den Großknecht. Den muss Marie nun ersetzen. Obwohl sie im Abschlusszeugnis in allen Fächern eine Eins hat, kommt der Wechsel in eine höhere Schule für sie nicht in Frage.

Zu ihren Geschwistern hat Marie kein gutes Verhältnis. Solange sie klein waren, musste sie die Windeln wechseln. Nun wird sie von ihren Brüdern gequält. Einmal muss sie zusehen, wie die Jungen ihre Lieblingskatze zu Tode foltern. Buben dürfen das. Marie wird dagegen für jedes Aufmucken verprügelt. Sie beneidet Fanni, die trotz ihrer Faulheit beliebt ist. Der Lehrer unternimmt mit ihr Motorrad-Ausflüge. Dass er sie dabei defloriert, erfährt niemand. Mit sechzehn wird Fanni zur Schönheitskönigin gewählt. Rosi, die jüngere Schwester, darf als Einzige eine Lehre machen. Sie sei für die Feldarbeit zu schwach, heißt es. Wegen ihrer Zartheit hat Rosi ein Bett für sich allein, während Marie und Angela ebensowie Fanni und Heidi zu zweit schlafen müssen.

Vom ersten Jungen, mit dem Marie ausgeht, wird sie beim zweiten Mal versetzt. Am Sonntag darauf sieht sie ihn vor der Kirche mit einem anderen Mädchen.

Der zehn Jahre ältere Häuslersohn Friedl Kovacs umwirbt sie. Dessen Vater arbeitet als Holzfäller fürs Stift. Wegen seiner sozialen Stellung ist Friedl ist ein Außenseiter wie Marie.

Im Krieg wird er schwer verwundet.

Maries Mutter stirbt im Herbst 1944. Der Witwer, der eine ganze Reihe von unehelichen Kindern im Dorf hat, bringt seine Geliebten nun auch mit nach Hause.

Maries Brüder Franz und Heini fallen im Frühjahr 1945.

Sie erträgt es zu Hause nicht länger und nimmt Friedls Heiratsantrag an. Nicht einmal bei der Hochzeit in der Kirche ist sie glücklich.

Sie empfand nichts so stark wie das Gefühl, betrogen worden und zu kurz gekommen zu sein.

In den Eheringen stimmen weder die Initialen noch die Daten, denn Friedl kaufte sie von einem Kriegskameraden, der seine Frau mit einem anderen Mann im Bett erwischte, als er aus der russischen Gefangenschaft nach Hause kam.

In der Hochzeitsnacht stellt sich heraus, dass Friedl trotz seiner zweiunddreißig Jahre noch nie mit einer Frau zusammen war.

Von dieser Nacht sprach sie später als einer der größten Demütigungen ihres Lebens, als einer mit körperlichem und seelischem Schmerz ertragenen Einsamkeit.

Er verdient inzwischen Geld als Schaffner in der Stadt und hat zwei Zimmer auf einem Bauernhof gemietet. Wasser muss von einem Brunnen geholt werden, und das Plumpsklo befindet sich im Freien. Die Bäuerin reißt Marie die frisch gewaschenen Betttücher von der Leine und schleudert sie in Wasserlachen, der Bauer kehrt neben ihrer Weißwäsche den Ofen.

Obwohl Marie und Friedl auf einem Bauernhof leben, leiden sie Hunger. Eines Tages fährt Marie wie die Hamsterer im Zug zu dem Dorf, in dem sie aufwuchs.

Sie hatte nie gedacht, dass sie so tief fallen konnte, um Essen zu bitten.

Wenn sie bei der Ernte hilft, kriegt sie zu Hause sogar einen Rucksack voller Nahrungsmittel.

Die Schwiegermutter wirft ihr vor, Friedl nicht glücklich zu machen. Er ist hager und hohlwangig, während Marie aufgrund der Besuche auf dem Bauernhof ihres Vaters immer stärker zunimmt.

Als Marie zwei Jahre nach der Hochzeit ungewollt schwanger wird, vertraut sie die Neuigkeit ihrem Vater als Erstem an. Die Geliebte des Siebenundvierzigjährigen, die jünger als Marie ist, erwartet ebenfalls ein Kind. Es wird zwei Monate vor Maries Tochter Vera geboren.

Weil Marie sich eine Brustfellentzündung zuzieht und Fieber hat, kommt ihre Schwester Fanni, um im Haushalt zu helfen und das Neugeborene zu versorgen, aber als sie einen Verehrer findet, bleibt sie zumeist bis Mitternacht aus und schläft dann so tief, dass sie Veras Schreien nicht hört.

Maries Schwester Angela bringt ein Kind zur Welt, obwohl sie nicht verheiratet ist. Vera klagt später:

Das ledige Kind von Maries jüngerer Schwester, das Kind der Liebe, der Bankert, der ihnen die Schande unehelicher Zeugung ins Haus gebracht hatte, lachte, sang und war Großvaters Liebling. Und ich, das Kind ehelicher Pflichterfüllung, saß dunkeläugig und schmal in einer Ecke und schmollte, weil mich niemand mochte […] So ein ungutes Kind, sagten die anderen, und Mama schämte sich meiner. Auf dem Bauernhof lernte ich, dass ich ungeliebt und im Weg war.

Ich war ein kränkliches Kind mit kaum verheilter Tbc, anfällig für Kinderkrankheiten, einem nervösen, empfindlichen Magen und Haltungsschäden.

Nach vier Jahren in der feuchten Zwei-Zimmer-Wohnung auf dem Bauernhof, als Vera drei Jahre alt ist, kaufen Friedl und Marie Kovacs von Flüchtlingen aus Ungarn, die in die USA auswandern, ein kleines Haus auf einem Pachtgrund am Stadtrand. Das Geld borgt Marie sich von ihrem Vater und von ihrer Schwester Rose, die inzwischen als Schneidermeisterin einen eigenen Betrieb führt.

Marie meldet Vera im Kindergarten an. Dass sie dabei den Beruf des Vaters angeben muss, findet sie peinlich. Sie verachtet ihn, beschimpft ihn als Waschlappen und Versager. Nur wenn es etwas auf einem Amt zu erledigen gibt, schickt sie ihn hin, weil Männer im Gegensatz zu Frauen respektiert werden. Allerdings schärft sie ihm dann haargenau ein, was er zu sagen hat.

Seit dem Umzug schläft Friedl in einer Koje im Nebenzimmer, während Vera nachts bei der Mutter im Bett liegt.

Die Kovacstöchter hatten in die Stadt geheiratet, sie wohnten in finsteren Mietwohnungen, und ihre Kinder waren blass und zart. Marie empfand eine herablassende Freundlichkeit für sie, die leicht in Verachtung umschlug. Es mangelte ihnen an Demut, denn schließlich waren sie Häuslertöchter, auch wenn sie sich jetzt wie Damen gebärdeten und ihre zunehmende Fülligkeit zeigte, dass sie auch wieder genug zu essen hatten.

Marie hat sich vorgenommen, die unguten Anlagen der Kovacs aus Vera herauszuprügeln.

Aber mein Kind wird einmal ein anständiger Mensch, schwor sie Marie, keine Zigeunerin wie die Kovacs-Mädchen, auch wenn sie zehnmal in die Art schlägt.

Wer sein Kind liebt, der züchtigt es.

Schläge, das bedeutete nie einen spontanen Zornausbruch, auf den Betretenheit und Versöhnung folgen konnten. Das begann mit einem Blick, der mich in ein Ungeziefer verwandelte.

Ich war das besterzogene Kind in der Verwandtschaft, Mund halten und sitzen bleiben, nicht dreinreden, still und alleine spielen, niemanden belästigen; lehn dich doch nicht an mich an, kannst du nicht allein sitzen, Anlehnungsbedürfnis ist Schwäche.

Als Vera in die Schule kommt, wundert die Lehrerin sich darüber, dass sie in die Hose macht und spricht besorgt mit Marie. Die wird wütend, weil ihr das Kind Schande macht. Wenn Vera beim Schreiben Schaukel statt Schaufel schreibt, stößt Marie ihr den Kopf aufs Heft, bis Blut aus der Nase quillt. Auf diese Weise entwickelt Vera sich zur Musterschülerin.

Aber im Grund waren die Einser die Leistung meiner Mutter und ihrer vorbildlichen Erziehung.

Bei einer Reihenuntersuchung bemerken der Amtsarzt und die Lehrerin die Striemen und Hämatome an Veras Körper. Nachdem sie sich vielsagend angesehen haben, fragt der Arzt das Kind, ob es vom Vater geschlagen werde. Marie verneint und behauptet, hingefallen zu sein. Daraufhin unternehmen weder der Arzt noch die Lehrerin etwas.

Auch die Mutter einer Mitschülerin entdeckt die Spuren der Prügel – und sorgt dafür, dass die beiden Mädchen nach der Schule nicht mehr zusammenkommen.

Die Schulden vom Haus waren abgezahlt, ihr [Maries] Vater hatte sich jeden Schilling zurückzahlen lassen, das Hungern war vorüber, aber die Armut noch nicht, und die Leute sagten bewundernd, wie Sie das schaffen, Frau Kovacs, die Familie so fein ausstaffiert von einem Arbeitergehalt. Sie schaffte es, aus dem billigsten Fleisch saftige Braten zu machen, sie selbst aß Brot, das schon alt und beim Bäcker billig zu haben war, während sie für die Schuljause fünf Deka Schinken und eine Semmel kaufte. Sie gab im Lebensmittelgeschäft vor, eine Katze zu haben, und bekam billige Abfälle. Kurze Zeit nahm sie Heimarbeit an und nähte vorgefertigte Badeanzüge zusammen, aber der Nebenverdienst war so gering, dass sie es wieder aufgab. Wie wär’s mit einem Halbtagsverdienst, jetzt, wo das Kind erst am Nachmittag heimkommt, schlug mein Vater schüchtern vor. Bei den Großkopferten putzen gehen, fragte sie empört, lieber verhungere ich.

Marie ist der Meinung, dass Vera ein Musikinstrument lernen soll. Eine Zither wäre vorhanden, aber Marie meint, damit könne man nur Bauernmusik machen. Also wird ein Klavier angeschafft, obwohl weder das Geld noch der Platz dafür vorhanden sind. Nach vier Jahren und drei Klavierlehrerinnen kriegt Vera bei einem Schulkonzert als Einzige keinen Applaus. Danach braucht Vera nicht mehr zu üben, aber sie fühlt sich schuldig, weil der ganze Aufwand ihrer Mutter umsonst war.

Die kleinste Unartigkeit Veras wird von der Mutter gnadenlos bestraft.

Nach der Kirche musste ich mich nackt ausziehen und wurde mit dem Teppichklopfer geschlagen, bis ich bewegungslos und lautlos auf dem Boden lag, und mein Vater sagte, da siehst du, was du mit deiner Brutalität anrichtest, erschlagen tust du das Kind noch. Aber als ich geschrien hatte, Papa, Papa, hilf, war er auf dem Sofa gesessen und hatte nicht gewagt, in die Züchtigung einzugreifen.

Ich wollte aufs Gymnasium, aber der Volksschuldirektor sagte, er könne sich mich nur als Hauptschülerin vorstellen, als gute Hauptschülerin, die Matura würde ich ja doch nie schaffen, denn Arbeiterkinder sind im Gymnasium im Hintertreffen, die sprachliche Deprivation, die reizarme Kindheit.

Diesmal setzt Vera ihren Willen durch: Sie unterzieht sich der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium – und besteht sie.

Ihre Brüste beginnen beim Gehen zu wippen. Heimlich schaut sie sich die Aushänge der Pornokinos an und masturbiert im Bett, während ihre Mutter neben ihr schläft. Dabei wäscht diese sie noch, damit sie keinen Anlass hat, sich zu berühren. Ihre Schulleistungen sinken. Für jede schlechte Note wird sie geschlagen.

Es waren nicht mehr nur der Schmerz und die blauen Flecken […], sondern es war vor allem die Demütigung, mich vor ihr ausziehen zu müssen, um die Schläge zu empfangen, die Demütigung, mich mit nacktem Unterkörper schreiend und hilflos von Möbel zu Möbel taumelnd unter ihren Schlägen zu winden.

Unvermittelt wird Vera wieder zur Streberin und Klassenbeste. Sie nimmt zu. Marie lobt sie als brave Esserin. Aber Vera findet sich schließlich zu dick und wird magersüchtig. Das bleibt sie sieben Jahre lang.

Als ich vierzehn war, bekam ich die letzten Schläge. Wir wurden die besten Freundinnen, ich erzählte ihr nichts, sie mir alles. Ich war gut dressiert, meine Antworten waren spontan und entsprachen ihrer Erwartung. Ich brauche kein Fahrrad, es wäre zu gefährlich für mich. Alle in der Klasse gehen auf den Ball, das wäre mir zu kindisch. Meine Freundin Eva hat einen Freund, der sie geküsst hat, wie widerlich.

Während Angela durch ein nicht eheliches Kind Schande über die Familie brachte und erst heiratete, als die Tochter Monika vier Jahre alt war, hält Marie sich für vorbildlich.

Im Leben ihrer Schwestern gab es Turbulenzen, Marie war der unerschütterliche Fels, bei ihr ging alles wie am Schnürchen, das Geld reichte bis zum Monatsersten, und man konnte noch was aufs Sparbuch legen, das Kind lernte brav, der Mann trank nicht und ging nicht fremd, sie führte eine gute Ehe.

Mit neunzehn verlässt Vera das Elternhaus. Nicht zuletzt, um gegen die Mutter zu rebellieren, lässt sie sich deflorieren.

Eines Nachts, in der niemand die Stunden zählte, warf ich ihr Kleinod ins Meer, die südlichen Sterne schlugen über mir zusammen, und es war weder schrecklich noch sündhaft noch demütigend […] Ich hatte sie endlich besiegt. Nichts von dem stimmte, was sie mir erzählt hatte, nichts mehr davon würde mich berühren können, ich war unverwundbar. Von dieser Nacht an würde ich nicht mehr ihre Tochter sein.
Aber ich irrte. Was sie mir gesagt hatte, mochte mich nicht berühren, was sie mir getan hatte, das wiederholte sich unermüdlich, das nahm seinen Lauf mit jeder neuen Umarmung.

Ich wurde alles, worüber sie sich am meisten entsetzt hätte. Ich schlief mit allen Männern, die mich haben wollten, und vielen, die mich nicht wollten. Ich fuhr per Autostopp durch zwei Kontinente und wusch mich in drei Monaten nicht ein einziges Mal. Ich gab meine Karriere auf für einen Mann und gab diesen Mann für einen anderen auf, nur um ihn wieder zu verlassen.

Sie [Marie] streifte meine ausgewaschenen Jeans mit einem Blick, der sagte, du hast es noch immer nicht geschafft, du bist hoffnungslos, und ging weg. Die guten Kreise. Der Aufstieg, den sie allein nicht schaffte, weil es zweier Generationen bedurft hätte. Aber die Tochter hatte Zigeunerblut und keinen Anstand, und da wurde der Aufstieg aus dem Kleinbürgertum zum Abstieg in die Boheme.

Ein halbes Jahr nachdem Vera zu studieren angefangen hat, muss ihre Mutter ins Krankenhaus. Die Ärzte schweigen sich aus, aber es ist Krebs. Kurz bevor Marie stirbt, erklärt sie ihrem Mann, welche Trauerkleidung er für Vera kaufen soll.

Immer wieder glaubt Vera, nur durch „Leistung, Glanzleistung, Spitzenleistung“ bestehen zu können.

Veras Ehe scheitert. Sie erzieht ihre Tochter allein, nimmt sich vor, es besser zu machen als ihre Mutter. Ein Psychologe mahnt, sie ersticke ihr Kind mit Liebe. Erst als sie heimlich im Tagebuch ihrer Tochter blättert, begreift sie, dass das Mädchen genauso unglücklich ist, wie sie es war. Sie hat in der Erziehung ebenso versagt wie ihre Mutter.

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Marie erfährt von klein auf, dass sie unerwünscht ist. Als sie es zu Hause nicht länger erträgt, heiratet sie einen Häusler – und wird zwei Jahre später ungewollt schwanger. Die vermeintlich schlechten Erbanlagen der väterlichen Linie versucht Marie aus ihrer Tochter herauszuprügeln, denn sie hofft, durch den Erfolg Veras selbst in der Gesellschaft respektiert zu werden. Die traumatisierte Tochter vermeidet gegenüber ihrer eigenen Tochter Gewalt – und begreift erst durch heimliches Lesen in deren Tagebuch, dass sie in der Erziehung ebenso versagt hat wie ihre Mutter, nur auf andere Weise: Die Auswirkungen der Fehler setzen sich von Generation zu Generation fort. Anna Mitgutsch zeigt in ihrem Debütroman „Die Züchtigung“ die Unfähigkeit der beiden Frauen, die Traumatisierung zu überwinden.

Erzählt wird die bedrückende Geschichte in der Ich-Form aus der Sicht Veras, die wie die Autorin 1948 geborenen wurde. Trotz des erschütternden Inhalts bleibt die Darstellung nüchtern und kommt ohne Larmoyanz aus.

Für niedergeschlagene Leserinnen und Leser ist die Lektüre von „Die Züchtigung“ nicht zu empfehlen, denn es gibt in dem Roman keinen Lichtblick. Anna Mitgutsch reiht Leid an Leid. Das ist deprimierend, und es tut dem Buch formal nicht gut, denn spätestens in der Hälfte ahnt man, dass nichts wirklich Neues mehr kommt, sondern nur die Art der Qualen variiert wird.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Textauszüge: © Anna Mitgutsch

Anna Mitgutsch (Kurzbiografie / Bibliografie)

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