Konrad Lorenz : Die Rückseite des Spiegels

Die Rückseite des Spiegels
Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens Piper Verlag, München 1973 Taschenbuchausgabe: dtv 1977
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach einer kurzen Darlegung seiner erkenntnistheoretischen Position ("hypothetischer Realismus") beschreibt Konrad Lorenz, wie sich im Verlauf der Evolution verschiedene kognitive Funktionen entwickelten, die schließlich im menschlichen Erkenntnisapparat zusammengefasst wurden.
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Kritik

Es liegt in der Natur des Themas, dass "Die Rückseite des Spiegels" schwieriger zu verstehen ist, als die populärwissenschaftlichen Bücher, die Konrad Lorenz über die Verhaltensforschung schrieb, aber die Abhandlung ist auch für Laien ohne weiteres verständlich.
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Konrad Lorenz beschreibt in diesem Buch „die Rückseite des Spiegels“, nämlich den Bau und und die Phylogenese kognitiver Mechanismen. Philosophisch nimmt er dabei die Haltung eines „hypothetischen Realismus“ ein und verweist darauf, dass „der physiologische Apparat, dessen Leistung im Erkennen der wirklichen Welt besteht, nicht weniger wirklich [ist] als sie.“

Dem philosophisch unvorbelasteten Menschen erscheint es völlig abwegig, zu glauben, dass die alltäglichen Gegenstände unserer Umwelt nur durch unser Erleben Realität erhalten. Jeder gesunde Mensch glaubt, dass die Möbel auch dann in seinem Schlafzimmer stehen, wenn er selbst zur Tür hinausgegangen ist. Der Naturforscher, der von der Evolution weiß, ist fest von der Wirklichkeit der Außenwelt überzeugt: Selbstverständlich hat unsere Sonne äonenlang geschienen, ehe es Augen gab, sie zu sehen. Dasjenige, was hinter unserer Anschauungsform des Raumes steckt, oder die Erhaltungssätze, die uns in Form unserer Kategorie der Kausalität erfahrbar werden, existieren vielleicht seit Ewigkeit, was immer Ewigkeit sein mag. Die Vorstellung, dass all dieses Große und vielleicht Unendliche erst dadurch Realität erhalten soll, dass die Eintagsfliege Mensch etwas davon merkt, erscheint dem Naturverbundenen nicht nur abstrus, sondern geradezu blasphemisch, wobei der „Naturverbundene“ ebensogut ein Bauer wie ein Biologe sein kann.

Konrad Lorenz geht wie Hoimar von Ditfurth davon aus, dass der menschliche Geist nicht vom Himmel fiel, sondern sich im Verlauf der Evolution herausbildete. Die meisten Komponenten des menschlichen Erkenntnisapparates sind nicht spezifisch menschlich, sondern auch im Tierreich zu beobachten. Bevor Konrad Lorenz auf die Stufen dieser Entwicklung näher eingeht, weist er auf eine verblüffende Erkenntnis hin:

Die wunderbarste Leistung des Lebendigen und gleichzeitig diejenige, die einer Erklärung am meisten bedarf, besteht darin, dass es sich, in scheinbarem Widerspruch gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, in der Richtung vom Wahrscheinlicheren zum Unwahrscheinlicheren, vom Einfacheren zum Komplexeren, von Systemen niedriger zu solchen höherer Harmonie entwickelt. Es gibt indessen keine Verstöße gegen die allgegenwärtigen Gesetze der Physik, und auch der zweite Hauptsatz der Wärmelehre wird vom Lebendigen nicht durchbrochen.

Ein früher und grundlegender Teil des Erkenntnisapparats ist die arterhaltende Anpassung des Genoms an die Umwelt und ihre Veränderungen.

Weil das ein schwerfälliger Prozess ist, benötigen lebende Systeme außerdem physiologische Mechanismen, die ihr inneres Gleichgewicht trotz rasch wechselnder Umweltbedingungen aufrechterhalten. Diese im Genom verankerten (also nur über Generationen hinweg modifizierbaren) Mechanismen nehmen Informationen aus der Umwelt auf, verwerten sie augenblicklich, speichern sie aber nicht.

Beispiele sind durch Reize ausgelöste Bewegungen von Amöben, topische bzw. phobische Reaktionen, angeborene Auslösemechanismen und arteigene Triebhandlungen.

Daneben gibt es unbewusste Funktionen, die das Verhalten mehr oder weniger dauerhaft ändern und Informationen speichern: Prägung, Traumata, die Bahnung motorischer und die Sensitivierung rezeptorischer Vorgänge durch Übung, Dressur durch Belohnung u.a. „Alles Lernen ist eine teleonome Modifikation jener physiologischen Mechanismen, deren Funktion das Verhalten ist.“

Eine gewisse Stabilität ergibt sich erst, wenn der Erkenntnisapparat in der Lage ist, zu abstrahieren und ein Objekt unabhängig von zufällig verschiedenen Bedingungen (Beleuchtung, Lage im Raum) zu identifizieren, also Essenzielles von Akzidentellem zu unterscheiden. Damit beginnt das begriffliche Denken.

Wenn vor dem eigenen Handeln das Sammeln von Informationen über die Umwelt durch die Sinnesorgane möglich sein soll, muss ein Gedächtnis dazwischengeschaltet sein. Das gilt in besonderem Maße für den Fall, dass dem aktiven motorischen Vollzug ein probeweises Handeln in der Vorstellung vorangeht. Diese Möglichkeit, Handlungsvarianten erst einmal gedanklich durchzuspielen, ist der Beginn des Denkens.

Im menschlichen Geist, so Konrad Lorenz, sind alle diese Funktionen auf einer höheren Ebene integriert. Aber noch einmal: Diese Integration ist das Ergebnis der Evolution und setzt die Entwicklungsschritte von der Amöbe bis zum Affen voraus.

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Konrad Lorenz beschreibt in diesem Buch den menschlichen Erkenntnisapparat – „die Rückseite des Spiegels“ – als Ergebnis der Evolution. Der Geist fiel also nicht vom Himmel (Hoimar von Ditfurth), sondern besteht aus vielen auch im Tierreich vorkommenden Teilfunktionen.

Es liegt in der Natur des Themas, dass „Die Rückseite des Spiegels“ schwieriger zu verstehen ist, als die populärwissenschaftlichen Bücher, die Konrad Lorenz über die Verhaltensforschung schrieb (z.B.: „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“; „So kam der Mensch auf den Hund“), aber mit ein wenig Geduld ist die Abhandlung auch für Laien ohne weiteres verständlich und aufschlussreich.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 / 2008
Textauszüge: © Piper

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