Manfred Lütz : Bluff!

Bluff!
Bluff! Die Fälschung der Welt Originalausgabe: Droemer Verlag, Mäünchen 2012 ISBN: 978-3-426-27597-9, 189 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In seinem Buch "Bluff! Die Fälschung der Welt" behauptet Manfred Lütz, dass wir in verschiedenen Scheinwelten leben, Ersatzreligionen angehören, in unserer Wahrnehmung manipuliert werden und dies nicht immer durchschauen. Unsere Sicht der Welt sei v. a. durch das Milieu geprägt, in dem wir uns bewegen, schreibt Lütz. Wissenschaftsgläubigkeit hält er für Aberglauben, und die Geschichtsschreibung über die katholische Kirche für eine Fälschung ...
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Kritik

Im Plauderton wandert Manfred Lütz durch die verschiedene Themenbereiche. Einen systematischen Ansatz vermisst man ebenso wie eine eingehende Auseinandersetzung mit einem der angerissenen Gegenstände.
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In seinem Buch „Bluff! Die Fälschung der Welt“ behauptet Manfred Lütz, dass wir in verschiedenen Scheinwelten leben, Ersatzreligionen angehören, in unserer Wahrnehmung manipuliert werden und dies nicht immer durchschauen.

Der real existierende Sozialismus war so eine mit militärischen und geheimdienstlichen Mitteln aufrechterhaltene Fälschung der Welt.

„Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“, fragt Paul Watzlawick („Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen“, Piper Verlag 1976). Seit Immanuel Kant wissen wir, dass wir nicht das „Ding an sich“ erkennen, sondern nur Aspekte davon, und diese in vorgegebenen Anschauungs- und Denkformen. Halten wir Schattenbilder für die Wirklichkeit, wie die Menschen in Platons Höhlengleichnis? Leben wir in den Kulissen einer Reality Show wie Truman Burbank in „Die Truman Show“? Manfred Lütz weist auf zwei spektakuläre Beispiele hin, bei denen Fiktion und Wirklichkeit verwechselt wurden: die Übertragung einer von Orson Welles inszenierten Hörspielfassung des Romans „Der Krieg der Welten“ am 30. Oktober 1938 und „Das Millionenspiel“ am 18. Oktober 1970.

Um den Realitätssinn zu trüben, genügt bereits ein wenig Schlafmangel. Drogenabhängige versetzen sich absichtlich in eine Scheinwelt. Depressive leiden darunter, dass für sie alles düster aussieht.

Unsere Wahrnehmung wird durch das Milieu geprägt, in dem wir uns bewegen.

Das eigene Milieu mit seiner Ästhetik, mit seinen Überzeugungen und Meinungen wird für die eigentliche, für die richtige Welt gehalten. Alles andere hält man bestenfalls für absurd.

Die These dieses Buches, dass wir in einer gefälschten Welt leben, hat in den ominösen Sinusmilieus eine erste Unterstützung gefunden. Früher waren wir in unterschiedliche Stände, Klassen oder Konfessionen gespalten. Dagegen konnte man kämpfen und dagegen hat man gekämpft. Heute ist das alles scheinbar überwunden, wir sind angeblich alle gleich. Aber die Milieus, die wir uns geschaffen haben und die sich uns inzwischen mit einer gewissen Eigendynamik aufdrängen, trennen uns unerbittlicher als früher, und man kann dagegen noch nicht einmal ankämpfen, da die Grenzen unsichtbar sind.

Das Milieu ist nicht der einzige Faktor, der unsere Wahrnehmung beeinflusst.

Die Gesellschaft vermittelt uns darüber hinaus ganz viele Welten, die psychologisch einen erheblichen Einfluss ausüben und die Wahrnehmung verzerren, die Gleichgültiges oder gar Falsches groß herausstellen und Wahres und Wichtiges verstecken.

Beispielsweise wäre es falsch, wissenschaftliche Theorien für wahr zu halten.

Wissenschaftsgläubigkeit ist ein Aberglauben.

Die Welt bestehe aus mehr als Wellen oder Elementarteilchen, meint Manfred Lütz, und er hält auch nichts davon, das Denken oder gar die menschliche Psyche ausschließlich als Neurotransmitteraktionen im Gehirn begreifen zu wollen.

Das Weltbild der Psychoanalyse hält Manfred Lütz für falsch. Er plädiert stattdessen für die Verhaltenspsychologie, speziell für die systemische Therapie, als deren Begründer er Paul Watzlawick nennt (der allerdings nur einer von vielen war): Statt über störende Gewohnheiten zu reden und nach deren Ursachen etwa in der Kindheit zu suchen, schlagen Systemanalytiker eine Änderung des Kontextes bzw. der Perspektive vor, in Paul Watzlawicks Worten: einen Unterschied, der einen Unterschied macht. In der systemischen Therapie geht es also nicht um Ursachenforschung und Wahrheitsfindung, sondern um eine pragmatische Lösung.

Das Burn-out-Syndrom wird von Manfred Lütz als Beispiel für die Vorspiegelung eines gar nicht existierenden Phänomens durch unseriöse Wissenschaftler angeführt.

Das Burnout-Syndrom ist ein Mischmasch an Beeinträchtigungen, die mehr oder weniger jeder mal hat. Das reicht von Schlaflosigkeit bis zur völligen Überforderung, von psychosomatischen Symptomen bis zur tiefen Niedergeschlagenheit. Die Beschreibung ist aber so schwammig, dass von vagen Befindlichkeitsstörungen bis zur schweren Depression alles darunter verstanden werden kann.

Besonders schlecht ist Manfred Lütz auf geschäftstüchtige Personalberater zu sprechen, die Personalchefs zum Beispiel vor Bewerbern warnen, die ihre Arme verschränken, und parallel dazu den Teilnehmern eines Bewerbertrainings davon abraten, die Arme im Vorstellungsgespräch zu verschränken. Durch so einen Bluff entstehe eine Scheinwelt, meint Manfred Lütz.

In Kunst, Musik, Literatur, Theater und Kino werden fiktive Welten erschaffen, die wir nicht mit der Wirklichkeit verwechseln dürfen.

Ob nun Hörfunk, Fernsehen, Film oder „neue Medien“, ob Bühnenauftritte, Zeitungen oder Bücher, überall werden künstliche Welten produziert, die nicht vor allem wahr, sondern vor allem unterhaltsam und gut verkäuflich sind oder die sogar aktiv zu irgendwelchen lauteren oder unlauteren Zwecken gefälscht werden.

Besonders skeptisch steht Manfred Lütz dem Internet gegenüber, in dem – so seine Darstellung – „hemmungslose“ Firmen die Benutzer „bespitzeln“, damit sie diesen in der Werbung eine auf ihre Vorlieben zugeschnittene Welt vorgaukeln können.

Wenn bei Google, Amazon und anderen Internetfirmen genau beobachtet wird, was wir da so anschauen und tun, dann wissen die mehr als die Gestapo und die Stasi zu ihren besten Zeiten.

Der Werbung sei es gelungen, das Weihnachtsfest seines christlichen Inhalts zu berauben und für die Advents- und Weihnachtszeit einen Kaufrausch zu erzeugen. Die Schönheitsindustrie treibe uns mit am Computer gefälschten Fotos von Models in einen Schönheitswahn, meint Manfred Lütz, und der Fitnesswahn sei zur „Gesundheitsreligion“ geworden.

Überdeutlich ist die Abkoppelung von Schein und Wirklichkeit in der Finanzwelt, die mehr von psychologischen Faktoren als von der Realwirtschaft bzw. ökonomischen Analysen getrieben wird.

Manfred Lütz weist auch auf die Gefahr hin, dass die berufliche Perspektive unserer Sicht der Welt prägt. Da entarte beispielsweise die Jagd nach Erfolg im Guinessbuch der Rekorde. Ebenso bedenklich sei es, wenn ein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung zum Lebensinhalt werde, meint Manfred Lütz und nennt als Beispiel die Verehrung von „Fußballgöttern“.

Das Thema Religion nimmt in „Bluff! Die Fälschung der Welt“ einen breiten Raum ein. Manfred Lütz behauptet, die Geschichtsschreibung über das Christentum sei eine Fälschung. Das klingt dann so:

Die Kreuzzüge […] waren ein höchst problematisches Projekt unter der Leitung von deutschen Kaisern und europäischen Königen. Deutsche haben dabei schreckliche Gräueltaten verübt. Doch kein deutscher Bundespräsident stellt sich diesem Thema, denn es gilt das Motto: Kein einziger Deutscher hat sich an den Kreuzzügen beteiligt, es waren alles Katholiken!

Manfred Lütz hält Papst Alexander VI. Borgia für ein Opfer von Verleumdungen und behauptet, die „absurden Sexgeschichten“ über ihn habe sein „hexengläubiger kleingeistiger Sekretär Johannes Burckard“ frei erfunden.

In „Bluff! Die Fälschung der Welt“ schildert Manfred Lütz, wie Francesco Albizzi (1593 – 1684), der Leiter des Heiligen Offiziums in Rom, 1635 in Begleitung eines Kardinals nach Deutschland reist und die beiden Herren über den Hexenwahn entsetzt sind.

Dieser germanische Furor widersprach nach Auffassung der beiden feinsinnigen und gebildeten italienischen Theologen allen christlichen Prinzipien. Hexenglaube war germanischer Aberglaube, die Spanische Inquisition hatte mit Strenge jede Hexenverfolgung unterbunden. Doch in Deutschland gab es niemanden, der dem barbarischen Hexenwahn Einhalt gebot. Erschüttert kehrten die beiden nach Rom zurück.

Wo die Inquisition Einfluss hatte, gab es keine Hexenverfolgung. Die Forschung ist sich inzwischen darüber im Klaren, dass Hexenverfolgung ein mitteleuropäisches und da insbesondere ein deutsches Phänomen war, dass sich Katholiken und Protestanten dabei gleichermaßen schuldig machten, und es war vor allem die weltliche Gerichtsbarkeit, die die Verfahren vorantrieb.

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In einem Interview kommentiert Manfred Lütz sein Buch „Bluff! Die Fälschung der Welt“ folgendermaßen:

[…] ich finde, dass es schon etwas Dramatisches hat, wenn wir große Teile unseres Lebens in künstlichen Welten verbringen und unser eigentliches Leben, unser existenzielles Leben, verpassen. Die Wissenschaftswelt, die Psychowelt, die Medienwelt, die Finanzwelt, das sind außerordentlich nützliche Welten, und wir können gar nicht vermeiden in ihnen zu leben. Falsch werden diese Welten erst dann, wenn sie uns glauben machen, die wirkliche Welt zu sein, gegenüber der unser eigenes Leben nebensächlich oder gar irreal erscheint. (Manfred Lütz im Interview mit Frank Schmiechen, Welt am Sonntag, 22. September 2012)

Warum Manfred Lütz gerade die genannten Beispiele und keine anderen für sein Buch „Bluff! Die Fälschung der Welt“ ausgewählt hat, erfahren wir nicht. Er hätte sich auch mit dem Justizwesen beschäftigen können, denn der Glaube, bei der Rechtsprechung gehe es um Wahrheit und Gerechtigkeit entspricht nicht der Wirklichkeit. Der Autor wandert kreuz und quer durch die von ihm ausgesuchten Themenbereiche. Einen systematischen Ansatz sucht man ebenso vergeblich wie eine eingehende Auseinandersetzung mit einem der angerissenen Gegenstände. Das zur Ratgeberliteratur zählende Buch ist im Plauderton geschrieben, und wir lesen mitunter nett formulierte Binsenwahrheiten:

Im besten Fall wissen sie [Experten] alles von so gut wie nichts – während das alte Mütterchen im Grunde fast nichts von allem weiß.

Manfred Lütz formuliert einiges überspitzt, beispielsweise wenn er behauptet, manche würden Casting Shows mit dem Jüngsten Gericht verwechseln. Die eine oder andere Passage ist hanebüchen, etwa die in keiner Weise begründete Unterstellung, Marilyn Monroe habe sich wegen John F. Kennedy das Leben genommen. Polemisch wird Manfred Lütz, wenn es um die katholische Kirche geht, einem in „Bluff! Die Fälschung der Welt“ übergewichteten Thema, bei dem der Autor genau das tut, wovor er warnt: Er blufft.

Das Buch „Bluff! Die Fälschung der Welt“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Manfred Lütz (Regie: Oliver Versch, Berlin 2012, 350 Minuten, ISBN 978-3-8398-1226-6).

Manfred Lütz kam am 18. März 1954 in Bonn als Sohn eines gleichnamigen Vaters und dessen Ehefrau Mechthildis, einer geborenen Freiin von Quernheim, zur Welt. Er studierte in Bonn und Rom Medizin, Philosophie und katholische Theologie. 1979 erhielt Manfred Lütz die Approbation als Arzt, zwei Jahre später promovierte er in Medizin, und im Jahr darauf schloss er das Theologiestudium mit dem Diplom ab. 1981 gründete er „Brücke-Krücke“, eine der Katholischen Fachstelle für Jugendhilfe und Jugendpastoral in Bonn angeschlossene integrative Gruppe behinderter und nicht behinderter Jugendlicher und junger Erwachsener. Er arbeitete zunächst als Facharzt für Nervenheilkunde und wurde dann Psychiater und Psychotherapeut. 1995 heiratete Manfred Lütz Isabella Prinzessin zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. Seit 1997 leitet er das Alexianer-Krankenhauses in Köln-Porz. Der Diplom-Theologe ist Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien, Mitglied im Direktorium der Päpstlichen Akademie für das Leben und Berater der Vatikanischen Kleruskongregation. Außerdem schrieb Manfred Lütz mehrere Bestseller:

  • Der blockierte Riese. Psycho-Analyse der katholischen Kirche (Pattloch 1999)
  • Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (Pattloch2002)
  • Gott. Eine kleine Geschichte des Größten (Pattloch 2007)
  • Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde (Gütersloher Verlagshaus 2009)
  • Lebenslust in unlustigen Zeiten (Pattloch 2010)
  • Bluff! Die Fälschung der Welt (Droemer 2012)
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Droemer Verlag

Manfred Bieler - Der Bär
Manfred Bieler porträtiert einen Mann, der seine Schwächen und Fehler hat, aber zu seinen Überzeugungen steht. Er entwickelt die fesselnde Geschichte chronologisch, ruhig und ohne Blendwerk. "Der Bär" ist ein gediegener Roman. Die anschauliche, lebendige Sprache passt zur Hauptfigur, aus deren Perspektive die Ereignisse und Entwicklungen dargestellt sind.
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