Charlotte Link : Die Betrogene

Die Betrogene
Die Betrogene Originalausgabe: Blanvalet Verlag, München 2015 ISBN: 978-3-7341-0085-7, 639 Seiten ISBN: 978-3-641-13247-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Inspektor Caleb Hale leitet die Ermittlungen in drei vermutlich zusammenhängenden Mordfällen. Gefahndet wird nach einem vor wenigen Monaten aus dem Gefängnis entlassenen, inzwischen untergetauchten Gewalttäter. Kate Linville, die bei Scotland Yard beschäftigte Tochter eines der Mord­opfer, lässt sich beurlauben und quartiert sich im verwaisten Elternhaus ein, um die Ereignisse zu verarbeiten und private Nachforschungen durchzuführen ...
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Kritik

"Die Betrogene" ist ein ebenso span­nen­der wie anspruchsvoller Krimi­nal­roman. Die einzelnen Elemente greifen wie die Zahnräder eines Uhrwerks ineinander, und Charlotte Link leuchtet die lebendigen Charak­tere mit viel Empathie aus.
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Am 3. Mai 2014 holt Caleb Hale, Detective Chief Inspector bei der North Yorkshire Police in Scarborough, die 39-jährige Tochter eines vor einigen Jahren pensionierten Kollegen vom Flughafens Leeds-Bradford ab und fährt sie nach Scalby, zum verwaisten Haus ihres Vaters. Kate Linville kommt aus London, wo sie ebenfalls bei der Polizei arbeitet, und zwar als Detective Sergeant bei Scotland Yard. Aber sie hat sich für eine Weile beurlauben lassen, um die Ermordung ihres verwitweten Vaters zu verarbeiten und privat Erkundigungen einzuholen.

Richard Linville wäre im März 71 Jahre alt geworden – wenn ihn nicht jemand am 22. Februar in seinem Haus in Scalby überfallen, gefoltert und am Ende mit einer Plastiktüte über dem Kopf erstickt hätte. Caleb Hale leitet die Ermittlungen in dem Mordfall, obwohl er erst Anfang März aus einer Entzugsklinik entlassen wurde. Er ist alkoholkrank. Seine zwei besten Mitarbeiter, Detective Constable Jane Scapin und Detective Sergeant Robert Stewart, hatten bereits vor seiner Rückkehr in den Dienst angefangen, Spuren zu sichern und Hinweisen nachzugehen.

Caleb Hale vermutet einen Racheakt. Vielleicht hatte Richard Linville den Täter ins Gefängnis gebracht. Der Verdacht fällt auf Denis Shove. Der 2005 von Linville verhaftete Gewalttäter, der während der achtjährigen Haft angedroht hatte, er werde sich an Linville rächen, hat sich seit Wochen nicht mehr bei seinem Bewährungshelfer gemeldet und ist umgezogen, ohne eine neue Adresse zu hinterlassen.

Kate Linville erhält am 4. Juni in Scalby einen Anruf ihrer Kollegin Detective Sergeant Christy McMarrow aus London. Melissa Cooper, eine Kate unbekannte Frau in Hull, möchte mit ihr über den Vater sprechen. Als Kate zur telefonisch verabredeten Zeit in Hull eintrifft, ist Melissa Cooper nicht zu Hause. In der Grundschule, in der Melissa Cooper als Sekretärin arbeitet, sind die Türen verschlossen. Nachdem der Hausmeister das Auto der Gesuchten auf dem Parkplatz gesehen hat, betritt er mit Kate Linville das Gebäude. Sie finden die 59-jährige Sekretärin tot vor. Der Mörder folterte sie wie Richard Linville und schnitt ihr dann die Kehle durch.

Von Michael Cooper, einem der beiden Söhne der Ermordeten, erfährt Kate, dass ihr Vater von Herbst 1998 bis Herbst 2001 eine Affäre mit der Witwe Melissa Cooper hatte. Kate ist entsetzt. Für sie bricht eine Welt zusammen: Ihr über alles geliebter Vater betrog seine Frau Brenda, als diese bereits mit Operationen, Chemotherapien und Bestrahlungen gegen ihre Krebserkrankung kämpfte, an der sie im Januar 2011 starb.

–   –   –

Der 42-jährige Drehbuchautor Jonas Crane erhält am 28. April 2014 wegen eines drohenden Burnouts von seinem Arzt den Rat, sich eine Auszeit zu nehmen.

Nach acht erfolglosen Versuchen mit künstlicher Befruchtung in Bournhall, für die Jonas und Stella Crane ihr Haus in Kingston upon Thames mit einer zusätzlichen Hypothek belasten mussten, adoptierten sie 2009 ein im Mai geborenes Kind. Therese („Terry“) Malyan aus Truro, die damals 16-jährige Mutter, war von einem ein Jahr älteren Mitschüler in einem Feriencamp geschwängert worden. Weil Terry die ihr von den Eltern aufgezwungene Freigabe des Neugeborenen zur Adoption nach kurzer Zeit wieder rückgängig machen wollte, schlug das Jugendamt ausnahmsweise einen Kontakt mit den Adoptiveltern vor. Terry sollte sehen, dass ihr Sohn Samuel („Sammy“) bei den Cranes ein besseres Leben erwartete als sie ihm jemals hätte bieten können.

Jahrelang hörten die Cranes nichts mehr von Terry Malyan, aber zu Sammys fünftem Geburtstag kommt sie am 3. Mai 2014 aus Leeds zu Besuch und bringt ihren neuen Freund mit: Neil Courtney. Der 32-Jährige interessiert sich augenscheinlich noch weniger als Terry für Sammy. Jonas und Stella argwöhnen, dass er sich bei ihnen umschauen wollte, um abschätzen zu können, ob bei Sammys Adoptiveltern etwas zu holen sein könnte.

Am 23. Mai fahren Stella und Jonas Crane mit Sammy in die Hochmoore von Yorkshire, wo Jonas von seinem Kollegen Benjamin Wilson für zwei Wochen ein abgelegenes Farmhaus ohne Fernsehen und Telefon gemietet hat. Um ein Funknetz fürs Handy zu bekommen, müssten sie auf einen nahen Hügel steigen. Jonas hofft, durch diese Entschleunigung den drohenden Burnout zu verhindern.

In der Nacht auf den 5. Juni wacht Stella auf, weil jemand ihren Namen ruft. Es ist Terry. Sie steht mit zerschlagenem Gesicht vor der Tür und erklärt, dass sie vor Neil geflohen sei. Stella wundert sich nicht zuletzt darüber, dass Terry wusste, wo sie zu finden waren. Darauf angesprochen, erklärt Terry, Neil sei mit ihr die Gegend abgefahren, bis sie das Auto der Cranes entdeckten. Dass die Familie vorhatte, hier Ferien zu machen, ahnte er, weil er während des Besuchs bei ihnen einen Prospekt von den North York Moors gesehen hatte. Stella ist entsetzt. Sie rät Terry, Neil anzuzeigen, aber die 21-Jährige will ihn nicht verlieren; er ist ihre einzige Bezugsperson.

Dass Terry und Neil einen lautstarken Streit hatten, bekamen auch die Nachbarn mit. Peggy Wild und ihre Lebensgefährtin Helen Jefferson klopfen am Morgen an die Tür, aber statt Terry öffnet Neil, der bei der Mieterin Terry eingezogen ist und sonst um diese Zeit noch schläft. Er behauptet, Terry habe nachts durch einen Anruf erfahren, dass ihre Mutter schwer krank ist. Sie sei gleich darauf mit ihrem Auto nach Scarborough gefahren, um die Patientin im Krankenhaus zu besuchen. Nun wisse er nicht, wie er dort hinkommen soll. Peggy, die in einem Altersheim in Scarborough arbeitet, bietet ihm an, ihn mitzunehmen.

Unter dem Vorwand, urinieren zu müssen, bringt er Peggy dazu, in einen Waldweg einzubiegen. Dort überfällt er sie, und als sie zur Straße fliehen will, schießt er sie ins Bein. Dann fesselt er sie und lässt sie liegen, obwohl zu befürchten ist, dass sie verblutet.

Bald darauf taucht er mit Peggys Wagen bei den Cranes auf. Während er mit Terry angeblich eine kleine Wanderung unternimmt, weist Sammy seine Adoptivmutter drauf hin, dass ein Bild des Mannes in der Zeitung ist. Da heißt er allerdings nicht Neil Courtney, sondern Denis Shove:

Die Polizei von Yorkshire fahndet nach dem zweiunddreißigjährigen Denis Shove. Shove hat eine achtjährige Haftstrafe abgesessen, nachdem er seine Lebensgefährtin Angela H. im Affekt schwer verletzt hatte. Angela H. erlag später ihren Verletzungen. Shove wurde im August 2013 auf Bewährung entlassen und ist seit Februar 2014 untergetaucht. Er steht im dringenden Verdacht, an der Ermordung eines ehemaligen Polizeibeamten in Scalby beteiligt gewesen zu sein. Shove gilt als extrem gefährlich und gewaltbereit.

Als Neil und Terry zurückkommen, tut Stella so, als sei nichts gewesen, aber Sammy ruft: „Wir haben dich gerade in der Zeitung gesehen!“ Da hat Denis Shove alias Neil Courtney plötzlich eine Pistole in der Hand. Jonas stürzt sich auf ihn, aber der Verbrecher schießt ihn nieder. Danach schließt er Stella und Sammy in der Scheune ein. Später schleppt er auch Jonas, der kaum bei Bewusstsein ist und hohes Fieber hat, in das Gefängnis.

Terry lässt den Cranes etwas Wasser und Nahrung da, bevor sie und Denis die Farm im Wagen der eingesperrten Familie verlassen. Die beiden anderen Autos bleiben stehen. Das Tor der Scheune ist nicht aufzukriegen, und das einzige Fenster ist nicht nur hoch oben im Dach, sondern auch so klein, dass sich allenfalls ein Kind hindurchzwängen könnte.

Peggy Wild wird glücklicherweise von einem anderen Autofahrer gefunden. Als Helen Jefferson nach der Notoperation ihrer Lebensgefährtin zur Polizei kommt, um ihre Aussage zu machen, geht sie auf ein Fahndungsplakat zu und weist Caleb Hale darauf hin, dass es sich bei dem Gesuchten um den Mann handelt, den Peggy am Morgen mit nach Scarborough nehmen wollte: Neil Courtney, der Freund ihrer Nachbarin Terry Malyan. Sie wundert sich nur über den Namen Denis Shove auf dem Plakat.

Die Leiche des Mannes, der tatsächlich Neil Courtney hieß, wird in einem Grab im verwilderten Garten seines einsamen Hauses bei Newcastle gefunden. Die Obduktion führt zu dem Ergebnis, dass er an Leberzirrhose starb. Warum begrub ihn jemand heimlich? Es stellt sich heraus, dass seine Rente bis vor zwei Wochen jeden Monat vom Bankkonto abgehoben wurde – vermutlich von Denis Shove.

DC Jane Scapin möchte den früheren Detective Sergeant Norman Dowrick befragen, einen engen Freund und Mitarbeiter Richard Linvilles. Im Sommer 2004 wurde Norman Dowrick beim Zugriff auf Drogendealer angeschossen. Der 40-Jährige überlebte querschnittgelähmt. Unter der alten Adresse trifft Jane seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau Susannah Dowrick an. Die hat zwar seit vier Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm, vermutet ihn jedoch in Liverpool.

Als Jane Scapin am 10. Juni zu der angegebenen Adresse fährt, stößt sie auf ein 13 Jahre altes, geistig zurückgebliebenes Mädchen: Grace Henwood. Obwohl Grace nicht gehbehindert ist, fährt sie auf einem stillgelegten Fabrikgelände mit einem Rollstuhl herum. Die Eltern, der 42-jährige, seit fünf Jahren arbeitslose Schiffsmechanikers Darren Henwood und seine Ehefrau Julie, wissen davon nichts. Jane vermutet, dass der Rollstuhl Norman Dowrick gehört. Grace führt sie zu einem mit Wasser gefüllten, verschlossenen Fass auf dem Fabrik­gelände. Darin befindet sich Norman Dowricks Leiche. Jemand ertränkte ihn und schraubte dann den Deckel auf das Fass. Grace muss den Mord beobachtet haben, denn woher sollte sie sonst von dem Toten wissen? Als die zuständige Polizei eintrifft, ist Grace verschwunden.

Am 11. Juni, nach fast einwöchiger Gefangenschaft der Cranes, gehen deren Vorräte trotz strenger Rationierung zu Ende. Jonas droht zu sterben. Stella weiß keinen anderen Ausweg mehr, als Sammy aus dem Dachfenster klettern zu lassen. Er soll zunächst nach einem Wasserhahn im Freien suchen. Aber es gibt offenbar keinen, und am Haus sind sogar die Fensterläden verschlossen. Stella schickt ihren fünfjährigen Adoptivsohn deshalb zur Straße, wo er ein Auto anhalten und um Hilfe bitten soll. Nach Stunden kommt Sammy zurück: Weil er so durstig war, irrte er auf der Suche nach einem in der Nähe vermuteten Teich herum und fand danach nicht mehr zur Straße. In die Scheune kann er nicht zurück; er muss die folgende Nacht in einem der beiden Autos verbringen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Hamzah Chalid, ein Iraker Anfang 50, der 1998 in Bagdad von der Geheimpolizei verschleppt und im Gefängnis gefoltert wurde, kann es kaum erwarten, dass Jonas Crane aus dem Urlaub zurückkommt, denn der Autor wollte das Drehbuch zu einer Filmdokumentation über Hamzah Chalids Leidensgeschichte schreiben. Als dieser am 11. Juni noch immer vergeblich in Kingston upon Thames auf Jonas Crane wartet, schlägt er Alarm. Über den Drehbuchautor Benjamin Wilson findet Jane Scapin schließlich heraus, wo dessen von der Familie Crane gemietetes Farmhaus liegt. Am 12. Juni fährt sie hin. Von weitem sieht sie, dass die Fensterläden geschlossen sind. Dann fallen ihr die beiden Autos auf. Aus einem davon stolpert ein Junge.

Im letzten Augenblick werden die Cranes vor dem Verdursten gerettet. Die Ärzte im Krankenhaus bezweifeln allerdings zunächst, ob Jonas Crane seine Verletzung und die Folgen überlebt. Erst nach einiger Zeit können sie Stella beruhigen: Ihr Mann erholt sich.

Denis Shove und Terry Malyan nehmen am 12. Juni in Cairnryan die Fähre nach Belfast, und von dort fahren sie weiter nach Süden, um sich in die Republik Irland abzusetzen. Bevor sie jedoch die Grenze erreichen, werden sie festgenommen.

Nach Grace Henwood sucht die Polizei noch immer vergeblich. Kate Linville gewinnt in Liverpool das Vertrauen des jungen, psychisch gestörten Inders Kadir Roshan, der zwar eine Dachwohnung gemietet hat, aber bei jedem Wetter auf einer Mauer bei dem stillgelegten Fabrikgelände sitzt. Ein Mann, der nicht von der Polizei gewesen sei, habe sich nach Grace erkundigt, sagt er.

„Er hat gefragt: Kennen Sie das Mädchen, nach dem alle suchen? Das den Mord an dem Polizisten beobachtet hat?“
Kate zuckte zusammen. Dass es sich bei Norman Dowrick um einen ehemaligen Polizisten handelte, war bislang vollständig unter Verschluss gehalten worden. „Sind Sie sicher? Dass er Polizist gesagt hat?“
„Ganz sicher. Ich war ja noch ziemlich überrascht. Nicht einmal ich hatte ja gemerkt, dass der Alte im Rollstuhl ein Bulle war. Wusste hier keiner, glaube ich.“

Kate fragt sich außerdem, woher der Mann – vermutlich der Mörder von Richard Linville, Melissa Cooper und Norman Dowrick – weiß, dass es eine Tatzeugin gibt, denn das wurde den Medien noch nicht mitgeteilt. Jedenfalls will Kate die brisante Nachricht am Abend Caleb Hale überbringen und fährt zu seiner Privatadresse. Aber er hat erstmals seit Monaten wieder getrunken, und weil er nicht klar denken kann, schickt er sie zu Jane Scapin.

In Janes Wohnung stößt Kate zu ihrer Verwunderung auf einen jungen Mann, der augenscheinlich schwer geistesgestört ist. Es handelt sich um Janes jüngeren Bruder Dylan, der bald 18 wird. Tagsüber ist er in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt, aber abends und am Wochenende muss Jane sich um ihn kümmern, und wenn sie – was häufig vorkommt – Überstunden machen muss, kümmert sich ihre Nachbarin Margaret Pollard um Dylan.

Während Kate noch bei Jane ist, ruft Kadir an und berichtet, dass der Fremde wieder da sei und nach Grace suche. Das verschwundene Mädchen vermutet er in einem Versteck unterhalb des Canada Docks.

Kate fährt sofort los. Kadir sitzt nicht auf der Mauer. Beim Canada Dock fällt ihr ein geparkter grüner Peugeot auf. Da trifft sie ein Schlag auf den Hinterkopf. Als sie am 13. Juni in einem lichtlosen Raum wieder zu sich kommt, liegt sie gefesselt auf dem Boden, und neben ihr hängt Kadir mit um ein Rohr herum zusam­men­gebun­denen Händen. Er erklärt ihr, dass sich das Gefängnis in einem Tunnelsystem unter dem River Mersey befindet. Mühsam gelingt es den beiden, sich von ihren Fesseln zu befreien, aber die verriegelte Stahltür ist nicht aufzukriegen und ansonsten gibt es nur eine von einer Metallplatte verschlossene Öffnung in der Decke.

Margaret Pollard beschwert sich bei der Polizei in Scarborough, dass ihre Nachbarin Jane Scapin weder zu Hause noch telefonisch erreichbar sei. Dabei tobte ihr Bruder Dylan in der Wohnung, bis Mrs Pollard ihn mit Tabletten ruhig stellte. Die aufgebrachte Frau rät Caleb Hale, Janes Bruder Sean Holgate in Newcastle anzurufen. Der könne sich ruhig auch einmal um Dylan kümmern, meint sie.

DS Robert Stewart setzt sich mit den Kollegen in Newcastle in Verbindung und berichtet dann seinem Chef, was er erfahren hat. Sean Holgate ist nicht zu Hause. Er lebt von Sozialhilfe. Dylan wurde im Alter von fünf Jahren von einem Auto angefahren, lag monatelang im Koma und ist seither geistig behindert. Der Unfallverursacher beging Fahrerflucht und konnte nicht ermittelt werden. Jane war damals 15 Jahre alt, Sean ist zwei Jahre jünger als sie. Eineinhalb Stunden nach dem später von den Ärzten angenommenen Zeitpunkt des Unfalls alarmierte Detective Chief Inspector Richard Linville Krankenwagen, Notarzt und Polizei in Newcastle. Er habe einen anonymen Anruf auf seinem Handy bekommen und den Mann auch nicht an der Stimme erkannt, gab Linville später zu Protokoll. Norman Dowrick, der bei Linville im Büro gewesen war, während dieser telefoniert hatte, bestätigte dessen Angaben. Caleb Hale traut seinen Ohren nicht, als Robert Stewart seinen Bericht mit der Bemerkung schließt, DC Jane Scapin habe sich bereits Ende 2013 dienstlich in Newcastle nach dem Fall erkundigt.

Außer Jane Scapin wird auch Kate Linville vermisst, und sowohl von Sean Holgate als auch von Grace Henwood und Kadir Roshan fehlt ebenfalls jede Spur.

Mit düsteren Vorahnungen eilt Caleb Hale nach Liverpool. In Kadir Roshans Dachwohnung stößt er auf Grace Henwood. Von ihrem Versteck unterhalb des Canada Docks aus sah sie den Mörder des Rollstuhlfahrers, der nach ihr suchte. Sie beobachtete auch, wie er zuerst Kadir einsperrte und kurz darauf die freundliche Frau, der sie das Fass mit dem Toten gezeigt hatte. Weil Grace den Weg nicht erklären kann, lässt Caleb Hale sich von ihr führen.

Vor dem Eingang zur ehemaligen Werft, zu dem Grace ihn bringt, entdeckt er Jane Scapins geparktes Auto.

Jane Scapin eilte ebenso wie Kate Linville nach Liverpool, um ihren Bruder Sean zu warnen und ihm Grace Henwoods mutmaßliches Versteck zu verraten. Aber als sie merkte, dass er vorhatte, das unterirdische Gefängnis von Kate Linville und Kadir Roshan zu fluten, wollte sie weitere Morde verhindern. Sie drohte, ihre Kollegen anzurufen, aber Sean schleuderte ihr Handy fort und schlug sie bewusstlos.

Als sie wieder zu sich kommt, hört sie ein lautes metallisches Quietschen: Sean ist also dabei, die eingerostete Schleuse zu öffnen.

Jane rennt in das unterirdische Labyrinth, aber sie bringt die verrostete Türverriegelung nicht auf. Caleb Hale kommt dazu. Zu zweit schaffen sie es, die Tür zu öffnen und die Eingeschlossenen zu befreien. Aus der Deckenklappe schießt bereits das Wasser.

Das Puzzle setzt sich zu folgendem Bild zusammen: Dylans Unfall zerstörte die Familie Holgate. Der Vater setzte sich ab, und die Restfamilie musste Sozialhilfe beantragen. Die Mutter kümmerte sich nur noch um Dylan und vernachlässigte darüber die beiden anderen Kinder. Jane wurde Polizistin. Als sie sich vor einigen Monaten bei den Kollegen in Newcastle nach Dylans Unfall erkundigte, ohne sich als dessen Schwester erkennen zu geben, erfuhr sie von dem anonymen Anruf bei Richard Linville. Sie bezweifelte sofort, dass er die Wahrheit gesagt hatte: Jemanden, der seine private Handynummer wusste, müsste er an der Stimme erkannt haben. Jane fand heraus, dass es eine Anruferin gewesen war: Richard Linvilles Geliebte Melissa Cooper. Und Norman Dowrick hatte alles mitbekommen. Die beiden Polizisten deckten die Unfallflüchtige. Das düstere Geheimnis zerbrach allerdings sowohl die Männer­freundschaft als auch die Liebesbeziehung.

Als Richard Linville ermordet wurde, hatte Jane zwar ein ungutes Gefühl, denn sie hatte ihren Bruder Sean über die neuen Erkenntnisse unterrichtet, aber nachdem Kate Linville Melissa Coopers übel zugerichtete Leiche gefunden hatte, stellte sie Sean zur Rede, und er gestand alle drei Morde. Trotzdem hielt sie zu ihm – bis er dann auch noch Kate Linville und Kadir Roshan ertränken wollte.

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Charlotte Link veranschaulicht in „Die Betrogene“, wie das Bedürfnis nach Gerechtigkeit neues Unheil anrichten kann.

„Die Betrogene“ ist ein ebenso spannender wie anspruchsvoller Kriminalroman. Die Autorin hat die hohe Komplexität souverän im Griff und achtet auch darauf, dass die Leser trotz zahlreicher Figuren, mehrerer Handlungsstränge und vieler Verästelungen nicht die Übersicht verlieren. Durch den fortwährenden Wechsel zwischen den Erzählebenen entstehen immer wieder Cliffhanger. Charlotte Link hat „Die Betrogene“ so klug und durchdacht aufgebaut, dass die einzelnen Elemente wie die Zahnräder eines Uhrwerks ineinandergreifen. Aus dem Zusammenspiel der Teile des Psychothrillers ergeben sich das Gesamtbild und die Erklärungen für die Abläufe in „Die Betrogene“. Die Figuren sind nicht nur farbig und lebendig, sondern Charlotte Link leuchtet die allesamt kaputten Charaktere auch sorgfältig aus. Mit großem Einfühlvermögen gelingt es ihr, die Beweggründe der Figuren glaubhaft und nachvollziehbar darzustellen.

Den Kriminalroman „Die Betrogene“ von Charlotte Link gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Claudia Michelsen (ungekürzt: ISBN 978-3-8371-3039-3; gekürzt: ISBN 978-3-8371-3237-3).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Blanvalet Verlag

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