Before Sunset

Before Sunset

Before Sunset

Originaltitel: Before Sunset – Regie: Richard Linklater – Drehbuch: Richard Linklater, Julie Delpy, Ethan Hawke – Kamera: Lee Daniel – Schnitt: Sandra Adair – Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy u.a. – 2004; 80 Minuten

Inhaltsangabe

Nach einer Autorenlesung in einer Pariser Buchhandlung entdeckt der erfolgreiche amerikanische Schriftsteller Jesse Wallace abseits des Publikums die Frau, mit der er vor 9 Jahren 14 Stunden in Wien verbrachte: Céline. In spätestens einer Stunde muss er zum Flughafen, um seine Maschine zu erreichen, aber die Zeit nutzen Jesse und Céline, um durch Paris zu schlendern und wie damals in Wien Gedanken auszutauschen ...
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Kritik

Die minimalistische Romanze "Before Sunset" besteht aus einem Gespräch, das ein Amerikaner und eine Französin, beide Anfang 30, miteinander führen, während sie durch Paris schlendern. Dabei entsprechen sich die Dauer der Handlung und des Films.
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Vorgeschichte: „Before Sunrise“

Der erfolgreiche amerikanische Schriftsteller Jesse Wallace (Ethan Hawke) kommt im Rahmen einer Lesereise in eine kleine Pariser Buchhandlung. Sein neuer Roman handelt von einem texanischen Studenten und einer Pariser Studentin, die sich zufällig im Zug von Budapest nach Paris kennen lernen und den Rest des Tages sowie die Nacht bei einem Zwischenstopp in Wien verbringen. Ob die Geschichte autobiografisch sei, fragt eine Zuhörerin. Widerstrebend deutet Jesse an, dass es die beiden jungen Leute in Wien tatsächlich gegeben habe.

Kurz vor dem Ende der Veranstaltung erblickt er Céline (Julie Delpy), die etwas abseits steht.

Der Buchhändler Vernon Dobtcheff macht Jesse darauf aufmerksam, dass er in gut einer Stunde zum Flughafen aufbrechen müsse, um seine Maschine zu erreichen. Der Chauffeur Philippe (Diabolo) wartet bereits auf ihn. Jesse will die Stunde nutzen, um mit Céline einen Kaffee zu trinken. Sie wohnt ganz in der Nähe und führt ihn zu einem Café.

Ob er vor achteinhalb Jahren, wie verabredet, noch einmal nach Wien gekommen sei, fragt sie. Sie habe die Verabredung nicht einhalten können, weil ihre Großmutter gestorben sei. Jesse leugnet zunächst, dass er da war, aber Céline merkt, dass er lügt, und er gibt es schließlich zu. Was wäre aus ihnen geworden, wenn sie sich damals wiedergetroffen hätten? Oder wenn sie während des Zwischenstopps vor neun Jahren in Wien wenigstens ihre Nachnamen, Adressen oder Telefonnummern ausgetauscht hätten?

Céline ist inzwischen zweiunddreißig, hat Politologie studiert und engagiert sich für eine internationale Umweltschutz-Organisation. Sie ist unverheiratet und fast ebenso häufig verreist wie ihr Lebensgefährte, ein Kriegsberichterstatter. Jesse wurde Schriftsteller. Er ist mit einer Lehrerin verheiratet, und sie haben einen vierjährigen Sohn.

Nachdem Céline seinen neuen Roman gelesen und sich darin wiedererkannt hatte, stieß sie in der Buchhandlung auf die Ankündigung seiner Lesung. Jesse gesteht, das Buch in der Hoffnung geschrieben zu haben, sie dadurch wiederzusehen.

Sie tauschen Erinnerungen aus, reden über Sex und Liebe, verlorene Jugendideale, Religion, Umweltzerstörung, die Einstellung der Amerikaner zum Waffenbesitz. Zunächst bewegt sich das Gespräch im Unverbindlichen, und sie versuchen, die Gefühle zu verbergen, die sie für einander empfinden, aber dann gibt Jesse preis, dass die Liebe zwischen ihm und seiner Frau abgestumpft ist. Und Céline gesteht, dass ihre Beziehung nur funktioniert, weil ihr Lebensgefährte selten bei ihr ist und sie sich deshalb nicht eingesperrt fühlt. Unvermittelt zeigt Céline, wie frustriert sie darüber ist, dass Jesse inzwischen eine Familie hat. Die Romantik des Tages vor neun Jahren sei vorbei, meint sie, und es habe sich gezeigt, dass es sich bei Liebe und Realität um Gegensätze handele.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Café schlendern Jesse und Céline durch Paris. Als sie an einem Touristen-Boot vorbeikommen, das gerade angelegt hat, zieht Jesse seine Begleiterin an Bord und bittet Philippe telefonisch, nicht länger vor der Buchhandlung auf ihn zu warten, sondern ihn an der nächsten Anlegestelle des Schiffes abzuholen.

Statt sich zum Flughafen fahren zu lassen, besteht Jesse darauf, Céline nach Hause zu bringen.

Vor dem Eingang des Hauses, in dem sie wohnt, lässt er Philippe warten. Er wolle Céline zur Tür begleiten, erklärt er. Aber dann geht er doch mit ihr in die Wohnung hinauf und drängt sie, ihm eines ihrer selbst geschriebenen Lieder vorzusingen. Während sie ihm eine Tasse Kamillentee anbietet, schiebt er eine CD ins Abspielgerät: Nina Simone singt „Just in Time“. „Du verpasst dein Flugzeug“, warnt Céline. Und Jesse antwortet ungerührt: „Ich weiß.“

Fortsetzung: „Before Midnight“

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Bei „Before Sunset“ – dem Sequel zu „Before Sunrise“ – handelt es sich um einen Film, der nur aus einem Gespräch besteht, das ein Amerikaner und eine Französin, beide Anfang dreißig, miteinander führen, während sie durch Paris schlendern. Dabei entsprechen sich die Dauer der Handlung und des Films. Die ausgetauschten Gedanken und Erinnerungen sind teils banal, teils klug. Im fließenden Übergang wechseln die Themen: Sex und Liebe, verlorene Romantik und aufgegebene Jugendideale, Religion, Umweltzerstörung, die Einstellung der Amerikaner zum Waffenbesitz … Das wirkt authentisch und improvisiert, aber Richard Linklater, Julie Delpy und Ethan Hawke beteuern, dass jede Dialogzeile im Drehbuch steht.

Was Jesse und Céline miteinander verhandeln, in ihrem höchst selbstreflexiven und manchmal zutiefst melancholischen Geplänkel, ist nicht ein individuelles Liebesglück oder -unglück – dafür sind die beiden als Charaktere jenseits der gängigen Identitätsschablonen von urbanen Mittelschichtlern viel zu vage gestaltet. Stattdessen entfaltet sich hier in atemlos vor sich hin plaudernder Konsequenz das Dilemma einer Gesellschaft, deren Aktivität sich vom Handeln ins Reden, von der Tat zum Wort hin verschoben hat, kurz: von Menschen, die mit Texten, mit Medien leben und hinter den Zeichenschichten, in die sie eingewoben sind, die Substanz des Realen suchen. (Daniel Haas, Der Spiegel, 17. Juni 2004)

„Before Sunset“ ist eine unaufdringliche, melancholische und minimalistisch inszenierte Romanze, die mit wenig Schnitten auskommt, weil der Film gewissermaßen in Echtzeit abläuft.

Der Song „A Waltz for a Night“ wurde von Julie Delpy geschrieben, und sie singt auch selbst.

„Before Sunset“ wurde 2003 nach zwei Wochen Proben an fünfzehn Tagen in Paris gedreht. In der Kategorie „Bestes adaptiertes Drehbuch“ gab es für „Before Sunset“ 2005 eine „Oscar“-Nominierung.

Mit „Before Midnight“ – wiederum mit Ethan Hawke und Julie Delpy – erweiterte Richard Linklater den Zweiteiler „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ zur Triloge.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009

Richard Linklater (kurze Biografie / Filmografie)

Richard Linklater: Before Sunrise. Zwischenstopp in Wien
Richard Linklater: Before Midnight
Richard Linklater: Boyhood

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