Dinaw Mengestu : Unsere Namen

Unsere Namen
Originalausgabe: All Our Names Alfred A. Knopf, New York 2014 Unsere Namen Übersetzung: Verena Kilchling Verlag Kein & Aber, Zürich 2014 ISBN: 978-3-0369-5702-9, 336 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein junger Äthiopier, der beim Verlassen seiner Heimat alle Namen ablegt, freundet sich in Kampala mit dem Ugander Isaac an, der Studenten gegen die Diktatur aufwiegelt und sich einer Befreiungsarmee anschließt. Weil deren Anführer Joseph möchte, dass Isaac in den USA studiert, besorgt er ihm Papiere und Geld. Aber als Joseph Gräuel­taten befiehlt, rückt Isaac von ihm ab, und aus Uganda will er ohnehin nicht weg. Geld und Papiere gibt er seinem Freund. Der entwurzelte Afrikaner wird in den USA von einer weißen Sozialarbeiterin betreut, aber von der Gesellschaft ausgegrenzt ...
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Kritik

Wichtiger als die Charaktere in "Unsere Namen" sind Dinaw Mengestu die Beziehungen zwischen den Figuren. Er schreibt abwech­selnd aus der Sicht des entwurzelten Afrikaners und der Amerikanerin, alles ohne Effekthascherei, ruhig, sachlich und unprätenziös.
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Ein 24-jähriger Äthiopier verlässt in den Siebzigerjahren sein Heimatdorf, schlägt sich nach Addis Abeba durch und reist dann mit dem Bus quer durch Kenia. Als er die Grenze nach Uganda überquert, legt er alle Namen ab, die ihm seine Eltern gaben. In Kampala freundet er sich mit Isaac an, der wenige Wochen vor ihm in die Stadt kam, allerdings nicht aus dem Ausland, sondern aus einem Dorf in der Provinz von Uganda. Die beiden jungen Männer treiben sich an der Universität herum und träumen davon, zur gesellschaftlichen Elite zu gehören. Der namenlose Äthiopier würde gern Literatur studieren und Schriftsteller werden. Isaac geht es mehr um Politik, um die Befreiung Ugandas.

Jeder aufstrebende Militante, Radikale und Möchtegernrevolutionär Ost- und Zentralafrikas fühlte sich damals unwiderstehlich von der Universität in Kampala angezogen.

Bei jeder Gelegenheit provoziert Isaac Studenten, denen anzusehen ist, dass sie aus reichen Familien stammen. Und er verteilt Flugblätter mit politischen Parolen. Vor den Augen seines Freundes bricht er mit einem Steinwurf einem Studenten den Kiefer und wird daraufhin von dessen Kommilitonen zusammengeschlagen. Als er sich von den Verletzungen einigermaßen erholt hat und wieder auftaucht, wird getuschelt, er sei bei einem Protestmarsch der Studenten vor dem Präsidentenpalast niedergeknüppelt worden. Isaac lässt die anderen in dem Glauben und pflegt den Märtyrerstatus. Nachdem bei einem Anschlag vier Soldaten getötet wurden, setzen ihn die Freunde seines Vaters, bei denen er wohnte, auf die Straße.

Die Regierung reagiert mit einem Versammlungsverbot auf die Unruhen. Junge Männer werden willkürlich aufgegriffen, verhaftet und verprügelt. Als Isaac und seine Begleiter von Wachmännern auf dem Campus attackiert werden, rennen alle bis auf ihn weg. Er wird erneut zusammengeschlagen.

Das passiert auch seinem Freund, als dieser mit einer regierungstreuen Zeitung in der Hand auf der Straße gesehen wird. Allerdings greifen ihn keine Soldaten, Polizisten oder Wachleute an, sondern aufgebrachte Passanten.

Ich kannte weder die Regeln noch die Geschichte dieses Viertels, und so war mir entgangen, dass in letzter Zeit viele junge Männer der Gegend verschwunden waren, weshalb die Anwohner nichts als Hass für die Regierung und ihre Unterstützer übrighatten.

Als der Namenlose aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist er obdachlos, denn sein Vermieter hält es für zu riskant, ihn länger zu beherbergen. Isaac bringt ihn in ein bewachtes Haus am Stadtrand. Offenbar verfügt er inzwischen auch über Geld. Was hat das zu bedeuten? Wem gehört das große Haus? Vier Männer in Anzügen tauchen auf. Isaac zeigt auf einen von ihnen und erklärt seinem Freund, das sei nicht nur der Besitzer des Hauses, sondern auch des Cafés, in dem er mit seinem Steinwurf eine Prügelei provozierte. Der Mann heißt Joseph. Nachdem dieser beobachtet hatte, wie Isaac zusammengeschlagen worden war, lobte er ihn für seinen Mut. Seither erledigt Isaac Aufträge für Joseph.

Josephs Vater sollte der erste Gouverneur des Verwaltungsbezirks werden, zu dem Isaacs Heimatdorf gehört. Aber kurz vor der Wahl verschwand er spurlos. Der Staatspräsident behauptete, Rebellen oder vielleicht sogar die Briten hätten den Politiker entführt und übertrug das Amt einem seiner Gefolgsleute. Joseph war damals noch in London.

„Dass ich seinen Vater kenne, habe ich Joseph nicht verraten, aber ich habe ihm offen meine Meinung über den Zustand des Landes gesagt: dass es noch schlimmer sei als unter den Briten. Ihm hat meine Offenheit gefallen.“

In Josephs Auftrag versucht Isaac die Studenten gegen das Regime zu mobilisieren. Der Überfall der Wachmänner auf die Studenten war inszeniert, um die Protestbewegung anzufachen. Isaac sagte Joseph, sein Freund sei dabei verletzt worden. Deshalb gab Joseph ihm das Geld fürs Krankenhaus und die Erlaubnis, seinen Freund in dieses Haus zu bringen.

„Du darfst ihm auf keinen Fall sagen, dass du von Unbekannten auf der Straße verprügelt wurdest.“

Unter vier Augen sagt Joseph zu Isaacs Freund:

„Du bist nicht verpflichtet, hierzubleiben. Falls du dich zum Gehen entschließt, solltest du allerdings das Weite suchen, am besten sogar das Land verlassen und zu deiner Familie zurückkehren. Du weißt sicher selbst, dass diese Stadt ein schlechter Ort ist für junge Männer wie dich. Die Lage wird sich in den nächsten Wochen und Monaten weiter verschlechtern. Ich kann gern einem meiner Männer auftragen, dich in eine Stadt nahe der Grenze zu bringen; Isaac könnte dich bis dorthin begleiten. Und wer weiß? Wenn das alles hier vorbei ist, kannst du vielleicht zu ihm zurückkommen.“

Als der Namenlose sich fürs Bleiben entscheidet, fordert Joseph ihn auf, sich die Straßenkarte eines Elendsviertels einzuprägen.

Bald komme ein Fahrzeug, das mich an den Rand des betreffenden Viertels bringen werde. Danach müsse ich zu Fuß weiter, verkleidet als Obstverkäufer. Ein Karren sei bereits vorbereitet. Ich müsse ihn nur zu einem bestimmten Haus schieben, bevor die Sonne untergehe und die Ausgangssperre in Kraft trete. Zurückkehren könne ich am nächsten Morgen.

Nachdem der Namenlose den Obstkarren zu der angegebenen Adresse geschoben hat, wird er ins Innere des Hauses gezerrt und niedergeschlagen. Mit den im Obstkarren versteckten Waffen beginnen sieben Jungen, halbe Kinder noch, in dem Stadtviertel einen Krieg. Eine Chance haben sie nicht; der Reihe nach werden sie von Regierungssoldaten getötet. Die Aktion dient nur dazu, die Regierungstreuen abzulenken, damit Joseph unbemerkt Verstärkung aus Tansania bekommen kann.

Als Nächstes marschiert Joseph mit seiner Guerillagruppe in sein Heimatdorf, um es zu befreien. Isaac ist Oberst in dieser Befreiungsarmee. Auch der Namenlose kommt mit.

In einem anderen Dorf werden Isaac und sein Freund Zeugen, wie sich Flüchtlinge nähern: Männer, Frauen und Kinder. Die Dorfbewohner halten sie für eine Bedrohung, holen ihre Waffen und feuern wahllos auf die Menschen. Verletzte werden mit Macheten und Hacken getötet.

Der Namenlose sieht noch viele Tote. Irgendwo wird ein Massengrab ausgeschachtet.

Schließlich führt Isaac seinen Freund zu einem leer stehenden einstöckigen Haus aus Beton und Holz. Joseph, dem es gehört, versprach Isaac eines der Zimmer. Aber vorher soll Isaac in den USA studieren. Wenn er dann zurückkomme, so meint Joseph, hätten die Briten den Bürgerkrieg beendet und ihn zum Vizepräsidenten oder Premierminister ernannt. Isaac fährt fort:

„Leider wird es nicht dazu kommen. Er wird niemals Präsident werden, und es wird nie ein Haus mit genügend Zimmern geben, dass wir alle darin wohnen können.“

Erst später wurde mir klar, dass Isaac mir zu zeigen versuchte, wie viel er verlieren würde.

Der Namenlose soll in einem Hotelzimmer warten, während Isaac etwas mit Joseph zu besprechen hat. Als Joseph eintrifft, steht Isaac mit verschränkten Armen im Innenhof, als wäre er der auf seine Gäste wartende Hotelbesitzer. Kurz darauf schaut der Namenlose wieder aus dem Fenster. Joseph wird von Soldaten umringt, während seine Leibwächter sich in eine Ecke des Hofs zurückgezogen haben. Der Anführer der Männer erklärt Joseph etwas und streckt ihn dann mit einem Kopfschuss nieder.

Isaac kommt zu seinem Freund ins Zimmer.

„Es musste sein. Es ging nicht anders“, sagte er. Und weil ich wusste, dass er Joseph geliebt hatte, glaubte ich ihm.

Dann reicht Isaac ihm einen kenianischen Pass.

„Er enthält noch kein Foto“, erklärte er. „Darum musst du dich selbst kümmern, sobald du die Grenze überquert hast. Der Pass gehört jetzt dir.“
Auf der ersten Seite stand Isaacs Name, verbunden mit dem von Joseph: Isaac Mabira.

Isaac bekam die Papiere, Geld und ein Flugticket von Joseph. Nun reicht er alles an seinen Freund weiter, denn er wird in Uganda bleiben.

– – –

In Laurel/Maryland erhält die Sozialhelferin Helen von ihrem Büroleiter David den Auftrag, einem Afrikaner namens Isaac Mabira bei Behördengängen und dergleichen beizustehen.

David war selbst vor 18 Jahren zum Studieren nach Laurel gekommen – und geblieben. Helen ist 30 Jahre alt und noch nie weiter gereist als bis St. Louis.

Als ich Isaac kennenlernte, war ich schon fast eine „nicht mehr ganz so junge Frau“, wie meine Mutter es ausgedrückt hätte. Ihrer Ansicht nach machte mich mein fortgeschrittenes Alter verwundbar.

In Maryland gibt es zwar keine offizielle Rassentrennung mehr, aber als Helen mit dem Afrikaner in einen Diner geht, in dem sie noch nie einen Schwarzen sah, schickt der Inhaber die Bedienung mit der Frage zu ihr an den Tisch, ob sie das Essen mitnehmen wolle. Helen wird die von ihr selbst heraufbeschworene Situation nun doch unangenehm, aber Isaac sagt:

„Ich werde nicht einfach weglaufen. […] Ich bleibe und esse zu Mittag.“

Zwei Wochen nach ihrer ersten Begegnung küssen Helen und Isaac sich. Sie werden ein Paar, achten aber darauf, dass niemand etwas von der Liebesbeziehung erfährt.

Nachdem Helen ihren Schützling und Liebhaber monatelang durch die Stadt fuhr, sieht sie ihn zufällig zu einem Auto gehen und damit losfahren. Dass er nie fahren gelernt habe, war also gelogen. Wer ist dieser Afrikaner, über den kaum etwas in der Akte steht und der nichts von sich preisgibt? Helen argwöhnt, dass es sich um einen verdeckten Ermittler oder Spion handeln könnte.

Einmal, als sie ihn besuchen möchte, schickt er sie fort. Helen setzt sich wieder ins Auto und wartet. Aus Licht und Schatten an den Fenstern schließt sie, dass Isaac Besuch hat. Tatsächlich verlässt nach einiger Zeit ein älterer Herr das Haus und geht zu seinem Wagen. Helen drückt sich tief in den Sitz, aber der Fremde grüßt sie mit ihrem Namen, als er am geöffneten Seitenfenster vorbeigeht.

Dann kommt Isaac. Wer der Mann gewesen sei, fragt Helen.

Henry – so heißt er – besorgte Isaac ein Studentenvisum für ein Jahr und bat seinen Freund David, den Afrikaner zu betreuen. Als er den Immigranten damals vom Flughafen in St. Louis abholte, hatte er ein Foto von dessen Freund dabei und begriff rasch, dass der Ankömmling ein anderer war. Der Afrikaner erklärte ihm offen, dass Isaac aus eigenem Entschluss in Uganda geblieben sei und ihm die Papiere gegeben habe. Henry war von seinem ugandischen Freund Joseph gebeten worden, Isaac bei der Einreise in die USA zu helfen. Deshalb setzte er sich mit Kontaktpersonen in Kampala in Verbindung und erfuhr, dass Joseph Gerüchten zufolge für Massaker im Norden Ugandas verantwortlich gewesen und inzwischen tot sei. Isaac ist den Informationen zufolge Oberst einer von mehreren Befreiungsarmeen und hat mit zwei anderen Kämpfern zusammen ein Hilfsgesuch an die Britische Botschaft in Uganda gerichtet. Sie wollen sich ergeben, allerdings nicht der eigenen Regierung, sondern den Briten. An diesem Abend, so berichtet Helens Geliebter weiter, sei Henry eigens von St. Louis gekommen, um ihm die Nachricht vom Tod seines Freundes in Uganda zu überbringen.

Einige Zeit später lädt Isaac Henry und Helen zum Essen ein. Henry hört Helen aufmerksam zu, als sie von sich erzählt. Dann schildert er seine diplomatische Laufbahn und wie er Josephs Vater kennengelernt hatte. Als Isaac an diesem Abend im Bett nach einem Kondom greift, zieht Helen seinen Arm zurück und lässt auch nicht zu, dass er sich vor der Ejakulation aus ihr zurückzieht.

Sie schlägt vor, gemeinsam nach Chicago zu fahren. Bevor sie Laurel verlassen, halten sie noch vor dem Haus, in dem Helen mit ihrer Mutter Audrey wohnt, damit sie ein paar Sachen packen kann. Isaac soll eigentlich im Wagen sitzen bleiben, aber er steigt aus und wird von Audrey begrüßt.

In Chicago verabschieden sich Isaac und Helen schließlich. Aber sie versprechen sich ein Wiedersehen.

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Eine Hälfte des Romans „Unsere Namen“ spielt in Uganda, die andere in den USA. Von Kapitel zu Kapitel wechselt Dinaw Mengestu zwischen den beiden Schauplätzen und Ich-Erzählern: einem 24-jährigen Äthiopier und einer sechs Jahre älteren Amerikanerin. Der Afrikaner ist zunächst nicht nur heimat-, sondern auch namenlos. Er erzählt von blutigen Umsturzversuchen in Uganda in den Siebzigerjahren. Sein Freund Isaac und er schließen sich einer Gruppe von Aufständischen gegen das Regime von Idi Amin an. Aber sie hoffen vergeblich auf eine Verbesserung der Lage, zumal ihr Anführer schließlich Gräueltaten befiehlt. Der namenlose Ich-Erzähler wird auch Zeuge, wie Bewohner eines Dorfes eine Gruppe von Flüchtlingen töten, die sie für eine Bedrohung halten. Mit der Identität seines Freundes Isaac emigriert der Namenlose nach Amerika, und über diesen Teil der Geschichte berichtet die weiße Sozialarbeiterin Helen ebenfalls in der Ich-Form. Sie erfährt lange Zeit nichts über seine Vergangenheit, aber sie verliebt sich in ihn. Obwohl die Rassendiskriminierung offiziell in den Sechzigerjahren aufgehoben wurde, wird Helen von anderen Weißen angefeindet, wenn sie mit Isaac einen Diner aufsucht: Die US-Gesellschaft grenzt den entwurzelten Schwarzen aus.

Die Charaktere in „Unsere Namen“ werden von Dinaw Mengestu weder facettenreich noch tiefschürfend dargestellt. Wichtiger sind ihm offenbar die Umstände und die Beziehungen zwischen den Figuren. Er scheut zwar nicht vor grausamen Szenen zurück, setzt diese jedoch nicht zur Effekthascherei ein und hält sie dementsprechend auch knapp. Überhaupt schreibt Dinaw Mengestu ruhig, sachlich und unprätenziös.

Dinaw Mengestu wurde 1978 in Addis Abeba geboren. 1980 emigrierte die Mutter mit ihm und seiner Schwester in die USA. 2007 veröffentlichte er seinen Debütroman „The Beautiful Things That Heaven Bears“ / „Zum Wiedersehen der Sterne“. „How to Read the Air“ / „Die Melodie der Luft“ folgte 2010.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Verlag Kein & Aber

Bastian Sick - Happy Aua
Bei "Happy Aua", einem Bilderbuch von Bastian Sick "aus dem Irrgarten der deutschen Sprache", handelt es sich um eine recht vergnügliche Lektüre.
Happy Aua