Inge Löhnig : So unselig schön

So unselig schön
So unselig schön Originalausgabe: Ullstein Taschenbuch, Berlin 2011 ISBN: 978-3-548-28208-4, 431 Seiten List Taschenbuch, Berlin 2017 ISBN 978-3-548-61359-8, 431 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Vicki, eine 22-jährige Azubi, die als Kind tagelang neben ihrer toten Mutter ausharrte, stößt in einer Brauerei-Ruine auf die geköpfte Leiche einer jungen Frau, die nur mit einem rosafarbenen Strumpf bekleidet ist. Als Kommissar Dühnfort, der die Ermittlungen leitet, von einem ähnlichen, sechs Jahre alten und bisher nicht aufgeklärten Fall erfährt, befürchtet er, dass es sich beim Täter um einen Serienmörder handelt. Kann Dühnfort ihn fassen, bevor er erneut zuschlägt?
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Kritik

"So unselig schön" ist ein von Inge Löhnig aus zahlreichen Einfällen souverän aufgebauter spannender Whodunit-Psychothriller mit farbigen Charakteren.
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Viktoria („Vicki“) Senger war sechs Jahre alt, als ihre Mutter Hermine mit ihr in die Berge fuhr und sie sich in einer Hütte einquartierten. Eines Morgens lag die erst zweiundzwanzig Jahre alte Hermine Senger tot in ihrem Erbrochenen. Das Kind wusste nicht, was es tun sollte. Wasser konnte Vicki am nahen Bach trinken, aber zu essen gab es nichts außer Knäckebrot und Rosinen. Die Verwesung der Leiche schritt in der Sommerhitze rasch voran. Der Anblick und der Gestank waren unerträglich, aber es dauerte Tage, bis das Kind die Hütte verließ und einen Weg ins Tal suchte.

Vicki wurde von ihrer Großmutter Traudl in München aufgenommen, die ihr im Lauf der Zeit erklärte, Hermine sei seit ihrer Jugend nicht nur alkoholkrank und tablettensüchtig, sondern auch drogenabhängig gewesen und an einer Überdosis gestorben. Als Vicki nach ihrem Vater fragte, erklärte ihr die Großmutter, Hermine sei sich darüber selbst nicht klar gewesen, denn um Drogen kaufen zu können, habe sie sich prostituiert. – Sechs Jahre lang lebte Vicki bei ihrer Großmutter, dann rutschte diese auf einem vereisten Gehsteig aus und starb an einer Hirnblutung.

Daraufhin kam das zwölfjährige Kind zu einer Pflegefamilie und später in das Jugendheim St. Michael im Münchner Stadtteil Ramersdorf. Sobald Vicki volljährig war, also mit achtzehn, zog sie dort aus. Sie trampte ins Ausland, verbrachte einige Zeit in Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam, London, Dublin und Paris. In der französischen Hauptstadt verliebte sie sich in Adrian, einen Philosophie- und Literatur-Studenten mit einem Erasmus-Stipendium. Das Glück währte nur gut fünf Wochen lang. Dann lief Adrian in der Metro-Station Châtelet an der Bahnsteigkante auf sie zu, stolperte vor ihren Augen über den Roller eines kleinen Jungen und stürzte vor die einfahrende U-Bahn. Er war sofort tot.

Vicki kehrte nach München zurück. Sie trieb sich herum, lebte auf der Straße und wurde mehrmals wegen Kaufhausdiebstählen, Sachbeschädigungen und Prügeleien von der Polizei aufgegriffen.

Im Sommer letzten Jahres nahm sie sich vor, neu anzufangen. Seither macht sie eine Ausbildung zur Reisekauffrau bei Clara Mohn in deren Reisebüro in Ottobrunn. In einem aufgegebenen und umgebauten Bauernhof hat sie eine kleine Wohnung gemietet. Ehrenamtlich engagiert Vicki sich für das St.-Michael-Haus in Ramersdorf und sammelt Geldspenden. Damit soll es vier traumatisierten Kindern ermöglicht werden, an einer Reittherapie teilzunehmen. Kandidaten sind der vom Vater missbrauchte Nico, die in der Wohnung ihrer alkoholkranken Mutter beinahe verhungerte Sabrina, die vom Stiefvater fast tot geprügelte Jessica und Peter, dessen Mutter sich vor seinen Augen erhängte.

In ihrer Freizeit fotografiert Vicki in alten Industrieanlagen. Urban Exploring nennt man das, aber Vicki zieht die Bezeichnung Stadtromantikerin vor.

Am Montag, den 7. Juni, steigt die Zweiundzwanzigjährige durch ein Fenster in eine stillgelegte Brauerei in Solalinden. Sie war bereits am Samstag da, aber als das Licht für die Aufnahmen zu schlecht wurde, brach sie das Fotografieren ab. Nun macht sie weiter. Bald ist der Speicherchip in der Kamera voll. Sie ersetzt ihn durch einen anderen. Aus dem Sudkessel haben Diebe ein großes Stück Kupfer herausgeschnitten. Er ist nicht mehr leer, wie am Samstag. Vickis Blick fällt auf einen blauen Müllsack und eine Rolle aus schwarzer Teichfolie, aus der eine Hand mit rosa lackierten Fingernägeln heraushängt.

Entsetzt alarmiert sie die Polizei.

Assistiert von Alois Fünfanger und Gina Angelucci, leitet Kriminalhauptkommissar Konstantin („Tino“) Dühnfort von der Mordkommission in München die Ermittlungen.

Dühnfort ist Anfang vierzig. Um nicht den Automatenkaffee im Polizeipräsidium in der Ettstraße trinken zu müssen, hat er sich fürs Büro eine Espresso-Maschine gekauft. In seiner Wohnung in der Pestalozzistraße steht selbstverständlich auch eine. Nicht nur beim Kaffee, auch beim Wein und beim Essen legt Dühnfort Wert auf guten Geschmack. Seine Beziehung mit Agnes Gaudera ging vor einiger Zeit in die Brüche, weil die verwitwete, in Mariaseon wohnende Grafikerin im Gegensatz zu ihm keine Kinder wollte. Die beiden sind jedoch nach wie vor befreundet, und Dühnfort überlegt des Öfteren, ob er es nicht noch einmal mit Agnes versuchen sollte. Inzwischen fühlt er sich jedoch auch zu Gina Angelucci hingezogen, und es ist kaum zu übersehen, dass sie in ihn verliebt ist. Vor einem Liebesverhältnis mit ihr schreckt er allerdings zurück, denn falls es scheitern würde, könnte er nicht länger mit ihr zusammenarbeiten. Außerdem fühlt Dühnfort sich ihr gegenüber schuldig, denn im letzten Oktober wäre sie seinetwegen beinahe ums Leben gekommen. Beim Segeln auf dem Starnberger See war er infolge eines Anfängerfehlers vom Großbaum getroffen worden und drohte zu ertrinken. Gina versuchte ihn zu retten, aber er klammerte sich in seiner Todesangst so an sie, dass er sie mit in die Tiefe gezogen hätte, wenn nicht sein Freund Schorsch im letzten Augenblick zu Hilfe gekommen wäre.

Frank Buchholz, der Leiter der Spurensicherung, schlägt die Teichfolie zurück. Bevor er die Leiche ganz ausgewickelt hat, merkt Dühnfort, dass der Kopf fehlt. Der befindet sich in dem blauen Müllbeutel. Bei der Toten handelt es sich um eine schlanke junge Frau mit schönem Gesicht und prächtigem dunklen Haar. Bis auf einen rosafarbenen Strumpf am linken Bein ist sie nackt. Die Rechtsmedizinerin Dr. Ursula Weidenbach stellt rasch fest, dass das Opfer erdrosselt wurde. Danach öffnete der Mörder offenbar die Halsvene der Toten und ließ sie ausbluten, bevor er den Kopf mit einem scharfen Messer sauber abtrennte. Das geschah nicht am Fundort, denn das viele Blut hätte deutliche Spuren hinterlassen. Dühnfort fragt sich, warum der Mörder die Leiche in die Brauerei-Ruine schleppte, statt sie im nahen Wald zu verscharren. Jedenfalls lässt sich daraus auf einen kräftigen Mann schließen. Dass neben der Leiche ein toter Schmetterling der Gattung Trauermantel liegt, ist bestimmt kein Zufall.

Erst am nächsten Tag überspelt Vicki die Fotos vom vollen Speicherchip auf ihren Computer. Der Polizei hatte sie nur die Speicherkarte aus der Kamera übergeben. Dass sie diese kurz zuvor ausgewechselt hatte, blieb ihr Geheimnis. Auf einer Aufnahme vom Samstag ist am Boden etwas zu sehen, was auf den Fotos vom Montag fehlt. Es sieht aus wie eine Ansichtskarte. Offenbar nahm jemand sie weg. Nach einer entsprechenden Bildbearbeitung lässt sich erkennen, dass die Karte vom Hotel Atlantic Kempinski in Hamburg stammt. Jemand hat mit Kugelschreiber darauf geschrieben: „Buthler, 19 Uhr“.

Weil keine der Vermisstenmeldungen zu der Toten passt, lässt Dühnfort ein Foto veröffentlichen. Daraufhin meldet sich am 9. Juni Nico Hähnel, ein Bäcker in Vaterstetten, bei der Polizei. Die Ermordete war bis vor einiger Zeit seine Freundin. Sie hieß Nadine Pfaller. Der Hausmeister Jürgen Zenner sperrt Dühnfort das Apartment auf, in dem sie wohnte. Aus einer noch geöffneten E-Mail auf dem PC geht hervor, dass Nadine am letzten Samstag um 20 Uhr im Restaurant Gandl am St.-Anna-Platz mit einem „Mark“ verabredet war.

Ihr Fahrrad wird an der S-Bahn-Station Vaterstetten gefunden. Sie scheint also tatsächlich in die Stadt gefahren zu sein. Meo Klein, ein Computerspezialist der Polizei, ermittelt einen Mann namens Volker Siersch als Absender der Mail. Er arbeitet als Location Scout für Film und Fernsehen und betreibt mit seiner Ehefrau Cornelia zusammen ein Büro in München. Dühnfort sucht ihn dort auf. Siersch gibt zu, auf ein Abenteuer mit Nadine aus gewesen zu sein, die er kurz zuvor in einem Chat Room kennengelernt hatte. Aber er habe im Restaurant Gandl vergeblich auf sie gewartet, beteuert er. Und das Personal bestätigt, dass er am Samstagabend eine Stunde lang allein an einem für zwei Personen reservierten Tisch saß.

Johannes Schack, ein Beamter aus dem bayerischen Ministerium für Landwirtschaft und Forsten, gibt zu Protokoll, dass er am Samstagabend gesehen habe, wie die in der Zeitung abgebildete Frau in der Galeriestraße zu einem Mann ins Auto stieg. Es sei ein silberfarbener Jaguar XK Coupé mit Münchner Kennzeichen gewesen.

Die Auswertung einer Überwachungskamera ergibt, dass Nadine um 20.08 Uhr aus der U-Bahn-Station Odeonsplatz kam und den Ausgang zur Galeriestraße benutzte.

Es gibt neunundzwanzig Autos, die der Beschreibung entsprechen. Die Fahrzeughalter werden überprüft. Zwei von ihnen sind befreundet und geben sich gegenseitig ein Alibi: René Fuhrmann und Jobst Wernegg behaupten, am Samstagabend bis etwa halb neun Uhr bei einer Finissage in der Galerie von Wiebke Klee gewesen zu sein. Diese Angabe wird auch von der Galeristin bestätigt. Allerdings stellt sich bei der Befragung von René Fuhrmann und Wiebke Klee heraus, dass die beiden sich nicht an die genaue Uhrzeit erinnern konnten, sondern diese telefonisch von Jobst Wernegg genannt bekamen.

René Fuhrmanns Vater war Autoverkäufer, bis er selbst einen Laden eröffnete und eine Kette von Autohäusern gründete. Nach dem Abitur in einem Internat am Ammersee studierte René Medizin in Heidelberg und ließ sich später als Schönheitschirurg in München nieder. Vor sechs Jahren heiratete er Verena Wiechers, die Tochter eines berühmten Herzchirurgen. Dass sie ihn mit einem Mann namens Lucas Schwinn betrügt, nimmt ihn schwer mit.

Jobst Wernegg wurde 1976 in München geboren. Seine Mutter Susanne war damals vierundzwanzig, sein Vater Jesko Wernegg dreißig Jahre älter. Als Jobst sechs Jahre alt war, erlag der Professor für Kunstgeschichte einem Herzinfarkt. Die Witwe heiratete zwei Jahre später Claus-Peter Schwendt, einen deutlich älteren Generalmajor der Luftwaffe, gegen den Jobst rebellierte. Mit acht wurde der Junge deshalb in das Internat am Ammersee geschickt, das auch René Fuhrmann besuchte. Stefanie Karg, eine ältere Schwester von Jobsts Mutter, unterrichtete dort. Nach dem Abitur und einer Banklehre studierte Jobst in München Betriebswirtschaft. Von Frühjahr 2004 bis Sommer 2005 soll er als Gaststudent in Australien gelebt haben. Danach fing er in der Personalabteilung eines Versicherungskonzerns in München an. Seine Mutter kam zusammen mit ihrem dritten Ehemann bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Weil sie erst einige Stunden nach Karl starb, und sie ihn deshalb beerbte, bekamen die Verwandten des ehemaligen Unternehmers nur Pflichtanteile des Millionenvermögens; der Löwenanteil fiel an Jobst, den Alleinerben seiner Mutter. Damit gründete er die Susanne-Karg-Stiftung für wohltätige Zwecke.

Dühnfort erfährt von der im November 2004 in Düsseldorf aufgefundenen Leiche einer wohl schon im Juli ermordeten dreiundzwanzigjährigen Prostituierten namens Svenja Lenhard. Auch in diesem Fall war der Kopf der nur mit einem rosafarbenen Strumpf bekleideten Toten vom Rumpf getrennt worden, allerdings nicht fachmännisch mit einem Messer wie bei Nadine Pfaller, sondern mit mehreren Beilhieben. Die Polizei konnte den Mord bis heute nicht aufklären.

Dühnfort fliegt am 10. Juni nach Düsseldorf und wird von der Kriminalhauptkommissarin Susanne Henke am Flughafen abgeholt. Sie zeigt ihm den Fundort der Leiche, berichtet über die Ermittlungsergebnisse und gibt ihm die Akten mit. Als Hauptverdächtiger galt damals der siebenundzwanzigjährige Kunststudent Bruno Lichtenberg, der als letzter Freier mit Svenja Lenhard zusammen gesehen worden war. Nachweisen konnte ihm die Polizei allerdings nichts. Vor fünf Jahren setzte er sein Studium in Los Angeles fort, und danach verlor sich seine Spur.

Vicki googelte noch am 9. Juni nach „Buthler Hamburg“. So stieß sie auf Serge Buthler, den Betreiber eines Auktionshauses in Hamburg. Weil die letzte Versteigerung am 28. Mai unter dem Titel „Natura morta. Vanitas. Stilleben des 17. Jahrhunderts aus Italien, Deutschland und den Niederlanden“ stattfand, gibt Vicki sich in einem Telefongespräch mit Serge Buthler als Münchner Gymnasiastin Viktoria Mohn aus und behauptet, im Leistungskurs Kunst eine Facharbeit über die Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts schreiben zu wollen. Er schickt ihr eine Literaturliste und verweist sie an einen Münchner Bekannten namens Jobst Wernegg, der ihr gewiss weiterhelfen könne.

Dass es sich bei Jobst Wernegg um den Gründer der Susanne-Karg-Stiftung handelt, findet Vicki im Internet heraus. Sie hat zwar keinen Bedarf an fachlicher Unterstützung, aber sie sieht eine Chance, einen Sponsor für die geplante Reittherapie gewinnen zu können. Deshalb wählt sie die Telefonnummer der Stiftung, nennt der Sekretärin Katja Schön ihren richtigen Namen und bekommt einen Termin am 11. Juni.

Jobst Wernegg empfängt sie, erkundigt sich nach dem Vorhaben und stellt ihr die Kostenübernahme für die Therapie der vier Kinder in Aussicht.

Bei der telefonischen Befragung ehemaliger Kommilitonen von Bruno Lichtenberg stößt Gina Angelucci auf Serge Buthler in Hamburg. Von ihm erfährt sie, dass der Maler inzwischen unter dem Künstlernamen Carne wieder in Deutschland lebt, und zwar auf einem ehemaligen Bauernhof in der Nähe von Aying.

Sie fährt am 12. Juni mit Konstantin Dühnfort zu dem Anwesen.

Das Erste, was Dühnfort auffiel, war die Höhe des Raums, aus dem die Zwischendecke entfernt worden war […] In der Luft lag ein Geruch nach Terpentin, Ölfarbe und Malmittel; links von Dühnfort lehnte ein überdimensionales Gemälde an der Wand. Die dominierenden Farben waren Blutrot, Schwarz und Weiß in verschiedensten Abstufungen. Das Bild war in groben Strichen gemalt, die wie rasend auf die Leinwand geworfen wirkten und den aufgebrochenen Körper einer geschlachteten Kuh darstellten. Kopfüber hing er an Ketten von der Decke, der Bauchraum ausgeweidet. Weiße Rippen, rotes Fleisch, helle Sehnen, eine Lache Blut auf dem Boden, in der etwas lag. Dühnfort erschauerte, als er erkannte, was es war: ein nacktes Kind, das dem Betrachter den Rücken zuwandte und über und über mit Blut besudelt war.
Gina stöhnte leise. „Ich glaub es nicht.“

Der athletisch gebaute Künstler war ein Einzelkind. Seine Eltern betrieben eine Metzgerei im Bergischen Land. Weil Bruno die Tiere leid taten, wollte er ab dem sechsten Lebensjahr kein Fleisch mehr essen, aber sein tyrannischer Vater zwang ihn dazu und übergoss ihn beim Schlachten mit Blut. Einmal musste Bruno sich in eine Rinderhälfte legen, und der Vater klappte die andere darüber. Seine Mutter war zu schwach, um ihrem Mann Einhalt zu gebieten. Mit sechzehn begann Bruno im Familienbetrieb eine Metzgerlehre. Einige Jahre später zerfetzte sich sein Vater einen Arm in einem defekten Fleischcutter und verblutete. Seine Frau nahm sich daraufhin das Leben [Suizid]. Bruno Lichtenberg verkaufte die Metzgerei. In einem Bordell lernte er den an der Akademie in Düsseldorf lehrenden Kunstprofessor Thorben Maguhn kennen, der ihn trotz des fehlenden Abiturs als Studenten annahm. Mit einem Stipendium ging Bruno nach ein paar Semestern in die USA. Schließlich begann er sich Carne zu nennen und die traumatischen Kindheitserlebnisse künstlerisch zu verarbeiten. Der schwächliche Bruno Lichtenberg ist für ihn tot.

Am Samstag sei er bei einer Fritz-Lang-Nacht im Münchner Filmmuseum gewesen, behauptet er.

Nachdem Vicki lang mit sich gerungen hat, schickt sie Gina Angelucci am 12. Juni per E-Mail einige der Fotos, die sie am Samstag vor dem Leichenfund in der Brauerei-Ruine in Solalinden gemacht hatte. Sie geht davon aus, dass der Polizei die auf dem Boden liegende Karte auffallen wird.

Das geschieht tatsächlich. Dühnfort ruft denn auch im Hotel Atlantic Kempinski in Hamburg an. Er will eine Liste von Namen mailen und bittet um Auskunft darüber, ob einer der Herren im Hotel übernachtete. Die Angestellte, mit der er spricht, weist ihn darauf hin, dass kürzlich eine Mitarbeiterin eines Reisebüros in München anrief und sich unter einem Vorwand nach Gästen erkundigte. Dühnfort ahnt sofort, dass es Viktoria Senger war. In einem Telefongespräch beschuldigt er sie, Beweismittel zurückgehalten zu haben, weil sie ihm nicht sofort alle in der Brauerei in Solalinden aufgenommenen Fotos übergab, und er warnt sie davor, in dem Mordfall eigene Ermittlungen anzustellen.

Am 13. Juni besichtigt Jobst Wernegg das St.-Michael-Haus in Ramersdorf. Vicki und Isolde Petri, die Leiterin der Einrichtung, führen ihn herum und machen ihn mit den für die Reittherapie vorgesehenen Kindern Nico, Sabrina, Jessica und Peter bekannt. Wernegg erklärt sich bereit, die Kosten dafür zu übernehmen, und Isolde Petri bittet Vicki, den erforderlichen Antrag an die Stiftung zu stellen.

Danach lädt Wernegg Vicki zum Essen in ein französisches Gourmet-Restaurant ein. Sie findet ihn sympathisch und lässt sich durch sein offenkundiges Interesse dazu hinreißen, von ihrer Kindheit und Jugend zu erzählen.

Statt den Antrag per E-Mail zu schicken, bringt Vicki ihn persönlich in die Canalettostraße im Münchner Stadtteil Neuhausen-Nymphenburg, wo Wernegg wohnt. Als sie dort eintrifft, verabschiedet sich gerade Serge Buthler von ihm. Der Kunsthändler mustert sie, durchschaut aber nicht, dass sie ihn unter dem Namen Viktoria Mohn angerufen hatte. Wernegg stellt noch ein paar Fragen zu dem Antrag. Dann bestellt er bei einem Catering-Service Champagner und etwas zu essen. Als er Vicki küsst, läuft sie davon.

Da sich herausstellt, dass die an Nadine Pfallers Handgelenk sichergestellten Farbreste von einem Fabrikat stammen, das Bruno Lichtenberg verwendet, erwirkt der zuständige Staatsanwalt Christoph Leyenfels einen Haftbefehl gegen ihn, und er wird festgenommen.

René Fuhrmann meldet seinen Jaguar am 15. Juni als gestohlen.

Am selben Tag stößt der Labrador des Joggers Jörg Funke in einem Wald südlich des Speichersees auf die Leiche einer geköpften Frau. Es handelt sich um die vor zwei Tagen von ihrer Mitbewohnerin Daniela Heppner als vermisst gemeldete Jana Wittich. Die beiden Frauen besserten den Lohn, den sie als Zimmermädchen in einem Hotel bekamen, durch Prostitution auf. Daniela Heppner hatte Jana Wittich zuletzt am Freitagabend auf dem Straßenstrich gesehen. Sie war in einen schwarzen Fiat Punto gestiegen, dessen Kennzeichen Daniela Heppner notiert hatte. Das Nummernschild gehört allerdings, das ergab die sofortige Überprüfung, nicht zu einem Fiat, sondern zu einem Mercedes, und wurde dem Fahrzeughalter Boris Kaden gestohlen.

In einem Baggersee in der Nähe des Fundorts der Leiche entdeckt die Polizei René Fuhrmanns Jaguar. Er wird aus dem Wasser gezogen. Als man im Kofferraum Haare von Nadine und Jana sicherstellt, wird der Schönheitschirurg verhaftet. Bruno Lichtenberg kommt dagegen frei.

Bei der Untersuchung eines Bootshauses am Ammersee, das René Fuhrmann gehört, werden Blutspuren von Nadine Pfaller und Jana Wittich gefunden.

Inzwischen ergaben die Ermittlungen auch, dass René Fuhrmann einer der vier Gesellschafter der CRE Clinic-Real Estate ist, der das Grundstück gehört, auf dem die Brauerei-Ruine in Solalinden steht.

Konstantin Dühnfort kommt das Gedicht „Eine Märtyrerin. Zeichnung eines unbekannten Meisters“ von Charles Baudelaire in den Sinn: „[…] Ruht still das Haupt, mit dunkler Haare Massen, / Darin Geschmeide prangen […] Ergießt ein Leichnam ohne Kopf in stetem Fließen / Auf Kissen seine Wogen / Von frischem, roten Blut, das gierig wie von Wiesen / Vom Laken aufgesogen.“ Versucht der Mörder das Gedicht zu realisieren?

Charles Baudelaire (1821 – 1867) war das einzige Kind eines wohlhabenden Verwaltungsbeamten und dessen vierunddreißig Jahre jüngerer Ehefrau. Der Vater starb, als Charles sechs Jahre alt war. Nun gehörte die wunderschöne Mutter dem Jungen ganz allein – bis sie den Offizier Jacques Aupick heiratete, der den gegen ihn aufbegehrenden Stiefsohn in ein Internat abschob.

Vicki hatte ihre Kindheitserinnerungen eigentlich verdrängt, aber durch Jobst Werneggs Fragen waren sie wieder lebendig geworden. Vicki besucht deshalb am 15. Juni Renate Glinka in Untergiesing, eine Freundin ihrer verstorbenen Großmutter Traudl. Erst jetzt erfährt Vicki, dass Traudl ihre sechzehnjährige Tochter von der Schule genommen hatte, als Hermine schwanger geworden war. Erst danach, so Renate Glinka weiter, habe Hermine zu viel getrunken. Drogensüchtig sei sie nie gewesen. Dabei hatte Traudl immer behauptet, Hermine habe die Schulausbildung von sich aus abgebrochen und sei auf den Strich gegangen, um Geld für Drogen zu beschaffen. Ist Vicki vielleicht gar nicht das Kind eines unbekannten Freiers, wie sie bisher dachte? Renate Glinka weiß die Antwort. Vickis Vater hieß Alexander Sauer. Es handelte sich um einen ein Jahr älteren Mitschüler Hermines. Die Beziehung der beiden Jugendlichen war nicht von Dauer. Als Traudl vor Gericht durchsetzte, dass ihr das Sorgerecht für ihre Enkelin übertragen wurde, floh Hermine mit dem Kind vor der Polizei und den Vertretern des Jugendamts in die Berge und versteckte sich in der Hütte, in der sie dann starb.

Serge Buthler versuchte mehrmals, „Viktoria Mohn“ telefonisch zu erreichen, obwohl ihm die angebliche Tochter der Reisebüro-Inhaberin erklärt hatte, das Thema der Facharbeit sei geändert worden. Am 16. Juni kann Vicki sich gerade noch in einem Nebenraum verstecken, als Buthler ins Reisebüro kommt und Clara Mohn nach ihrer Tochter fragt. Sie deckt den Schwindel nicht auf. Stattdessen droht sie dem aufdringlichen Kunsthändler mit einer Anzeige wegen Stalkings und wirft ihn hinaus.

Ungefähr zur gleichen Zeit sieht der Mörder einen Bericht über seine Taten im Fernsehen. Auf den am 7. Juni in der Brauerei-Ruine in Solalinden gemachten Aufnahmen erkennt er das Mädchen, das die Leiche gefunden hatte.

Jobst Wernegg ruft Vicki an. Inzwischen kaufte er eine CD mit dem Klavierkonzert Nr. 23 von Wolfgang Amadeus Mozart, das ihr so gefallen hatte. Er will ihr die CD schicken und fragt sie nach ihrer Adresse. Vicki freut sich.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Dühnfort findet am 17. Juni durch Telefongespräche mit Autohäusern heraus, dass einem Kunden von 4. bis 8. Juni ein schwarzer Fiat als Vorführwagen überlassen worden war. Ein paar Stunden, nachdem er den Namen des Kunden erfahren hat, stoßen die Ermittler auf die Hamburger Journalistin Gunda Rautenberg. Sie hatte am 28. Mai nach der Auktion „Natura morta. Vanitas. Stilleben des 17. Jahrhunderts aus Italien, Deutschland und den Niederlanden“ in der Lobby des Hotels Atlantic Kempinski ein interessantes Gespräch mit einem Teilnehmer geführt und sich auf der Rückseite der später zufällig von Viktoria Senger auf dem Boden in der Brauerei-Ruine fotografierten Karte seinen Namen und die Handy-Nummer notiert, diese dann jedoch versehentlich liegen lassen. Bei dem Mann handelt es sich um den, der auch den schwarzen Fiat ausgeliehen hatte.

Der Mörder bricht bei Vicki ein. Nachdem er ihr zerwühltes Bett frisch bezogen hat, schaltet er ihren PC ein, findet die in Solalinden gemachten Fotos und sieht auch die Hotelkarte mit seinem Namen, die er der Hamburger Journalistin abgenommen, dann bei der Inspizierung der still gelegten Brauerei verloren und beim Ablegen der Leiche wiedergefunden hatte.

Als Vicki nach Hause kommt, wundert sie sich über das frisch bezogene Bett, auf dem eine schwarze Anemone liegt. Sofort läuft sie ins Freie, ruft Dühnfort an und teilt ihm aufgeregt mit, dass jemand bei ihr in der Wohnung war. Der Kriminalhauptkommissar rät ihr, unverzüglich zu ihm ins Münchner Polizeipräsidium zu kommen.

Einige Minuten später ruft Dühnfort Vicki auf ihrem Handy an. Sie steht inzwischen am S-Bahnhof in Perlach. Der Kommissar will sie von dort mit dem Wagen abholen; sie soll auf ihn warten.

Der Mörder ist Vicki unbemerkt gefolgt. Plötzlich erblickt sie Jobst Wernegg. Vor ihren Augen wirft er sich vor die einfahrende S-Bahn. Schwer verletzt wird er ins Klinikum Harlaching gebracht.

Am Abend überrascht Gina Angelucci Konstantin Dühnfort mit einem Besuch. Sie schlafen zum ersten Mal miteinander. Als er am nächsten Morgen erwacht, ist sie bereits fort.

Von Werneggs Tante Stefanie Karg erfährt Dühnfort, dass Jobst im Internat am Ammersee Kurse für Fotografie und Ölmalerei belegt und sich dabei als sehr begabt erwiesen hatte. Bevor er mit Betriebswirtschaftslehre anfing, hatte er in Düsseldorf zwei Semester Kunst studiert. In Canberra war er nur wenige Wochen lang. Danach setzte er sein Kunststudium in Düsseldorf fort, obwohl er inzwischen einen Abschluss in BWL hatte. Warum er seinen Freund René Fuhrmann mordverdächtig gemacht habe, fragt Dühnfort. Stefanie Karg glaubt, die Antwort zu wissen: Ihr Neffe beneidete René Fuhrmann von Jugend an, weil dieser in einer intakten Familie aufgewachsen war.

In den Überresten einer im Juli 2004 abgebrannten, vorher von Jobst Wernegg bewohnten Mühle östlich von Düsseldorf stellt die Polizei den Anhänger einer Halskette sicher, die von Svenja Lenhard getragen worden war.

Vicki machte Alexander Sauer ausfindig, aber als sie vom Reisebüro aus anrief und sich seine Ehefrau Sabine meldete, wusste sie nicht, was sie sagen sollte und legte wieder auf. Am 18. Juni ruft Alexander Sauer die gespeicherte Telefonnummer an, um sich über die vermeintliche Belästigung zu beschweren. Clara Mohn hebt ab. Als Vicki mitbekommt, wer am Apparat ist, klärt sie den Anrufer darüber auf, dass er ihr Vater ist.

Am Samstag, den 19. Juni, besucht sie Alexander und Sabine Sauer.

Jobst Wernegg erliegt seinen Verletzungen.

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Auch wenn man die beiden ersten Romane von Inge Löhnig über den Münchner Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort („Der Sünde Sold“, „In weißer Stille“) nicht gelesen hat, kann man der Handlung des Psychothrillers „So unselig schön“ leicht folgen.

Sie spielt an dreizehn aufeinander folgenden Tagen (Montag, 7. Juni bis Samstag, 19. Juni) und ist dementsprechend in dreizehn Kapitel gegliedert. Inge Löhnig erzählt chronologisch und entwickelt die beiden Handlungsstränge parallel, das heißt, sie wechselt zwischen der Perspektive des Kommissars und der einer jungen Frau namens Viktoria („Vicki“) Senger. Zwischendurch schauen wir auch einem mörderischen Psychopathen über die Schulter, ohne vorerst zu wissen, um wen es sich handelt. Dabei passt Inge Löhnig die Sprache den Figuren an und wählt beispielsweise schnoddrige Ausdrücke, wenn sie Szenen aus Vickis Sicht schildert.

Bei dieser Zweiundzwanzigjährigen handelt es sich um einen gegen den Strich gebürsteten Charakter, ähnlich wie Lisbeth Salander in der Millenium-Trilogie von Stieg Larsson („Verblendung“, „Verdammnis“, „Vergebung“).

Die Gummistiefel. Genau. Das war es. Vicki zog sie aus dem Regal, schlüpfte hinein und betrachtete ihr Spiegelbild. Gute Entscheidung […] Vickis Blick wanderte die langen Beine entlang über die umgekrempelte Kante ihrer Khakishorts bis zum breiten Hüftgürtel, der dem weißen Herrenhemd Form gab. Es bauschte sich um ihren Körper, verbarg Taille und Oberweite.

Inge Löhnig zeichnet die Charaktere in „So unselig schön“ farbig und lebendig. Kommissar Dühnfort beobachten wir nicht nur bei seiner Ermittlungsarbeit, sondern auch im Privatleben, beispielsweise wenn er sich nicht zwischen Agnes Gaudera und Gina Angelucci entscheiden kann.

Leserinnen und Leser, die auf Action-Szenen aus sind, würden in „So unselig schön“ nicht auf ihre Kosten kommen. Wer jedoch gern einen spannenden, rasant erzählten, aus zahlreichen Einfällen souverän aufgebauten, logisch und psychologisch einigermaßen nachvollziehbaren Whodunit-Thriller liest, kann sich auf ein Lesevergnügen freuen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

Inge Löhnig: Der Sünde Sold
Inge Löhnig: In weißer Stille
Inge Löhnig: Sieh nichts Böses
Inge Löhnig: Unbarmherzig
Ellen Sandberg: Die Vergessenen
Ellen Sandberg: Der Verrat
Ellen Sandberg: Die Schweigende
Ellen Sandberg: Das Erbe
Ellen Sandberg: Das Geheimnis

Adriana Altaras - Doitscha
In ihrem Roman "Doitscha" entwickelt Adriana Altaras keine Handlung im engeren Sinn, sondern reiht Episoden locker aneinander. Den wechselnden Ich-Erzählern gemeinsam ist der lockere Plauderton.
Doitscha